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Country reports

Günstige wirtschaftliche Perspektiven, doch schwierige Zeiten für den MERCOSUL

by Dr. Wilhelm Hofmeister
Brasilien hat im Verlauf des Jahres 1999 die Rezession des Vorjahres verarbeitet und die Grundlage für eine günstigere wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 2000 geschaffen. Die sozialpolitischen Ergebnisse der makroökonomischen Stabilisierung lassen aber noch auf sich warten. Die Partner im MERCOSUL stehen im Regen.

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Brasilien ist eine der größten Volkswirtschaften und Industrienationen der Erde. Nachdem seit Beginn der neunziger Jahre ein vorsichtiger wirtschaftlicher Öffnungsprozess eingeleitet worden war, der ab 1994 mit einer Währungsreform, der Eindämmung der früher chronischen und exorbitanten Inflation sowie den Bemühungen um eine Konsolidierung der staatlichen Haushalte fortgesetzt und schliesslich ab 1996 mit einer Privatisierungs- und Deregulierungspolitik vertieft wurde, erlebte das Land 1998, nicht zuletzt als Folge der Asien- und Russlandkrise, eine Rezession, die das in den Jahren zuvor erreichte Wirtschaftswachstum und die Konsolidierungserfolge wieder in Frage stellten. Ob das Land sich 1999 von dieser Krise erholen könnte oder wieder tiefer in die Rezession fiele, war eine bange Frage für Regierung und Unternehmer an der Jahreswende 1998/99. Ein Jahr später kann festgestellt werden, daß Brasilien 1999 nach schwierigem Beginn an die positiven Entwicklungen der Vorjahre wieder anschliessen konnte.

Die wichtigste wirtschaftspolitische Entscheidung des vergangenen Jahres war die Freigabe des Wechselkurses Mitte Januar 1999. Viele Beobachter innerhalb und außerhalb des Landes hatten daraufhin eine kontinuierliche Abwertung der Landeswährung Real und einen ebenso raschen Anstieg der Inflation befürchtet. Tatsächlich verlor der Real im Verlauf des ersten Halbjahres mehr als 40% seines Wertes gegenüber dem US-Dollar, konnte aber bis zum Ende des Jahres auf diesem Niveau gehalten werden.

Die Befürchtungen einer rasanten Zunahme der Inflation trafen nicht ein. Die Konsumentenpreise stiegen um etwa 9%, so daß sich die Inflation noch innerhalb des von der Regierung projektierten Rahmens von unter 10% bewegte. Eine andere Erwartung der Regierung erfüllte sich allerdings nicht. Hatte man Ende 1998 für das Jahr 1999 noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zwischen 4 und 6 Prozent hochgerechnet, so lag die Zuwachsrate nach ersten Erhebungen nur bei mageren 0,3 Prozent. Die wirtschaftliche Erholung nach dem schwierigen Jahr 1998 ist noch nicht erreicht.

Trotz der Abwertung und der damit verbundenen erheblichen Verteuerung der Verbindlichkeiten nach außen hielt die Regierung an ihrem sparsamen Haushaltskurs fest und konnte zum Jahresende auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Ziel eines Überschusses der öffentlichen Hand in Höhe von 3,1 Prozent gegenüber dem BIP erreichen. Alle Regierungsstellen waren in die Sparpolitik und Haushaltskonsolidierung eingebunden, was zu der deutlichen Verbesserung gegenüber 1998 beitrug. Die vom IWF vermittelten Kredite wiederum halfen bei der Stabilisierung der Landeswährung.

