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International Reports

Fluchtursachenbekämpfung in Subsahara-Afrika

by Peter Molt

Warum eine Neuorientierung deutscher und europäischer Entwicklungspolitik dringend erforderlich ist

Hinter den Auseinandersetzungen um Flüchtlinge und Migranten steht die Sorge, dass diese nicht nur ein zeitlich befristetes Problem darstellen, sondern Europa auch in Zukunft einem Migrationsdruck insbesondere aus dem Nahen Osten und Nordafrika aber auch aus Subsahara-Afrika ausgesetzt sein könnte. Antrieb für die Migration aus Subsahara-Afrika ist dabei vor allem der eklatante Mangel an Arbeitsplätzen für eine rasant wachsende Zahl junger Menschen. Um die Massenmigration nach Europa einzudämmen, bedarf es einer grundlegenden Umorientierung der deutschen und europäischen Entwicklungspolitik.

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In vielen Staaten Subsahara-Afrikas ist die Wirtschaft im letzten Jahrzehnt zwar stetig gewachsen, der größere Teil der Bevölkerung profitiert davon aber wenig oder gar nicht. Dadurch hat sich die Ungleichheit vertieft und die sozialen Konflikte sind unversöhnlicher geworden, vor allem weil es nicht genügend neue produktive Arbeitsplätze für den aus dem unverändert hohen Bevölkerungswachstum resultierenden Zustrom junger Menschen gibt. Diese Diskrepanz wird in den nächsten Jahrzehnten aller Voraussicht nach noch größer werden. Europa kann sich zwar gegen Einwanderung illegaler Migranten abschotten, aber es muss damit rechnen, dass dadurch die politische Instabilität zunimmt, es zu schweren Unruhen sowie dem Verfall der öffentlichen Ordnung kommt und sich daraus ernste Belastungen seiner Sicherheit und Wirtschaft, aber auch der globalen Vereinbarungen zu Umwelt- und Klimaschutz ergeben können. Aus der derzeitigen Zuwanderung von Wirtschaftsmigranten könnte ein reißender Strom von Flüchtlingen werden.

Die Europäische Kommission und vor allem die Regierungen Frankreichs und Deutschlands sind dabei, dieser Herausforderung durch einen vernetzten Ansatz zur Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu begegnen. Bundesentwicklungsminister Müller sagte dazu im Bundestag am 21. März 2018: „Wir übernehmen Verantwortung in der Welt, und das mit einem vernetzten Handlungsansatz: Außenpolitik, Sicherheit und Entwicklung. (…) Entwicklungspolitik hat in der heutigen Zeit einen vollkommen neuen Stellenwert bekommen“.

Entwicklungspolitik als Teil der nationalen Sicher-heits- und Außenpolitik? Tatsächlich ist diese Verbindung nicht neu. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit verdankt ihren Anfang der Zuspitzung des Kalten Krieges zu Beginn der 1960er Jahre. Die als Entwicklungshilfe gegebenen Unterstützungen dienten dann erneut in den 1990er Jahren beim Zusammenbruch der UdSSR zur wirtschaftlichen und politischen Neuordnung Ost- und Südosteuropas. Heute wird unter den Zwängen des Migrationsdruckes und der terroristischen Bedrohungen erneut eine solche Vernetzung erforderlich. Ob die Entwicklungszusammenarbeit zur Befriedung und zum Wiederaufbau in Nordafrika und im Nahen Osten einen nennenswerten Beitrag leisten kann, ist fraglich. In Subsahara-Afrika kann sie dagegen versuchen, auf die Ursachen der illegalen Migration nach Europa Einfluss zu nehmen.

Ein erster Schritt dazu erfolgte Ende Juni 2017, als die europäischen Regierungschefs das Projekt eines neuartigen europäischen Bündnisses zur Sicherheit und Verteidigung für Einsätze, welche die NATO nicht übernehmen kann oder will, grundsätzlich billigten. Der von Frankreich und Deutschland unterstützte Vorschlag hatte dabei vor allem die islamistische Bedrohung im Sahel im Blick, die heute, wie einer der führenden französischen Fachleute für Afrika befürchtet, ein Pulverfass geworden ist, das jederzeit explodieren kann.

Durch den Migrantenstrom über das Mittelmeer hat sich auf jeden Fall der deutsche Blick auf Afrika verändert. Der ferne Kontinent ist plötzlich nah. Deutschland verstärkte seinen 2013 begonnenen Militäreinsatz in Westafrika und erhöhte seine Mittelzusagen für die Region. Für den Sahel ist die Vernetzung zwischen Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik damit eingeleitet.

Migrationstreiber Demografie

Die Perspektive, dass Subsahara-Afrika in den nächsten Jahrzehnten eine besondere Herausforderung für die deutsche Politik ist, gründet sich auf das Faktum, dass es dort für die heutige Generation junger Erwachsener, aber auch für die nächste Generation, die ja schon geboren ist, viel zu wenig Arbeitsplätze gibt.

Noch um 1970 galt Subsahara-Afrika als gering besiedelt und das kräftige Bevölkerungswachstum wurde als ein seine Wirtschaft stärkendes Element angesehen. Allerdings begann die Wirtschaftsmigration aus Afrika nach Europa schon in der letzten Phase der Kolonialherrschaft und verstärkte sich nach der Unabhängigkeit durch die Anwerbung von Gastarbeitern. Damit wurde einerseits der Arbeitskräftebedarf Europas befriedigt, andererseits sah man darin auch einen positiven Beitrag für die Entwicklung Afrikas, weil die Migranten Qualifikationen erwarben, die sie nach ihrer Rückkehr nutzbringend einsetzen konnten, oder weil sie, wenn sie in Europa blieben, durch ihre Rücküberweisungen (remittances) an Verwandte zusätzliche Kaufkraft in ihren Herkunftsländern schufen.

Mit der Integration der Migranten gab es allerdings zunehmend Probleme, wie die wiederkehrenden Unruhen in den Banlieues von Paris zeigen. Bei den Neuverhandlungen der Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den AKP-Staaten Ende des letzten Jahrhunderts, die zur Cotonou-Konvention führten, wurden diese verpflichtet, illegale Einwanderer zurückzunehmen. In der Praxis bewirkte das aber wenig, weil die Herkunftsstaaten kein Interesse daran hatten und deshalb entsprechende Anträge verschleppten, aber auch, weil bis zum Zerfall Libyens und der Öffnung der mittleren Mittelmeerroute die Zahl der Migranten überschaubar war.

