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La Moncloa / flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Country Reports

Politische Ungewissheit nach gescheiterter Regierungsbildung in Spanien

by Dr. Wilhelm Hofmeister
Weil Pedro Sánchez eine Alleinregierung und keine Koalition will, erleidet er zwei Abstimmungsniederlagen im Parlament beim Versuch seiner Wiederwahl zum Ministerpräsidenten. Um Neuwahlen im November zu verhindern, muss bis zum 23. September der Ministerpräsident gewählt sein.

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Dass eine Partei mit weniger als einem Drittel der Parlamentsmandate eine Alleinregierung bilden kann, ist wohl in allen parlamentarischen Demokratien unmöglich. Noch aussichtsloser bleibt ein solcher Versuch, wenn es nicht wenigstens programmatische Absprachen und Abkommen mit anderen Parteien gibt, die einer Minderheitsregierung einen gewissen Handlungsspielraum verschaffen. Pedro Sánchez, der geschäftsführende Ministerpräsident von Spanien, hat es dennoch versucht. Und ist damit gescheitert. Zweimal hintereinander erlitt er am 23. und 25. Juli eine Abstimmungsniederlage in der spanischen Abgeordnetenkammer, als er sich zur Wiederwahl als Ministerpräsident stellte. Offensichtlich hat er das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 28. April nicht richtig verstanden – oder wollte es einfach ignorieren.

Bei den Wahlen am 28. April hatte seine Sozialistische Partei (PSOE) mit 28,7% der Stimmen eine relative Mehrheit von 123 der 350 Mandate in der Abgeordnetenkammer gewonnen. Sánchez war zwar der Wahlsieger mit den relativ meisten Stimmen. Doch das Wahlergebnis zeigte zumindest zwei Dinge sehr deutlich: erstens erschien angesichts der Fragmentierung des Parteiensystems nun auch auf nationaler Ebene zum ersten Mal seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1978 die Bildung einer Koalitionsregierung unvermeidlich. Dass die Sozialisten eine Alleinregierung mit gelegentlicher Unterstützung kleiner Regionalparteien bilden könnten, wie es die PSOE und auch die Volkspartei (PP) bis 2015 praktizierten, war aufgrund der Sitzverteilung und Zersplitterung des Parlaments nicht mehr möglich. Zweitens wollten die spanischen Wähler offensichtlich eine Regierung, die die politische Mitte abbilden würde. Eine stabile, kohärente und handlungsfähige Regierung war nur möglich

mit einer Koalition aus zwei der drei größten Parteien, d.h. der PSOE mit der nationalliberalen Ciudadanos-Partei, die 57 Mandate in der Abgeordnetenkammer hat, sodass beide zusammen auf eine absolute Mehrheit von 180 Stimmen kommen, oder eine Koalition der PSOE mit der Volkspartei, die 66 Parlamentssitze hat, sodass beide zusammen 189 Sitze haben. Eine Linkskoalition mit der linkspopulistischen Unidas Podemos (UP), die Sánchez im Wahlkampf lange abgelehnt hatte, kommt nur auf 165 Mandate und braucht daher noch die Unterstützung nationalistischer Regionalparteien, die einer solchen Regierung zwar in den Sattel helfen können, danach aber ihre eigene Agenda verfolgen werden, sodass eine solche Linksregierung auf Gedeih und Verderb den Pressionen dieser Parteien ausgesetzt ist. Sánchez selbst hat das erlebt. Am 2. Juni 2018 kam er mit Unterstützung einer Allianz aus PSOE, UP und nationalistischen Regionalparteien im Rahmen eines konstruktiven Misstrauensvotums ins Amt. Doch nur wenig mehr als ein halbes Jahr später, im Februar 2019, verweigerten ihm die Nationalisten ihre Zustimmung zu dem Haushaltsentwurf, sodass Sánchez keine andere Wahl hatte als das Parlament aufzulösen und die Wahlen vom April einzuberufen. Und dieses Experiment sollte jetzt gelingen, nachdem es bereits einmal gescheitert war?

