Die Präsidentschaftswahlen sind in Polen von großer Bedeutung. Die Befugnisse und der politische Einfluss des Staatspräsidenten sind weiter gefasst als in Deutschland. So ist er Oberbefehlshaber der Armee und verfügt über ein Vetorecht im Gesetzesprozess. Es ist damit entscheidend für die Regierungskoalition, dass der Präsident zukünftig aus dem eigenen Lager kommen wird.
Trzaskowski muss mehr als die Hälfte der polnischen Wähler für sich gewinnen und über die traditionell liberale Wählerschaft der KO und ihrer Koalitionspartner hinausgehen. Dabei ist er zu einem Spagat gezwungen: Einerseits muss er sich an seine progressiven Stammwähler richten, andererseits muss er auch konservative Wähler anziehen. Über den Ausgang dieser Wahlen werden nicht die Großstädter allein entscheiden, sondern auch die Provinz. Aus diesem Grund ist die Kampagne breit gefächert und basiert auf dem direkten Kontakt der Kandidaten mit den Wählern in vielen kleinen Orten. Sowohl Trzaskowski als auch Nawrocki reisen mit ihren Wahlkampfteams durch Polen und halten fast täglich Kundgebungen mit Wählern ab. Der Effekt dieser Treffen hängt von den finanziellen Mitteln und den gut ausgebauten Parteistrukturen vor Ort ab. Zu diesem Zweck wurde die Initiative „Kommunalpolitiker voran!“ gegründet – eine lose Plattform KO-naher Lokalpolitiker zur Mobilisierung ihrer Netzwerke zugunsten Trzaskowskis. Daher können sich nur die größten Parteien eine solche Art der Kampagne leisten. Die übrigen Kandidaten verfahren ähnlich, allerdings in deutlich bescheidenerem Umfang.
Ein weiterer, entscheidender Kanal für die Kommunikation mit den Wählern bleibt das Fernsehen. Die letzten Debatten zeigten deutlich, dass TV-Duelle Einfluss auf die jeweiligen Kampagne haben. In Folge der ersten Debatte stiegen die Umfragewerte für die Kandidaten außerhalb des Podiums. Sławomir Mentzen von der rechtsradikal, AfD-nahen Konfederacja, der mit einem Spitzenwert von 19 % auf dem dritten Platz lag, nahm an dieser Debatte nicht teil. Auch dadurch fiel er auf 11 % zurück. Für die Kampagnen der übrigen Kandidaten hingegen bedeutete diese Möglichkeit, sich im Fernsehen zu präsentieren, einen Anstieg der Bekanntheit und einen Zuwachs an Unterstützung. Davon profitierten vor allem die progressiven Kandidaten auf Kosten Trzaskowskis. Es ist auch ein Zusammenhang zwischen dem Abwandern der Wähler Mentzens, der sich in den Debatten als schwacher Redner erwies und nur abgedroschene Slogans aus seiner Kampagne wiederholte, und dem Anstieg der Unterstützung für Nawrocki zu erkennen. Die folgenden Debatten, von denen bis zum 30. April fünf stattfanden, bestätigen diesen Trend.
Eine weitere wichtige Arena des Wahlkampfs sind die Online-Medien. So betreibt Trzaskowski einen intensiven Online-Wahlkampf. Allein im März investierte sein Team rund 90.000 Euro in Internetwerbung – mehr als jeder andere Kandidat. Die Anzeigen und Videos wurden in sozialen Medien insgesamt 33 Millionen Mal ausgespielt.
Ein beträchtlicher Fokus liegt hierbei auf jungen Wählern. Die Internetkampagne „Jugend voran!“ richtet sich insbesondere an Erstwähler. Bereits 2021 hatte Trzaskowski den „Campus Polen der Zukunft“ ins Leben gerufen – ein jährlich stattfindendes Jugendfestival zu gesellschaftspolitischen Zukunftsthemen. Die Jugendorganisationen der Partei spielen hingegen in seiner Kampagne kaum eine Rolle – sie gelten als intern zerstritten und ohne nennenswerten Einfluss.
Online inszeniert Trzaskowski sich als international, dialogbereit und nahbar: Er spricht Englisch und Italienisch, erklärt Eigenheiten wie Stettiner Fleischpasteten oder polnische Gurken – und geht mit seinem Hund Pistazieneis essen. Zwischen diesen Momenten alltäglicher Authentizität tauchen auch politische Botschaften auf – allerdings meist weniger kontrovers. Das Hauptproblem der Kampagne von Trzaskowski ist jedoch die mangelnde Kohärenz: Einerseits zwinkert er den rechten Wählern zu, indem er sagt, dass die Migrationspolitik verschärft werden muss, andererseits spricht er über die Rechte der Frauen im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Dass er versucht, sich als „Everybody’s Darling“ zu präsentieren, ist verständlich, aber es entsteht der Eindruck, er könne keine überzeugende Erzählung zu seinen Themen entwickeln. Herausfordernd bleibt vor allem auch für Trzaskowski die Verbindung zur Arbeit der Regierung unter Tusk. So wird er von der PiS mit der Tusk-Regierung in Verbindung gebracht, deren Bilanz manche Wähler als ernüchternd empfinden.
Trzaskowski bleibt der klare Favorit, aber das immer knappere Rennen wird in den nächsten Wochen auf der Zielgeraden entschieden werden.
Zu den Autoren:
Dr. phil. Daniel J. Lemmen ist ein deutscher Historiker. Seit April 2021 ist er Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und im Auslandsbüro der KAS in Warschau tätig. Vor seiner Tätigkeit für die KAS war er langjähriger Mitarbeiter des Collegium Polonicum und der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Er studierte Polnische Philologie sowie Geschichte und Kultur Mittel- und Osteuropas in Bamberg, Posen und Frankfurt (Oder). Im Dezember 2021 verteidigte er an der Viadrina erfolgreich eine Promotionsschrift zur geopolitischen Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen.
Dr. Piotr Womela, polnischer Kunsthistoriker und promovierter Politikwissenschaftler, beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den deutsch-polnischen Beziehungen. Er war in der polnischen Regierungsverwaltung angestellt – sowohl im Kulturministerium als auch im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. In den Jahren 2003-2007 war er Geschäftsführer des Deutsch-Polnischen Jugendwerks. Derzeit ist er als Projektkoordinator und Analytiker für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen tätig.
Über diese Reihe
Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.