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Country Reports

Die Parlaments- und Präsidentenwahlen in Rumänien am 26. 11. und 10. 12. 2000

by Sabine Habersack
Nachdem die Parlamentswahlen am 26. 11. 2000 erwartungsgemäß von der Partei der Sozialen Demokratie in Rumänien (PDSR), der Ion Iliescu vorsteht, überlegen mit knapp über 36 % der Stimmen gewonnen wurde, setzte sich bei der ebenfalls stattfindenden Präsidentenwahl keiner der über 8 Kandidaten durch, so dass eine Stichwahl am 10. Dezember 2000 die Entscheidung bringen musste.

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Sie wurde vom Ex-Kommunisten Iliescu, welcher bereits von 1990 - 1996 Staatspräsident gewesen war, deutlich mit 67 % der Stimmen gewonnen, während auf den Ultra-Nationalisten Tudor 33 % der Stimmen entfielen.

Was war in Rumänien am 26. November 2000 passiert?

Diese Frage stellten sich nicht nur das Ausland, sondern auch die Rumänen selbst. Sofort nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen für die Präsidentenwahlen machte sich Entsetzen im ganzen Land breit.

In der Aufregung über den Erfolg Tudors ging das Resultat der Parlamentswahlen fast unter. Dabei hat auch dieses Ergebnis zu einer tiefgreifenden Veränderung der politischen Landschaft Rumäniens geführt. Denn die in den letzten 4 Jahren in der Regierungsverantwortung stehenden Parteien sind nicht nur abgewählt worden, sondern die Christlich-Demokratische Nationale Bauern-Partei (PNTCD), welche in dem Regierungsbündnis die stärkste Kraft darstellte, hat den Wiedereinzug in das Parlament verpasst.

Die mehr als 130 Jahre alte Kraft der Mitte, welche sich zu einer bürgerlich-christdemokratischen Partei im Laufe der Zeit entwickelte hatte, war vor den Wahlen ähnlich wie vor 4 Jahren ein Wahlbündnis namens "Demokratische Konvention 2000" (CDR 2000) eingegangen und musste mit den Bündnispartnern die für ein Wahlbündnis geltende 10%-Hürde nehmen. Diese aber wurde mit knapp 5% der abgegebenen Stimmen deutlich verpasst, so dass sich die PNTCD nicht nur erneuern, sondern ihren Weg zurück auf die politische Bühne als außerparlamentarische Partei suchen muss.

Gründe für das Wahldebakel der Regierungskoalition

Das Scheitern der Regierungskoalition bei den Parlamentswahlen war absehbar gewesen. Die Geschichte dieser Koalition war eine Geschichte der verpassten Chancen, weil sie es nicht geschafft hat, die in diesem Land so dringend notwendigen Reformen durchzusetzen. Darüber hinaus zeichnete sich die Koalition durch einen "ewigen inneren Krieg" aus, welcher die Regierungsarbeit mehr und mehr lähmte.

Zuerst wurde der entscheidungsschwache erste Premierminister der bürgerlich-liberalen Koalition, Victor Ciorbea, nach 1 Jahr von Radu Vasile ersetzt. Dieser spielte jedoch sein eigenes Spielchen und zeigte sich immer wieder besonders kompromissbereit gegenüber der Demokratischen Partei (PD), die sich geschickt im Laufe der Regierungszeit als angeblich tragende Kraft der Regierung darzustellen vermochte. Dann erstarkte die Nationale Liberale Partei (PNL) immer mehr und setzte sich ebenfalls geschickt in das Rampenlicht des öffentlich - politischen Interesses.

Nachdem PNTCD die Notbremse gezogen und Vasile als Premierminister abgesetzt hatte, ließ sich kein neuer Kandidat für den Posten aus den Reihen der PNTCD finden und man einigte sich auf den parteilosen Gouverneur der Nationalbank Mugur Isarescu. Dieser setzte zwar endlich einen Teil der notwendigen Reformen um und hat ein beachtlich positives Ergebnis seiner 10-monatigen Amtszeit aufzuweisen, aber wer zu spät mit der notwendigen Arbeit startet, wird mit dieser eben auch zu spät - oder gar nicht - fertig und wird von den unzufriedenen Wählerinnen und Wählern abgewählt.

Hinzu kamen die Parteiaustritte und -neugründungen der abgesetzten Premierminister Ciorbea (Christlich-Demokratische Nationale Allianz, ANCD) und Vasile (Rumänische Volkspartei, PPR), die das politische Wahlspektrum der Mitte weiter zerfransten und die PNTCD als hoffnungslosen Fall erscheinen lassen sollten. Im nachhinein muss gesagt werden, dass bereits 1997, als Ciorbea durch Vasile ersetzt wurde, die Wahl zumindest für die PNTCD verloren gegangen war. Darüber hinaus verließen die ehemals im Bündnis "Demokratische Konvention" (CDR) beteiligten Partner PD und PNL nach und nach das alte Wahlbündnis CDR von 1996 und stellten damit schon vor den neuen Wahlen im November 2000 die Regierungskoalition sichtbar in Frage.

