Country Reports
Wie es aus dem vergangenen Fortschrittsbericht der EU-Kommission im Jahr 2016 zu entnehmen ist, hat sich Albanien mit den genannten Forderungen sichtbar schwer getan. Nur wenige Fortschritte konnten bis dahin erzielt werden. Die Meinungen, ob Albanien bereits reif für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sei oder nicht, gehen sehr weit auseinander. Am 17. April 2018 ist nun ein neuer Fortschrittsbericht über Albanien von der EU-Kommission veröffentlicht worden, der diesmal die EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien unkonditioniert empfiehlt.
Dem Deutschen Bundestag und seinen parlamentarischen Fraktionen kommt bei Initiativen für Beschlüsse zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen eine wichtige Rolle zu. Vor der abschließenden Entscheidung im Europäischen Rat soll die Bundesregierung nach § 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) ein Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen.
Im Frühjahr und Herbst 2016 kam vor diesem Hintergrund eine fact-finding-Mission der CDU/CSU-Bundestagsfraktion des Deutschen Bundestages nach Tirana, um ihre Erwartungen zu formulieren, die sie erfüllt sehen will, damit die größte Fraktion im Deutschen Bundestag einer Aufnahme von Verhandlungen Albaniens mit der EU zustimmen kann. Doch sowohl die Mission als auch der im Herbst von der EU-Kommission veröffentlichte Fortschrittsbericht 2016 kamen zu dem Ergebnis, dass Albanien bezüglich der sogenannten 5 Schlüsselkriterien und den zusätzlichen Erwartungen bei der Wahlreform im Sinne der OSZE/ODIHR und der Dekriminalisierung keine wesentlichen Fortschritte zu verzeichnen hatte. Weder die EU noch ihre EU-Mitgliedsstaaten konnten durch den Bericht davon überzeugt werden, einer Eröffnung von Beitrittsverhandlungen zum damaligen Zeitpunkt zuzustimmen.
Umso größer waren nun die Erwartungen, die an den jüngst erschienenen Fortschrittsbericht 2018 der EU-Kommission gestellt wurden. Die albanische Politik, insbesondere die seit September mit absoluter Mehrheit im Parlament regierende Sozialistische Partei, erwartete, dass der Bericht diesmal klare Signale für eine Aufnahme der Beitrittsverhandlungen in Richtung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten senden würde. So war die Freude in Tirana darüber groß, dass die EU-Kommission sich in ihrem neuen Fortschrittsbericht diesmal für eine unkonditionierte Empfehlung der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien aussprach. Es bleibt jedoch weiterhin fraglich, ob das bisher Erreichte tatsächlich ausreicht, um auch die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten von einer Verhandlungsaufnahme zu überzeugen. Ende Juni werden die einzelnen Staaten auf einem EU-Gipfel über die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen abstimmen.
Skepsis in Deutschland bezüglich Beitrittsreife Albaniens
Am 25.04.2018 traf sich der albanische Ministerpräsident Edi Rama im Rahmen seines offiziellen Besuches in Deutschland unter anderem mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, um intensive Gespräche zu führen und für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien zu werben. In den Gesprächen betonte Rama, dass Albanien die geforderten Bedingungen erfüllt habe und man deshalb keine Zeit im Eröffnungsprozess der Verhandlungen verlieren dürfe. Kanzlerin Merkel hingegen legte sich in der Frage, ob sie die Aufnahme von Verhandlungen unterstützen wird, noch nicht fest. Bis zum entscheidenden EU-Gipfel Ende Juni wird sie die Zeit nutzen, um sich eine abschließende Meinung über weiterhin zu erfüllende Bedingungen sowie erreichte Fortschritte zu bilden. Grundsätzlich zeigt sich die Kanzlerin jedoch von einer europäischen Perspektive für alle Staaten des westlichen Balkans überzeugt.
Innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich bislang noch keine eindeutige Haltung bezüglich der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen herausgebildet. Einige Unionsabgeordnete stehen einem möglichen Beginn der Beitrittsgespräche mit Verweis auf die Erfahrungen der Erweiterungsrunde 2007 sehr skeptisch gegenüber. Befürworter hingegen wollen den Beginn der Verhandlungen an die Bedingung der erfolgreichen Umsetzung der geforderten Justizreform knüpfen. Das Ergebnis der Verhandlungen innerhalb der Union ist somit noch völlig offen.
