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Country Reports

Krisenstimmung bei MERCOSUR-Jubiläum

by Dr. Wilhelm Hofmeister
Am 26. März 1991 unterzeichneten die Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay den Vertrag von Asunción und gründeten damit den "Gemeinsamen Marktes des Südens" (MERCOSUR). Auch wenn die ursprüngliche Absicht der Schaffung eines gemeinsamen Marktes bis zum 31. Dezember 1994 nicht vollständig verwirklicht wurde, hat der MERCOSUR zu einem bemerkenswerten Handelsaustausch zwischen den beteiligten Staaten, und insbesondere zwischen den wichtigsten Partnern Argentinien und Brasilien, beigetragen. Fast 90% der Produkte, die zwischen den Partnern verkauft werden, sind von Importzöllen befreit. Selbst in sensiblen Sektoren wie der Automobilindustrie wurden wichtige Abkommen vereinbart, die Konkurrenz begrenzen und Kooperation fördern.

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Sein zehnjähriges Jubiläum aber beging der MERCOSUR inmitten einer schwierigen Krise. Vor allem die Wirtschaftslage in Argentinien ist äußerst kompliziert. Davon betroffen sind insbesondere die Beziehungen zwischen Brasilien und Argentinien.

Das Verhältnis Brasilien und Argentinien

Die Zuspitzung der argentinischen Wirtschaftskrise wird in Brasilien seit Ende des Jahres 1999 mit zunehmender Besorgnis verfolgt. Brasilien hatte zwar selbst insofern zur Verschärfung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Argentinien beigetragen, als es im Januar 1999 einseitig und ohne vorherige Information seines wichtigsten Partners die eigene Landeswährung Real abwertete. Da Argentinien an der Parität seines Peso mit dem US-Dollar festhielt, verteuerten sich die argentinischen Exporte nach Brasilien schlagartig und Brasilien konnte nun mehr nach Argentinien liefern.

Einige internationale Firmen änderten ihre Pläne und investierten nun statt in Argentinien in dem billigeren und insgesamt auch stabileren Brasilien. Mitte 2000 führte dies zu heftigen antibrasilianischen Reaktionen in Argentinien. Demonstrationen und Verlautbarungen einiger argentinischer Politiker, die aus der antibrasilianischen Stimmung auf populistische Weise Stimmen zu gewinnen hofften, heizten das Klima zusätzlich an. Der MERCOSUR, der entscheidend von der Verständigung zwischen Brasilien und Argentinien abhängt, geriet in eine schwierige Situation. Die Bereitschaft zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit schien vorrübergehend kaum noch vorhanden.

In Brasilien ist es nahezu einhellige Meinung von Unternehmern, Wirtschaftswissenschaftlern, Medien und auch Regierungsvertretern (die sich freilich nur unter vorgehaltener Hand äußern), dass das Kovertibilitätsgesetz in Argentinien, das heißt die feste Bindung des Peso an den US-Dollar, das maßgebliche handicap der argentinischen Wirtschaft ist. Zumal angesichts der hohen Notierung des US-Dollar auf den internationalen Finanzmärkten sind die argentinischen Produkte zu teuer und dadurch nicht wettbewerbsfähig.

Da aber die Anbindung an den US-Dollar nicht geändert wurde, machte sich in Brasilien zunehmend Sorgen über das Wohlergehen des Nachbarn breit; denn in Brasilien wurde man sich der gewachsenen Abhängigkeit von der Entwicklung in Argentinien bewusst.

Mit großen Hoffnungen war das Beistandspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) vom Dezember 2000, das u.a. ein Kreditprogramm über 20 Mrd. US-Dollar umfasste, verfolgt worden; offensichtlich hat sich auch die brasilianische Regierung beim IWF für das Zustandekommen dieses Kredits eingesetzt. Dennoch blieb man skeptisch, und mit wachsender Sorge verfolgte man die fast schon verzweifelten Anstrengungen der argentinischen Regierung und der wechselnden Wirtschaftsminister, den Haushalt zu sanieren, internationales Vertrauen zu gewinnen und Wachstumsimpulse auszulösen.

Die ALCA-Verhandlungen

Eine weitere Sorge Brasiliens galt der argentinischen Position angesichts der bevorstehenden Verhandlungen um die Gründung einer Amerikanischen Freihandelszone (ALCA). Brasilien will diese Verhandlungen so weit als möglich hinauszögern, da man hierzulande noch nicht vollständig von den Vorteilen dieses Projekts überzeugt ist und in einigen Bereichen erhebliche Nachteile fürchtet. Deshalb ist die brasilianische Regierung seit dem letzten Jahr sehr darum bemüht, die anderen Länder Südamerikas auf eine gemeinsame Position einzuschwören. Dadurch sollen bessere Konditionen in den Verhandlungen mit den USA erreicht werden. Vor allem von den Partnern des MERCOSUR erwartet man eine enge Abstimmung.

