Länderberichte
Staatspräsident Zuma hatte direkt nach seiner Wahl im Jahr 2009 begonnen, auf Kosten des Steuerzahlers sein Privatanwesen in Nkandla zu modernisieren und die Maßnahmen als sicherheitsrelevant deklariert. Zu den vorgenommenen baulichen Veränderungen im Wert von 246 Millionen Südafrikanischen Rand (derzeit ca. 18 Mio. €) zählten unter anderem ein Schwimmbad, ein Amphitheater und ein Hühnerstall. Die südafrikanische Wochenzeitung Mail & Guardian berichtete bereits ab Ende 2009 dazu ausführlich und löste damit eine öffentliche Kritik am Staatspräsidenten aus, die den Public Protector Südafrikas auf den Plan rief. Der im März 2014 unter dem bezeichnenden Titel „Secure in Comfort“ veröffentlichte Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten, wonach er unzulässig von den Baumaßnahmen profitiert habe und daher einen angemessenen Teil der Kosten zurückzahlen müsse. Der Public Protector ist eine in der Verfassung verankerte Institution mit dem Auftrag, die Verfassungsdemokratie zu stärken und dazu unter anderem Machtmissbrauch in staatlichen Angelegenheiten aufzudecken und gute Regierungsführung einzufordern.
Der Bericht des Public Protector führte zu heftigen Reaktionen und Anschuldigungen gegen das Amt und die Amtsinhaberin Thuli Madonsela, die von Anhängern und Repräsentanten des Regierungslagers unter anderem als CIA-Agentin verunglimpft und der Konterrevolution beschuldigt wurde.
Der Staatspräsident und die Regierungskoalition aus African National Congress, Südafrikanischer Kommunistischer Partei und dem Gewerkschaftsdachverband COSATU verstanden Madonselas Bericht lediglich als Empfehlung. Im Parlament wurden anschließend zwei ad hoc Parlamentsausschüsse eingerichtet, die den Bericht des Public Protector verwarfen und einen Bericht des Polizeiministers annahmen, wonach alle baulichen Maßnahmen sicherheitsrelevant waren und der Präsident von der Pflicht zur Rückzahlung befreit wurde. Der Public Protector erklärte daraufhin, dass seine Entscheidungen nicht ohne Gerichtsverfahren verworfen werden könnten und bindend seien, worauf die Staatsanwaltschaft mit der Eröffnung eines Verfahrens gegen Madonsela reagierte.
Die einstimmige Entscheidung des Verfassungsgerichts stellt nun klar, dass die Entscheidungen des Public Protector Weisungen sind. Indem der Staatspräsident diese Weisungen nicht befolgte, habe er gegen Artikel 83 der Verfassung verstoßen, wonach er die Verfassung hüten, verteidigen und respektieren müsse. Ähnlich habe auch das Parlament die parteipolitischen Interessen über die verfassungsmäßige Aufgabe gestellt, die Exekutive zu kontrollieren. Das Verfassungsgericht fordert in dem Urteil das Finanzministerium auf, innerhalb von 60 Tagen einen Betrag für die Rückerstattung der unzulässig erhaltenen Steuermittel festzulegen. Der Präsident hat anschließend 45 Tage Zeit, die Rückzahlung vorzunehmen. Staatspräsident Zuma hat diese Entscheidung in einer Rede an die Nation begrüßt und angekündigt, das Urteil des Verfassungsgerichts zu befolgen. Er habe die Verfassung nicht wissentlich und willentlich verletzt, sondern sei zunächst falsch beraten worden.
Für die politische Opposition, große Teile der Zivilgesellschaft sowie eine zunehmende Zahl einflussreicher Parteifreunde des Präsidenten war diese Erklärung nicht ausreichend. Am 5. März wurde daher auf Initiative der Democratic Alliance im Parlament ein Antrag auf Amtsenthebung des Staatspräsidenten zur Abstimmung gebracht. In der nicht geheimen Abstimmung stimmten alle Abgeordneten der Regierungskoalition gegen eine Amtsenthebung und stellten sich damit erneut schützend vor Präsident Zuma.
Für den ohnehin politisch angeschlagenen Staatspräsidenten ist damit das rettende Ufer aber nicht erreicht. Das Bollwerk seiner Anhänger und Parteifreunde bricht zusehends auseinander, auch wenn sich das noch nicht im Stimmverhalten der Fraktion ausdrückt. Erste Ortsverbände des ANC sprechen sich offen für den Rücktritt Zumas aus. Anti-Apartheidskämpfer und Weggefährten Nelson Mandelas fordern dies ebenfalls öffentlich. Auf ANC-Wahlplakaten für die Kommunalwahlen in diesem Jahr wird bereits ohne Zumas Konterfei geworben. Der Druck auf den Staatspräsidenten wächst so weiter an.
Zuma hat in seiner politischen Karriere jedoch zahlreiche Skandale und Krisen politisch überlebt. Im Jahr 2006 wurde er wegen einer angeblichen Vergewaltigung angeklagt, die allerdings nicht zu einer Verurteilung führte. Während des Prozesses reagierte er auf die Information, das vermeintliche Opfer sei HIV-positiv gewesen, mit dem Hinweis, er hätte anschließend gründlich geduscht. In Südafrika sterben jährlich ca. 140.000 Menschen an den Folgen des Virus, weshalb Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Ansteckungen zu den größten politischen Aufgaben der Regierung zählen. Dementsprechend groß war die öffentliche Kritik an Zuma, der seither in Karikaturen häufig mit einem Duschkopf versehen wird.
