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Politsnack

Dort, wo Politik am nächsten ist

Was der Kommunalwahlkampf in NRW über Desinformation lehrt

Viele Menschen werden nicht durch Debatten über komplexe Bundespolitik politisiert, sondern in der Nachbarschaft, im Betrieb oder im Sportverein – dort, wo politische Entscheidungen unmittelbar spürbar sind. Kommunalpolitik entwickelt dabei ein Eigenleben, das zwar mit bundespolitischen Trends verbunden ist, aber von lokalen Akteuren und Dynamiken geprägt bleibt.

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Wenig überraschend, aber mit gravierenden Folgen, spielt Desinformation auch auf kommunaler Ebene eine wachsende Rolle. Einer aktuellen Umfrage zufolge vertrauen 36 Prozent der Deutschen ihrer Bürgermeisterin oder ihrem Bürgermeister, aber nur 19 Prozent der Bundesregierung. Lokalpolitik genießt also (noch) einen deutlichen Vertrauensvorsprung. Wird dieses Vertrauen jedoch durch gezielte Falschinformationen, Diffamierungen oder unbegründete Zweifel untergraben, bröckelt die Basis des demokratischen Miteinanders mit Folgen wie Verunsicherung, Wut oder Rückzug.
 

Vom Todesfall zum Narrativ

Die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen hat erneut gezeigt, dass Desinformation keine groß angelegten Kampagnen braucht, um sich zu verbreiten. Oft genügt das Lokale: ein parteiloser Bürgermeisterkandidat, der mit einem Fake-Profil in Online-Debatten eingreift, oder manipulative Deutungen von Wahlergebnissen. Auch die wiederkehrende Unterstellung angeblicher Wahlmanipulation passt in dieses Muster.

Besonders prägend war jedoch ein anderes Narrativ: die Erzählung über den Tod mehrerer AfD-Kandidaten. Tatsächlich starben sieben Menschen, die für die AfD kandidieren wollten. Sechs eines natürlichen Todes, eine Person durch Suizid. Polizei und Gerichtsmedizin fanden keine Hinweise auf Fremdverschulden, und auch Kandidierende anderer Parteien verstarben im selben Zeitraum. Trotzdem kursierten in sozialen Netzwerken schnell Spekulationen über eine angebliche „Mordserie“. AfD-Chefin Alice Weidel schrieb dazu auf X: „Vier AfD-Kandidaten gestorben“ und verlinkte auf einen Beitrag, der die Häufung als „statistisch fast unmöglich“ bezeichnete. Dieses Narrativ wurde auch von Elon Musk und AfD-Vize Stephan Brandner verstärkt.
 

Die Mechanik der Manipulation


Die Beiträge blieben gezielt vage. Niemand mit realer politischer Verantwortung behauptete direkt, es handle sich um Mord, doch durch Andeutungen entstand der Verdacht eines Komplotts. Desinformation arbeitet nicht nur mit klaren Lügen, sondern auch mit suggestiven Fragen, Auslassungen und gezielten Leerstellen.

Drei Mechanismen sind dabei typisch:
 

 

  1. Andeuten statt Behaupten: Vage Formulierungen erzeugen Wirkung bei minimaler Verantwortlichkeit. Wer nur „Fragen stellt“, kann sich jederzeit herausreden. Die Unterstellung wirkt dennoch nach, selbst wenn sie widerlegt ist.
  2. Zweifel säen, bis etwas hängen bleibt: Auch nach Aufklärung glauben viele weiter an eine Verschwörung. Desinformation will verunsichern. Ist der Zweifel einmal gesät, greifen die Fakten oft nicht mehr.
  3.  „Wir gegen die da oben“: Solche Falschbehauptungen sind fast immer in ein Misstrauensnarrativ eingebettet. Wahlleitungen, Polizei oder Medien werden als Teil einer angeblichen Vertuschung dargestellt. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl der Anhänger und schwächt das Vertrauen in Institutionen.

 

Verunsicherung vorbeugen, statt hinterherlaufen

Zwar bewegen sich Wahlleiter, Kandidatinnnen und Kandidaten oder engagierte Bürgerinnnen und Bürger in unterschiedlichen Rollen und Rahmenbedingungen, doch jede dieser Perspektiven kann Desinformation früh erkennen und sich darauf vorbereiten. Die wirksamste Verteidigung beginnt vor dem Angriff, denn Antizipation schafft Resilienz.

Die beschriebenen Mechanismen kehren rund um Wahlen immer wieder. Sie unterscheiden sich zwar in den Geschichten, ähneln sich aber in Struktur und Ziel. Wer typische Muster kennt, erkennt sie schneller und ist weniger anfällig, sie zu glauben. Deshalb ist es entscheidend, frühzeitig die eigenen Zielgruppen über die Methoden, Motive und Mechanismen manipulativer Erzählungen zu sensibilisieren. Diese Form der vorbeugenden Aufklärung, oft als Prebunking bezeichnet, stärkt die Widerstandskraft der Öffentlichkeit.
Gerade im kommunalpolitischen Raum, wo Vertrauen hoch und Wege kurz sind, hilft in Ergänzung maximale Transparenz: Wie läuft eine Wahl ab? Welche Kontrollmechanismen schützen sie? Wer offen informiert, entzieht Falschbehauptungen schon im Vorfeld die Grundlage.

Wenn der Ernstfall eintritt, zählen Schnelligkeit, Klarheit und Einheitlichkeit. Kommunale Akteure sollten spätestens im Wahlkampf vorbereitete Reaktionsprotokolle haben, um abgestimmt reagieren zu können. Wenn Parteien und lokale Multiplikatoren dieselben geprüften Fakten teilen, schnell und konsistent, entsteht eine Gegenöffentlichkeit, die Falschinformationen stoppt, bevor sie sich festsetzen. Entscheidend ist dabei die Reihenfolge: Der Fakt gehört zuerst und zuletzt genannt, das Gerücht höchstens kontextualisiert. So bleibt die Wahrheit hängen, nicht die Lüge.
Mindestens ebenso wichtig ist der Ton. Menschen, die an Falschinformationen glauben, reagieren oft emotional, weil sie sich verunsichert oder übergangen fühlen. Wer ihre Sorgen ernst nimmt und trotzdem klar bleibt, wirkt glaubwürdig.

Das Vertrauen in demokratische Prozesse zu schützen, bleibt, wie die Kommunalwahl in NRW gezeigt hat, eine Aufgabe ohne Patentlösung. Aber gerade dort, wo Demokratie unmittelbar spürbar ist, entscheidet sich, ob Vertrauen bestehen bleibt oder gar zurückgewonnen werden kann.
 

Zum Autor:

Linus Siebert ist Gründer und Geschäftsführer von FORTITUDE, einem spezialisierten Beratungsunternehmen zum Schutz vor Desinformationskampagnen.
Mit seiner Expertise in strategischer Kommunikation, im Umgang mit Informationsmanipulation und in Krisenkommunikation unterstützt er Unternehmen, Verbände, NGOs und politische Akteure dabei, Desinformation frühzeitig zu erkennen, wirksam darauf zu reagieren und Vertrauen sowie Glaubwürdigkeit zu stärken.
 

 

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About this series

Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.

Saskia Gamradt
Saskia Gamradt
Policy Advisor Political Communication
saskia.gamradt@kas.de +49 30 26996-3252

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