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Country Reports

Vox Populi

by Franz-Josef Reuter, Kristin Vorpahl

Am 7. Oktober haben die Kalifornier ihren Gouverneur abgewählt

Am 7. Oktober 2003 stimmten die kalifornischen Wähler für die Abwahl von Gouverneur Gray Davis. Zu seinem Nachfolger wählten sie Arnold Schwarzenegger.

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Eine Abwahl-Wahl hat es in Kalifornien, dem „Heimatstaat der direkten Demokratie“, noch nie gegeben. Nun haben 55 Prozent der kalifornischen Wähler entschieden, dass sie ihren Gouverneur, den Demokraten Gray Davis, nicht behalten und durch den Republikaner Arnold Schwarzenegger ersetzen wollen. Mit mehr als 3,7 Millionen Stimmen erhielt Schwarzenegger etwa die Hälfte aller abgegeben Stimmen.

Vor weniger als einem Jahr hatten die Wähler Davis noch im Amt bestätigt, jetzt sahen seine politischen Gegner eine Chance, den unbeliebten Gouverneur vorzeitig aus dem Amt zu vertreiben. Initiator des neuesten kalifornischen Referendums war Darrell Issa, ein republikanischer Abgeordneter aus dem suburbanen San Diego und hundertfacher Millionär mit der Polizeiakte eines Kleinkriminellen.

Der Karrierepolitiker Gray Davis ist bekannt für seinen Intellekt, nicht aber für Herz und Seele. Noch-Gouverneur Davis ist ein Technokrat, der sich gerne in langatmige Ausführungen zur Haushaltspolitik verstrickt und darüber schon mal die eigene demokratische Parteibasis vergisst. Von Technokraten erwarten die Wähler, dass sie den Haushalt auf Vordermann bringen. Während seiner ersten Legislaturperiode hatte Davis damit keine Probleme. Der Internetboom und das Wirtschaftswachstum der Clinton-Jahre sorgten für volle Kassen in einem Staat, in dem oft die Wähler über die Höhe ihrer Steuern bestimmen. In den vergangenen beiden Jahren hat der Internetboom sein jähes Ende gefunden. Die Steuereinannahmen sind stark gesunken, und die Energiekrise ist noch heute allgegenwärtig. Davis’ 135 Herausforderer gaben dem Gouverneur die Schuld an alledem und boten sich den Wählern als die besseren Gouverneure an.

In dem zweistufigen Verfahren sollten die Stimmberechtigten zuerst entscheiden, ob sie Davis überhaupt abwählen wollen. Über die die Hälfte der Wähler stimmte für Davis’ Abwahl, die den Staat Kalifornien nicht nur einen gewählten Gouverneur, sondern auch rund 70 Millionen Dollar gekostet hat. Im zweiten Schritt konnten sich die Wähler für einen von 135 Kandidaten aussprechen, unabhängig ob sie für oder gegen die Abwahl gestimmt hatten. Die Reihenfolge der Namen auf dem Wahlzettel unterschied sich von Wahlkreis zu Wahlkreis, um eventuelle Unstimmigkeiten á la Florida auszuschließen.

Die hohe Zahl von Kandidaten überrascht nicht: Ein Abwahl-Referendum ist eine äußerst kosten- und zeitsparende Möglichkeit, als Gouverneur zu kandidieren oder sich zumindest Popularität zu verschaffen. So fanden sich auf dem Wahlzettel denn auch die Namen von drittklassigen Filmstars, Komikern und Stripteasetänzerinnen. Die Registrierung kostete nur 3,500 Dollar und 75 gültige Unterschriften. Der Wahlkampf dauerte gerade acht Wochen und kann schon deshalb keine riesigen Kampagnenbudgets verschlingen.

Geld spielte trotzdem eine ähnlich wichtige Rolle wie die Bekanntheit. Der Bodybuilder und österreichische Emigrant Arnold Schwarzenegger hat beides zur Genüge. Mit der Unterstützung der Republikaner ist er Davis’ Nachfolger geworden. Allein der Riese aus Graz mit dem starken Akzent – Amerikaner lieben seinen Standardsatz „I’ll be back“ – war eine Attraktion. Sein Starrummel hat ihm geholfen, ernsthaften Diskussionen zu Kaliforniens Problemen aus dem Weg zu gehen. Schwarzenegger hat nur an einer Fernsehdebatte teilgenommen. Interviews führte der Schauspieler fast ausschließlich mit TV-Unterhaltern wie Jay Leno – in dessen Sendung er seine Kandidatur ankündigte – und Oprah Winfrey, die niemandem tiefgründige Fragen stellen. Journalisten erhalten nur persönliche Auskunft, wenn sie von einem Hollywoodblatt kommen. Trotzdem: Bei öffentlichen Auftritten hat Schwarzenegger – schon in seinen Filmen nicht gerade eine Plaudertasche – seine Anhänger mit den Worthülsen seiner bekanntesten Rolle davon zu überzeugt, dass er der bessere Gouverneur wäre. „Hasta la vista, baby' to those guys.“