Im Zusammenhang mit dem sogenannten Arms-Deal wurde Zuma kurz vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Jahr 2009 vorgeworfen, sich an milliardenschweren Waffengeschäften bereichert zu haben. Die mehr als 700 Anklagepunkte gegen ihn wurden dann aber fallengelassen, nachdem eine angebliche Beeinflussung der Staatsanwaltschaft durch die Opposition aufgedeckt wurde. Dieser Fall wird gegenwärtig neu verhandelt, es könnte schon bald zu einer Wiederaufnahme der Anklagen kommen.
In den vergangenen Monaten nahm die Kritik am Amtsverständnis und der Regierungsführung des Staatspräsidenten dramatisch zu. Anlässlich des AU-Gipfels in Südafrika im Juni 2015 ließ die Regierung den Präsidenten Sudans trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs und eines lokalen richterlichen Beschlusses, wonach Al-Bashir zu verhaften sei, ein- und wieder ausreisen. Der Fall ging an das Oberste Berufungsgericht Südafrikas, welches kürzlich gegen die Exekutive entschieden hat und verkündete, Al-Bashir hätte verhaftet werden müssen.
Großen wirtschaftlichen Schaden hatte im Dezember 2015 die überraschende Entscheidung des Staatspräsidenten verursacht, den damaligen Finanzminister Nene aus dem Amt zu entlassen und durch einen „Hinterbänkler“ aus der ANC-Fraktion im Parlament zu ersetzen. Die Reaktion der Märkte und der südafrikanischen Öffentlichkeit war so scharf, dass Zuma bereits drei Tage nach dieser Entscheidung den ehemaligen Finanzminister Pravin Gordhan wieder einsetzen musste, um weiteren Schaden vom Land abzuwehren.
Aufsehen erregten in den vergangenen Wochen zudem an Zuma gerichtete Anschuldigungen, wonach die aus Indien stammenden Geschäftsleute der Familie Gupta einen außerordentlichen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte hätten, der bis hin zur Besetzung von Ministerämtern reichen soll. Diese Vermutungen wurden durch Aussagen von amtierenden und früheren Regierungsmitgliedern bestätigt und befeuerten die Kritik an Zuma, dessen Sohn Duduzane in engen Geschäftsbeziehungen zu den Guptas steht.
Die politische Zukunft Zumas ist angesichts dieser zunehmenden Kritik an seiner Amtsführung ungewiss. Meinungsumfragen zeigen, dass das Vertrauen in ihn nahezu eingebrochen ist. Sein Mandat als Staatspräsident läuft zwar noch bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Jahr 2019, die Partei wird jedoch bereits im kommenden Jahr eine neue Parteiführung bestimmen. Der Wettbewerb um den künftigen Vorsitz ist in vollem Gange. Bereits vorher gibt es zwei große Hürden, die für die Fortsetzung des Mandats überwunden werden müssen.
Bis Mitte des Jahres werden die internationalen Ratingagenturen darüber entscheiden, ob es eine weitere Herabstufung der Bonitätsnote zur Kreditwürdigkeit – dann auf „Ramsch-Status“ – geben wird. Die Folgen für die Wirtschaft wären fatal und der Handlungsspielraum für die Politik würde weiter eingeschränkt. Die ohnehin bereits angekündigten Einschnitte in der Sozial- und Lohnpolitik könnten dadurch tiefer als geplant werden und würden das Mandat des Staatspräsidenten weiter belasten.
Überdies finden im August 2016 Kommunalwahlen statt, bei denen der ANC mit einem Rückgang der Wählerschaft und damit dem Verlust von Mandaten rechnen muss. Für viele ANC-Amtsinhaber bedeuten die direkten und indirekten Einkommen, welche aus solchen Mandaten entstehen, den Unterschied zwischen einem Leben in Armut und einem Leben in der südafrikanischen Mittelschicht. Der nicht auszuschließende Verlust der Mehrheiten in einer oder in mehreren Metropolen würde den Druck auf die Parteiführung weiter erhöhen. Angesichts der absehbaren Stimmenverluste wird schon die Aufstellung der Kandidaten politischen Sprengstoff bilden.
Der ANC steht damit hinsichtlich des Umgangs mit der Personalie Zuma vor einem Dilemma. Die jetzt auch aus den eigenen Reihen geforderte vorzeitige Abberufung Zumas als Staatspräsident würde die Einheit der Regierungspartei gefährden. Abspaltungen der Partei als Folge interner Konflikte haben in der jüngeren Vergangenheit bereits zwei Mal zu Gründungen neuer Parteien (COPE und EFF) geführt, die ernstzunehmende politische Mitbewerber bilden und aus dem Stimmenreservoire des ANC schöpfen. Auch will die Partei möglichst vermeiden, dass durch die Abberufung Zumas als Staatspräsident bei gleichzeitigem Verbleib als Parteivorsitzender für einen längeren Zeitraum zwei Machtzentren entstehen, die der Handlungsfähigkeit der Partei und ihrem Ansehen weiter schaden könnten.
Bliebe Zuma in den Ämtern, so könnte sich dies als problematisch für die Wahlchancen bei den Kommunalwahlen und als Hypothek für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes erweisen. Die Parteiführung ist sich dieses Dilemmas bewusst, scheint aber in ihrer Bereitschaft zur Entscheidungsfindung gelähmt.
Vitalisierend wirkt das Dilemma des ANC auf die Oppositionsparteien, die in ungewohnter Einigkeit am roten Teppich des Staatpräsidenten ziehen. Gemeinsam haben sie inzwischen angekündigt, ihren Protest gegen Zuma vom Parlament auf die Straße zu verlegen. Sie können dabei auf die Unterstützung gesellschaftlicher Organisationen und der zunehmenden Zahl von Bürgern rechnen, die mit der Leistungserbringung der ANC-Regierung unzufrieden sind. Der Druck der Straße könnte schon bald einem zögerlichen ANC die Entscheidung über die politische Zukunft Jacob Zumas abnehmen.