Die Menschen in Tansania sind am 28. Oktober aufgerufen, einen Präsidenten, ein Parlament und Vertreter auf der kommunalen Ebene zu wählen. Dafür müssen sie sich registrieren - und das haben nach Aussagen der staatlichen Wahlkommission etwas mehr als 29 Millionen auch getan. Von einem freien und fairen Ablauf der Wahlen ist nicht auszugehen, Das haben die Ereignisseder letzten Monate und Wochen bereits sehr deutlich gezeigt. Die am längsten regierende Partei Afrikas sorgt dafür, dass vor den eigentlichen Wahlen ausreichend Einflussmöglichkeiten bestehen, um ihr Wunschergebnis sicherzustellen - unabhängig davon, ob es dem Wählerwillen entspricht.
Das System lässt gar keine freien Wahlen zu
In Tansania ernennt der Präsident den Vorsitzenden und alle Direktoren der staatlichen Wahlkommission. Diese werden weder durch ein Gremium vorher ausgewählt und vorgeschlagen noch müssen sie im Nachhinein bestätigt werden. Der Präsident, der gleichzeitig Vorsitzender der Regierungspartei ist, ernennt sie persönlich. Gleichzeitig ernennt er auch die sogenannten „District Executive Directors (DED)“, die höchsten Verwaltungsbeamten in den 138 Distrikten Tansanias. Diesen DEDs kommt im Vorfeld und bei der Durchführung von Wahlen eine zentrale Rolle zu. Sie entscheiden, welche Kandidaten in den Wahlkreisen ihres Distrikts zugelassen werden und sie geben die Ergebnisse der lokalen Wahllokale an die nationale Ebene weiter. Auch sie sind allein vom Präsidenten ernannt und können auch nur von diesem abberufen werden. Das allein lässt schon an ihrer Unabhängigkeit zweifeln. Nun kommt jedoch hinzu, dass unter Präsident Magufuli mehr als die Hälfte dieser Positionen mit Leuten besetzt wurden, die bei den Wahlen im Jahr 2015 als Kandidaten der Regierungspartei angetreten waren, jedoch gegen Kandidaten der Opposition verloren hatten. Nachdem das Gesetz klar vorschreibt, dass DEDs „keiner politischen Partei“ angehören dürfen, hat selbst das Oberste Gericht Tansanias (High Court) in einem Urteil im Jahr 2019 festgestellt, dass die Unabhängigkeit der DEDs nicht gegeben sei und diese bei Wahlen keine so wichtige Rolle wie bisher spielen dürften. Dieses sehr wichtige Urteil wurde allerdings von der nächsthöheren und gleichzeitig letzten Instanz (Court of Appeal) wieder zurückgenommen.
Diese Einschränkungen sind nicht neu und es hat sie bei den meisten vorherigen Wahlen in Tansania in einem gewissen Maß bereits gegeben. Dennoch ist der Grad der Parteilichkeit der DEDs im Jahr 2020 so hoch wie noch nie. Dazu kommt auch, dass es bei diesen Wahlen – anders als im Jahr 2010 und 2015 – keine internationale Wahlbeobachtungskommission der Europäischen Union oder des UNDP geben wird. Dafür hätte die tansanische Regierung eine Einladung ausstellen müssen, was sie aber unterlassen hat. Die EU selbst wäre zwar zu einer erneuten Beobachtung der Wahlen bereit gewesen, verweist aber gleichzeitig auf die Tatsache, dass die tansanische Wahlkommission nicht einmal bereit war, die Empfehlungen aus den Abschlussberichten der Beobachtermissionen zu den Wahlen 2010 und 2015 zu besprechen, geschweige denn diese umzusetzen.
Klima der Angst und Einschränkungen der Grundrechte
Der “World Press Freedom Index” von Reporter ohne Grenzen verzeichnet eine Herabstufung von Tansania in den letzten vier Jahren um 53 Plätze. Damit ist die Pressefreiheit in den letzten Jahren in keinem anderen Land der Erde mehr eingeschränkt worden als in Tansania. Wenn es ähnliche Indices für die Freiheitsrechte der Opposition oder der Zivilgesellschaft gäbe, würden diese nicht besser ausfallen. Tansania ist zur „Blaupause” für den Begriff “Shrinking Spaces” geworden. Versammlungen sind eingeschränkt, Medien weitgehend staatlich kontrolliert, Äußerungen in den sozialen Medien sanktioniert, die Opposition wird drangsaliert und Kritik aus der Zivilgesellschaft wurde mit neuen Gesetzen unterbunden. In Bezug auf die anstehenden Wahlen bedeutet das konkret, dass die fortwährenden Einschränkungen und Gewalt gegenüber Mitgliedern der Opposition dazu geführt haben, dass viele sich nicht mehr trauen, sich für ein politisches Amt zu bewerben. Es bedeutet, dass die von Selbstzensur beherrschten Medien nicht ausgewogen berichten oder gar Kritik am amtierenden Präsidenten üben. Es bedeutet aber auch, dass der Prozess der Neuregistrierung von Wählern im Jahr 2020 durch die Halbierung der dafür vorgesehenen Registrierungsstellen eingeschränkt wurde. Insbesondere auf Sansibar wurden viele Menschen schlicht daran gehindert, sich zu registrieren, da sie in Gebieten wohnen, in denen traditionell die Opposition sehr stark ist.
