Die AfD dominiert TikTok – mit einfachen Mitteln
Die AfD ist auf TikTok omnipräsent. Bereits Anfang 2024 zeigten Analysen, dass Videos der AfD-Bundestagsfraktion auf TikTok durchschnittlich 430.000 Impressionen erreichten – bei der FDP lag der Durchschnitt im Vergleich bei nur 53.000 Impressionen¹. Auch im Gesamtranking sozialer Netzwerke liegt die AfD vorn: Auf X (vormals Twitter), Facebook, Instagram, YouTube und TikTok bringt es die Partei zusammen auf rund 2,66 Millionen Follower. Die Grünen folgen abgeschlagen mit 1,43 Millionen².
Warum gelingt es ausgerechnet der AfD, auf TikTok eine solche Reichweite zu erzielen? Die Antwort ist so einfach wie beunruhigend: Die Partei hat frühzeitig verstanden, wie TikTok funktioniert – kurze, emotional aufgeladene Clips, einfache Botschaften, bewusst provokante Zuspitzungen. Genau dieser Stil wird vom Algorithmus belohnt. Während andere Parteien ihre Pressekonferenzen oder geschnittene Parlamentsreden posten, liefert die AfD Content, der auf die Plattform zugeschnitten ist.³
Der digitale Resonanzraum der Jugend
TikTok ist längst kein Kinderzimmernetzwerk mehr. Laut JIM-Studie 2023 nutzen 63% der 12- bis 19-jährigen TikTok täglich.⁴ Wer also in dieser Zielgruppe relevant sein will – sei es mit Bildungsangeboten, politischer Aufklärung oder demokratischen Werten –, muss dort präsent sein, wo diese Zielgruppe ihre Informationen bezieht.
Das gilt nicht nur für Deutschland. Auch international zeigt sich: Wer auf TikTok nicht mitspielt, verliert junge Wählerinnen und Wähler an andere. In Rumänien etwa hat der ultrarechte Präsidentschaftskandidat Calin Georgescu mit einer aggressiven TikTok-Strategie Millionen junger Nutzerinnen und Nutzer erreicht.⁵ In Taiwan wird die Plattform sogar mit einer veränderten Wahrnehmung Chinas unter jungen Taiwanerinnen und Taiwanern in Verbindung gebracht.⁶Die Plattform prägt politische Einstellungen – subtil, aber wirkungsvoll.
Wer sich raushält, wird ersetzt
Die Sorgen, die viele Parteien davon abhalten, auf TikTok aktiv zu werden, sind nachvollziehbar. TikTok ist eine chinesische Plattform. Es gibt berechtigte Bedenken über Datenschutz, Einflussnahme und fehlende Transparenz der Algorithmen. Aber: Wer aus Angst vor Missbrauch auf Teilnahme verzichtet, überlässt das Feld denjenigen, die keine Skrupel haben, es für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Deshalb ist es ein fataler Fehler, wenn demokratische Parteien TikTok meiden. Nicht nur, weil sie dadurch einen zentralen Kommunikationskanal verlieren – sondern weil sie ganze Generationen von Wählerinnen und Wählern nicht mehr erreichen. Es geht nicht darum, jedes politische Detail in 60 Sekunden zu erklären. Es geht darum, sichtbar zu sein, präsent zu sein, ansprechbar zu sein. Wer nicht auf TikTok stattfindet, findet in der Generation Z nicht statt.
TikTok erfordert eine neue Sprache – aber kein neues Programm
Der Erfolg auf TikTok verlangt kein populistisches Programm, sondern eine Plattform-Strategie. Es geht darum, Inhalte zu formulieren, die ins TikTok-Format passen, ohne die eigenen Werte zu verraten. Authentizität, Persönliches, Reaktionen auf aktuelle Ereignisse – das sind die Inhalte, die dort funktionieren. Politikerinnen und Politiker, die Einblicke in ihre Arbeit geben oder Fragen direkt beantworten, gewinnen Vertrauen. Was fehlt, ist nicht Inhalt, sondern Format.
Die demokratischen Parteien haben dies ansatzweise erkannt – mit einzelnen Politikerinnen und Politikern, die aktiv posten. Wie zum Beispiel Johannes Steiniger aus dem Wahlkreis Neustadt-Speyer. Einer von wenigen Leuchttürmen auf dem Sozialen Netzwerk. Aber das reicht nicht. Es braucht professionelle Strategien, Kampagnen und Ressourcen. Wenn TikTok Teil der Meinungsbildung ist, dann muss es auch Teil politischer Kommunikation sein – mit derselben Ernsthaftigkeit, mit der Parteien früher Infostände besetzten oder Wahlplakate druckten.
Verantwortung heißt auch digitale Präsenz
Deshalb: Wer politische Verantwortung übernimmt, übernimmt sie auch dort, wo Menschen ihre Informationen beziehen – also auch auf TikTok. Das Wegbleiben auf dieser Plattform führt nicht zu weniger Einflussnahme, sondern zu einseitiger Einflussnahme. Demokratie lebt vom Mitreden – und zwar überall, wo geredet wird. Wenn demokratische Parteien diese digitale Arena der AfD überlassen, handeln sie fahrlässig.
Natürlich darf das nicht bedeuten, TikTok unkritisch zu nutzen. Datenschutz, Desinformation und Plattformregulierung müssen diskutiert und politisch bearbeitet werden. Aber solange TikTok einen so großen Einfluss auf junge Menschen hat, muss es demokratisch bespielt werden. Alles andere wäre eine Kapitulation – und die können wir uns nicht leisten.
Zur Autorin:
Kerstin Bücker ist verantwortlich für die Unternehmenskommunikation der Fachklinik Hornheide in Münster. Außerdem ist sie als selbstständige Referentin für die Themen PR und Social Media, auch und sehr gerne für die Konrad-Adenauer-Stiftung, ihrem früheren Arbeitgeber tätig. Dort hatte sie die Medienwerkstatt der Journalistischen Nachwuchsförderung geleitet.
Fußnoten
1. ZDF: „AfD auf TikTok: Wie die AfD junge Menschen erreicht“, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-tiktok-erfolg-strategie-jugendliche-100.html
2. Statista: „Fans der Parteien in den sozialen Netzwerken“, https://de.statista.com/infografik/7616/fans-der-parteien-in-den-sozialen-netzwerken/
3. MDR: „Warum ist die AfD auf TikTok so erfolgreich?“, https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/afd-erfolg-tiktok-100.html
4. JIM-Studie 2023: https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2023/
5. El País: „Radiografía de la campaña digital de Calin Georgescu“, https://elpais.com/internacional/2024-12-01/radiografia-de-la-campana-digital-de-calin-georgescu-el-tiktoker-ultra-presidencial-rumano.html
6. Financial Times: „TikTok fuels concern over China’s influence in Taiwan“, https://www.ft.com/content/e25ee12b-3a4a-4a15-bd5e-0f5fb410e856
Über diese Reihe
Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.