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Länderberichte

Warnsignale für die etablierten Parteien

von Dr. Peter R. Weilemann †, Dr. Olaf Wientzek

Die Gemeinderatswahlen in den Niederlanden

Die Gemeinderatswahlen vom 3. März 2010 signalisieren eine weitere Auflösung des traditionellen Parteiensystems in den Niederlanden. Christdemokraten (CDA) und Sozialdemokraten (PvdA), die bis wenige Tage vor der Wahl in einer großen Koalition die Regierung gebildet haben, fuhren Verluste ein.

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Gewinner des Auseinanderbrechens der Regierung Balkenende IV sind die liberalen Oppositionsparteien, vor allem im rechten Parteienspektrum. Auch wenn sie nicht als Testfall für die vorgezogenen Parlamentswahlen am 9. Juni gewertet werden sollten, so gibt das Ergebnis doch einen Aufschluss über die Stimmungslage im Lande. Ein besonderes Augenmerk richtete sich auf das Abschneiden der PVV des Populisten Geert Wilders, obwohl sie nur in zwei Städten, Den Haag und in Almere, einer Trabantenstadt von Amsterdam, antrat. Der amtierende MP Balkenende/ CDA betonte, er habe sich ein besseres Abschneiden seiner Partei erhofft und führte die Verluste seiner Partei auf die Ereignisse in den Haag zurück. Trotz der schweren Verluste für seine Partei feierte der Sozialdemokrat Bos den Ausgang der Wahl als Sieg, gerade nach dem katastrophalen Ergebnis bei der Europawahl. Wilders bezeichnete die Ergebnisse seiner Partei in Almere und Den Haag als Sprungbrett für die nationalen Wahlen im Juni.

Rund zwölf Millionen Wahlbeteiligte aus 393 Gemeinden waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Etwas mehr als die Hälfte, knapp 54 Prozent der Wähler, machten davon Gebrauch. Damit sank die Wahlbeteiligung noch einmal gegenüber 2006 um etwa vier Prozent.

Die Christlich-demokratische Partei von Premierminister Balkenende ging bezogen auf die Gesamtzahl der Gemeinderatssitze (1517) als stärkste Partei aus dem Rennen, musste gegenüber den enttäuschenden letzten Kommunalwahlen aber noch einmal einen Stimmenverlust über zwei Prozent auf rund 15 Prozent hinnehmen. Die größten Verluste erlitten die Sozialdemokraten von Wouter Bos, die 2006 noch als Sieger mit einem außerordentlichen Ergebnis von über 23 Prozent der Stimmen am Wahlabend auftrumpfen konnte. Sie sind zwar prozentual stärkste Partei, verloren über sieben Prozent (fast 600.000 Stimmen), was einen Verlust von 663 Gemeinderatssitzen bedeutet. Bemerkenswert ist, dass das schlechte Abschneiden nicht zugunsten der Sozialistischen Partei, dem bisherigen Konkurrenten links von der PvdA, ging. Diese büßte selbst noch einmal über ein Prozent ein und rutschte auf 4.1 Prozent. Die Christen Unie, der Dritte im Bunde der bisherigen Koalition auf Landesebene, verlor ebenfalls leicht und liegt nun bei 4.1 Prozent. Die Gewinner sind die liberalen Parteien. Die rechtsorientierte VVD gewann rund zwei Prozent hinzu und ist nunmehr zweitstärkste Kraft im Lande. Die linksliberale D 66 verdreifachte ihren Stimmanteil von 2,7 auf 8,1 Prozent. Etwas stärker schnitten mit 6.6 Prozent die Grünen (Groenlinks) ab, die ihr Ergebnis von 2006 leicht verbessern konnten.

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit aber hatte das Ergebnis der PVV. Sie wurde zweitstärkste Partei in der Hauptstadt Den Haag, wo sie künftig 8 Vertreter im Stadtrat haben wird und erreichte in Almere, dem zweiten Testfeld, das sie sich ausgesucht hatte, 21,9% und ist damit dort stärkste politische Kraft. In den meisten Wahlbezirken konkurrierten die etablierten Parteien auch mit unabhängigen Wählergruppierungen (Lokale Onafhankelijke Groep), die in der Gesamtbilanz ein Fünftel der Stimmen auf sich vereinigen konnten. Die angegebenen Zahlen basieren auf 98 Prozent der ausgezählten Stimmbezirke; selbst am späten Nachmittag nach der Wahl lag noch kein offizielles Endergebnis vor.

