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Essay

Auftakt zur Krise

von Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Möller

Der Ruhrkampf 1923

Der Einmarsch französischer und belgischer Truppen in das Ruhrgebiet am 11. Januar 1923 bedeutete eine immense Herausforderung für die Weimarer Republik und prägte noch lange die Erinnerung an das „Krisenjahr 1923“. Nationale Empörung, passiver Widerstand sowie zunehmende Gewalt waren Folgen der Besatzung. Auch die wirtschaftlichen Kosten der Ruhrkrise waren enorm, denn sie verschärfte die Inflation und immer mehr Menschen waren auf staatliche Unterstützung angewiesen. Gustav Stresemann, der am 13. August 1923 das Amt des Reichskanzlers übernahm, gelang es schließlich, ein Ende herbeizuführen.

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Kaum neun Monate dauerte 1923 die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen, doch vergiftete sie auf Jahre hinaus die Beziehungen zwischen beiden Staaten und Deutschland; noch nach der NS-Machtübernahme 1933 spielte der Ruhrkampf für die nationalsozialistische Propaganda eine wichtige erinnerungspolitische Rolle. Der Einmarsch der fremden Truppen am 11. Januar 1923 löste einen Schock in Deutschland aus und stand am Beginn mehrerer sich in diesem Jahr häufender und sich wechselseitig verschärfender Krisen: Hierzu zählten der Einmarsch litauischer Freischärler ins Memelgebiet am 10. Januar sowie vor allem die Hyperinflation, die notwendige Reichsexekution gegen die Länder Sachsen und Thüringen, deren Linksregierungen von SPD und KPD sich nicht an die Pflichten der Länder gegenüber dem Reich hielten, separatistische Bewegungen insbesondere im Rheinland und schließlich am 9. November 1923 der Hitler-Putsch in München: Er demonstrierte sowohl die zweifelhafte Verfassungstreue der bayerischen Reichswehrteile als auch der bayerischen Regierung. All diese Krisen provozierten einen mehrfachen Wechsel der Reichskabinette: Vom Ende des Jahres 1922 bis Ende 1923 gab es im Reich vier verschiedene Regierungen.

 

Vorgeschichte

Wie kam es zum französisch-belgischen Einmarsch? Grundlegend für die Probleme waren die Reparationsregelungen des Vertrags von Versailles von 1919. In Deutschland wurden sie als ungerechtfertigt und überhöht angesehen. Auch deshalb kam es zu Verzögerungen der geforderten deutschen Leistungen, während die französische Regierung sie eher als zu gering bewertete und dem Deutschen Reich Säumigkeit vorwarf. Der Regierungswechsel von Aristide Briand zu Premierminister Raymond Poincaré (1922 bis 1924), der eine unnachgiebige Haltung gegenüber Deutschland vertrat, verschärfte die Spannungen.

Die Politik Poincarés wurde überdies durch einen reparationspolitischen Dissens der ehemaligen Kriegsalliierten befeuert: Die USA und Großbritannien wünschten eine Stundung der Reparationen, um dem von einer Hyperinflation geplagten Deutschland Zeit zur wirtschaftlichen Erholung zu geben, verlangten aber gleichzeitig, dass Frankreich seine Kriegsschulden bei ihnen begleichen sollte. Poincaré sah sich also einer doppelten Herausforderung gegenüber und wollte außerdem ein Exempel statuieren und den französischen Forderungen mit Gewalt Nachdruck verleihen.

Tatsächlich war seine offizielle Begründung, mithilfe der Besetzung „produktive Pfänder“ zu gewinnen, seiner prinzipiellen langfristigen Absicht nachgeordnet: Poincaré wollte das 1919 im Vertrag von Versailles nicht erreichte Ziel, den Rhein zum deutsch-französischen Grenzfluss zu machen, also die linksrheinischen Gebiete zu annektieren und hier dauerhaft Militär zu stationieren, jetzt realisieren. Mit anderen Worten: Poincaré bezweckte weit mehr als „produktive Pfänder“ im Ruhrgebiet. Und auf diese Weise war die Besetzung des Ruhrgebiets direkt mit der Rheinlandfrage verbunden, in der auch der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer in den Verhandlungen mit der Reichsregierung (bzw. mit den Franzosen) neben dem Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres eine Schlüsselfigur war.

