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Das gefährliche Spiel mit Erika Steinbach

"Tagespost" und "Tygodnik Powszechny" veröffentlichen gemeinsam einen Beitrag zum Umgang mit der CDU-Politikerin

Persönlicher Meinungsbeitrag des Leiters der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen zum Streit um Erika Steinbach. Der Text erscheint am 7. März bzw. 10. März in den überregionalen katholischen Zeitungen "Die Tagespost" und "Tygodnik Powszechny".

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Meinungsbeitrag in:

Die Tagespost vom 7. März 2009 und Tygodnik Powszechny 15. März 2009.

Deutschland und Polen im Jahr des Gedenkens

Fortdauernde Neurosen belasten das Verhältnis, der Dialog ist notwendig

2009 ist in Deutschland ein Wahljahr: Präsidenten-, Europa- und Bundestagswahlen sowie vier Landtagswahlen stehen noch an. 2009 ist aber auch ein Gedenkjahr: 20 Jahre seit der freiheitlichen Revolution in Mittelosteuropa, die durch die polnische Solidarność, den Runden Tisch in Warschau und die ersten halbfreien Wahlen in Polen am 4. Juni 1989 entscheidende Impulse erhielt und den Fall des Eisernen Vorhangs ermöglichte; 30 Jahre seit der erste Besuch des polnischen Papstes Johannes Paul II. Millionen von Menschen im kommunistischen Polen zu einer Manifestation des Glaubens und der Freiheit auf die Straßen und Plätze trieb; 60 Jahre Nordatlantische Verteidigungsunion, die die Freiheit des Westen schützte; 60 Jahre auch seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der sich „demokratisch“ nur nennenden „DDR“; 70 Jahre seit Beginn des Zweiten Weltkrieges, dem deutschen Überfall auf Polen und dem anschließenden Einmarsch der Sowjetunion in Polen; 90 Jahre seit dem Versailler Vertrag, der Polen die Souveränität und Deutschland die erste Republik brachte.

Im Gedenken an diese Jahrestage liegt die Chance, sich kritisch zu vergewissern, wie es geworden ist und darüber nachzudenken, wie es weiter gehen soll. Es geht um Geschichte, Gegenwart und Zukunft.

Nun droht diese Selbstvergewisserung im deutsch-polnischen Verhältnis im politischen Streit zu enden. Er fokussiert sich seitens der polnischen Regierung auf die Person Erika Steinbach, Bundestagsabgeordnete der CDU und BdV-Präsidentin, der die Belange von Millionen von Flüchtlingen, Vertriebenen und Aussiedlern vertritt.

Steinbach werden die Verfälschung ihres Lebenslaufes und der Geschichte überhaupt sowie eine polenfeindliche Haltung vorgeworfen. Begründet wird dieses scharfe Urteil damit, dass sie 1943 als Kind eines Besatzungssoldaten im okkupierten Polen in Rumia/Rahmel nördlich von Danzig geboren wurde, also selber keine Heimatvertriebene sei. 1991 habe sie gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt, später Bedenken gegen die Aufnahme Polens in die EU geäußert und immer wieder eine nochmalige Entschuldigung und eine Entschädigung seitens Polens eingefordert. Mit der Konzentration auf das Schicksal der Vertriebenen setze sie den Fokus der Erinnerungen in Deutschland so, dass neben den Holocaustopfern primär den Nachkriegsopfern gedacht werde. Die Kriegsopfer gerade in Polen blieben bei dieser Geschichtspolitik weitgehend draußen vor und seien in Deutschland wenig bekannt. Weitere in Polen als provokant empfundene Äußerungen hätten dazu geführt, dass Steinbach dort schließlich zur „unanständigen“ Symbolfigur geworden sei.