Geringere Wahlbeteiligung, Rolle der freien Wählergemeinschaften, das Antreten der PVV in nur zwei Stimmbezirken sowie Berücksichtigung lokaler Besonderheiten – all diese Faktoren mahnen zur Vorsicht, dieses Ergebnis auf die Parlamentswahlen für die Tweede Kamer im Juni zu übertragen. Doch es erlaubt einige Überlegungen von nationaler Bedeutung.

Für Premierminister Balkenende hat der Fall seiner Regierung wenige Tage vor den Kommunalwahlen einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Wahlen gehabt. Während der CDA seinen Wahlkampf zunächst auf klassischen kommunalpolitischen Themen – Verkehrsicherheit, Schulpolitik etc. - aufgebaut hatte, stand die Auseinandersetzung nun schon im Schatten der Parlamentswahl. Auch war es der PVV weitgehend gelungen, mit den Themen Islam/Integration und Sicherheit, die Debatte zu beherrschen.

Der Fall der Regierung Balkenende IV wenige Tage vor den Kommunalwahlen hatte dem Vorschub geleistet. Am 22. Februar war die Koalition aus Christdemokraten (CDA) und Sozialdemokraten (PvdA), sowie der ChristenUnie über die Frage einer Verlängerung des Mandats für den NATO-Einsatz von rund 1500 niederländischen Soldaten im afghanischen Uruzgan zerbrochen. 2008 hatte sich die Koalition auf einen endgültigen Abzug der Truppen bis zum August 2010 verständigt. Während sich der CDA bereits seit einigen Monaten für eine Verlängerung des Einsatzes der Niederlande gerade angesichts der neuen Afghanistan-Strategie ausgesprochen hatte, nahmen die Sozialdemokraten zunächst eine unklare Position ein. Unter dem Druck der eigenen Parteibasis entschloss sich der führende Regierungsvertreter der PvdA, Finanzminister Wouter Bos, die Koalition zu verlassen. Für viele Beobachter war dies eher ein guter Anlass, denn der zwingende Grund, der schwierigen „Vernunftehe“ ein Ende zu bereiten. Die PvdA hatte zunehmend an Popularität eingebüßt. Und vor allem die beiden Hauptprotagonisten, Balkenende und Bos, taten sich immer schwer zusammen zu arbeiten.

Die nächsten drei Monate werden nun die CDA und die CU als Rumpfkabinett bis zu den Neuwahlen im Juni 2010 weiterregieren. Da beide Parteien aber nur über rund ein Drittel der Stimmen in der Tweede Kamer verfügen, sind politisch kontroverse Entscheidungen in dieser Zeit nicht zu erwarten. Selbst der Versuch Balkenendes, in bilateralen Gesprächen mit anderen Parteiführern auszuloten, was noch umsetzbar sei und was nicht, war auf erhebliche Kritik von Seiten der Opposition gestoßen.

Letztlich hat das Auseinanderbrechen der Koalition viele Verlierer, in erster Linie die traditionellen Parteien, aber auch das politische System der Niederlande. Die Ausgangsposition der beiden großen etablierten Parteien – und das ist die Hauptbotschaft dieser Wahl – für die Parlamentswahlen Juni und die Regierungsbildung ist schwieriger denn je. Zwar sind Mehrparteien-Koalitionen und kurzlebige Kabinette aufgrund der Parteienvielfalt im niederländischen politischen System keine Seltenheit. Doch die Erosion der großen Volksparteien und in erster Linie der Sozialdemokraten und der Christdemokraten, die sich seit einiger Zeit abzeichnet, scheint sich fortzusetzen: Hatten die drei „Großen“ des niederländischen Parteiensystems (PvdA, VVD, CDA) in den 80er Jahren zusammen stets mindestens fünf Sechstel aller Parlamentssitze inne (mindestens 60% PvdA und der CDA), so ist dieser Anteil im neuen Jahrtausend mit einer Ausnahme auf etwa 60% gefallen. Folgt man aktuellen Umfragen, würden die drei Parteien heute nur etwa 55% der Sitze in der Tweede Kamer stellen können. Daraus ergibt sich, dass sich jede Regierung in den nächsten Jahren im Regelfall auf drei oder vier Parteien wird stützen müssen.