Das neue Wahlbündnis CDR 2000, gebildet von PNTCD, ANCD, UFD (Union der Rechtskräfte), FER (Ökologische Föderation aus Rumänien), PM (Partei der Moldauer) und kleineren Bewegungen, sollte nicht nur für die kleinen neuen Wahlbündnispartner das rettende Boot werden, sondern auch für PNTCD selbst, welcher als tragende Kraft der Regierungskoalition die Hauptlast der Schuld am Scheitern der Regierung angelastet wurde.

Aber schnell wurde klar, dass CDR 2000 ein Bündnis mit nur kurzem Haltbarkeitswert sein sollte: Schon in der Wahlkampfzeit zerstritten sich die eigentlichen Bündnispartner medienwirksam, und den Wahlberechtigten musste schon früh jede Stimme für CDR 2000 als eine verschenkte Stimme vorkommen.

Leider trug auch PNTCD kräftig zu den bündnisinternen Querelen bei durch eigene, nicht enden wollende parteiinterne Auseinandersetzungen und öffentlichkeitswirksame Parteiaustritte vor den Wahlen, zumeist aus den fadenscheinigen Gründen von denjenigen, die keine Listenplätze für die Wahlen erhielten. So müssen die Christdemokraten nun die politische Zeche für die letzten 4 Jahre zahlen. Ion Diaconescu, zum damaligen Zeitpunkt noch Vorsitzender der PNTCD, kommentierte das Wahldebakel seiner Partei noch am Wahlabend selbst mit: "Wir haben eine Schlacht verloren, nicht aber den Krieg".

Die bisher oppositionelle PDSR mit ihren fast 37 % der Stimmen trägt einen klaren Sieg davon, den zweiten Platz mit ungefähr 23% der Stimmen nimmt die bisher ebenfalls in der Opposition stehende Partei Großrumäniens (PRM) von Tudor ein, die jetzt ihr Wählerkapital um das 6-fache vergrößert hat. PNL als an der Koalition beteiligte Partei kann sich in ihrem Austritt aus dem alten Wahlbündnis CDR mit etwa 8% der Stimmen bestätigt sehen, der Verband der ungarischen Minderheit (UDMR), der ebenfalls an der bisherigen Regierung beteiligt war, weist mit etwa 7% sein übliches Resultat auf, während PD mit etwa 8% der Stimmen fast die Hälfte des 1996 erzielten Stimmen verlor.

Neuverteilung der Abgeordnetenmandate

Zusammensetzung des neuen Parlaments Rumäniens
(Anzahl der Mandate)
SenatAbg. Kammer
Partei der Sozialen Demokratie in Rumänien (PDSR)6546,43%15544,93%
Partei Großrumäniens (PRM)3726,43%8424,35%
Demokratische Partei (PD)139,29%318,99%
National Liberale Partei (PNL)139,29%308,70%
Magyarische Demokratische Union in Rumänien (UDMR)128,57%277,83%
Nationale Minderheiten185,22%

Gleich nach den Wahlen hat der große Sieger Iliescu mit Blick auf das Ausland eine parlamentarische Koalition mit dem Nationalisten Tudor ausgeschlossen. Er werde keinerlei Wende rückwärts zulassen, der demokratische Kurs sei "nicht umkehrbar", wer glaube, dass "wir Lösungen für unsere Probleme in der totalitären Vergangenheit und in extremistischen und fremdenfeindlichen Slogans suchen, irrt sich".

Als wichtigste Aufgabe der künftigen Regierung nannte Iliescu die Sanierung der "ausgebluteten Wirtschaft". "Wir müssen unsere ganze Energie aufbringen, um das Land aus dieser schwierigen Situation zu steuern".

Mit solchen und ähnlichen Parolen fand Iliescu schon im Wahlkampf Anklang insbesondere bei den alten Wählerinnen und Wählern, die sich nach "der Gleichheit und Sicherheit von damals" sehnen und nach einem durchsetzungsstarken Mann an der Spitze Rumäniens. Schon allein ihre Bezeichnung Iliescu's als "Tatucul" (der Vater), der sich um sie und ihre Familien sorgt, verdeutlicht dieses.

Wie ist der Erfolg von Tudor zu erklären ?

Lange spielten Tudor und seine PRM, zum größten Teil eine Ansammlung von ehemaligen Geheimdienstangehörigen, keine ernstzunehmende Rolle bei den Umfragen. Erst in den letzten Wochen vor der Wahl gingen seine Umfragewerte sehr stark in die Höhe. Denn Tudor, ein gekonnter Demagoge und Schauspieler, hat seine Kampagne insgesamt nach der fast tagespolitischen Stimmung der Bevölkerung ausgerichtet und daher immer das gesagt, was die Wählerinnen und Wähler gerade aktuell von einem Politiker zu hören erwarteten.