Für die Demokraten war Cruz Bustamante angetreten. Bustamente ist Davis’ Stellvertreter und wegen seiner mexikanischen Herkunft besonders bei den kalifornischen Latinos populär. „Nein zur Abwahl, Ja zu Bustamante“, hieß der Wahlkampfslogan des Demokraten. Bustamante konnte sich schon aus taktischen Gründen nicht für die Abwahl seines Vorgesetzten aussprechen. Die Unterstützung bekannter Demokraten wäre ihm dann gänzlich versagt geblieben. Wichtige Demokraten waren von vorneherein verärgert, dass Bustamante sich nicht ganz und gar für Davis ins Zeug gelegt hat. Die Clintons, Al Gore, General Wesley

Clarke und viele andere ignorierten Bustamante und verschrieben sich dem Nicht-Abwahlkampf von Davis.

Dabei war Bustamantes Position plausibel. Hätte sich eine Mehrheit für Davis’ Abwahl ausgesprochen, dann wäre das Feld den Republikanern überlassen gewesen. Für Bustamante haben 32 Prozent der Wähler gestimmt. Der zweite Republikaner im Feld war McClintock; Initiator Issa hatte seine Kandidatur längst zurückgezogen und sich Schwarzeneggers Wahlkampf verschrieben.

McClintock gehört zum konservativen Flügel der Republikaner und lief von Anfang an Gefahr, bei den liberalen Kaliforniern keinen ausreichenden Rückhalt finden. Seine intoleranten sozialen Ansichten, was Arme, Homosexuelle, Abtreibung, illegale Immigranten und den Besitz von Schusswaffen angeht, machen ihn unbrauchbar für das höchste Amt in Amerikas mannigfaltigstem Staat. McClintock konnte 13 Prozent der Wähler für sich gewinnen.

Peter Camejo, der ewige Kandidat der Grünen, hätte da schon eher in das Land von Wein und Baumwolle gepasst. Neben Ideen für den Umweltschutz hat er auch ein Programm für ein faires Steuersystem vorgestellt. Allerdings: Kalifornien hat schon eines der progressivsten Steuersysteme in den USA. Für Camejo stimmten 3 Prozent der Wähler. Ganz links im Kandidatenspektrum stand Arianna Huffington. Einst erzkonservativ, hat sich die Autorin und Kolumnistin Huffington vor einigen Jahren zum Liebling jener Linken gewandelt, die sich selbst bei den Demokraten nicht mehr heimisch fühlen. Huffington sprach von Fundamentalreformen und musste zusehen, wie sie sich durch die eigene undurchsichtige Steuermoral selbst disqualifizierte. Sie hat ihre Kandidatur aufgekündigt und will nun alles tun, um einen Gouverneur Schwarzenegger zu verhindern. Den Demokraten Bustamante hat sie nicht unterstützt, vielmehr bezeichnete sie die Abwahl plötzlich als dumme Idee.

Auch wenn Experten glauben, dass es noch Wochen dauern wird, bis alle Stimmen ausgezählt sind: Niemand wird Schwarzenegger seinen Sieg vorerst streitig machen können. Auch wenn einige Demokraten, so munkelt mancher Journalist, schon eine neue Version des Abwahlkampfes planen.

Die letzten Tage des (Ab-)Wahlkampfes zeichneten sich durch ein doppeltes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Davis und Schwarzenegger auf der ersten Stufe und Schwarzenegger und Bustamante auf der möglichen zweiten Stufe aus. Schwarzenegger kämpfte damit an zwei Fronten. Für die Woche vor dem 7. Oktober machte er eine im amerikanischen Wahlkampf traditionelle Bustour durch Kalifornien. Bustamante umwarb die Latinos, die etwa 14 Prozent der kalifornischen Wähler ausmachen. Doch ihm ging im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten Davis das Geld aus, was besonders eine Woche vor der Volksabstimmung fatal ist. Denn, so glauben Analysten, die meisten Wähler sind sich bis kurz vor der Abstimmung nicht sicher, wie sie wählen sollen. Nachhelfen wollen die Kandidaten da vor allem mit Fernsehspots. Die sind teuer; 10 Millionen Dollar gaben allein

Davis und Schwarzenegger in den sieben Tagen vor der Wahl aus. Sie waren die einzigen Kandidaten, die keine Geldsorgen hatten und – wie es der Muskelmann ausdrückt – übers Fernsehen miteinander „Krieg“ führen konnten.