Gleichzeitig ist eine Stärkung von Parteien an den linken und rechten Rändern zu beobachten. Während es 2006 beispielsweise der sozialistischen SP gelang, über 20 Sitze zu erzielen, droht im Juni mit der PVV eine Partei die stärkste Kraft zu werden, welche die Grundparadigmen der niederländischen Konkordanzdemokratie nicht mitträgt. Eine größere Stabilität zukünftiger Regierungen ist somit nicht zu erwarten.

Welche Koalition die nächste Regierung anführt, ist deshalb noch nicht abzusehen. Zum einen ist die Volatilität der Wählerstimmen recht hoch, zum anderen sind zahlreiche Koalitionskonstellationen problematisch. So bezeichnete Balkenende eine erneute Koalition mit den Sozialdemokraten als unglaubwürdig und dem Wähler nur schwer vermittelbar. Eine Koalition aus CDA und den voraussichtlich nun wieder stärker vertretenen liberalen Parteien VVD und D66 scheint nach den Erfahrungen der Regierungskrise 2006 auch schwer vorstellbar zu sein. Ein linker Block aus Sozialdemokraten, Groen Links und SP oder D66 würde kaum genügend Stimmen erhalten. Eine mögliche Variante wäre eine Vierparteienkoalition von Sozialdemokraten, GroenLinks sowie den beiden liberalen Parteien. Die VVD, die nach ihren internen Problemen nun wieder kohärenter auftritt, wird bei einer zukünftigen Regierungsbildung die Rolle des Königmachers einnehmen.

Die PVV könnte dagegen zum entscheidenden Mehrheitsbeschaffer werden. Über den Umgang mit der PVV sind sich die traditionellen Parteien uneinig: Auf der einen Seite schlossen Teile der Linken, und besonders die Sozialdemokraten eine Zusammenarbeit mit der PVV kategorisch aus. Der vormalige Europaminister Frans Timemrmans und der ehemalige Vize-Premier Wouter Bos sprachen sogar von der Bildung eines cordon sanitaire. Gerade aber eine solche Haltung hatte vor 8 Jahren zum großen Erfolg Pim Fortuyns geführt. Deshalb kritisierten Vertreter der meisten anderen Parteien diese Haltung als kontraproduktiv: Der CDA-Fraktionsvorsitzende in der Tweede Kamer, Piet van Geel forderte eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Problemen, die die Leute dazu bewegten, für die PVV zu stimmen. Man dürfe nicht erneut bei den Themen Zuwanderung und Integration den Rechtspopulisten die Deutungshoheit überlassen.

Auch wenn sich der Erfolg der PVV bei diesen Wahlen sich nur auf zwei Stimmbezirke beschränkt, so ist ihr nationales Auftreten schon bemerkenswert. Seit Monaten schon kommt die PVV in Meinungsumfragen immer näher an den CDA als stärkste Partei heran und droht diese zu überholen. Noch bei den Wahlen zur Tweede Kamer 2006 hatte sie mit 5,6% nur eine Nebenrolle gespielt und war im niederländischen Parlament in erster Linie als Störenfried aufgetreten. Bei den Europawahlen im Juni vergangenen Jahres hatte sie allerdings bereits mit knapp 20% das zweitbeste Ergebnis erzielt und somit unter dem Listenführer Barry Madlener 5 Sitze im EP errungen. Neben ihren klassischen Themen hatte sie sich dabei als anti-europäische Partei profiliert.

