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Country Reports

Mehlis Report: Verstrickung syrischer und libanesischer Sicherheitskräfte in Hariri-Mord

Reaktionen und Hintergründe auf den Bericht des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs, Detlev Mehlis

„Es gibt begründeten Anlaß zu glauben, dass die Entscheidung, den ehemaligen Premierminister Rafik Hariri, zu ermorden, nicht ohne die Genehmigung hochrangiger syrischer Sicherheitskräfte hätte getroffen werden und nicht weiter hätte vorbereitet werden können ohne das Einverständnis ihrer Gegenüber in den libanesischen Sicherheitsdiensten.“ (Mehlis Report Special, The Daily Star, 21. Oktober 2005, S. 6).

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Die zentrale Feststellung des von Detlev Mehlis, Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für die Untersuchungskommission des Attentates auf den libanesischen Ex-Premier Rafik Hariri und seiner Begleiter, klingt sachlich sowie nüchtern, bestimmt und gleichwohl bedacht. Obwohl die von Mehlis formulierte Schlussfolgerung für Beobachter der Region keine wirkliche Überraschung darstellt, sorgt er derzeit im Libanon wie in Syrien sowie der internationalen Gemeinschaft für heftige Diskussionen und Auseinandersetzungen. Schwarz auf Weiß steht nun geschrieben, was viele ahnten, manche befürchteten und kaum einer offen sagen wollte. Wohl wissend, dass der Bericht eben nicht nur eine kriminaltechnische oder juristische Untersuchung eines politischen Prominentenmordes darstellt, sondern der Mord an Hariri zu einer wirkmächtigen politischen Freiheitsbewegung mutierte, die die syrische Besatzung aus dem Land trieb und die Libanesen vor die schwere Aufgabe stellte, endlich selber Staat zu machen, werden nunmehr allerhand politische Motive unterstellt. Syrien und die Machthaber in Damaskus wähnen sich erneut im Kreuzfeuer internationaler Kritik und unerwünschter Aufmerksamkeit; einem Sachverhalt, dem nur schwerlich mit Hinweisen auf die angeblich mangelnde Professionalität des Berichts sowie die fehlerhaften Schlussfolgerungen zu entkommen ist. In Beirut führte die Veröffentlichung bereits zu erneuten Großdemonstrationen, bei denen junge Libanesen neben dem Rücktritt ihres eigenen syrien-freundlichen Präsidenten Emil Lahoud sogleich die Demission Bashar Assads in Damaskus forderten. US-Präsident Bush äußerte sich wie Präsident Chirac bestürzt über die Ergebnisse und forderte den UN-Sicherheitsrat auf, in einer Sondersitzung über geeignete Maßnahmen gegen Syrien zu entscheiden, das sich nach wie vor in der Opferrolle sieht.

Internationale Untersuchungskommission

Der vorgelegte Bericht des deutschen Oberstaatsanwalts, der terrorerfahren bereits im La Belle-Prozeß von 1986 ermittelte, geht zurück auf die Resolution 1595 des UN-Sicherheitsrates, der am 7. April 2005 die Ermordung Rafik Hariris verurteilte und zugleich entschied, eine „International Independent Investigation Commission“ (UNIIIC) zur Untersuchung des Vorfalls einzusetzen. Vorausgegangen war eine offizielle Anfrage der libanesischen Regierung. Der Unterzeichnung eines Memorandums of Understanding mit der Regierung in Beirut folgte unmittelbar im Juni die Aufnahme der Untersuchungen. Gestützt auf die bereits von den libanesischen Sicherheitsbehörden durchgeführten Analysen des Tathergangs sowie des Tatorts und auf die Ergebnisse australischer und schweizer Forensik-Experten hatten Mehlis und sein Team in den vergangenen 4 Monaten zahlreiche Interviews mit Augenzeugen des Attentats, Freunden und Verwandten Hariris sowie mit den zuständigen Sicherheitsbehören im Libanon und Syrien geführt. Wiewohl der 210 Paragraphen umfassende Bericht von der Kommission selber noch als vorläufig und nicht abschließend beurteilt wird, scheinen zahlreiche Indizien auf eine syrische Verwicklung in die Geschehnisse des 14. Februar 2005 zu verweisen. Nach den Feststellungen der Kommission und einiger Zeugen führen die Spuren des Attentats in die Kreise des syrischen und libanesischen Geheimdienstes, die nach Aussagen eines Zeugen bereits im September 2004 die Entscheidung getroffen haben sollen, Hariri zu töten. Das Verhältnis zwischen Hariri und Syriens Präsident Assad sei demnach seit August 2004 im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Verlängerung der Amtszeit des libanesischen Präsidenten Lahoud mehr als zerrüttet gewesen. Hariri, damals noch als Premier im Amt, wandte sich entschieden dagegen und verfolgte das Ziel einer allmählichen, aber konsequenten Zurückdrängung syrischen Einflusses im Libanon. Assad soll nach verschiedenen Aussagen Hariri unverhohlen gedroht haben. „Das ist, was ich will. Wenn Sie denken, Präsident Chirac oder Sie werden den Libanon regieren, liegen sie falsch. Es wird nicht geschehen. Präsident Lahoud gehört mir. Was immer ich ihm sagen werde, er folgt dem umgehend. Diese Verlängerung hat zu geschehen, oder ich werde den Libanon über ihrem Kopf und den Walid Jumblatts zerbrechen. Entweder Sie machen, was Ihnen gesagt wurde, oder wir kriegen Sie und Ihre Familie wo immer Sie sind“ , wird Assad zitiert. (Mehlis Report Special: The Daily Star, 21.10.2005, S. 1.)

