Country Reports
Den 28. Juli eines jeden Jahres begeht Peru in der Regel recht feierlich, handelt es sich doch um den Unabhängigkeitstag des Andenlandes. Zu Wahlzeiten wird zudem - so will es die Verfassung - der neu gewählte Präsident ins Amt eingeführt, was zuletzt im vergangenen Jahr erfolgte. Dem enthusiastischen Start des neuen Staatspräsidenten Alejandro Toledo und seiner Regierungsmannschaft folgten aber schon bald die ersten kritischen Beurteilungen, die sich alsbald auch in den Meinungsumfragen niederschlugen.
Sprachen dem ersten Präsidenten Perus mit indianischer Abstammung drei Monate nach seinem Amtsantritt noch stattliche 60 Prozent der Bevölkerung das Vertrauen aus, so ist diese Masse genau ein Jahr nach der Regierungsübernahme auf die überschaubare Anhängerschar von 15 bis 18 Prozent zusammengeschmolzen.
Die beiden Hauptgründe für diese fatale Vertrauenskrise können leicht ausgemacht werden: Die umfangreichen und vielfach unrealistischen Wahlkampfversprechen, die der auf Ehrlich- und Ehrbarkeit bedachte Kandidat Toledo abgegeben hatte, fordern nun ihren Tribut, denn schon bald erwiesen sich diese Versprechen in vielen Fällen als nicht umsetzbar oder als unvereinbar mit der generellen Regierungspolitik. Der zweite elementare Faktor besteht in der massiven Führungsschwäche des Präsidenten und seiner Unfähigkeit, unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen auch konsequent zu exekutieren, wenn er nicht schon daran scheitert, sie überhaupt zu fällen.
Mit einer umfassenden Kabinettsumbildung ersucht Toledo nun, das verlorene Terrain bei den enttäuschten Massen wiederzugewinnen. Schon seit Wochen ist allgemein von einem drastischen Personalwechsel ausgegangen worden. Daher erstaunte es nicht, dass der Staatspräsident Mitte Juli nur wenige Tage nach dem unwiderruflichen Rücktritt von Außenminister Diego García Sayán eine Regierungsmannschaft mit immerhin sieben neuen von insgesamt 15 Ministern vorstellte. Die kurze Zeitspanne, die Toledo für diese grundlegende personelle Umstrukturierung benötigte, ist nur ein zusätzliches Indiz, dass es sich hierbei um ein Manöver mit Vorlauf und Bedacht gehandelt hat.
Die seit Monaten um sich greifende Unzufriedenheit der peruanischen Bevölkerung mit ihrem Staatspräsidenten und seiner Regierung hatte bereits im Juni mit den gewalttätigen Ausschreitungen gegen Privatisierungsvorhaben in Arequipa und anderen Städten im Süden des Landes einen bedenklichen Höhepunkt erreicht. Die Regierung reagierte darauf zuerst mit der Aktivierung von Armeeeinheiten, der Ausrufung des Ausnahmezustandes und wenige Stunden später mit der Entsendung einer hochrangigen Ministerdelegation mit dem Auftrag, ein Agreement mit den Streikvertretern auszuhandeln.
Nach insgesamt sieben Tagen der Gewalt, zwei Toten (ein Polizist und ein Demonstrant) und einem Sachschaden von etwa 30 Millionen Euro unterschrieben die Ministerdelegation einerseits und Vertreter sowohl der Stadt wie auch der in den Streik involvierten regionalen Organisationen andererseits die sog. „Deklaration von Arequipa“, in der vereinbart wurde, die Rechtmäßigkeit der Privatisierungen gerichtlich prüfen zu lassen. Das Urteil solle dann definitiv von beiden Seiten anerkannt werden.
Die politischen Auswirkungen dieser gewalttätigen Krise waren schnell auszumachen: Nicht nur, dass Innenminister Fernando Rospigliosi von seinem Amt zurücktrat und Justizminister Fernando Olivera, politischer Führer des kleinen Koalitionspartners Frente Independiente Moralizador (FIM), nur durch einen privaten Besuch des Staatspräsidenten und der halben Ministerriege vom gleichen Schritt abgehalten werden konnte, auch die Machtkonstellationen im Kabinett selbst waren ins Wanken geraten. Der bis dato unangefochten regierende neoliberale – von einigen Medien treffend als „die Falken“ bezeichnete – Flügel um Premierminister Roberto Dañino und Wirtschaftsminister Pedro Pablo Kuczynski musste mit der Übereinkunft von Arequipa eine derart deutliche Rückweisung seiner Wirtschaftspolitik hinnehmen, dass schon im Juni mit einem baldigen Rückzug dieser beiden international anerkannten Wirtschaftsexperten aus der peruanischen Regierung gerechnet wurde.