Pedro Sánchez verfolgte sogar eine noch ambitiösere Strategie: er wollte (und will wohl auch weiterhin) allein regieren. Am 6. Juni erhielt er von König Felipe VI. den Auftrag zur Regierungsbildung. Die meisten politischen Beobachter und vor allem die im Parlament vertretenen Parteien erwarteten nun, dass er mit anderen Parteien Gespräche und Verhandlungen über die Bildung einer Koalitionsregierung beginnen würde. Doch Sánchez ließ sich Zeit. Zwar hatte er sich zum Ende des Wahlkampfs, als sich abzeichnete, dass die PSOE keinesfalls eine sehr deutliche relative Mehrheit gewinnen würde, bereit erklärt, mit Podemos eine „Linkskoalition“ zu bilden. Doch in ersten Stellungnahmen nach der Wahl gab der geschäftsführenden Ministerpräsidenten zu verstehen, dass er eine Alleinregierung anstrebt. In kurzen Treffen mit den Führern von Unidas Podemos und den Oppositionsparteien Ciudadanos und PP verlangte er deren Unterstützung für seine Wiederwahl, ohne irgendwelche Konzessionen anzubieten. Stattdessen sprach er von einem „Staatspakt“ (pacto de Estado) mit den Oppositionsparteien, und UP bot er zwar eine Art Abkommen über die Zusammenarbeit, aber keine Koalition an. Letztlich lautete das Angebot an beide Seiten, Sánchez zu wählen und ihn danach in Ruhe regieren zu lassen. Ganz offensichtlich setzte er darauf, dass UP und einige Regionalparteien am Ende einlenken und ihn wählen würden, auch wenn er sich einer Koalition verweigerte.

Selbstverständlich lehnten alle Parteien diese Vorschläge ab. Einmal im Amt, das wissen die Parteiführer sehr gut, wäre Sánchez mit umfassenden Machtbefugnissen ausgestattet. Ein konstruktives Misstrauensvotum, bei dem die rechten Parteien einen linken Kandidaten, oder die linken Parteien einen rechten Kandidaten wählen würden, ist mehr als unwahrscheinlich. Auch ohne parlamentarische Mehrheit könnte Sánchez wie bereits seit Juni 2018 mit Dekreten vorläufig weiterregieren. Allerdings hätte er spätestens für die Verabschiedung eines Staatshaushalts wieder eine breite Zustimmung benötigt. Nach den Erfahrungen vom Februar war eine solche Strategie mehr als riskant. Zumal erwartet wird, dass die nationalistischen Parteien nach Verkündung der Urteile gegen die angeklagten katalanischen Separatisten jede konstruktive Zusammenarbeit mit einer nationalen Regierung einstellen. Deshalb auch der nebulöse Vorschlag eines „Staatspaktes“, der von den Oppositionsparteien verlangt hätte, auch einem Haushaltsplan der Regierung ohne ernsthaften Widerspruch zuzustimmen.

Die andere Option, Verhandlungen mit Ciudadanos und/oder der Volkspartei, hat Sánchez nicht ansatzweise verfolgt. Gewiss hatten die beiden Parteien im Wahlkampf immer betont, dass sie Sánchez nicht wählen würden und das auch nach der Wahl bekräftigt. Doch in den parlamentarischen Demokratien muss gemeinhin derjenige, der eine Regierung führen will, nach der Wahl diejenigen Partner suchen, mit denen er eine Mehrheit bilden kann. Sánchez aber unternahm nichts, um eine der Oppositionsparteien zu weitergehenden Gesprächen zu veranlassen. Stattdessen behielt auch er die Wahlkampfrhetorik bei und beschimpfte sie als „extreme Rechte“, weil sie mit den „Faschisten“ der rechtspopulistischen Partei Vox in einigen Autonomen Gemeinschaften und Kommunen paktieren.