Die Brisanz fehlender Arbeit für Millionen junger Afrikaner wurde von den europäischen Institutionen und Regierungen erst spät erkannt. Die afrikanische Demografie weist dabei viele unbekannte Aspekte auf. Die Wachstumsraten der Bevölkerung sind je nach Land sehr unterschiedlich, was mit unterschiedlichen Traditionen, Religionen, aber auch mit ethnischen und sozialen Spannungen erklärt werden kann. Ob z. B. die remittances an Familienangehörige dazu führten, für diese Einnahmequelle möglichst viele Kinder einst nach Europa schicken zu können, lässt sich nur vermuten. Dagegen ist unbestreitbar, dass das im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit verbesserte Gesundheitswesen zum Bevölkerungswachstum erheblich beitrug.

So ist heute das rasante Bevölkerungswachstum Afrikas eine der großen globalen Herausforderungen. Neue Berechnungen der Vereinten Nationen sind alarmierend. Die Bevölkerung Afrikas wird nach derzeitigem Trend – von zurzeit einer Milliarde Einwohnern auf 1,8 bis 2,3 Milliarden Einwohner im Jahr 2050 wachsen. Während zurzeit die Bevölkerungsdichte in Afrika mit 42,4 Einwohnern je Quadratkilometer – angesichts der großen unbewohnbaren Wüstenflächen – bereits relativ hoch ist, könnte sie bis 2100 mit 150,7 Einwohner das asiatische Niveau (145,1 Einwohner je Quadratkilometer) übertreffen. Die Zunahme der Weltbevölkerung vollzieht sich zurzeit fast ausschließlich in Afrika.

Was dies bedeutet, kann am Beispiel der Republik Niger gezeigt werden. Dort haben Frauen im Durchschnitt mehr als sieben Kinder. Niger hatte 1960 gerade dreieinhalb Millionen Einwohner, heute leben dort über 20 Millionen. Bis 2050 dürfte die Bevölkerungszahl auf 68 Millionen steigen, und das in einem Land, in dem sich nur acht Prozent der Fläche für die Landwirtschaft eignen.

Das Thema des Bevölkerungswachstums ist in den Verhandlungen um die Entwicklungszusammenarbeit immer noch ein Tabu. Projekte der Familienplanung stießen auf den Widerstand traditioneller und religiöser Kreise. Die Erfahrung aus anderen Kontinenten, dass wachsende Mittelschichten und bessere Schulbildung von Mädchen zu einer geringeren Geburtenrate führen, gilt in Afrika, wenn überhaupt, nur in viel längeren Zeiträumen. Es war deshalb eine Premiere, dass angesichts der jetzigen Flüchtlingskrise das Bevölkerungswachstum erstmals ein wichtiges Thema für die Gespräche am Rande des Europa-Afrika-Gipfels im November 2017 in Abidjan war. Angeblich versprach der Staatspräsident der Elfenbeinküste, Alessane Ouattara, dass die afrikanischen Regierungen sich bemühen wollten, in dieser Hinsicht bis 2030 sichtbare Erfolge zu erzielen. Als der französische Präsident Macron jedoch einige Tage später in einer Rede in Ougadougou das Thema ansprach, wurde er nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch vom damaligen Präsidenten der Afrikanischen Union (AU) und Staatspräsidenten von Guinea, Alpha Condé, des üblen kolonialistischen Rassismus bezichtigt. Die Aussichten, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit hierfür einen grundsätzlichen Gesinnungswandel zu erreichen, sind gering. In der afrikanischen Politik lässt sich damit nichts gewinnen, sondern allenfalls Ärger einhandeln.

Politischer Vertrauensverlust als Migrationstreiber

Ein zweiter Faktor, der zur Migration motiviert, ist das fehlende Vertrauen in die politische Führung. Der große Enthusiasmus, der nach der Unabhängigkeit vor 50 Jahren für ihre neuen Staaten vorhanden war, ist bei der ländlichen Bevölkerung und der städtischen Unterschicht einer allgemeinen Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar einem tiefen Misstrauen gegenüber der politischen Führung gewichen. Der Glaube an eine bessere Zukunft ist geschwunden. Das Leben eines großen Teils der Bevölkerung ist immer mehr vom Kampf ums Überleben bestimmt. Hunger auf dem Lande und erbärmliche Slums in den inzwischen entstandenen Megastädten lassen die Versprechungen der Regierungen hohl erscheinen. Zwar ist auch in Subsahara-Afrika der Prozentsatz der Menschen in absoluter Armut von 60 Prozent im Jahr 1993 auf 50 Prozent im Jahr 2018 zurückgegangen, aber die absolute Zahl der absolut Armen stieg von 330 Millionen auf 399 Millionen an. Weil das Wirtschaftswachstum hauptsächlich der Mittel- und Oberschicht zu Gute gekommen ist, ist der Abstand zwischen Reich und Arm größer geworden.

Das fehlende Vertrauen, dass sich daran in absehbarer Zukunft etwas ändern wird, beflügelt die Entscheidung, woanders sein Glück zu suchen. Insgesamt dürften seit 2010 aus Subsahara-Afrika mindestens eine Million nach Europa und über 400.000 Menschen in die USA ausgewandert sein. Fehlende Arbeit und Chancen, die Situation der Familie, aber auch ethnische und religiöse Benachteiligung sowie die Korruption und Willkür im politischen System tragen dazu bei. Die Nachrichten von Verwandten und Bekannten, denen es gelungen ist, außerhalb des Kontinents Fuß zu fassen, sind ein wichtiges Pull-Element. In einer Umfrage gaben 78 Prozent der befragten Senegalesen respektive 53 Prozent der Ghanaer an, in regelmäßigem Kontakt mit Verwandten und Freunden in Europa und den USA zu stehen. Viele Migranten sind relativ gut ausgebildet, aber haben keine entsprechenden „Beziehungen“, um vor Ort einen Job im formellen Sektor der Verwaltung oder Wirtschaft zu bekommen.