Außerdem vermittelte auch er durch sein Auftreten und seine Äußerungen den Eindruck, die Sehnsucht nach einem starken Mann stillen zu können. Schließlich konnte er sich von den anderen Parteien geschickt mit dem Argument absetzen, dass er noch nie in der Regierungsverantwortung gestanden habe und damit die schlechte wirtschaftliche und soziale Situation des Landes nicht verantworten müsse, dafür aber die richtigen Lösungen bereit hielte. Von sich selbst behauptete er: "Ich bin der Führer der Zerlumpten, Hungrigen und Verzweifelten".

Er sprach damit jene Kreise in der verarmten und desillusionierten Bevölkerung an, die wie zu kommunistischen Zeiten einen "starken Führer" an der Spitze des Staates sehen wollen, der zudem mit der in der Demokratie weit verbreiteten Korruption und Armut aufräumt: "Wir werden die Mafia besiegen, wir werden die Armut wegjagen", so Tudor.

Zudem zog Tudor die Stimmen des Großteils der akademischen Jugend in sein Lager, welche ihre berufliche Zukunft aufgrund der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Situation Rumäniens kaum in ihrem Heimatland sehen und noch mehr als die alten Wählerinnen und Wähler von den bisher Regierenden enttäuscht wurden, die gerade von den jungen Menschen 1996 als Ausdruck eines wahren Neubeginns gewählt worden sind. Teilweise aber haben gerade die jungen Wählerinnen und Wähler ihm ihre Stimme gegeben aus bloßem Protest gegenüber den anderen etablierten Parteien oder auch aus Gedankenlosigkeit, weil Tudor einfach "ein cooler Typ" und "crazy" sei und "wie ein Sieger aussieht".

Zuletzt darf auch nicht die Rolle der Medien, insbesondere der Fernsehanstalten verschwiegen werden. Sie haben die politische Debatte in einen Art Polit-Zirkus verwandelt, in dem nicht nüchtern und klar über Politik gesprochen wurde, sondern in dem die politischen Diskussionen inhaltlich völlig verflachten und jemand wie Tudor geschickt seine Wahlkampagne als Art "Hiphop-Show" präsentieren konnte. Seine haarsträubenden Wahlaussagen wurden nie ernsthaft hinterfragt, sondern sie wurden eher mitleidig belächelt oder humorvoll kommentiert, da man ihn ohnehin nicht ernst nehmen zu müssen glaubte.

Um so massiver war dann die Vereinigung der Medien gegen Tudor nach dem 1. Wahlgang, als sozusagen das Kind bereits in den Brunnen gefallen war. Aber nicht nur diese vereinigten sich gegen ihn und für Iliescu, sondern alle demokratischen Kräfte und Parteien. Bezeichnend dafür war eine Karikatur in "Adevarul" kurz nach dem 1. Wahlgang, in der dieselben Bürgerrechtler, die 1996 gegen Iliescu kämpften, diesen nun auf ihren Schultern zu seinem Wahlsieg trugen. Das Entsetzen über den Erfolg von Tudor bei der 1. Runde der Präsidentenwahlen und seiner Partei bei der Parlamentswahl ließ alle das kleinere von zwei Übeln wählen, wie es Premierminister Isarescu und viele andere nach dem 2. Wahlgang ausdrückten.

Präsidentenwahlen
Kandidat1. Wahlgang2. Wahlgang
Ion Iliescu (PDSR)36,35%66,83%
Corneliu Vadim Tudor (PRM)28,34%33,17%
Theodor Dumitru Stolojan (PNL)11,78%
Constantin Mugurel Isarescu (Unabhängig)9,54%
Gyorgy Frunda (UDMR)6,22%
Petre Roman (PD)2,99%
Teodor Melescanu (ApR)1,91%
Andere2,87%

Ob der neugewählte Präsident Iliescu das Land nicht nur für diese Stichwahl einigen konnte, sondern auch in der Zukunft vereint hinter sich wissen kann, muss er erst noch zeigen.

Fazit: Rumänien ist nicht "ein gescheitertes Land am Rande Europas", wie man in der TAZ nach dem 2. Wahlgang lesen konnte. Es ist aber sicherlich gespaltener als je zuvor. Doch die deutliche Mehrheit der Bevölkerung bejaht weiterhin Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Integration in die euro-atlantischen Strukturen. Deswegen darf man sich jetzt weniger denn je von diesem Land abwenden. Zum Weg der weiteren Förderung des politischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses gibt es weder für Rumänien noch für die übrigen europäischen Akteure eine Alternative.

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Dr. Martin Sieg

martin.sieg@kas.de

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