Es war die erste Abwahl eines Gouverneurs in der Geschichte des Sonnenstaats. Das Referendum selbst ist nur Teil einer langen Serie von Volksabstimmungen. 1911 hatte Gouverneur Hiram Johnson die Mechanismen direkter Demokratie – Initiative, Referendum und Abwahl – nach Kalifornien gebracht. Damals kontrollierte die Eisenbahngesellschaft Southern Pacific Railroad die kalifornischen Regierungsinstitutionen. Als Kandidat wetterte Johnson gegen Korruption. Als Gouverneur beherzigte er den Rat eines Freundes: Er schuf ein System direkter Gesetzgebung, das den Bürgern als Instrument dienen würde, selbst wenn die politische Maschinerie der Eisenbahngesellschaft wieder an die Regierung kommen sollte.

Howard Jarvis, ein konservativer Unternehmer, machte sich die direkte Demokratie 1978 zunutze – und veränderte die politische Landschaft des Staates mit einem Schlag. Die berühmte Initiative “Proposition 13”, der die Wähler mit großer Mehrheit zustimmten, senkte die Eigentumssteuern auf die Höhe von 1975 und schrieb fest, dass diese Steuern sich nicht um mehr als zwei Prozent erhöhen dürften. Sämtliche Steuererhöhungen auf lokaler Ebene bedürfen seitdem einer Zweidrittelmehrheit.

Das aktuelle Abwahlspektakel lässt sich bis 1975 zurückverfolgen, denn Proposition 13 unterhöhlt die Steuerbasis Kaliforniens, indem sie der Legislative die Hände bindet, selbst wenn Steuererhöhungen notwendig und sinnvoll wären. Seit 1975 gibt es außerdem eine ganze Industrie, die sich der Idee der Bürgerinitiative verschrieben hat. Kaliforniens Gesetzgeber und Gouverneure regieren innerhalb der Grenzen von möglichen Bürgerinitiativen. Überschreiten sie diese Grenzen, werden sie selbst zum Gegenstand direkter Demokratie. Peter Schrag, Journalist beim Sacramento Bee und Autor des Buches Paradise Lost: California’s Experience, America’s Future, nennt das politische System des Pazifikstaats einen „Zyklus von Frustration, Reform und neuer Frustration“. In diesem Kreislauf ist die Antwort auf jede neue Krise eine Welle von Initiativen, die Problemlöcher mit Volkes Garn stopfen wollen.

„Wähler“, so Schrag, „halten ihre Regierung für unzuverlässig und wollen die Regierungsarbeit mithilfe von Initiative einschränken.“ Die Regierenden haben oftmals gar keine Möglichkeit, sich aktueller Probleme anzunehmen. Gouverneur Davis regiert über ein Haushaltsdefizit von 38 Milliarden Dollar. Ganz unschuldig ist er daran nicht – doch dieses Loch mit höheren Steuern zu stopfen ist ihm nur sehr beschränkt gewährt. Und selbst Davis’ Gegenkandidaten hatten kein Rezept. Schwarzenegger hatte sich zwar den Finanzjongleur und Demokraten Warren Buffett in sein Beraterteam geholt. Als Buffett im Wall Street Journal jedoch vorschlug, Kaliforniens Haushalt mit höheren Eigentumssteuern zu sanieren, jagte der Actionheld ihn gleich wieder fort.

In sechs Wochen wird Schwarzenegger in sein neues Amt eingeschworen. Bustamante bleibt Kalifornien als stellvertretender Gouverneur erhalten. Schwarzenegger hat sich viel vorgenommen; Filme drehen will er erstmal nicht. Auch Präsident George W. Bush hat schon angekündigt, den ehemaligen Fitnessbeauftragten der USA – Bushs Vater hatte ihn Anfang der 1990er dazu ernannt – bald empfangen zu wollen.

Washingtons Politikanalysten spekulieren derweil über die Auswirkungen der Abwahl auf die Präsidentschaftswahl im November 2004. Kalifornien stellt die beachtliche Zahl von 55 Wahlmännern und gilt als durch und durch demokratisch dominierter Bundesstaat. Im Jahr 2000 hatte Al Gore hier einen Vorsprung von mehr als 1,3 Millionen Stimmen gegenüber George Bush.

Mit Blick auf November 2004 sagt Peter Beinhart von der eher im neokonservativen Spektrum einzuordnenden New Republic: „Kalifornien hat eine lange Tradition populistischer Revolten aus dem rechten Flügel“ – siehe Richard Nixon, siehe Ronald Reagan – und dennoch: „Ich glaube das Kalifornien auch weiterhin ein liberaler demokratisch dominierter Bundesstaat bleibt.“

Sollte Schwarzenegger, der vielen Republikanern als allzu liberal gilt – er befürwortet das Recht der Frau auf Abtreibung – Kaliforniens Probleme nicht in Griff bekommen, dann können sich die Demokraten freuen. Der Frust der Bürger könnte sich während des Präsidentschaftswahlkampfes schnell gegen die Republikaner richten. Im demokratischen Mutterstaat Kalifornien ist das gut denkbar: Hier ist die Kritik an Bushs Irakpolitik mit am schärfsten.

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