Die Auswirkungen der ersten Kabinettsumbildung im Januar 2002
Doch die Regierungskrise nahm im Juni nicht ihren Anfang, sie konkretisierte sich vielmehr nur. Bereits im Januar, also nur ein halbes Jahr nach der Amtseinführung von Perus neuem Staatspräsidenten und seinem Kabinett, gab Alejandro Toledo am 17. Januar die erste Entlassung dreier Minister bekanntgab. Mit der Demission von Verteidigungsminister David Waisman, Gesundheitsminister Luis Solari und der Ministerin für Frauen und menschliche Entwicklung, Doris Sánchez, entließ Toledo drei Ressortchefs, die schon mehrere Wochen - wenn auch aus höchst unterschiedlichen Gründen – als Wackelkandidaten gegolten hatten.
Während Waisman Führungsschwäche bei der Umsetzung der grundlegenden Streitkräftereform Generalität vorgeworfen wurde, brachte sich Doris Sánchez durch die Anstellung von Familienmitgliedern in gutbestallten Ministerialjobs ins Gerede und dann um ihren Ministerstuhl.
Anders gestaltete sich die Sachlage bei Gesundheitsminister Dr. Luis Solari, der als Internist ein hohes Maß an Sachverstand und als Generalsekretär der Regierungspartei Perú Posible (PP) auch genügend organisatorische Fähigkeiten zur Führung seines Ministeriums eingebracht hatte. Ihn bat Toledo explizit, künftig seine ganze Kraft dem Aufbau der Partei zu widmen. Zudem sollte mit der Entlassung der Minister, die alle drei zum engen Kreis der Mitbegründer der Regierungspartei gehören, laut offizieller Version die PP-Fraktion im Kongress gestärkt werden, die zwar die größte Fraktion im peruanischen Kongress darstellt, mit 44 von 120 Sitzen jedoch bei weitem nicht über die absolute Mehrheit verfügt. Indes stand die sowohl in der Partei wie auch in der Öffentlichkeit umstrittene Entlassung Solaris symbolhaft für die tiefen ideologischen Diskrepanzen innerhalb des Kabinetts, während die Entfernung von drei Gründungsmitgliedern der Regierungspartei aus dem Kabinett allgemein als Symbol für die Entmachtung der Partei gegenüber der Regierung gewertet wurde.
Obwohl keiner der drei neu ernannten Minister zum neoliberalen Spektrum gehörte, konnte dennoch diese Gruppe um den Ministerratsvorsitzenden Roberto Dañino mit der Regierungsumbildung ihre Vormachtstellung im Kabinett ausbauen und absichern. Zum einen wurde so der Einfluss der Regierungsparteivertreter auf die Entscheidungen des Staatspräsidenten auf ein Minimum reduziert, und auf der anderen Seite entledigte Dañino sich mit der Demission Solaris seines größten Widersachers im Kabinett.
Die politischen Konjunkturschwankungen der Regierungspartei Perú Posible
Bei dem anderen Ergebnis der ersten Kabinettsumbildung, der „Entmachtung“ der Regierungspartei Perú Posible, handelte es sich genauer gesagt um die vom Dañino-Flügel im Kabinett erzwungene Entfernung der alten Mitstreiter Toledos aus dem engen Zirkel der Macht. Den Klartext zum Verhältnis Alejandro Toledos zu seiner Partei lieferte der Ökonom Eduardo McBride, der in Perú Posible für die Formulierung des Wirtschaftsteils des Regierungsprogramms im vergangenen Jahr verantwortlich gezeichnet hatte: Wenn Toledo früher mit den Experten und Funktionären der Partei zusammengekommen sei, sagte er ihnen immer wieder, sie sollten sich darauf vorbereiten, ihm beim Regieren zu helfen. Leider sei diese Expertise nie abgerufen worden. Ein anderes Vorstandsmitglied verwies auf die Tatsache, dass üblicherweise in aller Welt diejenige Partei, die in den Wahlen als Siegerin hervorgegangen sei, auch ihre eigenen Kader mit den Regierungsgeschäften beauftrage.
In Peru indes müsse die Regierungspartei permanent dieses Recht einfordern. Doch auch für dieses offenkundige Missverhältnis zwischen Toledo und Perú Posible gab und gibt es eine offizielle Schreibweise: Es lasse sich nämlich nicht mehr mit dem Amt des Staatspräsidenten in Einklang bringen, wenn Toledo sich aktiv in Parteiangelegenheiten einmischen würde. Daher nehme der Staatspräsident die Rolle eines wohlgesinnten Beobachters ein(!).
