In Hintergrundgesprächen mit Diplomaten der Mitgliedstaaten, Vertretern von multilateralen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und der Presse wurde zudem auch die Position Deutschlands und der EU in der multilateralen Zusammenarbeit sowie die Frage der Partnerfähigkeit der freiheitlich-demokratischen Länder in internationalen Organisationen diskutiert.
Bei einer „Geneva Security Debate“, welche am Abend des 5. September in Kooperation mit dem sicherheitspolitischen Think Tank Geneva Center for Security Policy (GCSP) stattfand, diskutierten der KAS-Vorsitzende und Botschafter Heusgen mit Botschafter Thomas Greminger, Direktor des GCSP und ehemaliger Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Reaktionsmöglichkeiten auf das neue globale Sicherheitsumfeld. Eine diplomatische Lösung des Konflikts sei derzeit nicht in Sicht, so Heusgen. Russland habe gegenwärtig kein Interesse an Verhandlungen. Greminger sah dies ähnlich, äußerte jedoch die Hoffnung, dass die „guten Dienste“ der Schweiz in naher Zukunft wieder nachgefragt würden. In Bezug auf die kommenden Wochen und Monate warnte Heusgen davor, aufgrund der hohen Energiepreise und der Inflation gegenüber dem Kreml einzulenken. Sollte Putin gewinnen, werde er die Republik Moldau und vielleicht bald auch das Baltikum ins Auge fassen. Norbert Lammert konstatierte, dass die EU in ihrer derzeitigen institutionellen Verfasstheit keine entscheidende Rolle spiele. Um dies zu ändern, sei die Notwendigkeit eines Transfers nationaler Kompetenzen auf die europäische Ebene wichtiger denn je. Die ganze Debatte kann hier nachgeschaut werden.
Bei einem Treffen mit Botschafterinnen und Botschaftern Genfer Ständiger Vertretungen, wurde deutlich, dass derzeit auch ein Kampf verschiedener Narrative entbrannt sei. Einer der Vorwürfe laute, dass die Unterstützer der Ukraine bei ihrer finanziellen, politischen und humanitären Reaktion auf diesen Krieg andere Standards ansetzen würden als bei Konflikten in andere Weltregionen. Lammert und Heusgen unterstrichen, dass es sich nicht nur um die Ukraine als solche handelte, sondern der Erhalt der internationalen Ordnung, wie sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges besteht, auf dem Spiel stehe. Dies müsse noch stärker kommuniziert werden; auch den Sorgen anderer Regionen und Staaten müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sowie Rechtsbrüche traditionell Verbündeter ebenfalls als solche benannt werden. Die Anwesenden betonten, dass alles getan werden müsse, zu zeigen, dass sich ein solcher Angriffskrieg nicht auszahle.
Die humanitären Folgen des Angriffskrieges und die Unterfinanzierung für andere Krisen weltweit standen im Anschluss bei Gesprächen mit dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi (UNHCR), und mit Robert Mardini, Generaldirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), im Mittelpunkt. Am stärksten seien nun Regionen betroffen, in welchen sich bereits vor dem Krieg Nahrungsmittelkrisen anbahnten. Das sei v. a. am Horn von Afrika, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Myanmar der Fall. In der Ukraine beobachten beide Organisationen, dass Fortschritte der Konfliktparteien nahezu ins Stocken geraten seien, jedoch täglich Hunderte ihr Leben verlieren. Seit dem 11. September 2001 habe das IKRK vor allem nicht-internationale bewaffnete Konflikte beobachtet, in der Ukraine sei nun erstmals wieder ein internationaler bewaffneter Konflikt entfesselt worden. Mardini unterstrich die Bedeutung der Einhaltung humanitären Völkerrechts durch alle Konfliktparteien. Waffenlieferungen an Konfliktparteien müssten immer auch mit der Forderung einhergehen, den Respekt gegenüber dem humanitären Völkerrecht zu garantieren.