Im Folgenden soll darüber Aufschluss gegeben werden, ob es seit dem letzten Fortschrittsbericht 2016 bis heute innerhalb der einzelnen Schlüsselkriterien zu Fortschritten, Rückschritten oder einem Stillstand gekommen ist, um eine fundierte Bewertung der derzeitigen Entwicklungen mit Hinblick auf die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen vornehmen zu können.
Reform der öffentlichen Verwaltung
Im Jahr 2017 konnte Albanien zunächst erkennbare Fortschritte bei der Reform der öffentlichen Verwaltung verzeichnen, insbesondere hinsichtlich der Verabschiedung neuer Rechtsvorschriften über die öffentliche Verwaltung, die Ausarbeitung neuer Regeln für die Rekrutierung und den beruflichen Aufstieg der Beamten (sog. Zivilbeamte). So wurde die Arbeitsvermittlung im öffentlichen Sektor verbessert, indem eine Regelung zur Ausschreibung freier Stellen für Zivilbeamte getroffen wurde. Die Zuteilung von Arbeitsplätzen nach politischer Zugehörigkeit sollte so ein für alle Mal beendet werden. Doch bereits während des Wahlkampfes 2017 kam es erneut zu Rückschlägen. Nach seinem Wahlsieg im September 2017 veranlasste Ministerpräsident Rama im Rahmen der Neuordnung der Ministerien die Entlassung zahlreicher Direktoren und Angestellter des öffentlichen Dienstes. Die höchsten Beamten in den Ministerien und Direktoren der öffentlichen Verwaltung wurden unter Verletzung des Zivilbeamtengesetzes erneut ohne offene Ausschreibungen direkt von der Regierung nominiert. Meist handelte es sich um ehemalige Abgeordnete oder wichtige politische Vertreter. Im März 2018 berichtete der für die Überwachung des öffentlichen Dienstes zuständige Beauftragte dem Parlament, dass 30% der Einstellungen in der öffentlichen Verwaltung als gesetzwidrig einzustufen sind.
Eine weitere Maßnahme des Ministerpräsidenten Rama war die Verkleinerung und Zusammenlegung einiger Ministerien. Die bis dahin bestehenden 20 Ministerien wurden auf insgesamt 15 Ministerien verringert. Innerhalb dieser neustrukturierten Ministerien kam es in der anschließenden Zeit (Oktober bis Dezember 2017) vermehrt zu Schwierigkeiten, da diese einige Zeit brauchten, um sich an ihre neuen Zuständigkeiten zu gewöhnen und mit ihnen zurecht zu kommen.
Im Bestreben nach einer effizienten, entpolitisierten und professionellen öffentlichen Verwaltung sind demnach einige Rückschritte zu verzeichnen, die insbesondere durch die weiterhin mögliche politische Kontrolle der Regierung über die öffentliche Verwaltung entstanden sind. Zudem besteht weiterhin ein Mangel an gesetzlichen Garantien für längerfristige Beschäftigungsverhältnisse für Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung. Auch die Berufsausbildung bzw. berufliche Fortbildung bleibt problematisch.
Justizreform
Im Rahmen der Justizreform hat Albanien erste größere Fortschritte erzielt. Die Schaffung von funktionsfähigen Strukturen für die Neubewertung von Richtern und Staatsanwälten schreitet voran. Dennoch hat der Prozess unter Verzögerungen gelitten, die den Verlauf der Reform beeinträchtigt und ihn ins Stocken gebracht haben.