Wirtschaftliches Wachstum und größere natürliche Ressourcen eines Landes reduzieren daher nicht unbedingt die Zahl der Migranten. So gehören potenziell prosperierende Länder wie Angola, DR Kongo, Kenia, Ghana und Kamerun zu den Ländern mit relativ vielen Auswanderern. Die PEW-Studie zeigte, dass in Ghana und Nigeria, aber auch in Kenia und Südafrika mehr als die Hälfte der Befragten sich vorstellen könnten, in ein anderes Land, das mehr und besser bezahlte Jobs bietet, auszuwandern. In Nigeria, Ghana und Senegal gaben 40 Prozent der Erwachsenen an, in den nächsten fünf Jahren auswandern zu wollen. Dass dies ernst gemeint ist, zeigt, dass sich 2015 1,7 Millionen (!) Ghanaer mit Sekundarschulabschluss für ein Einwanderungsvisum des diversity visa program der USA bewarben.

Neue Schwerpunkte und mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit?

Angesichts der Millionen junger Menschen, die in ihrer Heimat keine Zukunft für sich sehen und an Auswanderung denken, kann eine geregelte Einwanderung durch Einwanderungsgesetze, die nur begrenzte Kontingente berücksichtigen, keine Lösung für die Massenarbeitslosigkeit Subsahara-Afrikas sein. Erst recht gilt das für die illegale Migration. Die Antwort kann deshalb nur sein, so viel wie immer möglich Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen. Das bedeutet eine entsprechende Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit. Dabei geht es sicher um mehr Mittel. Erforderlich sind aber vor allem neue Strategien und Instrumente. Die inhaltliche Diskussion darüber ist jedoch leider bisher noch wenig konkret und kreativ.

Auch in Afrika selbst gibt es gewichtige Stimmen für eine Neuorientierung. So hat der frühere Präsident Nigerias und Präsident der AU, Olusegun Obasanjo, eine radikale Reform gefordert. Der ruandische Präsident Paul Kagame, seit kurzem Präsident der AU, sieht die Notwendigkeit einer größeren Eigenständigkeit gegenüber dem Heer nicht afrikanischer Berater.

Die Europäische Kommission sieht jedenfalls neuerdings die Hauptaufgabe ihres Engagements in Afrika in der Förderung anspruchsvollerer Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Menschen. Eine Industrialisierung mit mehr und besseren Jobs und wachsender Produktivität müsse das übergeordnete Ziel werden. Wie sie sich das im Detail vorstellt, ist bis jetzt nicht bekannt. Auch die Bundesregierung hat eine Erhöhung der Mittel versprochen. Geld ist allerdings nur eine Seite einer Neuorientierung, wichtiger wäre es über die Schwerpunkte und Methoden zu sprechen. Da der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung vom 24. Februar 2018 inhaltlich auf die europäische Entwicklungspolitik verweist, fehlen Details. Der vom BMZ veröffentlichte „Marshallplan mit Afrika“ lässt viele Fragen offen, unter anderem auch, wie und inwieweit die Mittel in Zukunft konzentriert werden, welche inhaltlichen Schwerpunkte gesetzt und welche neuen Instrumente eingeführt werden.

Intensivierung der Landwirtschaft

Regierungen, Verwaltungen, Ober- und Mittelschichten gingen bis vor wenigen Jahren davon aus, dass die wachsende Bevölkerung auch in Zukunft ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft finden würde. Ihre Modernisierung war nach der Unabhängigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit der Schwerpunkt, zunächst allerdings weitgehend konzentriert auf die in der Kolonialzeit eingeführten Ausfuhrprodukte (cash crops), wie Kaffee, Kakao, Tee, Tabak etc. Ihre Erlöse waren wichtig für die Handelsbilanz, aber auch für die Finanzierung des Staatsapparats. Später wurde dann auch versucht, die traditionelle Land- und Viehwirtschaft durch Beratung und auch durch Erschließung neuen Landes produktiver zu machen. Der Anbau der cash crops litt zwar unter der zunehmenden Konkurrenz neuer Anbieter auf den Weltmärkten, blieb aber bis heute ein wichtiger Bestandteil des Exports. Bei der Verbesserung der traditionellen Landwirtschaft blieb der Erfolg dagegen bescheiden, die vorherrschende Kleinbauernwirtschaft konnte aus der sogenannten Grünen Revolution, die vor allem in der Einführung verbesserten Saatguts bestand, keinen Vorteil ziehen. Die Finanzierung der Maßnahmen erfolgte mehrheitlich über Entwicklungsprojekte. Wegen der geringen Effektivität verringerten dann die Geber die direkte Subventionierung und setzten auch hierfür im Rahmen der Strategie der Strukturanpassung auf die Kräfte des Marktes. Als nach der Jahrtausendwende die Vereinten Nationen die Armutsbekämpfung zum vorrangigen Ziel erklärten, bedeutete dies einen neuen Richtungswechsel. Damals verpflichteten sich alle Mitgliedstaate

n der AU, mindestens sechs Prozent Wachstum im Agrarsektor zu erzielen und dafür mindestens zehn Prozent der nationalen Haushalte einzusetzen.

Wegen ihres großen Wachstums reicht die Produktion von Agrarprodukten für die Bevölkerung schon jetzt nicht mehr aus; dies zeigte sich bereits in der Nahrungsmittelkrise 2007 / 2008. Inzwischen muss Subsahara-Afrika etwa ein Viertel seiner benötigten Nahrungsmittel einführen. Der Bedarf wird in Zukunft weiter steigen: Schon heute sind einige hundert Millionen Menschen unterernährt. Es ist nicht sicher, ob es in Subsahara-Afrika in den kommenden Jahrzehnten gelingt, die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung zu sichern.

Als Maßnahme dafür käme theoretisch eine weitere Ausdehnung der landwirtschaftlichen Anbauflächen infrage, womit auch neue Arbeitsplätze entstehen würden. Das Potenzial der Neulandgewinnung ist jedoch von Region zu Region verschieden. Seine Nutzung würde vielfach größere Umsiedlungen erfordern. Die gab es bereits in der Kolonialzeit mit zum Teil problematischen Langzeitfolgen. Heute dürften sie auf den entschiedenen Widerstand der ansässigen Bevölkerung stoßen und die bereits jetzt vielfach bestehenden Landkonflikte verschärfen. Auch ist umstritten, inwieweit die Vergrößerung der angebauten Landflächen mit der Erhaltung der Umwelt und des Klimaschutzes zu vereinbaren ist. Und schließlich sehen auch viele junge Menschen in der Landwirtschaft keine Zukunft mehr und ziehen das moderne Leben in der Stadt vor.