 

Besetzung des Ruhrgebiets

Nach dem Scheitern der Reparationskonferenz, die vom 2. bis 4. Januar 1923 in Paris stattfand, kündigte Poincaré am 10. Januar die Entsendung einer französisch-belgischen Kontrollkommission von Ingenieuren ins Ruhrgebiet an. Dadurch erweckte er den Eindruck, dass nach deren Bericht erneute Verhandlungen über die deutschen Zahlungsmöglichkeiten anvisiert würden, zumal es in der Note Poincarés an den deutschen Botschafter ausdrücklich hieß: diese Maßnahmen „bergen seitens Frankreichs keinen Gedanken an eine militärische Operation oder eine Besetzung politischer Art in sich“. Die Reichsregierung legte gegen die angekündigte Entsendung als „Bruch des Völkerrechts“ sofort Einspruch ein.

Poincarés Täuschungsmanöver lenkte von den Vorbereitungen des schon länger geplanten unmittelbar bevorstehenden Einmarsches ab. Umso größer war die Überraschung, als schon am folgenden Tag, dem 11. Januar, französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzten, um größere deutsche Holz- und Kohlelieferungen zu erzwingen. Die zunächst 60 000 Mann starken Armeen wurden schnell auf 100 000 aufgestockt – also eine Truppe, die nominell so stark war wie die Reichswehr. Besetzt wurde ein Gebiet von knapp 3 400 qkm mit einer Bevölkerung von 3,149 Millionen Einwohnern.

Tatsächlich war der französisch-belgische Einmarsch nicht allein völkerrechtswidrig, sondern auch ein Bruch des Vertrags von Versailles und der reparationspolitischen Regelungen, die im Falle der vorgeworfenen Nichterfüllung der Lieferungen an Frankreich lediglich wirtschaftliche bzw. finanzielle Maßnahmen, beispielsweise eine Strafzahlung, vorsahen. Hinzu kam, dass es sich um einen französisch-belgischen Alleingang handelte, hätte doch eine reparationsbezogene Strafaktion nur von den beteiligten Alliierten gemeinsam beschlossen werden dürfen.

 

Zunehmende Gewalt

Die Reaktion der deutschen Seite zeigt die politisch fatale Wirkung der Ruhrbesetzung: Reichstag, Reichsregierung sowie die Länderregierungen reagierten so einig wie zuvor nur bei der Ablehnung des Vertrags von Versailles 1919 als „Diktatfrieden“: Zwar könne sich Deutschland gegen die Gewalt nicht wehren, stelle aber alle Reparationsleistungen an Frankreich ein, solange die vertragswidrige Besetzung andauere. Damit war der weitere Konflikt programmiert, zumal seit dem Weltkrieg die gesellschaftliche Stimmung in den europäischen Staaten ohnehin gewaltbereit war. In der permanent krisengeschüttelten Weimarer Republik der frühen 1920er Jahre war absehbar, dass es kaum beim passiven Widerstand und bei der Beschlagnahme von Gütern bleiben würde: Es bestätigte sich die bis heute aktuelle historische Lehre, dass nationalistische Akte der einen Seite den Nationalismus der anderen provozieren oder steigern.

Als in Bochum etwa 500 Demonstranten mit dem Lied „Siegreich wollen wir Frankreich schlagen […]“ durch die Stadt zogen, schossen französische Soldaten auf die Demonstranten – einer wurde getötet, zwei schwer verletzt. Dies war der Startschuss für eine gewaltsame Entwicklung, obgleich Deutschland zu schwach war, um sich militärisch zu wehren. Doch die Aufheizung der Stimmung der durch Besetzung nicht nur materiell beraubten, sondern gedemütigten deutschen Bevölkerung war nicht mehr zu bremsen. Poincaré goss weiter Öl ins Feuer, indem er die Besatzungstruppen bis Dortmund marschieren ließ und offenblieb, ob die Truppen noch weiter vorrücken würden.

Schon wenige Tage später begannen die Besatzer Kohlesteuer, Zolleinnahmen und andere Abgaben zu beschlagnahmen, im schon seit 1919 besetzten Rheinland holzten sie Wälder ab, nahmen einstweilig private Kohlegruben, Kohlezüge und Schiffe in Besitz, besetzten Geschäftsstellen der Reichsbank und beschlagnahmten schließlich sogar die Lohnzahlungen von Firmen. Beamte wurden verhaftet bzw. ausgewiesen, Unternehmer vor Kriegsgerichte gestellt, weil sie Requisitionsbefehle der Besatzungsmacht nicht befolgt hatten. Im Mai 1923 streikten 380 000 Berg- und Hüttenarbeiter, die auf Reichsunterstützung angewiesen waren.