Ein großes Problem für die brasilianische Wirtschaft bleibt der Exportsektor. Trotz der verbesserten Wettbewerbsbedingungen aufgrund der Abwertung des Real konnten die Exporte der brasilianischen Wirtschaft nicht gesteigert werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

  • der Verfall der Preise für brasilianische Rohstoffe;
  • der Rückgang der Nachfrage aus den lateinamerikanischen Nachbarländern, die immer noch die wichtigsten Abnehmer brasilianischer Maschinen und Ausrüstungsgegenstände sind;
  • die Krise in Asien und Russland, welche brasilianische Exporte in diese Regionen beeinträchtigten; sowie die Einstellung der Exportsubventionen im ersten Halbjahr 1999.
Allerdings ergab sich im zweiten Halbjahr bereits eine leichte Verbesserung der brasilianischen Exporte. Die Gründe dafür lagen

  • im Anstieg der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt,
  • in der Wiedereinführung von Exportkrediten sowie
  • in der Erholung der asiatischen Märkte, die infolge einer Stabilisierung ihrer Währungen gegenüber dem Dollar auch wieder in der Lage waren, in größerem Umfang brasilianische Rohstoffe zu kaufen.
Insgesamt hat Brasilien das Jahr 1999 mit einem Handelsbilanzdefizit in Höhe von ca. 1,5 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Das ist deutlich besser als im Vorjahr 1998, das mit einem Handelsbilanzdefizit in Höhe von 6,8 Milliraden US-Dollar abschloss.

Positive Aussichten für das Jahr 2000

Die Persepektiven für das Jahr 2000 werden in offiziellen Verlautbarungen, aber auch von großen Teilen der verfassten Wirtschaft insgesamt als positiv beschrieben. Eine Kombination von günstigen internen und externen Bedingungen soll dafür sorgen, daß jetzt endlich wieder ein deutliches Wirtschaftswachstum erreicht wird.

Nach der Überwindung der Asienkrise erwartet man in Brasilien einen deutlichen Anstieg des internationalen Handels. Zudem meint man, mit Blick auf die Wechselkurs- und Sparpolitik nun auch intern genügend Vorleistungen erbracht zu haben, um in den nächsten Jahren wieder nachhaltiges Wachstum zu erreichen. Die Erwartungen der Regierungen liegen bei durchschnittlich etwa 4 Prozent Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren.

Erreicht werden soll dies einerseits durch eine Zunahme der Exporte sowie andererseits durch die allmähliche Reduzierung der Zinsen, die im internationalen Vergleich mit etwa 19 % noch immer recht hoch liegen und auch nur graduell auf zunächst 16% zurückgeführt werden sollen. Die Politik der Haushaltskonsolidierung soll fortgesetzt werden, so daß auch im Jahr 2000 wieder ein Überschuss von 3,25 Prozent der öffentlichen Hand gegenüber dem BIP erreicht wird. Die Inflation soll sich im Rahmen von 4 bis 8 Prozent bewegen.

Weiterhin schwierige soziale Schieflage

Die einigermaßen günstigen makroökonomischen Perspektiven können nicht verschleiern, dass die Situation vieler Brasilianer und vieler brasilianischer Haushalte weiterhin prekär ist. Etwa 40 Millionen der 160 Brasilianer leben am Rande oder unterhalb der Armutsgrenze. Vielen anderen geht es nur geringfügig besser. Brasilien, so eine Ende Januar veröffentlichte Studie der Weltbank, hat weltweit die drittgrößte Anzahl arbeitsloser Menschen.

Der Konsum der brasilianischen Familien ist äußerst beschränkt, auch wenn um die Weihnachtszeit die "shopping malls" von Waren überquellten und viele Brasilianer kauften, so viel sie konnten. Die Kehrseite dieses Konsums ist die steigende Verschuldung vieler Privathaushalte. Erschwerend kommt hinzu, daß die Reallöhne angesichts der Inflation im Verlauf des Jahres 1999 zurückgegangen sind und zum Jahresende im Durchschnitt beim Stand vor drei Jahren lagen.

Ausbildung, Krankheitsvorsorge und Alterssicherung sind die drei großen Problembereiche des brasilianischen Sozialsystems. Zumindest diejenigen, die in einem formellen Beschäftigungsverhältnis stehen, müssen erhebliche Steuern und Abgaben für die Sozialversicherung leisten. Die Steuerquote ist in Brasilien im internationalen Vergleich mit etwa 30% des BIP relativ hoch. Doch die große Mehrzahl der Brasilianer kommt nie in den Genuß nennenswerter Vorteile aus dem komplexen System sozialer Sicherung: für Schule, Krankheit und Alter müssen private zusätzlichen Mitteln aufgebracht werden, wenn man angemessene Dienstleistungen erhalten will.

