Einzeltitel
Am 16. Mai 2017 stellte das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche Deutschlands ihre neue Flüchtlingsstudie vor. Unter der Fragestellung, wie Deutschland auf Flüchtlinge blickt, wurden „Erwartungen der Bevölkerung zur Aufnahme von Flüchtlingen zwischen November 2015 und April 2017“ analysiert. Im Ergebnis zeigt sich eine breite humanitäre Grundhaltung in der Gesamtbevölkerung. Die Stimmungslage in Deutschland ist stabil. Während in den westlichen Bundesländern Zuversicht vorherrscht, ist man in den östlichen eher skeptisch und kritisiert die aktuelle Politik. Spektakulär ist, dass die Quote der Engagierten im Osten leicht höher liegt als im Westen. Trotz persönlicher Sorgen und zurückhaltender Beurteilung der Gesamtsituation engagieren sich im Osten mehr Menschen in der Flüchtlingskrise als in Regionen, in denen schon lange eine Aufnahmepraxis herrscht. Wer hätte das gedacht? Müsste es sich bei der vermuteten rechtsextremen Grundstimmung mit ihrer anhaltenden Xenophobie in den östlichen Bundesländern nicht genau andersherum verhalten? Das hätte doch weiterer Analysen bedurft und auch ein positiveres Licht auf Ostdeutschland werfen können. Aber es war nicht der Rede wert.
Studie der Bundesregierung nicht repräsentativ
Am 18. Mai 2017 hat die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, die Studie „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland – Ursachen und Hintergründe, regionale Kontextfaktoren“ vorgestellt. Im Titel wird der Anspruch erhoben, Einblicke zu geben, die ganz Ostdeutschland betreffen, betrachtet wurden aber bewusst nur ausgewählte rechtsextreme Hotspots wie Heidenau, Freital und Erfurt-Herrenberg. Obwohl die Autoren ausdrücklich davor warnen, werden Ergebnisse verallgemeinert und Politik kritisiert, was medial dankbar aufgegriffen und skandalisiert wird.
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ konstatiert, dass besonders Dresden betroffen wäre, obwohl die Untersuchungen dort gar nicht stattfanden. „Rechtsextremes Gedankengut kann sich ... in Ostdeutschland einfacher durchsetzen.“. Die Dresdner Neuesten Nachrichten schreiben: „Die Zunahme des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern sei bestürzend und bedrohe den sozialen Frieden.“ „Der Rechtsextremismus ist in Ostdeutschland eben doch ein besonders großes Problem – das ist jetzt regierungsamtlich bestätigt“, schreibt der Tagesspiegel. „Speziell in Sachsen führe der ´defizitäre Demokratisierungsprozess´ dazu, dass sich Bewegungen wie Pegida ausbreiten konnten und sich eine ´autoritäre, ressentimentgeladene Minderheit zunehmend radikalisiert´.“ Der Tagesspiegel präsentiert nur eine Auswahl von Kritikpunkten: „ein CDU-Landtagsabgeordneter, der einen NSU-Untersuchungsausschuss als ´Beschäftigungstherapie´ ansieht, ein Patriotismusbeauftragter der Landespartei (der heutige Landtagspräsident Matthias Rössler), der schon vor Jahren Thesen formuliert habe, die in nichts der Kulturkritik der Neuen Rechten nachstehen würden.“
Bestätigt die Studie die Inhalte der Medienberichterstattungen? Es klingt wie eine selbsterfüllende Prophezeiung, wenn gerade jene Orte für die Untersuchungen ausgewählt werden, in denen aufgrund von Vorkommnissen und Berichterstattungen Rechtsextremismus vermutetet wird, wie Freital, Heidenau und Erfurt-Herrenberg, und man dann dort auch tatsächlich rechtsextremistische Haltungen vorfindet. Problematisch wird es, wenn die Ergebnisse auf den gesamten Osten übertragen werden.
Ungereimtheiten bei der Untersuchung
Insgesamt wurden für die Untersuchung ca. 40 qualitative Interviews geführt. Dort, wo eine politische Präferenz erkennbar ist, sind die Gesprächspartner vor allem Vertreter der Linken, Grünen und der SPD. Von den 19 Personen und Personengruppen, die für die Region Dresden (Heidenau und Freital) interviewt wurden, können sieben dem linken Gesellschaftsspektrum zugerechnet werden und einer, der Oberbürgermeister von Heidenau, der CDU. Sechs Interviewpartner wurden anonymisiert, um sie nicht „potentiell zu gefährden“. Teilweise sind namentliche genannte Personen nicht aufzufinden, wie Herr Reese, der nicht - wie angegeben - Mitarbeiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ist, oder wie vier angebliche Stadträte von Freital. Diese Sachverhalte stellen die Seriosität der Studie infrage.
Einseitige Studie
Bezuggenommen wird in der Studie auf die von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Otto-Brenner-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Untersuchung: „Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland – Die Leipziger „Mitte“-Studien 2016“, die stark kritisiert wurde, und auf den Sachsen-Monitor. Außerdem fließen Kenntnisse aus Franz Walters Studien über Freital in die Arbeit ein. Dies macht die Situation nicht einfacher, denn sie verstärkt die Einseitigkeit der Studie. Walter ist seit 1972 SPD-Mitglied und untersuchte die Zerstörung des sozialdemokratischen Milieus in Freital in der DDR. Erst als die Sozialdemokratie darniederlag, „drang die rechte Mobilisierung und das Versprechen auf neue Bindungen und Zugehörigkeiten in die politisch-kulturell entstrukturierte Landschaft ein. Pegida ist Ausfluss und Ausdruck politischer Obdachlosigkeit, kultureller Traditionsschwächen, weltanschaulicher Leere, zivilgesellschaftlicher Bindungsschwächen.“ Die CDU wird jetzt dafür verantwortlich gemacht, weil sie seit 1990 nahezu unangefochten die Regierungsverantwortung trägt. So muss sie als Sündenbock herhalten. Auch die Leipziger „Mitte-Studien“ wurden aufgrund ihrer tendenziösen Untersuchung stark kritisiert. Klaus Schröder monierte, dass generalisierende Suggestivfragen auf eine interessengeleitete Forschung hindeuteten. Wenn dann in der vorliegenden Untersuchung Leipzig und Jena als SPD-geführte Städte als vorbildlich dargestellt werden, verdichtet sich der Eindruck, einseitige Narrative der gesellschaftlichen Linken zu verstärken.