Lahoud erhielt über eine im Parlament beschlossene Verfassungsänderung eine dreijährige Verlängerung seiner Präsidentschaft und Hariri trat vom Amt des Premierministers zurück. Dennoch blieb er – wie Tonbandaufzeichnungen und Abhörprotokolle nachweisen – unter ständiger Beobachtung des syrischen wie libanesischen Geheimdienstes.

Der UN-Sicherheitsrat beschloß Anfang September 2004 die UN-Resolution 1559, die auf die sofortige Wiederherstellung der Souveränität des Libanon pochte, was mit Blick auf die rund 15.000 immer noch im Libanon stationierten syrischen Soldaten und die ständige Intervention der Syrer in die libanesischen Angelegenheiten verstanden wurde. Zudem fordert die Resolution die bis heute nicht umgesetzte Entwaffnung aller Milizen im Libanon, womit die Hisbollah, die ebenfalls von Syrien unterstützt wird, gemeint war.

Für viele Libanesen und die internationale Gemeinschaft bildete die Verlängerung der Amtszeit Lahouds geradezu den erforderlichen, nunmehr vor den Augen der Welt erbrachten Nachweis für das syrische Wirken im Libanon. Die Ermordung Hariris und die Bedeutung des Attentats kann nur richtig vor dem Hintergrund dieser Tatsachen eingeordnet werden. Das Attentat traf nicht nur einen Politpromi, sondern es war ein Zeichen für all diejenigen, die sich gegen die anhaltende Besatzung zur Wehr setzten.

Für Verwirrung bei den Medien sorgte, daß der Mehlis Bericht offensichtlich in zwei Versionen bekannt wurde, wobei die offizielle Fassung auf die Nennung von Namen Verdächtiger auf syrischer wie libanesischer Seite verzichtete. Mehlis erklärte diesen Umstand mit der Tatsache, daß er erst kurz vor Übergabe des Berichtes an Kofi Annan über dessen Veröffentlichung informiert worden sei. Um keine Vorverurteilung zu treffen, habe er sich entschieden, die Namen zu streichen. Dennoch wurden sie publik: Als Hauptverdächtige wurden unter anderem auch Personen aus dem direkten Umfeld des syrischen Präsidenten genannt. Auf libanesischer Seite werden hochrangige Vertreter des Staatsschutzes wie sowie des militärischen Geheimdienstes sowie der Präsidentengarde verdächtigt, mehr zu wissen, als sie bislang zu Protokoll gegeben hatten. Die Verflechtungen zwischen den Geheimdiensten beider Länder sind nach Angaben des Berichts als Resultat einer annähernd 30jährigen Infiltration so komplex, daß es hier weiterer Untersuchungen bedarf. Zu den Ergebnissen, die die Mehlis-Gruppe weiterhin zu tage brachte, gehören auch zahlreiche Ungereimtheiten wie die nicht ausreichende Sicherung des Tatorts unmittelbar nach der Tat durch die libanesischen Behörden und sogar die Reinigung des Umfeldes, die es späterhin unmöglich machte, gesicherte Spuren zu finden. Ausländische Forensik-Experten äußern sich vorsichtig und können auf der Basis der wenigen gesicherten Spuren nur vermuten, daß eine wohl 1000kg schwere TNT-Bombe, deponiert in einem Wagen, für das Attentat genutzt wurde. Der Bericht würdigt ausdrücklich die Kooperationsbereitschaft der libanesischen Behörden während der Untersuchung, macht jedoch deutlich, daß man von syrischer Seite zwar formal eine Zusammenarbeit zugesichert bekam, de facto diese aber erheblich zu wünschen ließ. Größte Schwachstelle des Berichts, der entsprechende Angriffspunkte für Kritiker liefert, ist letztlich, daß er auf Indizien aufbaut, die keine zusammenhängende logische Beweiskette ergeben. Auch das ist mit ein Grund, warum Kofi Annan bereits jetzt das Mandat von Mehlis bis zum 15. Dezember 2005 verlängert hat. Mehlis erteilte nach der Sitzung des Weltsicherheitsrates nochmals allen Spekulationen eine Absage, bei den Attentätern, die gut organisiert und vorbereitet sein mussten, könne es sich auch um eine islamische Gruppierung handeln, die Hariri aufgrund seiner engen Beziehungen zum saudischen Königshaus beseitigen wollten. Deutlich erklärte der UN-Sonderermittler, man habe es hier mit einem Terrorismus wie vor 20- 30 Jahren zu tun, und diese Spielart des Terrorismus kenne man sehr gut: Staatsterritorimus.