Das wirft ein Licht auf das wohl größte gesellschaftspolitische Problem des Landes, das in den Medien, von Regierung und Politik immer wieder freimütig angesprochen wird und das Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso auf den Begriff brachte: "Brasilien ist kein armes Land, doch ein Land mit viel Ungleichheit". Angesichts der Rezession des Jahres 1998 stand das Jahr 1999 ganz im Zeichen der makroökonomischen Erholung. Die Armen mussten sich einmal mehr auf die Zukunft vertrösten lassen.

Die Partner im MERCOSUL stehen im Regen

Der brasilianische Präsident Cardoso hat Ende Januar angekündigt, in Zukunft "Generosität" gegenüber Argentinien walten zu lassen. Offensichtlich nimmt man auch in brasilianischen Regierungskreisen immer deutlicher zur Kenntnis, daß das Land eine größere Verantwortung gegenüber seinen Nachbarn und vor allem gegenüber seinen Partnern im Rahmen des MERCOSUL besitzt.

Vor einem Jahr hatte die brasilianische Regierung im Alleingang und ohne Konsultation seiner Partner die Abwertung der eigenen Währung entschlossen und diese damit im Regen stehen lassen. Besonders Argentinien war und ist von den Auswirkungen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise stark betroffen.

Nach der brasilianischen Abwertung um rund 40 % schichtete das Fiat-Werk in Brasilien seine Produktion in Argentinien um und begann, in Brasilien um genau diesen Kostensatz günstiger zu produzieren. Ähnlich verhielten sich andere Unternehmen. Der US-Reifenhersteller Goodyear etwa schloß nach 68 Jahren seine Tore in Argentinien und baute eine neue Fabrik in Brasilien auf; weitere Zuliefererfirmen aus der Autoindustrie folgten diesem Beispiel. Herstellungs- und Lohnkosten sind in Brasilien heute deutlich günstiger als am Rio de la Plata, der Markt ist größer, zudem lockt Brasilien mit Investitionsprämien. All dies hat das Verhältnis zwischen Brasilien und Argentinien seit Jahresbeginn 1999 erheblich belastet und die Zusammenarbeit innerhalb des MERCOSUL enorm erschwert.

Argentinien hält weiterhin an der Parität seiner Landeswährung Peso mit dem US-Dollar fest. Das hat zwar in den letzten zehn Jahren zu einer bisher nicht gekannten Stabilität geführt und zweifellos wurden erhebliche Produktivitätsfortschritte in Argentinien erzielt. Dennoch erscheint die argentinische Währung international hoffnungslos überbewertet, so daß das Land - abgesehen von den traditionellen Gütern Weizen und Rindfleisch - nicht wettbewerbsfähig ist. Dennoch will der neue argentinische Präsident de la Rua zur Wahrung der Stabilität an der Dollarbindung des Peso festhalten.

Für den MERCOSUL und die wirtschaftliche Entwicklung Südamerikas hat dieses Währungsgefälle zwischen Brasilien und Argentinien eine einschneidende Bedeutung. Die Konjunktur der Region wird davon im Jahr 2000 nachhaltig geprägt werden. Für Argentinien ist Brasilien seit einigen Jahren der wichtigste Handelspartner. Doch infolge der brasilianischen Abwertung haben sich die Importe aus Argentinien erheblich verteuert.

Selbst bei gutem Willen wird Brasilien auch in naher Zukunft nicht mehr die früheren Mengen argentinischer Waren abnehmen können - abgesehen von der weiterhin schwelenden Konkurrenz um ausländische Investoren. Brasilien wird daher wahrscheinlich früher wieder eine dynamische Entwicklung erreicht haben als sein südamerikanischer Nachbar. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern wird davon weiterhin belastet bleiben - trotz der von Präsident Cardoso in Aussicht gestellten "Generosität".

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Dr. Jan Woischnik

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