Die Autoren kommen zu zwei wesentlichen Schlussfolgerungen, auf die hier kurz eingegangen werden soll: 1. Mangelnde politische Bildung, die zu Überhöhung des Eigenen und Abwehr des Fremden führt, und 2. Stärkung der eigenen Identität im Zuge einer weitverbreiteten „fraternalen relativen Deprivation“, was zu rechtsextremen Haltung führt, wofür die CDU-Regierung verantwortlich gemacht wird.
Dass nach der friedlichen Revolution Staat und Politik in der schulischen Bildung Wert auf Überparteilichkeit und selbständige Meinungsbildung legten, lag daran, dass dies die einzige Möglichkeit war, die junge Generation den Prägungen der ideologisch „durchherrschten Gesellschaft“ zu entziehen. Es wurde bewusst vermieden, politische Bildung und insbesondere parteipolitische Positionen von außen in den Schulalltag zu tragen. Es gab selbstverständlich Gemeinschaftskunde und Demokratiepädagogik. Gegenwärtig haben sich aber die Schulen auch den gesellschaftlichen Diskursen geöffnet. So wurde im Kultusministerium des Freistaates Sachsen ein Referat „Politische Bildung“ eingerichtet, das die Zusammenarbeit zwischen Schulen und politischen Bildnern koordiniert.
Herausforderungen für die politische Bildungsarbeit
Die eigentliche Grundfrage politischer Bildung in offener Gesellschaft lautet, wie Bürger, die nicht mehr über Bildungsinstitutionen erreicht werden, angesprochen werden können. Hier zeigen sich Grenzen und überzogene Erwartungen. Der Antagonismus offener Bildungsangebote ist, dass nur diejenigen erreicht werden, die schon gebildet sind und weniger diejenigen bildungsferner Schichten. Rund ein Drittel der ostdeutschen Haushalte liest laut Forsa (Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen) weder Zeitung noch informiert es sich über öffentlich rechtliche Sender. Diese Menschen sind mittels öffentlich-rechtlicher Medien, überhaupt nicht mehr zu erreichen. Der bloße Ruf nach mehr politischer Bildung in Krisensituationen, wie nach dem Auftauchen der NSU oder Pegida, ist populistisch.
Einerseits schreiben die Autoren, dass es falsch sei, „einen Automatismus zu unterstellen, der sich von einer DDR-Sozialisation und (negativer) Transformationserfahrung in Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindlicher Gewalt verlängern lässt“, andererseits führen sie aus, dass „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit – in der Zuspitzung nach 1989 auch mit einiger Berechtigung – per se als ein Kind der Transformation betrachtet werden sollte und somit die langfristigen Ursprünge in der DDR einer politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung weitgehend entzogen sind.“ Damit wird verunklart, dass gerade die ehemalige SED und heutige LINKE großen Anteil an der gegenwärtigen Situation trägt.
Nicht die Öffnung der Heimat für andere stärkt den Rechtsextremismus
Solange die Menschen sich in ihrer Heimat geborgen fühlten, stabile Milieus vorherrschten, eine gemeinsame Narration Sinn stiftete und die eigene Perspektive gesichert war und das auch in schwierigen wirtschaftlichen Jahren, war die Gesellschaft für rechtsextremes Gedankengut wenig anfällig. Als aber im Umbruch die eigene Situation drohte, instabil zu werden, drangen die Mobilisierung rechtsextremer Kameradschaften und das Versprechen auf neue Bindungen und Zugehörigkeiten in die politisch-kulturell entstrukturierte Landschaft ein. In dieser Situation waren die Bemühungen der Christdemokraten, entwurzelte Bürger wieder an ihre Identität zu erinnern und ihr Selbstbewusstsein zu stärken, richtig. Nicht die Erinnerung an die eigene Beheimatung und die Öffnung der Heimat für andere stärkt den Rechtsextremismus, sondern die Verstärkung der Entwurzelung. Wobei an dieser Stelle nicht die Überlagerungen der Gesellschaft durch Überschichtungen aufgrund des Elitentauschs und die Unterschichtung aufgrund der Zuwanderung thematisiert wurden.
Aus den Ausführungen wird ersichtlich, dass die mediale Berichterstattung und Reaktionen auf Meldungen aus den östlichen Bundesländern bestimmten Erwartungshaltungen und Instrumentalisierungen folgen. Gefunden wird das, was gesucht wird. Der Osten Deutschlands ist zurückgeblieben, dümmlich und braun. Strategie der gesellschaftlichen Linke ist, dass diese Projektionen der CDU angelastet werden und die linken Modernisierer sich empfehlen, die Situation zu lösen. Dabei scheuen sie sich nicht, auch aus der Regierungsverantwortung heraus die Regierung zu kritisieren. Die anregenden Impulse der Studie müssen dafür in den Hintergrund treten.