Nun soll ein neuer Anlauf eines Technologietransfers für die kleinbäuerlichen Betriebe erfolgen. Ob das mehr Erfolg hat als die bisherigen Ansätze, ist fraglich. Warum trotz jahrzehntelanger Förderung von Genossenschaften und neuer agrartechnischer Programme die Kleinbauernwirtschaft Subsahara-Afrikas sich bisher kaum modernisiert hat, bleibt ein Rätsel. Es liegt offenbar weder am agrartechnischen Wissen noch am Geld, sondern eher an den lokalen politischen und sozialen Strukturen und am Interesse der Regierungen, die Nahrungsmittelpreise in den Städten niedrig zu halten. Dies ermöglichen ihnen die globalen Märkte, aber auch die Ernährungssicherungsprogramme der Geber.

Die bestehenden Hemmnisse werden, wenn überhaupt, nur schrittweise überwunden werden können. Deshalb werden sich die landwirtschaftlichen Produktionssysteme nur langsam weiterentwickeln, und auch dies nur unter der Voraussetzung, dass der Prozess durch staatliche Schwerpunktsetzungen und Fördermaßnahmen unterstützt wird. Fachleute hoffen, mit der integrierten Bewirtschaftung, d. h. mit dem vermehrten Gebrauch von Dünger, verbessertem Saatgut und der Mechanisierung, den Durchbruch erzielen zu können. Auch Bewässerungsprojekte könnten eine bedeutende Rolle spielen, denn bisher werden nur vier Prozent des geeigneten Landes in Subsahara-Afrika gegenüber 35 Prozent in Asien und 15 Prozent in Lateinamerika bewässert. Vorangetrieben wird die Reform allerdings durch den seit einigen Jahren praktizierten Kauf und die Bewirtschaftung größerer landwirtschaftlicher Flächen durch überwiegend ausländische Investoren, bisher vor allem in Äthiopien, Mosambik und Madagaskar. Dieser als land grabbing umstrittene Prozess leistet bereits jetzt einen nennenswerten Beitrag zur lokalen Nahrungsmittelversorgung. Die politischen und rechtlichen Voraussetzungen dafür sind allerdings sehr unterschiedlich. In Ruanda z. B. versucht die Regierung die Modernisierung durch eine Kombination von Kleinbauerngenossenschaften und Verpachtung von Staatsland an moderne Betriebe. Das Ergebnis all dieser Programme ist ungewiss. Der Weltagrarbericht prognostiziert in Subsahara-Afrika bis 2050 keine substanzielle Verbesserung gegenüber heute. Landmangel, abnehmende Bodenfruchtbarkeit, häufige Dürren, niedrige Erträge, Schädlingsbefall, Tier- und Pflanzenkrankheiten, Nach-Ernte-Verluste und mangelhafte Bewirtschaftungspraktiken würden weiterhin die Landwirtschaft bestimmen. Die neuen Programme könnten zwar die Produktion etwas erhöhen, aber kaum zu mehr Arbeitsplätzen beitragen. Es sei sogar eher ein Rückgang der Zahl der Beschäftigten zu befürchten. Einen gewissen Ausgleich könnten allenfalls die mit der Modernisierung verbundene Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und der Handel bringen.

Mehr Jobs außerhalb der Landwirtschaft

Neue Infrastrukturprojekte verschaffen Arbeitsplätze zum Teil in der Form staatlicher Beschäftigungsprogramme (cash-for-work), aber auch hier setzen die Kosten und der Einsatz von Maschinen Grenzen. Alle diese Maßnahmen werden angesichts der Größe des Arbeitsangebots nur ein Teil des Problems lösen. Viele Millionen junger Afrikaner verdienen heute ihren Lebensunterhalt im Kleinhandel, in einfachen Dienstleistungen und im Kleinhandwerk, aber ihre Arbeit ist nicht produktiver als die in der Subsistenzlandwirtschaft. In den anderen Kontinenten stärken Städte das wirtschaftliche Potenzial, in Subsahara-Afrika sind sie dagegen wegen der mangelnden Produktion, der Slumbildung und der Kosten für die aufwendige städtische Infrastruktur eine Belastung für die Wirtschaftsleistung.

Das Fehlen von Jobs in der Industrie wurde früher in den Rohstoffe produzierenden Ländern durch die Beschäftigung im Bergbau kompensiert. In den letzten Jahren ist die Zahl der Bergarbeiter infolge wirtschaftlicher und politischer Schwierigkeiten stark zurückgegangen. Selbst wenn Absatz und Preise wieder steigen, ist mit einer Vermehrung der Jobs kaum zu rechnen, da moderne Technik und Mechanisierung auch den Arbeitskräftebedarf im Bergbau reduzieren.

Die Mehrheit der Ökonomen glaubt heute nicht mehr, dass Afrika ohne verarbeitende Industrie wirtschaftlich vorankommen kann. Selbst die Vereinten Nationen haben trotz Vorbehalten die Arbeitsbeschaffung durch Industrialisierung in der neuen globalen Nachhaltigkeitsagenda (Sustainable Development Goals, SDGs) als Ziel deklariert.

Dass für das rapide Bevölkerungswachstum in vielen Regionen nicht genügend neue produktive und dauerhafte Arbeitsplätze vorhanden sein werden, war seit Jahrzehnten vorherzusehen. Man kann natürlich fragen, warum die afrikanischen Regierungen, die regionalen und internationalen Organisationen sowie die in der OECD zusammenarbeitenden Geberländer dagegen nichts unternommen haben. Die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Akteure führten hier zu verhängnisvollen Versäumnissen. Welche Szenarien gibt es heute für eine späte Korrektur?

