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reuters/Kacper Pempel

Country Reports

Von der Regierungsumbildung zum Koalitionsbruch?

by David Gregosz, Dr. Piotr Womela, Michael Quaas, Moritz Müller

Erhebliche Spannungen zwischen den polnischen Regierungsparteien

Polens Regierung befindet sich seit Tagen in einer hausgemachten Krise, die selbst gut orientierte Beobachter in Polen überrascht. Zwar gehören an Medien durchgestochene Gesprächsinhalte zum häufig gebrauchten Verhandlungswerkzeug polnischer Politiker, doch die Eindeutigkeit, mit der hochrangige PiS-Vertreter das Ende der Regierungskoalition ankündigten, ging über das bekannte Säbelrasseln hinaus. In der seit 2015 regierenden Koalition aus „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die 198 Abgeordnete stellt, und den beiden kleineren Partnern „Solidarna Polska“ und „Porozumienie“, die zusammen 37 Abgeordnete im Sejm stellen, sind tiefe Risse entstanden. Die absolute Mehrheit im Parlament (235 von 460 Abgeordneten) scheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr sicher, wenn sich kein Kompromiss finden sollte.

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Eigentlich hätte die Ausgangssituation nicht besser sein können. Nach der Parlamentswahl im Herbst 2019 gewann im Juli der Regierungskandidat Andrzej Duda die Präsidentschaftswahl zum zweiten Mal. Es war die sechste erfolgreiche Wahl des nationalkonservativen Lagers seit 2015. Die Koalition hätte also relativ gelassen bis zur nächsten Parlamentswahl 2023 „durchregieren“ können. Zum Konflikt kam es, als der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński im Juli einen Plan zum Neuaufbau der Regierung ankündigte, der u.a. darin bestehen sollte, die Zahl der Ministerien zu reduzieren. Die kleineren Partner stellen zwar nur wenige Abgeordnete, sind aber für die Parlamentsmehrheit notwendig. Auch deren Personal spielt in der aktuellen Situation eine entscheidende Rolle. Zbigniew Ziobro, der Vorsitzende von „Solidarna Polska“, ist als Justizminister für die umstrittenen Justizreformen verantwortlich und Jarosław Gowin, der Vorsitzende von „Porozumienie“, stellt mit Jadwiga Emilewicz eine Vize-Premierministerin. Er selbst musste im April seinen Ministerposten räumen, nachdem er die Zustimmung zu einer reinen Briefwahl für das Amt des Präsidenten verweigerte und so eine Verschiebung der Wahl herbeiführte.

In der Praxis würden diese personellen und strukturellen Reformen, die wohl vor allem die Regierungsarbeit effizienter gestalten, Entscheidungsprozesse vereinfachen und thematische Überschneidungen beseitigen sollten, bedeuten, dass die kleineren Koalitionsmitglieder weniger Ministerien besetzen und Teile ihres Einflusses verlieren würden. Politische Experten und Partner der Konrad-Adenauer-Stiftung weisen deshalb darauf hin, die Umbildung offenbare einen grundlegenderen Konflikt in der „Vereinigten Rechten“, so der Name der Koalition. Dabei gehe es einerseits um die Frage, welche Partei wie viel Einfluss behält und welcher Politiker sich somit für eine potentielle Nachfolge Kaczyńskis am besten in Stellung bringen könnte. Das eigentliche Machtzentrum des Regierungslagers befindet sich nämlich in der Nowogrodzka-Straße, dem PiS-Parteisitz, beziehungsweise in Kaczyńskis Büro, dem Architekten der Erfolge der Nationalkonservativen seit 2015. Seit längerem drängen die Chefs der zwei kleineren Koalitionsmitglieder darauf, stärker berücksichtigt zu werden: Zum einen Ziobro, der Mitbegründer und bis 2011 aktiver und treuer Politiker der PiS war, bis er die Partei Solidarna Polska gründete, obwohl er seine Karriere gänzlich den Kaczyński-Brüdern zu verdanken hat. Zum anderen Gowin, der zuvor Justizminister in der Tusk-Regierung und später Minister für Hochschulbildung unter Szydło und Morawiecki war. Seine Partei repräsentiert eher liberale Ansichten. Ziobros als illoyal gegenüber dem Vorsitzenden beschriebenes Verhalten und die Schärfung seines Profils als nationalkonservativer Hardliner zeigen bereits jetzt den Ehrgeiz, Kaczyński in den Ruhestand zu schicken und sein Vermächtnis übernehmen zu wollen – und damit seine Position auf Kosten des potenziellen Nachfolgers, Premierminister Mateusz Morawiecki, zu stärken. Letzterer verfügt über wenig Rückhalt in der PiS, soll aber Informationen zufolge in einigen Monaten zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt werden. Der Versuch Ziobros, in seine Heimpartei zurückzukehren und so parteiintern die Vorsitzfrage zu stellen, scheiterte am Veto Kaczyńskis.