Die Besetzung der sog. Vetting-Kommissionen zur Überprüfung der Richter und Staatsanwälte wurde durch die andauernde politische Krise zwischen DP und SP, die erst im Mai 2017 durch ein politisches Übereinkommen gelöst werden konnte, verzögert. So konnte erst kurz vor den Parlamentswahlen eine Auswahl an Mitgliedern für die Überprüfungskommission durch das Parlament bestätigt werden. Einigen dieser Kandidaten wurden jedoch mangelnde juristische Fähigkeiten unterstellt oder indirekte politische Unterstützung eigener politische Lager vorgeworfen. Die mangelnde Transparenz innerhalb des Auswahlprozesses, trotz des hohen Interesses der Öffentlichkeit, wurde stark kritisiert. Inzwischen konnte die Datensammlung für dutzende Richter und Staatsanwälte bereits abgeschlossen werden. Seit Ende März 2018 finden Anhörungen statt. Dennoch haben die erheblichen Verzögerungen bei der Umsetzung der Justizreform und bei der Schaffung der erforderlichen Überprüfungsstrukturen dazu geführt, dass bis heute, obwohl Experten zufolge 100% der Richter und Staatsanwälte innerhalb eines Jahres überprüft werden könnten, lediglich 6 der rund 800 Richter und Staatsanwälte im Rahmen des Vetting-Prozesses überprüft wurden (4 Personen: nicht bestanden, 2 Personen: bestanden). Lange hat es die Regierung versäumt, ihrer Verpflichtung nach technischer und finanzieller Unterstützung der Vetting-Strukturen ausreichend nachzukommen. Einzelne Richter und Staatsanwälte, die bereits vor ihrem Vetting unter Berufung auf ihr nahenden Renteneintritt oder dem mangelnden Interesse an einer erneuten Kandidatur zurückgetreten sind, werden dem Vetting-Prozess nicht mehr unterzogen. Der gesamte Vetting-Prozess wird voraussichtlich 5 Jahre andauern, Experten gehen davon aus, dass viele der Richter und Staatsanwälte die Überprüfung nicht bestehen werden.
Ende des Jahres 2017 waren lediglich zwei der geplanten neuen Justizinstitutionen nach einigen Verzögerungen formal eingerichtet: die Vetting-Kommissionen sowie der Rat für Ernennung in der Justiz (CAJ). Die Errichtung des Hohen Rates der Justiz (JHC) sowie des Hohen Rates der Staatsanwaltschaft (PHC) konnte mangels geeigneten Personals erst Anfang 2018 abgeschlossen werden. Diese Verzögerung wirkte sich ebenfalls auf die Wahl eines neuen Generalstaatsanwaltes aus, da dieser nach der neu geschaffenen Rechtslage im Dezember 2017 durch den PHC hätte gewählt werden müssen. Dieser war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingerichtet. Die SP wählte daraufhin mit den 69 von 140 Stimmen eine vorläufige Generalstaatsanwältin. Dieser höchst umstrittene Schritt führte zu starken Protesten im Parlament. Einige Strukturänderungen der vorläufigen Generalstaatsanwältin innerhalb der Personalführung der Staatsanwaltschaft wurden stark kritisiert.
Schwierigkeiten bereitete zudem die Übergangsphase, in der völlig unklar war, welche Justiz-Akteure zuständig sind und aktiv werden sollen, da alte Gremien durch Gesetzesänderungen nicht länger zuständig waren und neue hingegen mangels abgeschlossener Vetting-Prozesse noch nicht eingerichtet oder funktionsfähig waren. Bis heute bleibt die Zuständigkeitsfrage unklar. Wenn eine Person das Vetting nicht erfolgreich absolvieren kann, bedeutet dies einen weiteren leeren Platz für das Justizsystem, den es zu füllen gilt. Neubesetzungen sind jedoch entsprechend der neuen Rechtslage nur mit Stellenanwärtern möglich, die das Vetting bereits erfolgreich absolviert haben. Derzeit leiden insbesondere die Arbeitsfähigkeit und Entscheidungsfindung der beiden obersten albanischen Gerichte unter diesem Prozess, da lediglich die Hälfte der Richterstellen an den beiden Gerichten besetzt ist.
Von allen gesetzlichen Regelungen, die das Reformpaket für die Justiz vorsieht, konnten bereits 95% erledigt und im Parlament verabschiedet werden. Umgesetzt und implementiert wurden von diesen 95% jedoch erst 5%. Die Errichtung einer unabhängigen Sonderkommission des Parlamentes, die für die Koordinierung, das Monitoring und die Überwachung der Implementierung der einzelnen Reformvorhaben zuständig sein soll, wurde vom Parlament bisher versäumt. Zudem steht das Parlament in der Kritik, einige Empfehlungen der Internationalen Beobachtungsmissionen (IMO), die den Ausschüssen beratend zur Seite stehen, weder angesprochen noch reflektiert zu haben.