Ausländische Investitionen

Hoffnungen richten sich zunächst auf die Investitionspolitik der Volksrepublik China. Das in den letzten Jahrzehnten forcierte Engagement hat sie zum bedeutendsten Handels- und Wirtschaftspartner des Kontinents gemacht. China bezieht vor allem eine große Menge an Rohstoffen. Neben dem Kaufpreis investiert es in die erforderlichen Anlagen und gibt Kredite für Infrastrukturprojekte. Viele dieser Vorhaben werden durch chinesische Firmen mit etwa 250.000 Arbeitskräften realisiert. Immer mehr Chinesen sind auch im Dienstleistungssektor tätig. Insgesamt beträgt ihre Zahl in Subsahara-Afrika etwa eine Million. Diese „Immigration“ widerspricht allerdings den Erwartungen der Regierungen, dass das Engagement Chinas sich in Arbeitsplätzen für ihre eigenen Staatsbürger niederschlage. Erst vor Kurzem begannen auch chinesische Industriefirmen, afrikanische Arbeiter zu beschäftigen, weil für die Produktion billiger Massenware die Lohnkosten in China selbst zu hoch geworden sind. Das chinesische Engagement wird aber für den afrikanischen Arbeitsmarkt nur eine begrenzte Entlastung bringen, vor allem auch deshalb, weil die aus China eingeführte Massenware den Aufbau afrikanischer Industriebetriebe verhindert. Die Chinesen investieren in Südafrika und Äthiopien sowie vereinzelt in Ghana, Nigeria, Senegal und Kenia, weil sie bei der Suche nach neuen Märkten dort Fuß fassen wollen und sich strategisch einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz der westlichen Industrieländer versprechen. Für die Erwartung, dass chinesische Investoren flächendeckend „Industriekerne“ aufbauen würden, gibt es bisher keine Hinweise.

Eine weitere Erwartung für die Beschaffung von Arbeitsplätzen richtet sich auf private ausländische Investitionen (Foreign Direct Investment, FDI). Afrikanischen Regierungen erinnern sich der schlechten Erfahrungen mit staatseigenen Unternehmen in der nach 1980 durch „Strukturanpassung“ beendeten ersten Industrialisierungsphase. Sie befürchten, dass auch private lokale Unternehmen sich auf den globalen Märkten nicht behaupten können. Die Befürworter von FDI gehen davon aus, dass trotz aller Schwierigkeiten einerseits das Entwicklungspotenzial Afrikas große Chancen bietet und andererseits global so viel langfristiges Kapital vorhanden ist, dass ein Bruchteil davon ausreichen würde, die entsprechenden Investitionen in Subsahara-Afrika zu finanzieren. Für die deutsche Wirtschaft, die sich bisher außer in Südafrika kaum in Afrika engagiert hat, hat die Bundesregierung mit dem Compact with Africa ein eigenes Förderprogramm eingerichtet. Andere Industrie- und Schwellenländer sind stärker engagiert, aber insgesamt hat FDI bisher nur 600.000 Arbeitsplätze geschaffen, ein ansehnlicher Beitrag, aber viel zu gering angesichts der Millionen, die Arbeit suchen. Für eine erfolgreiche Industrialisierung, die auf Dauer in einem signifikanten Umfang Beschäftigung schafft, können ausländische Investitionen Vorbild sein und wichtige Anregungen und Impulse geben, sie können aber nicht eine von Afrikanern selbst getragene Industrie ersetzen.

Hindernisse für eine arbeitsintensive Industrialisierung

Der Gründung privater Unternehmen in afrikanischer Hand steht in den meisten Ländern die Unsicherheit des Eigentums, des Rechtswesens und damit der Kreditwürdigkeit entgegen. Afrikanische Gesellschaften sind von offenen und verdeckten Machtkämpfen zerrissen, Recht und Eigentum sind dadurch stetig gefährdet. Entgegen der gängigen Meinung sind gerade auch diktatorisch regierte Staaten politisch alles andere als zukunftssicher. Dafür gibt es in Afrika immer wieder neue Beispiele. Viele Jahrzehnte lang galt Kamerun als ein stabiles Land, jetzt gibt es dort schwere politische Auseinandersetzungen. Staaten wie die Elfenbeinküste, Ghana, Kenia, Uganda, Angola und Nigeria, um nur die wichtigsten potenziellen Industriestaaten zu nennen, haben eine turbulente politische Geschichte mit Putschen und Bürgerkriegen hinter sich, und es ist keineswegs sicher, ob sie ihre internen sozialen und politischen Konflikte überwunden haben oder ob diese nur vorübergehend unsichtbar geworden sind. Aus den zerfallenden Staaten Südsudan, Zentralafrikanische Republik, Eritrea, Somalia und Burundi gibt es keine Fortschritte zu berichten, die politischen Entwicklungen des bevölkerungsreichen Nigeria und der rohstoffreichen Demokratischen Republik Kongo sind unsicher. Die meisten afrikanischen Staaten zeichnen sich unbeschadet der jeweilig aktuellen Machtverhältnisse durch eine politische und soziale Instabilität aus. Nur in Botswana, Südafrika, Namibia und Malawi sind die Risiken für Investitionen aus dem Ausland einigermaßen akzeptabel.

Für die Gründung lokaler, verarbeitender Industriebetriebe in afrikanischer Hand sind die politischen Risiken allerdings noch sehr viel größer: „Afrikanische Unternehmen müssen zahlreiche Hindernisse überwinden. Neben den bekannten Herausforderungen Korruption, fehlerhafte Finanzierung, kleine Binnenmärkte und unzuverlässige Infrastruktur ist die fragmentierte räumliche Form typischer afrikanischer Städte ein weniger offensichtliches Hemmnis. Sie belastet Unternehmen mit hohen Kosten, da sie Agglomerationseffekte beschränkt und hohe Löhne erforderlich macht. Daher haben afrikanische Unternehmen im Prinzip nur die Möglichkeit, nicht handelbare Güter (im Wesentlichen Dienstleistungen) zu produzieren. Dies hemmt den Aufbau einer verarbeitenden Industrie und perpetuiert das niedrige Wachstum afrikanischer Städte. Zudem sind aufgrund der schwachen Leistung des industriellen und des Dienstleistungssektors die meisten Menschen in Städten in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig“.

