Country reports
Natürlich wurde sofort wieder die Schuldzuweisungsmaschinerie in Gang gesetzt. "Sharon ist an allem schuld", so die Palästinenser, die Arabische Liga, die israelische Linke. Die Palästinenser haben nur einen Anlass gesucht, um loszuschlagen, so viele kritische Stimmen in Israel und dem befreundeten Ausland.
Klar ist, der als provokativ empfundene Besuch auf dem Tempelberg war der Anlass, die Gründe für die Krawalle, die übrigens für dieses Stunde X bestens vorbereitet waren, liegen aber tiefer.
Der Friedensprozess stagnierte wieder einmal. Dabei hatte Camp David II so hoffnungsvoll Zeichen gesetzt: Grenzen und Siedlungen, Rückkehrerrecht palästinensischer Flüchtlinge, Wasser- und Sicherheitsprobleme, alles schien vereinbar, regelungsfähig zu sein, nur die Jerusalem - Frage spaltete wieder einmal die Geister.
Man kann es auch provokativer sagen: Als der profane Teil aller Streitfragen durch den Streit über die transzendente Rolle des heiligen Jerusalems abgelöst wurde, war es mit der Einigungsfähigkeit der streitenden Partner zu Ende.
Es ist müßig, zu streiten, ob Sharon oder Hamas die jüngsten Blutbäder zu verantworten haben, Tatsache ist, dass Hass und Gewalt wieder einmal die zarte Pflanze des Friedensprozesses niedertrampeln, obwohl die Mehrheit der Menschen in Nahost endlich Frieden auf der Basis zumutbarer Kompromisse haben will.
Es ist wahr, die Gewalt in Nahost hat eine neue Dimension erreicht, vor allem auch deshalb, weil sich die Gewalttätigkeiten zeitweise verselbstständigt haben und kaum mehr zu steuern sind.
Arafat, mit dessen Duldung die Streichhölzer gezündet worden waren, war zeitweise nicht mehr Herr des entstandenen Flächenbrandes.
Barak, der um sein politisches Überleben kämpfte, war zeitweise von Arabern und Siedlern in die Zange genommen und erreichte nicht einmal mehr Ruhe im eigenen Land.
Gewalt und Morden gerieten beiderseits außer Kontrolle, ja erlangten anarchistische Züge.
Dennoch: Der Friedensprozess in Nahost sollte unumkehrbar geworden sein.
Dafür gibt es gute Gründe:
- Gerade die Ausschreitungen der letzten Wochen haben vielen Menschen die Augen und Ohren geöffnet: Hass, Gewalt, Mord und Totschlag lösen keine Probleme, sondern schaffen neue. Krieg ist auch im Nahen Osten nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das haben manche Heißsporne gerade jüngst von neuem bitter erfahren müssen. Ein Umdenken ist im Gang.
- Seit Jahren wurden mit Erfolg zahlreiche Gesprächsebenen zwischen Israelis und Palästinensern eröffnet. All diese Kanäle waren seit dem Ausbruch der Gewalt nicht verstopft, sondern wurden intensiv genutzt, um den Sieg der Vernunft über den Schwachsinn der Gewalt herbeizuverhandeln. Vor zwanzig Jahren haben Israelis und Palästinenser nicht einmal miteinander geredet. Heute gibt es ca. 100 israelische palästinensische Kooperationsprojekte, die zu nicht unwesentlichen Teilen von der Konrad-Adenauer-Stiftung betreut werden. All diese Arbeiten waren nicht umsonst, sie werden in die Zukunft tragen.
- Das wichtigste Ziel kurzfristig muss allerdings sein, dass die israelische und palästinensische Regierung wieder handlungsfähiger werden, d.h. innere Krisen überwunden werden können. Dabei gehe ich noch einen Schritt weiter: Jede israelische Regierung muss in kürze mit Mut zu Kompromissen dem Friedensprozess neuen Schwung verleihen. Das verlangt die leider oft schweigende Mehrheit.
Das Gleiche gilt aber auch für die palästinensischen Machthaber. Sie müssten wissen, dass Gewalt, so sie einmal zügellos zum Selbstläufer wird, auch letztlich die Machthabenden mit wegspülen wird.
Gewalt statt Vernunft haben in sechs Wochen viele gute Ansätze zum Frieden zerstört.
Noch gibt es Chancen den Ungeist wieder unter Kontrolle und den Geist zur Aussöhnung wider ans Tageslicht zu befördern. Darauf setzen wir auch weiterhin in unserer Arbeit in Nahost.
Der Friedensprozess muss wiederbelebt werden.