Länderberichte
Mit dem Referendum greift der Präsident eines der zentralen Projekte seiner Präsidentschaft wieder auf, die "politische Reform", d. h. eine Verfassungsrevision mit dem Ziel, die demokratische Partizipation und die Repräsentativität der politischen Institutionen zu stärken. Eine entsprechende Gesetzesinitiative der Regierung scheiterte im Jahre 1999 im Kongress und galt seitdem als nicht mehr realisierbar. Erst der jüngste Korruptionsskandal um die massive Veruntreuung öffentlicher Gelder im Kongress eröffnete dem Präsidenten die Möglichkeit, auf dem Wege einer Volksbefragung einen neuen Anlauf zur Verwirklichung der Reform zu nehmen.
Das Instrument des Referendums
Mit der im Jahre 1991 verabschiedeten Verfassung wurden in Kolumbien verschiedene plebiszitäre Elemente eingeführt, um die politischen Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung zu verbessern. Danach ist ein Referendum über Gesetzesvorhaben sowohl auf Initiative der Regierung als auch durch ein Volksbegehren möglich, das von mindestens fünf Prozent der Wahlberechtigten unterstützt werden muss. Findet eine solche Initiative die Mehrheit der Abgeordneten des Kongresses, wird sie anschließend vom Verfassungsgericht auf ihre Zulässigkeit überprüft und dann der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt. Sofern ein Volksbegehren von mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten unterstützt wird, muss es jedoch auch ohne Zustimmung des Kongresses zur Abstimmung gestellt werden.
Entsprechend dieser Rechtslage wurde das Projekt für das geplante Referendum zunächst als Regierungsinitiative eingebracht. Angesichts der vorhersehbaren Schwierigkeiten bei der Beratung im Kongress hat sich inzwischen aber auch eine Initiative aus Intellektuellen und regierungsnahen wie auch unabhängigen Politikern gebildet, die das Ziel verfolgt, das Referendum notfalls auf dem Wege des Volksbegehrens durchzusetzen. Die Regierung verfügt damit über eine realistische Alternative, ihr Vorhaben ggf. auch ohne Zustimmung des Kongresses zu verwirklichen.
Die Ziele der "politischen Reform"
Im Mittelpunkt des von der Regierung vorgelegten Projektes steht die Reform des Kongresses und der politischen Parteien. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Wahlrechtsreform zu, mit der bei Parlamentswahlen pro Partei nur noch eine Liste zugelassen sowie das Auszählungsverfahren nach d'Hondt eingeführt werden soll. Damit soll der extremen Zersplitterung sowie dem vorherrschenden Klientelismus innerhalb der beiden kolumbianischen Traditionsparteien - Konservative und Liberale Partei - entgegengewirkt werden.
Darüber hinaus ist eine Verkleinerung des Kongresses sowie die Einführung einer Wahlpflicht für die ersten nach den neuen Regeln stattfindenden Kongresswahlen geplant - ebenfalls mit dem Ziel, den Einfluss der bisher übermächtigen lokalen Parteiführer ("Caciques") zurückzudrängen und die politische Partizipation auf eine breitere Grundlage zu stellen. Weitere Maßnahmen betreffen die Reform der Parteienfinanzierung sowie die Korruptionsbekämpfung, u.a. durch Einführung eines aus den Präsidenten der drei obersten Gerichtshöfe bestehenden Sondergerichts ("Tribunal de Etica").
Besondere politische Brisanz erhält die Initiative schließlich durch die vorgesehene Auflösung des Kongresses, der zeitgleich mit den Kommunalwahlen im Oktober 2000 neu gewählt werden soll.
Bei der Mehrheit der politischen Beobachter findet der Inhalt des Referendums ein überwiegend positives Echo. Trotz Kritik in Detailfragen wird größtenteils die Ansicht vertreten, dass das Referendum der Stärkung der demokratischen Institutionen neue Impulse geben wird. Die bisher veröffentlichten Meinungsumfragen signalisieren darüber hinaus eine hohe Zustimmung der öffentlichen Meinung. Der Widerstand der Liberalen Partei und der von ihr dominierten Kongressmehrheit richtet sich daher auch weniger gegen den Inhalt des Referendums als gegen das angeblich autoritäre Vorgehen der Regierung bei seiner Durchsetzung.