Eine weitere Hürde ist die Wiederbelebung der zentralen Planung. Sie war das Instrument, das in der Periode der Entkolonialisierung die Entwicklung steuern sollte, dabei aber weitgehend versagte. In der nächsten Phase setzten dann Weltbank und IWF die neoliberalen Strukturanpassungsprogramme durch. Nunmehr schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung. In dem im Wesentlichen von Beratern des IWF erarbeiteten Entwicklungsplan für die Republik Niger 2017 bis 2021 wird z. B. gefordert, die Verfahrensweisen und Mentalitäten der Wirtschafts- und Finanzpolitik grundlegend zu verändern. Nur dadurch sei es möglich, die Ziele des Plans zu erreichen. Dieser enthält eine umfassende Liste der Infrastrukturprojekte und staatlichen Aktivitäten für die nächsten vier Jahre. Der Plan, für den die internationalen Organisationen, die westlichen Geber, arabischen Entwicklungsfonds etc. nicht weniger als 22 Milliarden US-Dollar zusagten, ist bezüglich der Rolle der staatlichen Planung zu den alten Modellen der zentralen Wirtschaftsplanung zurückgekehrt, allerdings mit der bemerkenswerten Änderung, dass erwartet wird, dass die bereitgestellte Infrastruktur entsprechend privates Kapital für Industrie und Handel anzieht. Es ist jedoch sehr fraglich, ob diese Rechnung aufgeht. Sie dient eher den Eigeninteressen der internationalen und nationalen Entwicklungsbürokratie, die bereit sind, die Hindernisse zu unterschätzen, nämlich die Unberechenbarkeit der politischen Kräfte, das mangelnde Funktionieren der oft korrupten öffentlichen Dienste sowie die Schwerfälligkeit der Geberkoordination und der finanzierenden Institutionen.

Ein Durchbruch zur Entwicklung einer arbeitsintensiven Industrie ist mittelfristig unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu erwarten. Die meisten Länder werden allenfalls geringe Direktinvestitionen aus dem Ausland erhalten. Die moderne Privatwirtschaft mit stabilen Arbeitsbeziehungen ist so klein, dass selbst Wachstumsraten des BIP zwischen fünf und zehn Prozent über mehrere Jahre nicht ausreichen würden, um die große Zahl der prekär Beschäftigten und Arbeitslosen zu integrieren. Unter den derzeitigen Bedingungen wird aber die Industrialisierung selbst in Ländern wie Nigeria, Äthiopien und sogar Südafrika nur langsam fortschreiten. In den meisten anderen Ländern, vor allem in den kleinen Ländern und den Binnenstaaten, dürften die mangelnden Gewinnaussichten, zu kleine Märkte und ein hohes politisches Risiko Direktinvestitionen aus dem Ausland entgegenstehen.

Perspektiven einer veränderten Entwicklungspolitik

Der Glaube, dass die Entwicklungszusammenarbeit in Subsahara-Afrika zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beitragen könnte, ist bei fast allen damit Befassten in Pol

itik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft geschwunden. Das ist in Bezug auf die Ziele und Umsetzung der Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahrzehnten verständlich. Sie führte zwar zu vielfachen lokalen Veränderungen, aber das politische und wirtschaftliche System änderte sich nicht grundlegend. Negative Entwicklungen wurden nicht aufgehalten. Für diejenigen, die Entwicklungshilfe grundsätzlich als eine Verschwendung ihrer Steuergelder halten, muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass sie als soft power dem internationalen Ansehen und Status Deutschlands nach wie vor zugutekommt.

Die bisherige Diskussion um die Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit ist jedoch überholt. Durch den Migrationsdruck, die Einnistung des islamistischen Terrorismus und der weiteren politischen Destabilisierung in Subsahara-Afrika sind die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik unmittelbar betroffen. Entwicklungspolitik als Teil der vernetzten Sicherheits- und Außenpolitik hat die vordringliche Aufgabe dabei mitzuwirken, den Migrationsdruck zu vermindern, den Terrorismus und die internationale Kriminalität zu unterbinden, die weitere politische Destabilisierung der Staaten zu verhindern und dort eine nachhaltige Klima- und Umweltpolitik zu ermöglichen.

Dies erfordert und rechtfertigt eine substanzielle Erhöhung und Konzentration der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit. In sechs Jahrzehnten Entwicklungszusammenarbeit wurden vielfache Erfahrungen gewonnen, die für die neuen Zielsetzungen genutzt werden können. Es gab aber auch grundlegende Mängel. Das Engagement der Geber entsprach oft nicht den eigentlichen Bedingungen und Erfordernissen vor Ort. Es diente trotz aller verbalen Bekenntnisse nicht der Verbesserung der Lebensverhältnisse der breiten Massen, es ermangelte auch all zu oft einer wirklich genauen Kenntnis ihrer Bedürfnisse. Die Geber tendierten dazu, das zu sehen, was sie sehen wollten. Sie zwangen dabei den afrikanischen Partnern Strategien auf, die zu einem Zickzack-Kurs für deren Wirtschaftsförderung und einer entsprechenden Geldverschwendung führten. So unterstrich die Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht 2008 den absoluten Vorrang der Entwicklung der Landwirtschaft, um dann im Weltentwicklungsbericht 2013 die Botschaft zu verkünden, dass ohne Industrialisierung und Urbanisierung die Beschäftigungskrise Subsahara-Afrikas nicht gelöst werden könne. Es ließe sich eine lange Liste ähnlicher Widersprüche erstellen.

Noch schwerwiegender waren allerdings die Fehlentwicklungen bei den afrikanischen Partnern. Sie sind durch die stereotyp wiederholte Schelte der Eliten bekannt, die für Korruption, Autoritarismus und Tribalismus verantwortlich gemacht werden. Seltener werden die Motive, Ansichten und Verhalten der unteren Volksschichten thematisiert. Erst neuerdings wird in manchen Dokumenten deutlich gesagt, dass ohne eine radikale Änderung des Verhaltens und der Ansichten der einfachen Leute wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt kaum erzielt werden kann. Es fehle an der Verpflichtung gegenüber dem Staat, der Verantwortung für die öffentlichen Güter und einer verantwortlichen Familienplanung. Das Arbeitsethos und Werte-bewusstsein vor allem im öffentlichen Dienst seien brüchig. Insgesamt herrsche in weiten Teilen der Bevölkerung die passive Mentalität von Almosenempfängern vor.