Pablo Iglesias dagegen, der Generalsekretär von UP, wartete beharrlich auf die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, denn ohne einen Eintritt in die Regierung, so machte er schon früh deutlich, würde seine Partei die Wahl von Sánchez nicht unterstützen. Iglesias erhob auch gleich konkrete Forderungen im Hinblick auf die Verteilung von Ministerien. Für sich selbst beanspruchte er den Posten eines stellvertretenden Ministerpräsidenten für Soziales und daneben für seine Partei noch das Finanz- und Arbeitsministerium sowie den Posten des Regierungssprechers mit dem Staatssekretariat für Kommunikation. Sánchez aber zeigte ihm die kalte Schulter und reagierte auf diese Ansprüche mit Nichtbeachtung. Nachdem die PSOE bei den Kommunal-, Regional- und Europawahlen am 26. Mai leichte Stimmengewinne gegenüber April erzielte, wurde seine Haltung noch selbstbewusster, manche Kommentatoren meinen: noch arroganter. Weiterhin gab es keine ernsthaften Verhandlungen. Bei den wenigen Gesprächen zwischen Sánchez und Iglesias ging es anscheinend immer zuerst und vor allem um die Verteilung von Ministersesseln und nicht um die Verständigung über politische Sachfragen.

Sánchez aber blieb bei seiner Ablehnung einer Koalition und dem Angebot einer Kooperation ohne Regierungsbeteiligung von UP. Zu Beginn der zweiten Junihälfte äußerte er zum ersten Mal öffentlich, er könne Iglesias nicht als Kabinettsmitglied akzeptieren, weil dieser im Hinblick auf den Katalonien-Konflikt eine Position vertrete, die nicht verfassungskonform sei und er die inhaftierten Anführer des Konflikts um die Erklärung der Unabhängigkeit Kataloniens im Oktober 2017 als „politische Gefangene“ bezeichnete. Diese persönliche Zurückweisung brachte die spärlichen Kontakte zwischen beiden Gruppierungen gänzlich zum Stocken. Zugleich begannen die Regierung und die PSOE eine Öffentlichkeitskampagne, um Iglesias als Hauptschuldigen für das Scheitern von Verhandlungen bloßzustellen. Anfang Juli wurde der 23. Juli als Termin für die Wahl des Ministerpräsidenten festgesetzt. Zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichte das von der Regierung gelenkte Meinungsforschungsinstitut Centro de Investigaciones Sociológicas (CIS) eine Umfrage, wonach die PSOE bei erneuten Wahlen einen erheblichen Stimmenzuwachs zu Lasten fast aller übrigen Parteien erzielen würde. Offensichtlich sollte damit der Druck auf Podemos erhöht werden, letztlich doch für Sánchez zu stimmen.

„Verhandlungen“ über eine Koalition in letzter Minute

Das Kalkül der Regierung aber ging nicht auf. Überraschenderweise erklärte Pablo Iglesias am 19. Juli, wenige Tage vor der ersten Abstimmung am 23., auf einen Eintritt in das Kabinett zu verzichten, sodass die Bildung einer Koalition nicht an seiner Person scheitern müsste. Die PSOE hatte nun praktisch keine andere Wahl, als schließlich doch unter erheblichem Zeitdruck Verhandlungen über eine Koalition zu beginnen. Mittlerweile war es Sánchez offensichtlich auch klargeworden, dass er die Unterstützung von Podemos nicht gratis erhalten würde. Die PSOE ließ allerdings erneut erkennen, wie gering ihr Interesse an einer programmatischen Übereinkunft war; denn als Verhandlungsangebot legte sie ihr zusammengefasstes Wahlprogramm auf den Tisch, das Podemos akzeptieren sollte, ohne selbst viel eigenständige Politikvorschläge in die Verhandlungen und einen eventuellen Koalitionsvertrag einbringen zu können. Zudem weigerte sich die PSOE – wie seitens der UP-Verhandlungsdelegation behauptet wurde –, ihrem künftigen Partner Ministerien mit realem politischen Gewicht und eigener Budgethoheit zu übertragen. Die Verhandlungen endeten ergebnislos. Die Aussprache über den Kandidaten Sánchez am 22. Juli und die Abstimmung am 23. Juli begannen daher ohne eine Übereinkunft zwischen PSOE und Podemos. Zudem hatte Sánchez vor dem 22. Juli auch mit keiner der kleineren Regionalparteien gesprochen, auf deren Stimmen er zusätzlich angewiesen war. Den Parlamentariern und vielen Beobachtern blieb es ein Rätsel, wie Sánchez eine Mehrheit für seine Wahl erreichen wollte.