Naturgemäß weniger kritisch reflektiert wird in Polen, in welcher Weise Steinbach in einem Gemisch von alten Stereotypen und Unkenntnis über Jahre hinweg dämonisiert, verfemt und zu einem politischen Popanz gemacht worden ist: vom Pöbel verunglimpft als blonde „SS-Domina“. Nicht beachtet wurde, welche Kursänderung die CDU-Politikerin im BdV durchgesetzt hat, wo sie den Verantwortungsbogen für die Vertreibungen von 1945 zurück auf das Jahr 1939 geschlagen hat, die Anerkennung des territorialen Status quo durchsetzte, Nationalisten aus dem Verband entfernte, sich im Namen des BdV von den Restitutionsforderungen der „Preußischen Treuhand“ gegen Polen distanzierte, 2004 in Berlin in prominenter Weise mit einer Konferenz an den Warschauer Aufstand erinnerte und 2006 das Schicksal des Nachbarlandes exponiert in die Ausstellung „Erzwungene Wege“ integrierte. Um einen sachlichen auf Verständigung angelegten Dialog hat man sich in Polen mit wenigen Ausnahmen – so hat Donald Tusk zweimal mit Steinbach in Polen öffentlich diskutiert – kaum bemüht. Stattdessen wurde sie abgekanzelt und an den Pranger gestellt.

Nun vertrat die polnische Regierung den kategorischen Standpunkt, nur wenn „diese Person“ bei dem deutschen Regierungsprojekt einer Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ außen vor bleibe, werde Polen in „neutraler Distanz“ gegenüber diesem Vorhaben verharren.

Wie soll man in Deutschland reagieren? In der Sache – Wahl- und Gedenkjahr hin oder her - wird man um einer wirklichen Verständigung willen die Auseinandersetzung führen müssen: sachlich-nüchtern, mit Empathie und Wohlwollen, aber mit einem klaren Standpunkt. Denn die auf der Kollektivschuldthese basierende Geschichtsauffassung mancher in Polen, die ein Gedenken an „deutsche Opfer“ per se als unerlaubt erscheinen lässt, ist anachronistisch. Der Vorwurf, in Deutschland solle die Geschichte umgeschrieben werden, geht an der Differenziertheit der Diskussion in Deutschland vorbei. Ebenso ist der Vorwurf falsch, die deutschen Christdemokraten hätten mit Rücksicht auf die Vertriebenen kein zukunftsweisendes Verhältnis mit Polen gewagt.

1989-1990, in den Wendejahren, war es gerade der christdemokratische Kanzler Kohl, der ganz im Sinne der deutschen Staatsräson und eines guten Verhältnisses mit Polen die „innerparteiliche Kraftprobe“ mit den Vertriebenen erfolgreich einging. Nach vollzogener Wiedervereinigung kannte er im Namen Deutschlands die Oder-Neiße-Grenze endgültig an, schloss den Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag mit Polen und tat vieles dafür, dass Polen Teil der NATO und EU werden konnte.

Bereits zuvor schon hatten Christdemokraten aus Deutschland und Polen wie Hans Maier, Bernhard Vogel, Władysław Bartoszewski und Tadeusz Mazowiecki in einer gemeinsamen Erklärung zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns 1989 mit tiefer Scham, Trauer und Mitgefühl an die polnischen, aber auch deutschen Opfer des Krieges erinnert und die Hass beladene Vergangenheit sowie die Spaltung Europas beklagt, die „oft schon die bloße Wahrnehmung von Tatsachen und historischen Zusammenhängen“ verhindert oder erschwert hätten.

Zusammen traten sie für den Bestand der Oder-Neiße-Grenze, für Selbstbestimmungsrecht, Bewahrung nationaler Identität und die immer weitere Öffnung der Grenzen in Europa ein. Klar bekannten sie sich zum „Ziel eines vereinten Europas, das das gesamte Europa einbezieht“. Die Grenzanerkennung führte natürlich zu Friktionen und teilweise zum Bruch mit führenden Vertriebenenvertretern. Es ist schon ein merkwürdiger Fall von historischer Amnesie, wenn dies alles ausgeblendet wird, um zu belegen, wie vermeintlich stiefmütterlich Polen aus Rücksicht auf die Vertriebenen von deutschen Christdemokraten behandelt worden sei.

Nach 1989 gab es gute Gründe, diese Auseinandersetzung mit dem BdV zu führen. In einem freiheitlichen Europa war es notwendig, wirklichen Frieden zu schließen und die territorialen Veränderungen in Folge des Zweiten Weltkrieges endgültig anzuerkennen. Manchen, die ihre Heimat im Osten haben, ist dies sehr schwer gefallen. Am Ende wurden die Verträge mit Polen mit einer übergroßen Mehrheit angenommen. Ein Erfolg für Kohl als Vorsitzenden der Christdemokraten.