Syrische und libanesische Reaktionen

Während Saad Hariri, Sohn des ermordeten Ex-Premier, in einer bewegenden Fernsehansprache unmittelbar nach Veröffentlichung des Berichts die vorläufigen Ergebnisse des Mehlis Berichts begrüßte und diese als wichtigen Beitrag bezeichnete, die Wahrheit der Ereignisse ans Licht zu bringen, wurde er in Damaskus entschieden zurückgewiesen. So erklärte der syrische Informationsminister Mehdi Dakhlallah, der Inhalt des Berichtes widerspreche den einfachsten und grundlegendsten Untersuchungsmethoden, und kein seriöses Gericht der Welt könne diesen als Grundlage anerkennen. Am Vorabend der Debatte des UN-Sicherheitsrates kam es in Damaskus zu einer Großdemonstration, während der Tausende von Teilnehmern sich gegen eine Verurteilung Syrien wandten. Die syrische Presse bezeichnete die Arbeit der Mehlis-Gruppe als politisch motiviert, da sie den USA ein Argument liefere, den internationalen Druck auf Syrien zu verschärfen. Gegenüber CNN hatte Präsident Assad bereits vergangene Woche in einem dreistündigen Interview erklärt, alle Spekulationen über eine syrische Verwicklung in das Attentat auf Hariri gingen fehl. Die Beteiligung auch nur eines Syrers bezeichnete er als Landesverrat, der sowohl in seinem Land wie auch international zu Recht bestraft würde. In gleichem Anliegen wandte er sich schriftlich an die Staatsoberhäupter der Welt.

Die zu beobachtenden Reaktionen weisen deutlich auf eine gestiegene Nervosität der Regierung in Damaskus hin, die durch die politischen Ereignisse der letzten Monate ohnehin geschwächt ist. Auch die arabischen Nachbarländer, allen voran Saudi Arabien sowie Ägypten, die Damaskus nachhaltig unter Druck setzten, im April diesen Jahres den Libanon zu verlassen, gleichzeitig jedoch um Gesichtswahrung bemüht waren, verhalten sich distanziert. Die ägyptische Zeitung Al Ahram wies denn auch alle syrischen Vorwürfe einer Politisierung des Berichtes zurück. „Der Bericht hat nichts zu tun mit amerikanischem Imperialismus noch mit einer Verschwörung zur Wiederherstellung ausländischer Dominanz über die arabische Welt“, schreibt die regierungsnahe Zeitung. Der ägyptische Außenminister erklärte, daß man kein Interesse an erneuten Spannungen in der Region habe, der Bericht aber zunächst einmal intensiv geprüft werden müsse.

Beobachter halten eine wie auch immer geartete militärische Intervention in Syrien für ausgeschlossen, dennoch werden die USA, Großbritannien und Frankreich darauf drängen, daß sich Syrien sowohl mit Blick auf den Auftrag der Untersuchungskommission als auch mit Blick auf die internationale Gemeinschaft kooperationsbereiter zeigt. „Es ist nun Zeit für ein Bekenntnis der Regierung Syriens. Keine Behinderungen mehr, keine halben Maßnahmen. Wir wollen substantielle Kooperation, und wir wollen sie sofort“, erklärte der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton. Zugleich versichern amerikanische Diplomatenkreise, man habe kein Interesse an einer Destabilisierung des Regimes in Syrien, aber an einem tiefgehenden Politikwechsel. Ob das eine ohne das andere geht, darauf eine Antwort zu geben, hängt von Damaskus und von der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft entsprechende Prozesse mit unterstützen zu wollen.

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