All diese Entwicklungen lassen an dem Willen der Regierungs- und Oppositionsparteien zu einer erfolgreichen Umsetzung der Justizreformen zweifeln. Experten gehen davon aus, dass ihr mangelnder Umsetzungswille auf ihrem Interesse an der weiteren Einflussnahme auf das Justizsystem basiert. Daher erscheint es umso wichtiger, dass der Reformprozess durch die Unterstützung internationaler Akteure begleitet wird, um so die hohen Erwartungen der Bevölkerung an eine erfolgreiche Reform des Justizwesens erfüllen zu können.
Korruptionsbekämpfung
Bis heute haben es Regierung und die Staatsanwaltschaft versäumt, wichtige Untersuchungen über korrupte hohe Beamte einzuleiten und nennenswerte Erfolge in Form von Verurteilungen und Verhaftungen wegen Korruption zu erzielen. Es war wiederholt zu beobachten, dass die Regelungen zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität gegen hochrangige Beamte und Politiker weniger strikt angewendet wurden als gegen Beamte der mittleren und unteren Ebene. Die Sonderbehörde, die durch ein Gesetz zur Korruptionsbekämpfung geschaffen wurde, ist aufgrund der Verzögerungen bisher noch nicht eingerichtet und tätig geworden. Auch die hohe Aufsichtsbehörde für die Kontrolle von Vermögenswerten der öffentlichen Beamten hat bezüglich Untersuchungen verdächtiger Vermögenswerte hochrangiger Beamter nicht die erwarteten Ergebnisse erzielt.
Da es wohl an Beweisen mangelt und keine Ermittlungsverfahren aufgenommen wurden, ist derzeit schwer feststellbar, welche Ministerien in Affären verstrickt waren. Im Februar 2018 gab Transparency International bekannt, dass Albanien im Kampf gegen die Korruption Rückschritte gemacht habe. Dieser Bericht wurde weder im öffentlichen Diskurs noch im Parlament angesprochen.
Es scheint, als fehle seitens der Politik der Wille dazu, die unter Korruptionsverdacht stehenden Personen mit Nachhaltigkeit zu verfolgen. Vielmehr haben Personen, gegen die wegen Korruption Anklage erhoben wurde, weiterhin hohe Ämter inne. Eine im August 2017 vom Premierminister angekündigte Initiative zur Durchführung einer tiefgreifenden Antikorruptionskampagne auf Grundlage von Denunzierungen seitens der Bürger war offensichtlich populistisch und scheiterte. Im Oktober 2017 verweigerte das Parlament mit Mehrheit der Sozialistischen Partei zudem die vollständige Aufhebung der Immunität des ehemaligen Innenministers und damaligen Parlamentsmitglieds Tahiri, gegen den aufgrund von Abhörprotokollen der italienischen Polizei ein dringender Korruptionsverdacht und Verbindungen zum Drogenhandel bestehen sollen. Zwar waren weitere Untersuchungen möglich, eine Verhaftung konnte jedoch nicht vollzogen werden. Im Rahmen einer Pressekonferenz Anfang Mai erklärte der ehemalige Innenminister Tahiri nun schließlich den Rücktritt von seinem Amt als Parlamentsabgeordneter. Er wolle auf seine Immunität verzichten und so den Weg für Ermittlungen im Rahmen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe frei machen. In seiner Rede wandte er sich nicht nur an die seit Wochen gegen ihn protestierende Opposition sondern auch gegen Premierminister Rama sowie Innenminister Xhafaj. Er kämpfe nun alleine dafür, dass die Wahrheit an Licht komme und er von den falschen Beschuldigungen fr eigesprochen werde. Während der DP Vorsitzende Basha sich sicher ist, dass der Rücktritt nur auf Druck der deutschen Regierung hin vorgenommen wurde und lediglich ein Täuschungsversuch seitens der SP sei, bestreitet Ministerpräsident Rama hingegen, dass es zu jeglichem Druck im Falle Tahiris bei seinem Besuch in Berlin gekommen wäre.