Der BdV ging diesen Weg erst ab 1998 unter seiner Präsidentin Steinbach mit. Beim Streit um den Umgang mit Restitutionsforderungen einiger weniger Vertriebener gegen Polen vertrat Steinbach sogar eine ganz ähnliche Position wie Polen, dass letztendlich nämlich Deutschland diese Frage zu lösen habe. Damit stellte sie sich gegen die deutsche Regierung, die die Auffassung vertrat, dass es keine Grundlage für Forderungen gebe und die Angelegenheit erledigt sei. Mit dem von ihr und dem SPD-Politiker Peter Glotz angestoßenen Projekt eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ sollte mit Blick auf das absehbare Sterben der Erlebnisgeneration die Geschichte der deutschen Vertriebenen historisch in einen breiteren Rahmen eingeordnet werden, ohne sie allerdings aus dem konkreten Zusammenhang zu lösen. Der Erinnerung an die Vertreibungen sollte ein zentraler Ort gegeben werden. Das Vorhaben wurde 2005 in den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD aufgenommen und 2008 - auch nach Konsultationen mit Polen - auf den Weg gebracht.

Ein Erfolg für Erika Steinbach, die als Spirtus rector des Projektes jetzt jedoch auf der Strecke bleiben soll. Vor diesem Hintergrund richtet sich die Forderung Polens nach dem Ausschluss Steinbachs in vielen Teilen der veröffentlichten Meinung in Deutschland gegen Polen selbst, da sie in deutschen Augen unzureichend begründet ist und vor allem auf Diskriminierung zielt statt auf kritische Auseinandersetzung. Vielerorts fragt man sich, weshalb Polen solcherart in ein deutsches Gedenkprojekt eingreift und weshalb Angela Merkel sich von ihrer Parteikollegin Steinbach und dem BdV distanzieren soll. Inwiefern könnte sie in einer Schuld gegenüber der polnischen Regierung stehen, die sich auf die „Einhaltung gewisser Vereinbarungen“ in dieser Angelegenheit beruft?

Ob es eine solche Verabredung gab, wissen wir nicht und wird zumindest vom Staatsminister im Kanzleramt, Bernd Neumann, in Abrede gestellt. Offenbar gab es aber einen Mangel an Klarheit, der die Erwartung der polnische Regierung stützte, dass im Gegenzug zur Entlassung der Reizfiguren auf polnischer Seite, die die Regierung Tusk bewerkstelligte, die deutsche Seite Steinbach, das Rote Tuch für Polen, „aus dem Weg räumen“ werde und insbesondere bei dem von ihr maßgeblich betriebenen „Sichtbaren Zeichen“ außen vor bleibe. Diese Trophäe des Erfolges der neuen polnischen Deutschlandpolitik meint man in Warschau nötig zu haben in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit den Konservativen.

Dieser Erwartung ist von deutscher Seite - mit wenigen Ausnahmen - nicht entschieden widersprochen worden. Ganz im Gegenteil wurde signalisiert, man strebe eine dementsprechende Lösung im „Geist der Versöhnung“ an, obwohl dies einen Affront gegen Steinbach und die Vertriebenen bedeutet hätte, wofür es in Deutschland - mit Ausnahme eben der Rücksichtnahme auf die bekannte polnische Steinbach-Phobie und ein gewisses innenpolitisches Kalkül bei Sozialdemokraten und Opposition - kaum einen vernünftigen Grund gibt. Denn Steinbach mag manches Mal ungeschickt, vielleicht auch falsch agiert haben, womit man sich kritisch befassen kann; aber sie ist keine Extremistin, keine politische Blindgängerin, keine Geschichtsfälscherin, schließlich auch keine Feindin Polens. Für all diese Vorwürfe fehlen stichhaltige Belege. Sie ist eine durchaus umstrittene, aber gerade in Bezug auf ihr Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen auch über die Parteigrenzen angesehene Politikerin und Verbandsvertreterin. Ihr Engagement haben nicht nur führende deutsche Politiker, sondern auch jüdische Intellektuelle und hohe kirchliche Repräsentanten bis hin zum polnischen Papst gewürdigt.