 

Reaktionen im Ausland

Auf diese gewalttätige Ausbeutung des besetzten Ruhrgebiets reagierte die Reichsregierung am 19. Januar mit der Ausrufung des passiven Widerstands, darunter mit der Anordnung an die Beamten des Reiches und Preußens, Befehlen der Besatzungsmächte keine Folge zu leisten. Die Zechenarbeiter streikten, die Schifffahrt auf dem Rhein wurde am 21. Januar eingestellt. Die brutale Besatzungspolitik Poincarés erwies sich nicht nur materiell als Misserfolg, sondern isolierte Frankreich und Belgien auch international. Während die britischen Kronjuristen wie zuvor die Reichsregierung die Besetzung des Ruhrgebiets als Bruch des Vertrags von Versailles beurteilten, erklärte die britische Regierung ihre Neutralität und die USA zogen ihre Truppen aus der amerikanischen Zone des Rheinlands ab, wohin dann die Franzosen nachrückten.

Die französischen Behörden verschärften in der Folge nicht allein das Besatzungsrecht, sondern begingen weitere Völkerrechtsbrüche, indem sie beispielsweise die badischen Städte Offenburg und Appenweier besetzten, um die Bahnstrecke Frankfurt – Basel zu blockieren. Am Niederrhein wurden Wesel und Emmerich eingenommen. Im Ruhrgebiet erfolgten außer willkürlichen Festnahmen, Ausweisungen und Beschlagnahmungen. Französischen Besatzungssoldaten wurden immer wieder Plündereien und andere Straftaten vorgeworfen.

 

Sabotageakte und Repressalien der Besatzer

In der Folge verschärften sich Sabotageakte der deutschen Bevölkerung gegen die Besatzer, was seit Februar 1923 beispielsweise in Gelsenkirchen zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen deutschen Widerständlern und französischen Soldaten führte, in deren Folge diese am 13. Februar deutsche Polizeibeamte misshandelten. Privateigentum wurde beschlagnahmt, auf den Straßen Leibesvisitationen durchgeführt, in Bochum nach Unruhen und blutigen Straßenkämpfen der Belagerungszustand verhängt, die Pressefreiheit im Besatzungsgebiet eingeschränkt, die Eisenbahn in französische bzw. belgische Verwaltung übernommen. Die Reihe dieser Willkürmaßnahmen ließe sich verlängern.

Auch die Sabotageakte kosteten verschiedentlich Menschenleben, beispielsweise als auf der Rheinbrücke in Duisburg am 30. Juni 1923 ein Sprengstoffattentat verübt wurde und neun belgische Soldaten in einem Zugabteil getötet wurden. Daraufhin nahmen die Besatzungsbehörden unbeteiligte Duisburger als Geiseln und zwangen sie, in einer Eisenbahn über die Brücke zu fahren. Zum gleichen Zeitpunkt verurteilte ein französisches Kriegsgericht in Mainz sieben Deutsche wegen Sabotage zum Tode.

Zwei Konsequenzen waren offensichtlich: Die Besatzungsgewalt erzeugte eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt, Streik und Widerstand kosteten das Reich riesige Summen an Unterstützungszahlungen für die darbende Bevölkerung, die keine reguläre Einkommensquelle mehr besaß. Auf dem Höhepunkt des Ruhrkampfes lebten etwa zwei Millionen Arbeitslose im Rheinland und im Ruhrgebiet von staatlicher Unterstützung. Nach der damaligen Währung erreichte sie die schwindelerregende Höhe von 3 500 Billionen Reichsmark. Die wachsende Staatsverschuldung mit der galoppierenden Inflation trieb mit den anderen erwähnten Krisen des Jahres 1923 die Weimarer Republik dem Untergang entgegen. Im Juli 1923 nahm das Reich 3 Billionen Mark ein und gab 37 Billionen aus.