Man könnte dieser Beschreibung noch hinzufügen, dass sich die Bevölkerung in Notfällen nicht mehr auf die eigene Regierung verlässt, sondern internationale Hilfe als Selbstverständlichkeit erwartet. Die politische Führung folgt diesem Beispiel mit der Variante, dass sie von den Gebern eine Kompensation für deren Fehlverhalten und Schuld in der Vergangenheit einfordert, für die Sklaverei, die Kolonisierung, ungerechte Handelsstrukturen, den Klima-wandel etc.

Wie können unter diesen Bedingungen die Regierungen ihre Bevölkerung für ihre Pläne – wie die „Wiedergeburt der Republik Niger“, die „Vision Burundi 2025“ oder ähnliche Programme – mobilisieren? Wie können sie die ehrgeizigen Ziele erreichen, den kommenden Generationen produktive Arbeit und bessere Lebensbedingungen zu verschaffen? Was können die Geber dazu beitragen und damit den Migrationsdruck auf Europa verringern?

Als ein Ausweg aus dem Dilemma der Dringlichkeit eines Strategiewechsels und der Schwierigkeiten der Realisierung bietet sich die Konzentration auf den Aufbau industrieller Kerne an. Einen solchen Ansatz, industrielle Zentren zur Verbindung zwischen der lokalen Wirtschaft und den globalen Wertschöpfungsketten zu schaffen, enthält die Strategie der Afrikanischen Union 2063.Detaillierter im Hinblick auf eine arbeitsintensive Industrialisierung ist das von dem New Yorker Wirtschaftswissenschaftler und früheren Chefökonomen der Weltbank, Paul Romer, erarbeitete Modell der Charter City, einer Stadt, in der gleiches Recht und Chancen für alle gelten, neue Wege ohne lange Beratungen und Abstimmungen von Behörden und vor allem ohne Korruption eingeschlagen werden können, die Standpunkte der Betroffenen Gehör finden, bessere Wege der Unterstützung von außen und bessere Dienste und Angebote versucht werden können und die in der Energieversorgung und im Transportsystem ressourcenschonend geplant ist. Nur so würden die Voraussetzungen für eine dynamische, unternehmerische Wirtschaft geschaffen, wobei die Zuständigkeit der Selbstverwaltung sich nur auf die Sicherung der Grundlagen für Wirtschaftsbetriebe beschränkt und damit auch für unbedingt auf ihrer Souveränität bestehende Regierungen akzeptabel sein sollte. Gute Regierungsführung sei die Voraussetzung für jede wirksame Hilfe, aber es sei möglich, sie in ihren essenziellen Bedingungen auf den Wirtschaftssektor zu beschränken, wie das erfolgreiche Beispiel der Stadt Shenzhen in der Volksrepublik China zeige.

Die Überlegungen Romers galten lange Zeit als unrealistisch.Heute wiegen die Argumente der damaligen Kritik durch die Flüchtlings- und Migrationsströme weniger schwer. Führende Wissenschaftler haben die Idee von Modellstädten aufgegriffen, weil sie Migrantenströme steuern und Krisenregionen Perspektiven geben könnten und den Migranten die Möglichkeit einräumten, in einem geschützten Raum ihre Zukunft selbst zu gestalten. Im Rahmen des Dialogs weltweiter Forschungsinstitute vor dem G20-Gipfel in Hamburg 2017, der Think20 Engagement Group, schlug der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower, die Unterstützung von Sonderwirtschaftszonen als einen Lösungsansatz für das Flüchtlings- und Migrantenproblem vor: „(W)enn die EU und andere reiche Regionen solche Sonderwirtschaftszonen subventionieren würden – durch finanzielle Transfers, Zollerleichterungen, Bildung und Ausbildung und den Aufbau von Infrastruktur – ergäbe das eine WIN – WIN – Situation. Ein solches Modell würde eine Alternative zu Migration bieten und nur einen Bruchteil dessen kosten, was aufgewendet werden muss, um Flüchtlinge fern ihrer Heimat bei uns zu integrieren“. Der G20-Gipfel griff diesen Vorschlag allerdings nicht auf, sondern wiederholte die herkömmlichen, sehr allgemeinen und die Beschäftigungssituation nicht genügend berücksichtigenden Vorschläge der G20-Partnerschaft mit Afrika.

Dies ist bedauerlich, weil angesichts der Problematik und der von ihr ausgehenden Gefahr ein Weitermachen wie bisher ein Versagen wäre vor der Herausforderung, welche die Demografie Subsahara-Afrikas für Europa darstellt. Unter dem Druck der Krise sollte es möglich sein, doch noch die möglichen Schritte auf das Ziel hin zu tun. Auf der G5-Sahel-Konferenz am 23. Februar 2018 stellten die deutsche und die französische Regierung für den Sahel eine Allianz vor, bei der militärisches Engagement mit mehr Unterstützung für die Jugendbeschäftigung, ländliche Entwicklung, Dezentralisierung, Klima und Energie verbunden werden soll. Wie bei dem deutsch-französischen Ministerrat im Juli 2017 in Paris beschlossen wurde, wollen Frankreich und Deutschland in der Afrikapolitik enger zusammenarbeiten, vor allem in der besonders gefährdeten westafrikanischen Sahelzone, die sowohl Ursprungs- als auch Durchgangsland für die Arbeitsmigranten nach Europa ist. So realitätsfern es auf den ersten Blick erscheint, sollte deshalb überlegt werden, den Sahelstaaten vorzuschlagen, die Zusammenarbeit um eine Charter City an der Atlantikküste mit einer arbeitsintensiven verarbeitenden Industrie für den regionalen Konsum zu erweitern. Vorbehalte und entgegenstehende Interessen könnten eher überwunden werden als anderswo in Subsahara-Afrika, weil diese Staaten bisher nur eine minimale Industrie haben, auf ein größeres chinesisches Engagement und bedeutendes FDI kaum hoffen können und die Arbeitslosigkeit besonders gravierend ist. An einem solchen ersten Modell einer afrikanischen Charter City könnte im Falle des Gelingens den Regierungen des Kontinents die unverzichtbaren Voraussetzungen, aber auch das Potenzial dieser Organisationform aufgezeigt werden.