Organisierte Kriminalität (OK)
Im Bereich der organisierten Kriminalität kämpfte Albanien die letzten beiden Jahre mit einem Cannabis-Anbau, der außer Kontrolle geratenen war. Ein ehemaliges Regierungsmitglied hatte den Kontrollverlust öffentlich zugegeben, der Anbau war 2016 auf ein Höchstniveau seit 27 Jahren gestiegen. Experten gehen davon aus, dass ein Großteil der Gewinne der organisierten Kriminalität in korrupte Bereiche der Verwaltung und Polizei investiert wurde, um mehr Erträge zu generieren, Parlamentswahlen zu beeinflussen sowie private Unternehmen zu kontrollieren. Im Februar 2018 teilte die Polizei diesbezüglich mit, dass die Anzahl der identifizierten Cannabisanbaugebiete von 2086 (Ende 2016) auf 90 (Ende 2017) zurückgegangen sind. Diese drastische Reduzierung des Anbaus von Cannabis ist sehr begrüßenswert. Dennoch bestehen weiterhin große Bedenken bezüglich des Handels mit Suchtmitteln. Weiterhin werden große Mengen Cannabis von Albanien nach Italien und andere Länder gebracht, im März 2018 wurde zudem im Hafen von Durrës über 613 Kilogramm Heroin aus Kolumbien sichergestellt. Es ist davon auszugehen, dass sich albanische und internationale Kriminalität auf etablierte Handelsrouten in die Länder der Europäischen Union stützt. Das Bild über die tatsächliche und nachhaltige Bekämpfung der Drogenkriminalität bleibt weiterhin unklar.
Trotz der Identifizierung von ungefähr 40 kriminellen Gruppen im Land, kam es 2017 lediglich zur Verhaftung eines hochkarätigen Verbrechers (Emiljano Shullazi). Diese Verhaftung wurde allerdings erst auf starken internationalen Druck auf den Generalstaatsanwalt und die Staatspolizei hin möglich. Einige andere bekannte Kriminelle hingegen wurden wieder aus der Haft entlassen. Im November 2017 wurde schließlich eine Task-Force („Power of Law“) gegen organisierte Kriminalität gegründet. Problematisch ist jedoch, dass dieser Task-Force die nötige Unabhängigkeit und parlamentarische Kontrolle fehlt, da sie lediglich der vollständigen Kontrolle des Innenministeriums unterliegt und durch ein Dekret des Ministerrates errichtet wurde.
Ein im März 2018 verabschiedetes Gesetz über die Neubewertung des Personalbestandes der Polizei, das zur effektiven Überprüfung der Mitglieder der Staatspolizei beitragen und auf dessen Grundlage die inkriminierten Polizisten endgültig von der Polizei entfernt werden sollen, wurde in Albanien stark kritisiert. Nur wenige hochrangige Polizeibeamte sind wegen indirekter Beteiligung am Drogenhandel bisher untersucht worden. Die Erwartungen und das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber der Polizei sind weiterhin sehr gering.
Menschenrechte, Antidiskriminierung, Eigentumsrechte
Ein spezielles Ministerium zur Unterstützung der Unternehmer wurde durch die Regierung eingerichtet sowie ein Prozess zur Überprüfung von sich überschneidenden Immobilienansprüchen und enteigneten Vermögenswerten eingeleitet. In der Stadt Lezha wurden 15 Staatsbedienstete unter Anklage der Entfremdung von öffentlichem Eigentum festgenommen. Der Prozess der Rückgabe und Entschädigung von enteignetem Eigentum ist jedoch meist sehr langsam und konnte bisher nur in wenigen Fällen erfolgreich abgeschlossen werden. Die Legalisierung von illegal errichteten Gebäuden hingegen geht schnell voran.
Ein neuer nationaler Aktionsplan Albaniens für die Integration von Roma und Ägyptern (2016-2020) soll zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und zur Bekämpfung der Diskriminierung beitragen. Am 23. Mai 2017 wurde durch die Regierung in Tirana erstmals ein „Public Dialogue Forum“ zu diesem Thema organisiert. Auch der Schutz von Gewaltopfern soll verbessert werden, so sollen Opfer häuslicher Gewalt u.a. kostenlosen Zugang zu rechtlicher Unterstützung und einen Anwalt erhalten. Im April 2017 wurde zudem eine nationale Agenda für die Rechte von Kindern (2017-2020) vom Ministerrat angenommen.