Sabotageakte und Racheakte der Besatzer forderten immer mehr Opfer, die Hinrichtung des ehemaligen Freikorpsführers Albert Leo Schlageter schuf einen Märtyrer, dessen sich noch die Nationalsozialisten erinnerungspolitisch bedienten. Während der Betriebsrat der Kruppwerke noch mit den Besatzungsbehörden verhandelte, schossen französische Soldaten am 31. März 1923 in Essen auf die Arbeiter, die sich versammelten, nachdem sie auf Anweisung der Werksleitung ihre Arbeitsplätze verlassen hatten. 13 Arbeiter wurden getötet, mehr als 30 verletzt. Um von der eigenen Verantwortung abzulenken, schob die französische Regierung die Verantwortung auf die Krupp-Leitung und ließ durch ein französisches Kriegsgericht Krupp zu 15 Jahren Gefängnis und 100 Millionen Mark Geldstrafe verurteilen, mehrere der Krupp-Direktoren zu Freiheitsstrafen zwischen 10 und 20 Jahren sowie ebenfalls hohen Geldbußen. Eine von der Reichsregierung geforderte internationale Untersuchungskommission lehnte die französische Regierung ab und behauptete, die französischen Soldaten seien von den – unbewaffneten – Arbeitern bedroht worden.

Die traurige Bilanz des neunmonatigen Ruhrkampfes 1923 lautete: 132 Todesopfer, 11 durch die Besatzungsmacht zum Tode Verurteilte (wovon einer hingerichtet wurde), fünf zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen Verurteilte, 150 000 aus dem Ruhrgebiet Ausgewiesene und ein materieller Schaden für die deutsche Volkswirtschaft, der auf 3,5 bis 4 Milliarden Goldmark geschätzt wurde – eine damals ungeheure Summe.

Beendigung des passiven Widerstands durch Gustav Stresemann

Am Ende führten französisch-belgische Besetzung und passiver bzw. aktiver Widerstand im Ruhrgebiet in eine schier ausweglose Situation. Der Regierung Gustav Stresemann kommt das Verdienst zu, den von der Vorgängerregierung Wilhelm Cuno eingeleiteten passiven Widerstand abzubrechen. Mehrfache Verhandlungs- bzw. Vermittlungsangebote hatte die Regierung Poincaré abgelehnt, auch die scharfe Kritik der britischen Regierung an Poincarés Ruhrpolitik am 11. August 1923 änderte daran nichts, obwohl die Briten die Unrechtmäßigkeit der Besetzung und das Recht der Deutschen auf passiven Widerstand betonten.

Unter Bezug auf die britische Regierungserklärung deutete der neue Reichskanzler Stresemann (Deutsche Volkspartei, DVP) in seiner Regierungserklärung vom 14. August insofern eine flexiblere Haltung an, als er die Erfüllung der deutschen Reparationsleistungen unter Bedingungen in Aussicht stellte: Sie lauteten: Räumung des Ruhrgebiets, Wiederstellung der vertragsgemäßen Zustände im Rheinland, Freiheit für die ausgewiesenen Deutschen, wieder in ihre Heimat an Rhein und Ruhr zurückzukehren, allgemeine Amnestie für die von den Besatzungsbehörden Inhaftierten, Atempause zur wirtschaftlichen Stabilisierung in Deutschland. Stresemann blieb bei diesem Kurs und bot am 2. September sowohl „produktive Pfänder“ als auch einen Sicherheitspakt an, der allen Anrainerstaaten des Rheins die existierende territoriale Integrität zusichern sollte. Damit zielte Stresemann auf seine spätere Politik der Locarno-Verträge von 1925.

Seit September 1923 verhandelte Stresemann intensiv, um den passiven Widerstand aufgeben zu können, zugleich wurde in seinem Kabinett unter Federführung von Reichsfinanzminister Hans Luther eine Währungsreform vorbereitet. Stresemanns Regierung aus Liberalen, SPD, Zentrumspartei und mehreren parteilosen Ministern kommt so das außerordentliche Verdienst zu, Deutschland aus der Sackgasse herausgeführt zu haben: Am 26. September erklärte der Reichskanzler nach Besprechungen mit allen politischen Parteien aus dem Ruhrgebiet und den Ministerpräsidenten der Länder aufgrund der finanziellen Erschöpfung des Deutschen Reiches den Abbruch des Ruhrkampfs, was nur die Deutschnationalen ablehnten. Am 16. November begann mit der Ausgabe der ‚Rentenmark‘ die Währungsreform, mit der die Inflation beendet wurde – eine Inflation, die viele Millionen Deutsche faktisch enteignet und zur „Panik im Mittelstand“ (Theodor Geiger) geführt hatte.