Seine Bewerbungsrede vor dem Parlament begann Pedro Sánchez mit einem Vorschlag, den er bereits in den Vorwochen geäußert hatte: er versprach, die Verfassung so zu ändern, dass künftig der Kandidat derjenigen Partei, die die relative Mandatsmehrheit erreicht, quasi automatisch zum Ministerpräsidenten gewählt wird, wenn Verhandlungen mit anderen Parteien ergebnislos enden. Allerdings musste auch Sánchez wissen, dass ein solches Vorhaben niemals die erforderlichen qualifizierten Mehrheiten der beiden Kammern des Parlaments erhalten würde. Der Kandidat überraschte das Parlamentsplenum jedoch auch noch damit, dass er an die beiden Oppositionsparteien PP und Ciudadanos die Bitte richtete, seine Wahl durch ihre Enthaltung zu ermöglichen. Von Unidas Podemos wurde dies als ein Affront und erneuter Versuch betrachtet, UP von der Regierungsbildung auszuschließen. Der dritte bemerkenswerte Punkt der Vorstellungsrede von Sánchez war, dass er zwar in sehr allgemeiner Form die Umsetzung der Wahlziele der Sozialistischen Partei vor allem mit Reformen in Feldern der Sozialpolitik in Aussicht stellte, zum wichtigsten innenpolitischen Thema Spaniens aber, dem Konflikt um die Unabhängigkeit in Katalonien, kein Wort verlor. Nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch von den Regionalparteien wurde das scharf kritisiert.

Die Abstimmung am 23. Juli endete wie erwartet. Sánchez verfehlte die absolute Mehrheit deutlich. Er erhielt lediglich 124 Ja-Stimmen (123 Stimmen der Sozialisten plus 1 Stimme der kantabrischen Regionalpartei) gegen 170 Nein-Stimmen und 52 Enthaltungen. UP und einige Abgeordnete von Regionalparteien hatten sich der Stimme enthalten. Noch von der Parlamentstribüne aus machte Pablo Iglesias – bei gleichzeitiger scharfer Kritik an Sánchez - ein neues Angebot zur Bildung einer „Linkskoalition“ – und nannte auch sofort wieder einige Ministerien als Preis für die Zustimmung zu Sánchez im zweiten Wahlgang am 25. Juli. Zugleich begann der Kampf um die Deutungshoheit über den Schuldigen am voraussichtlichen Scheitern der Regierungsbildung.

Am Tag nach dem ersten Wahlgang in der Kammer gab es zwar ein erneutes Gespräch zwischen der stellvertretenden Ministerpräsidentin und dem Verhandlungsführer von UP. Doch der Preis, den Podemos verlangte, war der PSOE zu hoch. Iglesias forderte die Position eines stellvertretenden Ministerpräsidenten für Soziales (für seine Ehefrau Irene Montero, die Sprecherin der UP-Fraktion ist) sowie die Ministerien für Arbeit, Gesundheit und Wissenschaft. Das wichtige Arbeitsministerium wollte Podemos u.a. dazu nutzen, um den Mindestlohn von derzeit 900 auf 1.200 Euro anzuheben. Diesen Preis wollte Sánchez für seine Wahl nicht bezahlen. Vor der zweiten Abstimmung am 25. Juli begründete er seine Ablehnung damit, dass er keine „durch Podemos gesteuerte Parallelregierung innerhalb der Regierung“ zulassen wolle.