Wahlrechtsreform / Empfehlungen von OSZE-ODIHR
Besonders in diesem Bereich ist die Enttäuschung seitens deutscher Politiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion über das bisher (Nicht-)Erreichte groß, da der Forderung nach einer Wahlrechtsreform nach europäischen Standards im Sinne der Empfehlungen der OSZE/ODHIR, die bereits 2014 an Albanien gestellt wurde, nicht nachgekommen wurde. Im Herbst 2016 forderte eine von der CDU/CSU-Fraktion entsandte fact-finding-Mission die albanische Regierung erneut dazu auf, die Wahlrechtsreform zumindest bis zu den im Juni 2017 stattfindenden Parlamentswahlen umzusetzen, damit diese auf Grundlage des neuen Wahlrechts durchgeführt werden könnten. Doch auch diese Forderung wurde nicht erfüllt. Bis heute mangelt es an einer effektiven Umsetzung dieser Empfehlungen.
Mangels notwendiger Initiativen zur Entpolitisierung stellt die Wahlbehörde nach wie vor keine neutrale Institution dar, das öffentliche Vertrauen in den Wahlprozess bleibt daher niedrig. Insbesondere die Ernennung von Mitgliedern der unteren Wahlkommissionen ist stark von politischen Erwägungen abhängig und wird durch das tiefgreifende Misstrauen der Parteien untereinander gelähmt. Es bedarf weiterer Anstrengungen, um die notwendigen Anforderungen einer Wahlreform nach europäischem Standard zu erfüllen. Insbesondere mit Blick auf die anstehende Kommunalwahl im Jahr 2019 ist es von großer Bedeutung, dass die notwendigen Voraussetzungen zeitnah umgesetzt werden.
Für die Parteien-/Wahlkampffinanzierung sowie für deren Transparenz konnte die Sensibilität erhöht werden. Dennoch mangelt es weiterhin an der effektiven Umsetzung neuer rechtlicher Regelungen, die zur Erhöhung der Transparenz und Rechenschaftspflicht bei der Wahlkampffinanzierung sowie zur Reduzierung der Wahlkampfkosten beitragen sollen. Die politischen Parteien haben es versäumt, ihre tatsächlichen Finanzierungsquellen vor den Wahlen offenzulegen. Der Zusammenhang zwischen der Finanzierung aus informellen Quellen, Stimmkauf und der Einfluss krimineller Gruppierungen auf die Wahlen bleiben weiterhin unklar.
Doch konnten im Bereich der Wahlreform auch bereits gewisse Fortschritte erzielt werden: auf Antrag der Opposition richtete das albanische Parlament Mitte Oktober 2017 den Sonderausschuss für die Umsetzung der Wahlreform ein, der am 21. März 2018 seinen Arbeitsplan veröffentlichte und erste Anhörungen mit Vertretern der Zivilgesellschaft abhielt. Im Rahmen des Sonderausschusses konnten sich die Parteien bereits auf 6 Kernbereiche einigen, in denen in den kommenden Wochen und Monaten Reformen angegangen werden sollen. So sollen im Sinne einer von der DP an die Wahlreform gestellten Forderung neue Wahltechnologien zur elektronischen Abstimmung und Stimmenauszählung entwickelt und eingeführt werden, die bereits im Rahmen eines Pilotprojekts bei den Kommunalwahlen 2019 zum Einsatz kommen sollen. Auch der Forderung der SP nach der Ermöglichung der Wahlteilnahme der 1,5 bis 1,8 Mio. außerhalb des Landes lebenden Albaner und Albanerinnen wird in den beschlossenen Reformen Rechnung getragen. Des Weiteren soll verstärkt gegen Stimmenkauf vorgegangen und Wahlkampagnen stärker überwacht und transparenter gestaltet werden. Das digitale Wählerregister soll modernisiert und aktualisiert sowie Manipulationen der Wählerlisten vorgebeugt werden. Zudem soll ein aktuelles Adressverzeichnis der Bevölkerung erstellt werden. Schließlich sieht das letzte der 6 Reformvorhaben vor, die Wahlverwaltung unabhängig zu machen und zu entpolitisieren.
Dekriminalisierungsgesetz
Mangels weiterer entscheidender Entwicklungen, wird an dieser Stelle auf den im Oktober 2017 erschienenen Länderbericht über die Fortschritte Albaniens verwiesen.