Die deutsch-französischen Verhandlungen wurden schließlich einer Wirtschaftsdelegation (Micum-Mission interalliée de contrôle des usines et des mines) übertragen, für die beiderseitige ökonomische und finanzielle Interessen leitend waren, nicht aber ideologisch aufgeladener Nationalismus und weitreichende diplomatische oder politische Ziele. Zwar erwiesen sich auch diese Verhandlungen als schwierig und stockten verschiedentlich, doch brachten sie am Ende eine Lösung: Am 23. November 1923 schlossen die Ruhrindustriellen unter Führung von Hugo Stinnes (Mitglied der DVP-Fraktion des Reichstags) die Micum-Verträge ab, mit denen die Kohlelieferungen an Frankreich wieder aufgenommen wurden und der Abzug der Besatzungstruppen eingeleitet wurde.

 

Taktisches Handeln Adenauers

Im sog. Fünfzehner-Ausschuss der politischen Parteien wirkte Konrad Adenauer mit und war als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses für die besetzten Gebiete mit Louis Hagen – dem Präsidenten der Handelskammer und Mitglied des Preußischen Staatsrats – eine der führenden Persönlichkeiten in den Hintergrundgesprächen. Als Oberbürgermeister von Köln war Adenauer Mitglied des Provinzialausschusses des Rheinlands sowie Präsident des Preußischen Staatsrats. Ihm ging es einerseits darum, separatistische Bewegungen abzuwehren, andererseits die zusätzliche Unterstützung des Rheinlands durch die Reichsregierung zu erhalten, weshalb es verschiedentlich zu Zusammenstößen mit Reichsfinanzminister Luther bzw. Reichskanzler Stresemann kam.

Vor allem ging es Adenauer darum, chaotische Zustände im Rheinland zu vermeiden, dafür hielt er es im Ernstfall für geboten, dass Vertreter des Rheinlands im Benehmen mit der Reichsregierung direkt mit französischen Behörden in Kontakt traten. Adenauer, der auf britische Unterstützung setzte, verhandelte am 17. September auf Ersuchen von Reichskanzler Stresemann in Koblenz mit dem französischen Präsidenten der Internationalen Rheinlandkommission, Paul Tirard. Dabei versuchte Adenauer ihn davon zu überzeugen, dass für die Erwerbslosenunterstützung an Rhein und Ruhr vom Reich bereitgestellte Geld nicht zu beschlagnahmen. Dabei sprach Adenauer auch offen den (berechtigten) Verdacht aus, dass Frankreich mit der Besetzung keineswegs in erster Linie wirtschaftliche, sondern politische Interessen verfolge. Tirard informierte Adenauer darüber, dass er in der französischen Presse als „frankophob“ gelte und als derjenige, der 1919 die Begründung einer „Rheinischen Republik“ verhindert habe. In den grundsätzlichen Fragen taktierten bei den internen Gesprächen in der Frage, wie man mit den Franzosen das Rheinlandprobleme besprechen solle, sowohl Stresemann als auch Adenauer. Beide argumentierten doppelbödig in Bezug auf die Frage, ob und wie Repräsentanten des Rheinlands mit französischen Behörden verhandeln sollten, welche Lösungsmöglichkeiten es geben könne und wieweit deutsche Zugeständnisse gehen dürften. Ihre Kontroversen führten zu wechselseitigem Misstrauen. Adenauer sagt später, er habe das Rheinland für das Reich gerettet, Stresemann beurteilte ihn als glänzenden Vertreter Kölner Interessen, nicht aber derjenigen des Reiches.

Zwar wurde aus der Krise um die Länder Sachsen, Thüringen und Bayern eine Regierungskrise, weil die von der Reichsexekution in Sachsen und Thüringen betroffene SPD u.a. wegen der unterschiedlichen Behandlung Bayerns aus der Koalition ausscherte. Doch änderte diese Entscheidung nichts daran, dass es der Regierung Stresemann in wenigen Wochen gelungen war, das Deutsche Reich zu stabilisieren. Dass die SPD trotzdem Stresemann stürzte, soll der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert gegenüber seinen Parteigenossen wie folgt kommentiert haben: „Was Euch veranlaßt, den Kanzler zu stürzen, ist in sechs Wochen vergessen, aber die Folgen Eurer Dummheit werdet Ihr noch zehn Jahre lang spüren.“ 

 

Prof. em. Dr. Dr. h. c. mult. Horst Möller war von 1992 bis 2011 Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München – Berlin (IfZ).

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