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Mario Oriani-Ambrosini, Abgeordneter der Inkatha Freedom Party (IFP) hatte gegen die bisherige Handhabung des Gesetzgebungsprozess eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof eingereicht, die in der ersten Instanz abgelehnt wurde und nun vom südafrikanischen Verfassungsgericht Recht erhielt. Ambrosini wollte im Jahr 2010 als Parlamentsmitglied einen Gesetzesvorschlag zur Änderung des Nationalen Kreditgesetzes („National Credit Act“) einreichen, war jedoch vom Parlamentssprecher Max Sisulu (ANC) darauf verwiesen worden, dass die Parlamentsordnung die Einreichung von Gesetzentwürfen durch einzelne Abgeordnete nicht gestattet. In einem Pressegespräch bewertet Ambrosini das Urteil als „victory for South African democracy“ und als „game changer“.
Neuer Handlungsspielraum für Oppositionsparteien
Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen und stärkt die Rolle der Oppositionsparteien, die erstmals in der Lage sind, proaktiv an der Gesetzgebung des Landes mitzuwirken. Bislang waren Gesetzesvorschläge in aller Regel an der Mehrheit des im Parlament und in den Ausschüssen dominierenden African National Congress (ANC) gescheitert. Durch die bisherige Handhabung wurde der parlamentarischen Mehrheit des ANC de facto eine alleinige Gesetzgebungskompetenz eingeräumt. Den Oppositionsparteien kam infolgedessen bislang die eher undankbare Aufgabe zu, vom ANC eingereichte Gesetzentwürfe zu kommentieren und darauf basierende Änderungsempfehlungen zu erarbeiten.
Vor allem die Democratic Alliance (DA), stärkste Oppositionspartei im Parlament, ist mit dem Urteil mehr als zufrieden, wird sie doch mit großer Wahrscheinlichkeit zukünftig am meisten davon Gebrauch machen. Immer wieder hatte die DA in der Vergangenheit Versuche unternommen, wichtige Gesetzesvorschläge einzureichen, die u.a. der systemischen Korruption und Vetternwirtschaft, insbesondere bei der Vergabe von lukrativen Regierungsaufträgen, entgegenwirken sollten, und war dabei an der parlamentarischen Mehrheit des ANC gescheitert.
Watty Watson, DA Fraktionsvorsitzender, brachte seine Frustration mit der bisherigen Praxis auf den Punkt: „The DA has consistently complained that this process is openly politicised as virtually every proposal we have made has been thwarted without due consideration or adequate justification“.
Auch unter dem aktuellen Urteil wird eine parlamentarische Mehrheit nötig sein, um Gesetzesvorschläge verabschieden zu können, so dass Vorschläge der Opposition nur bedingte Erfolgschancen haben. Der signifikante und politisch bedeutsame Unterschied liegt in Zukunft jedoch darin, dass alle Gesetzesinitiativen auf die Tagesordnung gelangen, im Parlament vorgestellt und diskutiert werden müssen, protokolliert, archiviert und dadurch auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Auch der Abgeordnete Steve Swart, Mitglied der African Christian Democratic Party (ACDP) begrüßt das Urteil und hofft, dass in Zukunft mehr seiner Kollegen proaktiv an der Gesetzgebung teilhaben und Vorschläge einreichen: „We look forward to more and more members of Parliament bringing their legislative proposals to Parliament, without them being blocked by a committee before they are properly debated”.
Rolle von Abgeordneten wird gestärkt
Doch nicht nur die Oppositionsparteien profitieren von dem Urteil. Auch die Rolle der Abgeordneten selbst wird durch das Urteil gestärkt und macht sie in gewisser Weise unabhängiger von ihrer Partei - zumindest in der Theorie. Ob Abgeordnete den neuen Handlungsspielraum tatsächlich nutzen, bleibt abzuwarten. Vor allem in den Reihen des ANC ist vorläufig nicht damit zu rechnen, sehen sich doch Abgeordnete, die von der Parteilinie abweichende Meinungen formulieren, mit parteiinternen disziplinarischen Maßnahmen konfrontiert. Das Vorgehen der Partei gegen die zwei ANC Abgeordneten Ben Turok und Gloria Bosman, die gegen das vom ANC initiierte und von der Öffentlichkeit scharf kritisierte Gesetz „Protection of State Information Bill“ gestimmt hatten, ist vielen ihrer Parteikollegen nur zu lebhaft in Erinnerung.
Während das Urteil ohne Zweifel eine Stärkung der Rolle von Abgeordneten und Oppositionsparteien bedeutet, wirft es gleichzeitig neue Fragen auf. Erstmals in der Geschichte der jungen Demokratie Südafrikas wurde ein parlamentarischer Geschäftsablauf als verfassungswidrig eingestuft. Dieses Urteil impliziert die Frage, ob die verfassungsrechtliche Interpretation, die der bisherigen parlamentarischen Geschäftsordnung zugrunde liegt und Abläufe im Parlament regelt, immer im Einklang mit der Verfassung ist. Eine kritische Überprüfung dieser Frage ist mit Sicherheit angebracht und im Sinne einer lebendigen, sich weiter entwickelnden Demokratie zu begrüßen.