Jetzt im Vorfeld der Kommunalwahl vollzog der ehemalige Liberale Wilders einen Linksschwenk: Hatte er sich zu seinen Zeiten als Mitglied der VVD stets für einen Rückzug des Sozialstaats ausgesprochen, so nimmt er nun klar gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre Stellung und beruft sich in seinen Ausführungen häufig auf die Ikone der Sozialdemokraten Willem Drees. Gleichwohl liegt der Fokus des PVV-Programms weiterhin auf den Themen Islam und Zuwanderung sowie Sicherheit. Zentrale Forderung von Wilders’ Partei war bei den Gemeindewahlen die Verbannung von Kopftüchern nicht nur aus der öffentlichen Verwaltung, sondern auch aus allen Stiftungen und Verbänden, die finanziell von den Gemeinden unterstützt werden. Auf christliche oder jüdische Symbole soll sich dieses Verbot jedoch nicht erstrecken. Obgleich eine solche Bestimmung mit den Gesetzen unvereinbar wäre, hat Wilders diese Forderung als unverhandelbar bezeichnet. Der Spielraum einer Koalition aus CDA und VVD, welche die Rechtspopulisten der PVV mit einschließen würde, hätte bei grundsätzlichen Fragen auch jenseits von Islam und Zuwanderung nur wenig inhaltlichen Spielraum. Zwar hat Wilders in den letzten Tagen mehrfach darauf hingewiesen, dass er zu Kompromissen bereit sei, allerdings bezeichnete Balkenende eine Koalition zu dem jetzigen Zeitpunkt nicht als Option.

Die Popularität der PVV ist durch mehrere Faktoren zu erklären: Zum einen liegt es an der Person Geert Wilders. Der gebürtige Venloer war von 1989 bis 2004 Mitglied der rechtsliberalen VVD, deren Fraktion in der Tweede Kamer von 1998 bis 2004 angehörte. Einer seiner Mentoren innerhalb der VVD war der spätere EU-Kommissar Frits Bolkestein, dessen parlamentarischer Assistent er von 1990 bis 1998 gewesen war. In dieser Zeit unternahm Wilders zahlreiche Reisen in den Nahen Osten, mehrfach auch nach Israel. 2002 wurde Wilders zum Sprecher der VVD, überwarf sich aufgrund seiner islamkritischen Positionen aber rasch mit anderen Mitgliedern seiner Partei. Letztlich führte 2004 seine im Gegensatz zur Linie der VVD stehende strikte Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei zum Parteiaustritt und zur Gründung der „Groep Wilders“, die später zur Partij van de Vrijheid umbenannt wurde. Konstanten in seinen Ansichten sind seine Kritik am Islam sowie seine überharte Haltung in Zuwanderungsfragen. 2008 sorgte er mit dem islamfeindlichen Kurzfilm Fitna für Aufsehen. Seit dem 20.Januar 2010 läuft gegen Wilders ein Prozess wegen Volksverhetzung. Selbst ein bekennender Atheist, unterstreicht Wilders des Öfteren jüdisch-christliche und humanistische Werte als identitätsstiftend für die Niederlande.

Daneben versteht es der medienwirksame Wilders immer wieder, Stimmungen zu bestimmten Themen aufzugreifen und für seine Partei zu nutzen. Seine Hauptstärke ist aber seine Fähigkeit, das immer größer werdende Protestwählerpotential zu bündeln und an sich zu ziehen, so gibt bei Umfragen ein Großteil der Befragten an, dass Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik ein Grund für ihre Unterstützung der PVV sei. Diese Rolle hatte bei den letzten Wahlen Ende 2006 die Sozialistische Partei (SP) von Jan Marijnissen inne, damals waren 15% der Unterstützer des Rechtspopulisten Pim Fortuyn zur SP gewechselt. Nach dem Abschied des charismatischen SP-Führers Jan Marijnissen von der politischen Bühne hat die SP allerdings in den Umfragen deutlich an Boden verloren. Wilders kann somit vor allem aus dem Stimmenreservoir der SP schöpfen, aber auch auf viele enttäuschte frühere PvdA-Wähler zurückgreifen. Gerade auf Geringverdiener bei den Sozialdemokraten und von sozialem Abstieg bedrohte „Globalisierungsverlierer“ übt die PVV eine starke Anziehungskraft aus.

Das Schicksal der ehemaligen Partei Fortuyns wie der Sozialisten zeigen aber auch, wie stark der Erfolg solcher Parteien von charismatischen Führungspersönlichkeiten abhängt.

Beherrschende Themen dürften bei den Juniwahlen stärker als im Kommunalwahlkampf die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise sein, besonders die Sanierung des Haushaltes, aber auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Die Fragen der Zuwanderung und Integration, letztlich auch nach der Identität der niederländischen Gesellschaft werden aber das politische Klima prägen. Damit stehen die Chancen für die PVV nicht schlecht. Die etablierten Parteien sind mehr denn je gefordert.

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