Die Folgen für das innenpolitische Kräfteverhältnis
Im Kongress stützte sich die Regierung Pastrana seit ihrem Amtsantritt auf eine lockere Allianz aus Konservativen und einem Teil der Liberalen Partei, der auch bei der Kabinettszusammensetzung berücksichtigt wurde. Die für die Mehrheitsbeschaffung notwendigen Zugeständnisse an die verschiedenen Interessengruppen innerhalb dieser sogenannten "Gran Alianza por el Cambio" ("Große Allianz für den Wechsel") engten den Handlungsspielraum der Regierung jedoch zusehends ein und führten u.a. dazu, dass diese ihr Vorhaben einer umfassenden politischen Reform nicht verwirklichen konnte. Damit setzte sich die Regierung dem Vorwurf aus, sich entgegen ihren Wahlversprechen mit der diskreditierten "politischen Klasse" zu arrangieren, was zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit bei Teilen der öffentlichen Meinung beitrug.
Mit der Ankündigung eines Referendums, das vorzeitige Parlamentsneuwahlen einschließt, ist die "Große Allianz für den Wechsel" auseinandergefallen - die Regierung hat damit ihre Mehrheit im Kongress eingebüßt. Die größte Teil der liberalen Abgeordneten, die bisher die Regierung unterstützten, hat sich wieder der Mehrheit der Liberalen Partei angeschlossen, die - unter der Führung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Horacio Serpa - einen strikten Oppositionskurs verfolgt.
Die Strategie der Liberalen Partei ist darauf gerichtet, die Regierungsvorlage für das Referendum im Kongress zu modifizieren. Dies könnte zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führen, zumal die geltende Verfassung keine Änderungen der Regierungsinitiative durch die parlamentarischen Gremien zulässt und somit eine verfassungsgerichtliche Klärung erforderlich wäre. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von Seiten der liberalen Parteiführung deutet vieles darauf hin, dass die Opposition das Ziel verfolgt, die "politische Reform" auf diesem Wege zu blockieren.
Vor diesem Hintergrund ist die Regierung Pastrana mehr denn je auf eine Unterstützung durch die öffentliche Meinung sowie durch die reformorientierten "unabhängigen" Kräfte angewiesen, die bereits 1998 die Wahlkampagne Pastranas unterstützt hatten. Da mit einer Billigung des Referendums durch den Kongress kaum mehr zu rechnen ist, wird dieses aller Voraussicht nach nur auf dem Umweg über ein Volksbegehren zu verwirklichen sein, das von mindestens 10 Prozent der Wahlberechtigten, d.h. mehr als zwei Millionen Kolumbianern unterstützt werden muss. Dieses bisher noch nie praktizierte Verfahren birgt zahlreiche Unwägbarkeiten, eröffnet der Regierung aber andererseits die Chance, sich an die Spitze der Reformbestrebungen zu stellen und damit verloren gegangene Dynamik zurückzugewinnen.
Problematisch könnte sich für die Regierung allerdings die Rolle erweisen, die einzelne Mitglieder des Kabinetts im Verhältnis zum Kongress gespielt haben. Massive Vorwürfe der Opposition richten sich vor allem gegen Innenminister Nestor Humberto Martínez, der versucht haben soll, Entscheidungen des Kongresses u.a. durch finanzielle Zuwendungen zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund ist die für die erste Maiwoche angekündigte Kabinettsumbildung zu sehen, bei der u.a. der Innenminister ausgetauscht werden soll.
Die Auseinandersetzung über das Referendum hat zu einer Kraftprobe zwischen Regierung und liberaler Opposition geführt, deren Ausgang entscheidenden Einfluss auf die weitere innenpolitische Entwicklung Kolumbiens haben wird. Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel: Für Andrés Pastrana geht es um den Erfolg eines der Kernprojekte seiner Präsidentschaft, für die Liberalen unter Horacio Serpa um die Wahrung ihrer Position als traditionelle Mehrheitspartei. Nach Ansicht der Wochenzeitschrift Cambio (10.4.2000) hat der Präsident mit dem Referendum sein politisches Schicksal auf eine Karte gesetzt: "In der jüngeren kolumbianischen Geschichte hat bisher kein Staatschef so viele Kongressabgeordnete, Ex-Präsidenten und Politiker gleichzeitig mit einer Initiative herausgefordert, die keinen Spielraum für Verhandlungen oder die Suche nach einer politischen Einigung zuzulassen scheint".