Wenn der Schritt zu einer Charter City jedoch nicht gewagt wird oder nicht gelingt, sollte versucht werden, unter den jeweils gegebenen Ansatzpunkten die von der AU geforderten industriellen Zentren zu unterstützen. Allerdings dürften bei einem solchen Kompromiss die Erfolgsaussichten geringer sein, weil die Standortfrage nicht wirtschaftlich, sondern politisch entschieden wird und auch die von Romer benannten grundlegenden Bedingungen nicht voll eingehalten werden dürften.

Rückschlüsse für die deutsche und europäische Entwicklungszusammenarbeit

Fest steht: Die deutsche Entwicklungspolitik wird sich grundlegend umorientieren müssen. In Subsahara-Afrika war in der Vergangenheit Deutschlands Einfluss auf Politik und Wirtschaft gering, sowohl was die politischen Verhältnisse als auch den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt betraf. Um tatsächlich eine Wirkung seiner Vorschläge zu erzielen, wird Deutschland sein Engagement erheblich steigern müssen.

Das bezieht sich zunächst einmal auf die finanziellen Aufwendungen. Obwohl Deutschland seinen Anteil an der weltweiten öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) von zehn Prozent im Jahr 2007 auf 19,3 Prozent im Jahr 2016 gesteigert hat, blieben seine Leistungen für Subsahara-Afrika immer noch gering. Sie betrugen 2016 für Subsahara-Afrika – einschließlich Südafrika – 9,9 Prozent der Leistungen aller ODA-Mitgliedsländer gegenüber 8,7 Prozent im Jahr 2007. Auch ist das deutsche Engagement nach wie vor sehr zersplittert, was zu relativ bescheidenen Beträgen für die einzelnen Länder führt. Immer noch bekommen nur acht von 48 Ländern Subsahara-Afrikas jährliche Leistungen von mehr als 80 Millionen US-Dollar, weitere zwölf Länder erhalten zwischen 40 und 80 Millionen US-Dollar, acht Länder zwischen 18 und 40 Millionen US-Dollar. An der Spitze aber liegt das G20-Mitglied Südafrika mit 350 Millionen US-Dollar, also 15 Prozent der gesamten ODA-Hilfe für Subsahara-Afrika.

Umfang, Zielrichtung und Verteilung der deut-schen und europäischen Entwicklungszusammenarbeit reichten bisher nicht aus, um wirksame Impulse für eine arbeitsintensive Industrialisierung zu geben. Die Fortführung des derzeitigen Projektportfolios ist dafür wenig geeignet. Es gilt das business as usual zu beenden. Es war nicht falsch, z. B. die kommunale Selbstverwaltung zu fördern oder auch Rechnungshöfe und das Gerichtswesen zu beraten. Aber produktive Jobs wurden für die in die Städte drängenden Massen junger Menschen damit kaum geschaffen. Auch die nunmehr ins Auge gefassten Rückkehrprämien für illegale Einwanderer oder Cash-for-work-Programme in Regionen mit großer Arbeitslosigkeit sind teure und in ihrer Wirkung sehr begrenzte Übergangsmaßnahmen. Ausbildungsprojekte ohne die Sicherheit für eine anschließende Beschäftigung bilden sogar eher einen Ansporn für die Migration nach Europa.

Um die sich aus der Flüchtlings- und Migrationskrise ergebenden Folgerungen nochmals zusammenzufassen: Es liegt nicht nur in der ethischen Verantwortung, sondern im ureigenen Interesse Deutschlands, sich mit allen verfügbaren Mitteln auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und auf die Zukunftsperspektiven für die Jugend Subsahara-Afrikas zu konzentrieren. Die erforderlichen tiefgreifenden Änderungen werden jedoch nur gelingen, wenn die Hindernisse und Fallen gesehen und die notwendigen Voraussetzungen zu ihrer Überwindung bzw. Vermeidung geschaffen werden. Es besteht die Gefahr, dass falsche Ansätze gewählt oder bisherige Aktivitäten nur mit neuen Etiketten versehen werden. Der neue Schwerpunkt darf auch nicht an den oft ideologisch verfestigten Vergabekriterien der Entwicklungszusammenarbeit scheitern. Mit Frankreich sollte, wegen seiner besonderen Beziehungen zu Westafrika, ein enger Schulterschluss möglichst zusammen mit der Europäischen Kommission gesucht werden. All dies bedeutet eine Abkehr von den alten Gleisen der Entwicklungszusammenarbeit und die Verwirklichung neuer Ideen und Initiativen. Ein Grundsatz muss unbedingt gelten: Der Staat muss die Wirtschaft fördern, aber nicht selbst Arbeitsbeschaffung betreiben. Er sollte sich auf die Gestaltung geeigneter und fördernder Rahmenbedingungen konzentrieren. Jedenfalls dürfen die gewaltigen Summen von Entwicklungshilfe für die Staaten Afrikas nicht weiter in den aufgeblähten, ineffizienten und oft korrupten Staatsapparaten Afrikas versickern. Nur wenn die Mittel möglichst direkt an leistungsbereite und engagierte junge Menschen gelangen, entsteht ein Potenzial von Beschäftigung und Perspektiven, das der Herausforderung entspricht. Eine Konzentration der bilateralen deutschen Entwicklungspolitik auf diese Aufgabe wäre der Rolle Deutschlands als einer führenden Industrie- und Handelsmacht besonders angemessen. Sie entspricht gleichermaßen seinen Interessen und seinen Werten.

Noch ist es nicht zu spät, den Verfall Subsahara-Afrikas in einen Kontinent der Massenarmut, Massenmigration und Massengewalt aufzuhalten. Junge Menschen emigrieren, weil sie keine Chancen mehr sehen, unter den bestehenden politischen und wirtschaftlichen Bedingungen eine wirtschaftliche Existenz für sich und ihre Familien aufzubauen. Ihnen müssen neue Wege in eine bessere Zukunft sowie für sie nachvollziehbare Beispiele aufgezeigt werden, wie sie diese selbst gestalten können. Europa darf ihnen nicht nur mit Grenzschutz, Abschiebungen und dem Entzug der Hilfe begegnen, sondern muss ihnen wirkungs- und vertrauensvoll helfen. Durch ihre wirtschaftliche Ermächtigung wird ihnen eines Tages dann auch die politische Ermächtigung zufallen.

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Dr. Peter Molt lehrte als Honorarprofessor Entwicklungspolitik an der Universität Trier.

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