Mit der Regierungsumbildung im Juli hat Perú Posible zumindest die Rückkehr zur Teilhabe an der Regierungsverantwortung geschafft. Kurz nach der ersten Sitzung des neuen Kabinetts rief der PP-Fraktionschef und neue Ministerratsvorsitzende Luis Solari den Parteivorstand zusammen, um diesen von seiner Ernennung zu informieren. Die Partei habe gewonnen, so Solaris Worte. Jetzt endlich werde Perú Posible regieren, und zwar mit einem Kabinett, das von einem der Parteigründer geleitet wird. Ob es sich wirklich um einen nachhaltigen Sieg der Partei handelt, wird sich wohl erst in den kommenden Jahren erweisen. Sicher aber kann von einem persönlichen Triumph Luis Solaris gesprochen werden, hatte er doch bereits beim Ausscheiden aus seinem Ministeramt im Januar angekündigt, er werde in Regierungspalast zurückkehren, und zwar durch den Haupteingang und erst dann, wenn sein Erzkonkurrent Dañino nicht mehr dem Kabinett angehören würde.
Das neue Kabinett – gesunde Mischung aus Technikern und Parteipolitikern?
Die relevantesten Änderungen in der Regierung lassen sich wohl am einfachsten mit den drei Namen Roberto Dañino und Pedro Pablo Kuczynski als Ausscheider und Luis Solari de la Puente als der neue starke Mann an der Spitze des Kabinetts auf einen Nenner bringen.
Der neue Personalmix im Ministerrat wird allgemein als vergleichsweise stark parteibezogen gewertet, obwohl es sich bei der Mehrheit der Minister eher um Politiker verschiedenster politischer Vergangenheit und Herkunft und weniger um Führungspersönlichkeiten der Regierungspartei handelt. Zudem ging es dem Staatspräsidenten auch darum, das erneuerte Kabinett mit Regierungserfahrung auszustaffieren und so etwaiger Kritik gleich zuvorzukommen.
Der wichtigste politische Input kann ohne Zweifel Luis Solari in seiner Funktion als Vorsitzender des Ministerrates zugesprochen werden. Der 53-jährige Mediziner ist Mitbegründer der Regierungspartei Perú Posible und langjähriger, engster Weggefährte Toledos. In die Regierung Toledo trat er als Gesundheitsminister ein, musste aber bereits nach einem knappen halben Jahr seinen Ministerstuhl räumen (s.o.).
Seitdem hat er als Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Kongress gewirkt. Solari gilt als streng gläubiger Katholik (mit jesuitischer Erziehung); ihm wurde 1997 vom Papst persönlich der Titel eines Priors des Ordens von San Silvestre verliehen. Neben Solari stellt Perú Posible noch den Chef des neu geschaffenen Bauministeriums, Carlos Bruce de Oca (der vorher als Minister des Präsidialamtes fungierte), den Minister für Verkehr und Kommunikation, Javier Reátegui, den neuen Erziehungsminister Gerardo Ayzanoa sowie die neue Ministerin für Frauen und soziale Entwicklung, Ana María Romero-Lozada, die zugleich dem engsten Umfeld Toledos zugerechnet wird. Damit entstammen immerhin fünf von 16 Ministern den Reihen der Regierungspartei.
Eine andere, nicht nur der peruanischen Öffentlichkeit bekannte Persönlichkeit ist der neue Außenminister Allan Wagner Tizón. Schon zwischen 1985 und 1988 hatte er dieses Amt unter dem sozialistischen Präsidenten Alan García inne. Von 1988 bis 1990 repräsentierte Wagner sein Land als Botschafter in Spanien, danach in Venezuela, wo er aus Protest gegen den Selbstputsch Fujimoris im April 1992 von seinem Amt zurücktrat.
Bis zu seiner erneuten Berufung zum Außenminister wirkte er als peruanischer Botschafter in den USA. Seine Ernennung ließ sofort Gerüchte aufkommen, die von einer Annäherung, wenn nicht sogar von einem Kooperationsagreement zwischen Toledos Perú Posible und der linksgerichteten Apra-Partei Alan Garcías wissen wollten. Beide Politiker dementierten jedoch umgehend, was angesichts der zu erwartenden politischen Konfrontation zwischen den beiden Parteien im Rahmen der anstehenden Kommunal- und Departementswahlen im November auch durchaus als glaubhaft bewertet werden darf.
Bereits zum dritten Mal im Verlauf seiner politischen Laufbahn wurde der neue Wirtschafts- und Finanzminister Javier Silva Ruete in die Regierungsverantwortung berufen. Der 1935 im Norden Perus geborene Wirtschaftsexperte bekleidete schon 1980 bis 1985 unter Präsident Belaunde sowie in der neunmonatigen Übergangsregierung von Valentin Paniagua 2000/2001 dieses Amt. Seine Ernennung wurde von wirtschaftlicher Seite mit einer gewissen Beruhigung und Genugtuung aufgenommen, da man von ihm keine generelle Neuorientierung der peruanischen Wirtschaftspolitik erwartet.