Dennoch drängte Iglesias Sánchez noch einmal nachdrücklich zur Bildung einer Linkskoalition und machte ihm gleichzeitig Vorhaltungen wegen der erneuten Zurückweisung der Ansprüche seiner Partei. Der Sprecher der katalanischen Linksrepublikaner (ERC), die in den Wochen davor angedeutet hatten eventuell bereit zu sein, die Wiederwahl von Sánchez durch eine Enthaltung zu unterstützen, drängte die Kontrahenten Sánchez und Podemos nahezu flehentlich um eine Verständigung und Podemos um den Verzicht auf Maximalforderungen, um die einmalige Chance einer Linkskoalition, von denen sich die nationalistischen Regionalparteien große Vorteile erhoffen, nicht zu verspielen. Sánchez bat Iglesias noch einmal eindringlich die angebotenen drei Ministerien für Wohnung und Soziale Wirtschaft, Gleichheit sowie Gesundheit und Konsum nicht zu verachten. Doch der lenkte nicht ein. Mit 124 Ja- und 155 Nein-Stimmen der Oppositionsparteien bei 67 Enthaltungen von UP und einigen Regionalparteien wurde die Wiederwahl von Pedro Sánchez zum Ministerpräsidenten von der Abgeordnetenkammer ein zweites Mal abgelehnt. UP gab zu verstehen, dass die Enthaltung als ein Angebot für neue Verhandlungen zu deuten sei.

Die politische Ungewissheit lastet weiter auf Spanien

Sofern bis zum 23. September nicht doch noch ein Ministerpräsident gewählt wird, kommt es am 10. November zu erneuten Parlamentswahlen. Nach den zwei Niederlagen erlosch der Auftrag an Pedro Sánchez zur Regierungsbildung. König Felipe VI. muss nun erneut mit den Parteiführern sprechen, ehe er wiederum einen Kandidaten mit der Regierungsbildung beauftragt. Der König will den Parteien Zeit für Gespräche untereinander lassen, ehe er die Initiative ergreift. Sollte keine Aussicht auf eine Mehrheit für einen Kandidaten bestehen, wird der König das Parlament auflösen.

Pedro Sánchez ist der einzige, der als Kandidat in Frage kommt. Doch es ist fraglich, ob und wie er eine Mehrheit im Parlament für seine Wahl herbeiführen wird. Die stellvertretende Ministerpräsidentin Carmen Calvo erklärte nach einer Kabinettssitzung am 26. Juli, dass es keine weiteren Verhandlungen mit Podemos geben werde, sondern man andere Möglichkeiten einer Regierungsbildung versuchen wolle. Sie gab zu erkennen, dass die PSOE erneut eine Minderheitsregierung anstrebt und dafür auch die Unterstützung der PP und von Ciudadanos gewinnen will. Gleichzeitig versuchte sie, diese Parteien für ein eventuelles Scheitern des neuen Vorstoßes und die dann folgende Ansetzung von Neuwahlen mitverantwortlich zu machen. Das ist sicherlich keine angemessene Einladung für konstruktive Gespräche. Zwar haben sich in den vergangenen Wochen Vertreter der spanischen Wirtschaft wiederholt für eine Koalition zwischen PSOE und Ciudadanos ausgesprochen und auch in den Medienkommentaren wird mittlerweile diese Option etwas eindringlicher angemahnt. Doch Albert Rivera, der Vorsitzende von Ciudadanos, zeigte sich bisher in der Ablehnung von Sánchez härter als sein Pendant Pablo Casado von der Volkspartei. Seit den gescheiterten Koalitionsverhandlungen von 2016 hegt Rivera ein tiefes Misstrauen gegenüber Sánchez. Sein Einlenken erscheint unwahrscheinlich, da er sich nun von Neuwahlen Vorteile für seine Partei erhoffen kann. Dennoch ist es vielen Ciudadanos-Wählern schwer zu vermitteln, dass die persönliche Animosität zwischen Rivera und Sánchez diese Partei dazu treibt, einer eventuellen Regierungsbildung aus PSOE, Podemos und regionalistischen Kräften tatenlos zuzusehen. Innerhalb der Volkspartei scheint die Abneigung gegen Sánchez nicht ganz so strikt zu sein, auch weil man bei Neuwahlen den Wettbewerb mit Ciudadanos vermeiden will. Doch ist es vorerst ebenfalls unwahrscheinlich, dass die PP die Wiederwahl von Sánchez ermöglicht. Vor allem der Kandidat selbst müsste nun die Initiative ergreifen und deutliche Angebote an Ciudadanos und / oder die PP machen, die zeigen, dass er zu ernsthaften Gesprächen, aber auch zu Konzessionen und Kompromissen bereit ist.