Andererseits gehe es um die Frage, welchen Weg Polen im andauernden Rechtsstaatlichkeitskonflikt mit der EU-Kommission einschlagen will und ob es sich einen neuen Konflikt über die Werte der EU wortwörtlich leisten kann. Ein offenes Geheimnis und von journalistischen Quellen bestätigt ist die tiefe Abneigung zwischen dem Lager des Justizministers und des Premierministers Morawiecki. Ziobros zumeist junge, scharf auftretende und sich im Sejm sowie im Europaparlament durch hohe Konfliktfreudigkeit auszeichnende Politiker scheuen sich nicht, sich im Land in Abgrenzung von der PiS als konservative Option zu stilisieren und den sich abzeichnenden Konflikt mit der Europäischen Kommission über LGBT-Rechte offen auszutragen. Wohl auch mit Blick auf die in etwa 100 polnischen Gemeinden verabschiedeten Erklärungen zum Verbot der „LGBT-Ideologie“ erklärte die Vize-Präsidentin der EU-Kommission, Vera Jurova, „wenn jemand nicht versteht, warum wir unsere Werte schützen müssen, versteht er vielleicht die Sprache des Geldes“. Und tatsächlich wurden bereits EU-Städtepartnerschaftsmittel für sechs Gemeinden zurückbehalten. Die in den Ratsverhandlungen vom Juli eingebrachte Konditionalität für den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 könnte für Polen massive finanzielle Folgen nach sich ziehen, ein Fakt, der dem pragmatischen Premierminister schmerzlich bewusst ist. Gleichzeitig würde der Verlust europäischer Mittel indirekt das Aus der populären (und teuren) Sozialmaßnahmen bedeuten und die Wahlaussichten für die PiS in drei Jahren verschlechtern.

Angriffe der Solidarna Polska auf Morawiecki nach den Ratsverhandlungen im Juli (oder in den Medien kursierende Berichte, dass die Ziobro unterstehende Staatsanwaltschaft Finanzen des Premierministers prüfe) brachten die Frage auf, wie weit die kleineren Partner gehen und ob sie aus der Fraktionsdisziplin ausscheren würden. Zur Eskalation kam es in der vergangenen Woche, als Kaczyński zwei umstrittene Gesetzentwürfe in den Sejm einbringen ließ. Das Gesetz, das Amtsträgern Straffreiheit garantieren sollte, die beim Vorgehen gegen das Coronavirus gegen Gesetze verstoßen haben, wurde zunächst zurückgezogen. Dies ist besonders interessant im Hinblick auf das Urteil, das Premierminister Morawiecki verfassungswidriges Handeln bei der Vorbereitung der Wahlen im Mai bescheinigt. Morawiecki wollte die Präsidentschaftswahl im Mai als reine Briefwahl durchführen, erhielt aber nicht die nötige Unterstützung seiner Koalitionspartner. Auch andere Kabinettsmitglieder stehen deshalb unter öffentlichem Druck.

Später stimmten dann sowohl die Abgeordneten von „Solidarna Polska“, als auch einige PiS Abgeordnete gegen ein neues Tierschutzgesetz, das Pelzfarmen verbietet und das rituelle Schlachten von Tieren einschränkt. Ziobro probte den Aufstand unter dem Vorwand, die einflussreiche Pelzlobby zu verteidigen, die auch von einigen Mitgliedern der PiS unterstützt wird. Ziobros Plan scheiterte, nachdem Kaczyński 14 Politiker der PiS suspendierte und viele PiS-Leute die Koalition in Frage stellten. Beschlossen wurde das Tierschutzgesetz mit Stimmen der Opposition dennoch.

Es gibt Spekulationen über verschiedene Szenarien, wie es mit der polnischen Regierung weitergehen wird. Gesprächspartner sind sich mittlerweile sicher, dass die Regierung aus diesem Streit nicht unbeschadet hervorgehen wird, doch gehen sie von einem Fortbestehen der Regierungsmehrheit aus. Neuwahlen und eine Minderheitsregierung sollen wohl verhindert werden, schon alleine aufgrund der schlechten Erfahrungen, die man im PiS-Lager 2007 gemacht hat. Damals hatte man selbstbewusst Neuwahlen ausgerufen, diese dann aber verloren. Spekuliert wird über ein anderes Szenario: So soll der Parteivorsitzende der PiS Jarosław Kaczyński einen Posten als stellvertretender Premierminister übernehmen und damit erstmals seit 2007 wieder ein Regierungsamt übernehmen. Kaczyński galt seit der erneuten Regierungsübernahme der PiS zwar insgeheim als Kopf der Regierung, war allerdings nur einfacher Abgeordneter im Sejm. In seiner neuen Aufgabe als Vize-Premierminister soll er Medienberichten zufolge u.a. direkt dem Justizministerium von Zbigniew Ziobro vorgesetzt sein und diesen beaufsichtigen. Durch das direkte Eingreifen Kaczyńskis soll wohl das Verhältnis innerhalb der Regierung entspannt und weitere Eskalationen verhindert werden. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Krise in der Koalition abgewendet wird und Kaczyński der Anführer der Nationalkonservativen bleibt, hat das Ansehen der „Vereinigten Rechten“ Risse bekommen und der nächste Konflikt droht schon bald aufzubrechen. 

 

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David Gregosz

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