Als Chile, das mit dem MERCOSUR assoziiert ist, im Oktober vergangenen Jahres ankündigte, gegebenenfalls eigene Parallelverhandlungen mit den USA zu beginnen, um eventuell rasch ein individuelles Abkommen zu vereinbaren, hatte dies zu heftigen Reaktionen der brasilianischen Regierung geführt. Diese wollte offensichtlich nicht nur Chile, sondern insbesondere auch Argentinien klar machen, dass Brasilien bei einem Ausbrechen aus einer gemeinsamen südamerikanischen Front die Kooperation aufkündigen könnte.

Der neue brasilianische Außenminister Celso Lafer hat im Februar auf seiner ersten Auslandsreise die MERCOSUR-Partner besucht und von ihnen die Zusage erhalten, keine eigenständigen Verhandlungen mit den USA zu führen. Vor allem eine entsprechende Zusage aus Argentinien war für Brasilien wichtig. Mit der Zuspitzung der Wirtschaftskrise und der Lähmung der argentinischen Regierung, nahm aber in Brasilien die Sorge wieder zu, Argentinien könne angesichts der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise doch noch eine Rettung bei den USA suchen.

Neue Hoffnung mit Domingo Cavallo

Die Ernennung von Domingo Cavallo zum neuen argentinischen Wirtschaftsminister hat diese Sorgen zunächst einmal zerstreut. Es gibt neue Hoffnung, dass Argentinien seine Krise aus eigener Kraft und mit Unterstützung der Partner des MERCOSUR lösen kann. Eine Abkehr von der einseitigen Dollarbindung ist dafür aus brasilianischer Sicht unausweichlich. Man erwartet, dass Cavallo, der Vater der Konvertibilität, die Kraft und den Mut besitzt, die feste und einseitige Bindung an den Dollar zu lockern.

Dass Brasilien zu außerordentlichen Hilfsmaßnahmen für Argentinien breit ist, zeigte sich während eines Kurzbesuches von Cavallo gleich nach seiner Ernennung zum Wirtschaftsminister in Brasilia. Die brasilianische Regierung erklärte sich bereit, einige Handels- und Tarifbestimmungen im Rahmen des MERCOSUR vorrübergehend außer Kraft zu setzen, um brasilianische Exporte nach Argentinien einzuschränken und dadurch der argentinischen Wirtschaft Luft zu verschaffen. Zum Beispiel wurde akzeptiert, daß Argentinien für bestimmte Produkte, besonders Maschinen und Ausrüstungen, die Importbestimmungen erschwert. Für brasilianische Unternehmen sind damit erhebliche Einschränkungen verbunden.

Bei den betroffenen brasilianischen Unternehmern stoßen die Zugeständnisse für den Nachbarn aber keineswegs auf ungeteilte Zustimmung. Bereits Anfang April hat die wichtige Außenhandelskammer verlautbaren lassen, dass es eine Grenze für den Preis gibt, den Brasilien zu bezahlen bereit sei, um Argentinien zu helfen. Außenminister Lafer musste daraufhin in Argentinien die Liste der Zugeständnisse neu verhandeln.

Allerdings weiß die brasilianische Regierung, dass das Land den MERCOSUR braucht und deshalb Zugeständnisse machen muss, um die Zukunft des Blockes zu garantieren. In diesem Zusammenhang ist man jetzt auch eher bereit, über die Gründung gemeinsamer Institutionen zu sprechen, um dem MERCOSUR eine festere Struktur zu geben. Das ist von Brasilien bislang noch stets abgelehnt worden. Vor allem die Notwendigkeit der Existenz einer gemeinsamen Schiedsinstanz bei Streitfällen wird immer deutlicher.

Es zeigt sich, dass die Krise des MERCOSUR somit auch die Chance seiner institutionellen Weiterentwicklung birgt. Für seine Zukunft wird es freilich von entscheidender Bedeutung sein, ob und wie Argentinien seine Wirtschaftskrise lösen kann. In Brasilien hofft und wünscht man, dass es mit Argentinien bald aufwärts geht. Man braucht das Land als Partner und man braucht den MERCOSUR als Instrument, um mit einer starken Position in die anstehenden ALCA-Verhandlungen eintreten zu können. Wenn der MERCOSUR angesichts der künftigen Amerikanischen Freihandelszone mehr sein soll, als Konsultativorgan einiger südamerikanischer Länder, dann muss er seine Handlungsfähigkeit in der jetzigen Krisensituation unter Beweis stellen.

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Dr. Jan Woischnik

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