Ob es vor diesem Hintergrund von politischer Weitsicht zeugt, die deutsche Bundeskanzlerin von Seiten der polnischen Regierung vor die Entscheidung zu stellen: „wir oder sie“, wird man in Warschau beurteilen müssen. Der strategische Fehler Berlins lag darin, Polens Erwartungen in Bezug auf Steinbach nicht frühzeitig und eindeutig entgegen getreten zu sein. Dieser Fehler musste absehbar in die Sackgasse eines politischen Grabenkampfes führen, in dem sich außen- und innenpolitische Motive vermengen, sofern Steinbach nicht freiwillig zurückziehen würde. Denn wie früher Gerhard Schröder und Joschka Fischer nutzen heute unter anderem Frank-Walter Steinmeier und Gesine Schwan den Konflikt, um die Christdemokraten unter Druck zu setzen und die Vertriebenenvertreter erneut an den Rand zu drängen. Diese schließen die Reihen in Solidarität um Steinbach. Sie sträuben sich dagegen, das freundschaftliche Verhältnis zu Polen gegen die „berechtigten Anliegen der Vertriebenen“ auszuspielen, wobei sie selbst durch die katholische Bischofskonferenz unterstützt werden.

Unterdessen hat der BdV die Nominierung seiner Präsidentin für den Stiftungsrat vorläufig zurückgenommen, um dem eigenen Anliegen nicht im Wege zu stehen. Der politisch-psychologische Schaden, der durch diesen Konflikt verursacht wird, und der Schaden für das Image Polens in Deutschland sind nicht gering. Es bis dahin kommen gelassen zu haben, wirft kein gutes Licht auf den Zustand der der deutsch-polnischen Beziehungen und die Qualität des Umgangs mit der Vergangenheit. Unter Freunden geht man anders miteinander um. Historische Größe ist in diesem Streit nicht auszumachen.

1965 haben die polnischen Bischöfe diese historische Größe und den Mut gezeigt, als sie ihren Amtsbrüdern in Deutschland die Hände reichten mit den Worten: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“, wofür sie in Polen als Staatsfeinde abgekanzelt wurden. Historische Größe haben auch Kohl und Hans-Dietrich Genscher gezeigt, als sie beherzt den wehenden Zipfel des Mantels der Geschichte ergriffen, die deutsche Wiedervereinigung vollzogen und gemeinsam mit Tadeusz Mazowiecki und Krzysztof Skubiszewski die deutsch-polnischen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellten. Historische Größe und Mut zeigte schließlich der polnische Außenminister Władysław Bartoszewski bei seiner Rede im Bundestag zum 50. Jahrestag des Kriegsendes 1995 indem er zunächst allen Opfern des Krieges seine Referenz erwies, dann von dem „doppelt verwundeten“ polnischen Volk sprach, dass Abwehrmechanismen habe entwickeln müssen, „die manchmal auch zu Überempfindlichkeiten führten“ und schließlich die Tragödien der Zwangsumsiedlungen und die damit verbundenen Gewalttaten und Verbrechen beklagte, bei denen „zu den Tätern auch Polen gehörten“.

Der Streit um Erika Steinbach ist ein trauriger Beleg für die fortdauernden politisch historischen Neurosen sowohl in Deutschland wie in Polen, für die durch unverarbeitete Konflikte entstandenen krankhaften, aber Gott sei Dank heilbaren Verhaltensanomalien, verbunden mit Ausnahmezuständen und Funktionsstörungen, die leider immer wieder in den deutsch-polnischen Beziehungen Platz greifen. In Deutschland wie in Polen lassen sie sich nach wie vor festmachen an dem Umgang mit der Kriegs- und Nachkriegszeit, am Festhalten an den alten kollektiven Mythen von Schuld und Sühne, am bleibenden Schmerz der Erinnerung und des Verlustes, an der Bitternis der Missachtung des Leides, an der Unzufriedenheit der zu kurz Gekommenen, an der Furcht vor weiterer Benachteiligung und an den daraus entstehenden Ansprüchen an den jeweils anderen. Damit müssen wir leben. Und wer heilen will, der muss die ganze Wunde behandeln, nicht nur einen Teil. Insofern führt die Alternative, wir oder sie, unweigerlich zurück in barbarische Zeiten. Wer sie politisch auszuschlachten sucht, betreibt ein gefährliches Spiel.

Bis sich das Wort von Vaclav Havel durchsetzt, „die Zeit ist reif, sich mit freundlichem Lächeln und der Gewissheit die Hand zu reichen, dass wir einander nicht mehr fürchten müssen, weil uns gemeinsame und teuer bezahlte Werte verbinden“, wird noch eine Zeit vergehen.

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