Dazu könnte beitragen, dass Sánchez und der PSOE mittlerweile klar geworden zu sein scheint, dass die günstigen Umfragewerte für die Sozialisten von Anfang Juli wohl nichts über die Zukunft aussagen. Eine deutliche Änderung der Wählerpräfenzen ist nicht zu erwarten. Eher müssen die Parteien des linken Lagers, einschließlich der Sozialisten, befürchten, dass sie vom spanischen Wähler für das Schauspiel der vergangenen Wochen und die Unfähigkeit sich über eine Regierungsbildung zu verständigen abgestraft werden.

Deshalb ist auch nicht vollkommen auszuschließen, dass Sánchez und die PSOE nicht doch noch einen weiteren Versuch zur Bildung einer Linkskoalition unternehmen, die von einigen nationalistischen Regionalparteien unterstützt werden müsste. Dass durch eine Regierungsbeteiligung der UP dann nicht nur der unberechenbare Pablo Iglesias Einfluss auf die Regierung bekäme, sondern auch ausgesprochene Kommunisten am Kabinettstisch Platz nähmen, hätte sicherlich nicht nur erhebliche Folgen für das Format der Regierung, sondern auch für wichtige Politikbereiche und nicht zuletzt das Ansehen und die Stellung des Landes in Europa und darüber hinaus. Schon die Finanzierung der sozialpolitischen Versprechungen der Sozialisten muss kritisch hinterfragt werden. Noch zweifelhafter sind die lohn- und rentenpolitischen Versprechungen von Unidas Podemos, die mit Steuererhebungen finanziert werden sollen. Nachdem die Folgen der letzten Krise von 2011 noch lange nicht überwunden sind, bedrohen die linken wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Versprechungen und Projekte die mühsame errungene wirtschaftliche Erholung des Landes. Die Arbeitslosigkeit ist mit 14% im europäischen Vergleich immer noch sehr hoch; die Jugendarbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen liegt sogar bei immer noch 30%. Kostspielige lohn- und sozialpolitische Experimente können sich rasch als Konjunkturhemmer herausstellen und die Situation am Arbeitsmarkt verschärfen statt zu verbessen. Pedro Sánchez müsste das wissen. Ihm dürfte auch bewusst sein, dass eine Regierung mit der Beteiligung von Unidas Podemos von den europäischen Partnern genau beobachtet werden wird. Deshalb ist es gut möglich, dass er sich am Ende doch gegen diese Alternative entscheidet.

Niemand in Spanien weiß zurzeit, ob und wie die Lähmung des politischen Prozesses vor dem 23. September überwunden wird. Eine der ersten Voraussetzungen dafür wäre wohl, dass die politischen Akteure der verschiedenen Lager akzeptieren, dass Politik auch die Kunst des Kompromisses ist und dass es im politischen Spiel einer parlamentarischen Demokratie normalerweise nicht nur einen Gewinner gibt. Für die politischen Akteure in Spanien ist das ein schwieriger Lernprozess. Das Land und seine Bürger müssen dafür einen teuren Preis bezahlen.

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Dr. Ludger Gruber

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