Nichtzulassung von Oppositionskandidaten
Wie bereits beschrieben, sind die DEDs diejenigen, die über die Zulassung der Kandidaten für das Parlament und die kommunale Ebene in ihrem Zuständigkeitsbereich entscheiden. Allerdings war selbst die Abholung und Einreichung der Antragsformulare für einige Kandidaten der Opposition nicht oder nur mit starken Behinderungen möglich. In einigen Fällen waren die DEDs nicht in ihren Büros anzutreffen, in anderen Fällen wurden die Kandidaten von der Polizei behindert oder in den Tagen der Antragstellung verhaftet. Oder es wurde behauptet, dass die Unterlagen nicht mehr aufzufinden seien. Insgesamt wurden rund 80 Kandidaten der Opposition für das Parlament von den DEDs nicht für die Wahlen zugelassen. Einige von diesen wurden nach erfolgreichen Einsprüchen wieder zugelassen, aber im Ergebnis sind bereits fast ein Drittel aller Sitze im Parlament mit Kandidaten der Regierungspartei gesetzt. Diese müssen sich – mangels Gegenkandidaten – keiner Abstimmung mehr stellen, sondern gelten automatisch als Sieger, ohne dass ein Wählervotum erforderlich ist.
Systematische Behinderung und Gewalt gegen die Opposition
Aus den bereits beschriebenen Entwicklungen ist klar ersichtlich, mit welchen Einschränkungen und Gewalt die Opposition konfrontiert wird. Diese setzt sich auch nach der Zulassung ihrer Kandidaten fort. Sie werden immer wieder verhaftet, daran gehindert Veranstaltungen abzuhalten, haben keinen Zugang zu den Medien, ihre Wahlkampfhelfer und Mitarbeiter werden grundlos von der Polizei aufgegriffen, regionale Büros niedergebrannt und vieles mehr. Auch Tundu Lissu, CHADEMAs Präsidentschaftskandidat, hat in den letzten Wochen diese Einschränkungen am eigenen Leib erfahren. Kein Kandidat musste länger auf seine Zulassung warten als er, mehrere seiner Wahlkampfveranstaltungen wurden von der Polizei mit Tränengas behindert, verzögert oder gleich aufgelöst. Neben Tundu Lissu wurde auch der Präsidentschaftskandidat für Sansibar der dort größten Oppositionspartei, ACT mit einem Verbot von Wahlkampfauftritten für eine Woche belegt, obwohl es dafür keinerlei rechtliche Grundlage gibt. Kurz vor der Wahl gingen die Einschränkungen gar soweit, dass keine SMS mehr verschickt werden konnte, in der der Name „Tundu Lissu“ erwähnt wird.
Fazit
Das Regime von Präsident Magufuli hat in den letzten Monaten und Wochen alle Vorkehrungen getroffen, dass die von ihm gewünschten Ergebnisse bei den Abstimmungen am 28. Oktober am Ende auch sichergestellt sind. So wie es bereits jetzt zu erheblichen Einschränkungen gekommen ist, so ist zu erwarten, dass sich dies auch am eigentlichen Wahltag und in den Tagen der Auszählung und Verkündung der Ergebnisse fortsetzen wird. Sollte es zu keiner großen Überraschung am 28. Oktober bzw. bei der Verkündung der Ergebnisse kommen, dann ist der überwältigende Sieg des Präsidenten und seiner Partei sicher. Die spannende Frage ist dann nur, wie weit das verkündete Ergebnis von dem „tatsächlichen“ entfernt ist und ob die dann zu erwartende Empörung der Opposition und ihrer Anhänger dazu führen wird, dass diese das Ergebnis nicht anerkennen und zu Demonstrationen aufrufen. Zu erwarten ist das mit einiger Wahrscheinlichkeit für Sansibar, aber es steht auch in Teilen des Festlandes zu befürchten, dass es dazu kommen könnte.