Ausblick
Die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen ist für Albanien von großer Bedeutung. Insbesondere für die junge Generation könnten die Verhandlungen neue Orientierung und Zukunftsperspektiven schaffen. Albanien hat in den letzten Jahren verstärkt damit zu kämpfen, dass junge, gut ausgebildete Fachkräfte mangels ausreichender Perspektiven das Land verlassen, um in einem anderen Land eine Arbeitsstelle zu finden. In den letzten Jahren haben rund 300.000 Menschen Albanien verlassen. Die Eröffnung der EU-Beitrittsgespräche für Albanien könnte vielen Menschen neue Hoffnung geben und ihnen ihre Perspektivlosigkeit nehmen. Der Wunsch der Bevölkerung, integrierter Teil der Europäischen Union zu werden, ist in der albanischen Bevölkerung nicht nur unter jungen Menschen stark verbreitet. 84% bis 90% der Bevölkerung äußern eine starke Zustimmung gegenüber der EU. Es ist zu befürchten, dass eine Ablehnung der Verhandlungseröffnung ein herber Rückschlag für die albanische Bevölkerung wäre und zu Hoffnungsverlusten mit entsprechenden Migrationsbewegungen führen würde.
Der Parteivorsitzende der führenden Oppositionspartei DP, Lulzim Basha, nutze seinen Besuch Mitte April in Berlin, um für die Unterstützung der CDU/CSU-Abgeordneten für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Albanien zu werben. Nach Ansprache der derzeit noch bestehenden Probleme im Bereich der einzelnen Kriterien, warb Basha für die Eröffnung der Gespräche. Die Aufnahme der Verhandlungen könne dazu dienen, hinsichtlich der Defizite innerhalb der Schlüsselkriterien im Sinne eines effektiven Druckmittels sowie Überwachungsinstruments zu stärkeren Anstrengungen zu motivieren, um somit weitere Fortschritte im Bereich der einzelnen Reformen voranzutreiben.
Die Analyse zeigt, dass trotz des positiven Ergebnisses des Fortschrittsberichts der EU-Kommission vom 17. April 2018 einzelne Aspekte innerhalb der fünf Schlüsselkriterien sowie der zusätzlichen Erwartungen bezüglich der Wahlreform und Dekriminalisierung kritisch zu bewerten sind. Häufig wurden die seit dem letzten Fortschrittsbericht 2016 gesetzten Ziele, die als Voraussetzung zur Eröffnung von Beitrittsgesprächen gehandelt werden, nicht erreicht oder nur geringe Fortschritte erzielt. Meist aufgrund von Verzögerungen, die häufig politisch motiviert waren. Gerade angesichts der absoluten Mehrheit, die die Regierungspartei SP im Parlament seit September 2017 innehat, hätte mehr unternommen und größere Fortschritte erzielt werden müssen. Bei vielen der neu eingeführten und positiv zu bewertenden gesetzlichen Regelungen mangelt es derzeit leider noch an einer effektiven Umsetzung. So sind trotz einiger begrüßenswerter Verbesserungen und Fortschritte weiterhin große Anstrengungen vonnöten, um die Erwartungen in den einzelnen Bereichen zu erfüllen.
Ein „Ja! Aber…“ zu der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU erscheint als eine angemessene Reaktion auf das seit dem Fortschrittsbericht 2016 bisher Erreichte sowie Nicht-Erreichte innerhalb der Reformprozesse in Albanien. Ja, weil die Eröffnung der die EU stark befürwortenden albanischen Bevölkerung neue Hoffnung und Perspektiven bietet und weil sie neben den bisher erreichten Fortschritten in einzelnen Bereichen zu weiteren Anstrengungen motivieren kann. Aber, da dennoch weitere große Anstrengungen vonnöten sind, um die Erwartungen in den einzelnen 5 Schlüsselkriterien sowie der 2 zusätzlichen Erwartungen bei der Wahlreform im Sinne der OSZE/ODIHR und der Dekriminalisierung zu erfüllen. Dort sind bisher keine ausreichenden Erfolge zu verzeichnen. Die Aufnahme der Verhandlungen muss daher unter klar formulierten Konditionen beschlossen werden, die zunächst erfüllt sein müssen, um anschließend erste Beitrittskapitel eröffnen zu können.