Social Media Plattformen wie TikTok und Instagram gelten längst als zentrale Kanäle politischer Kommunikation, um junge Menschen zu erreichen. Das Spektrum reicht von Mitschnitten aus Bundestagsreden über Trends wie TikTok-Tänze bis zu Einblicken in den Alltag von Politikerinnen und Politiker. Doch was funktioniert in diesem Umfeld tatsächlich, um junge Menschen abzuholen? Und was bewirkt eher das Gegenteil?
In der Studie "How to Sell Democracy Online (Fast)" habe ich zusammen mit Dr. Pablo Jost und Yannick Winkler als Forschungsteam von der Universität Mainz, gemeinsam mit dem Progressiven Zentraum, der Bertelsmann Stiftung und gefördert von der Stiftung Mercator untersucht, was Politik sendet, welche Inhalte sich junge Menschen ansehen möchten und was sich junge Menschen von politischen Akteuren eigentlich wünschen.
Unsere Studie kombiniert drei Zugänge:
- Automatisierte Inhaltsanalyse: Analyse von rund 31.000 Kurzvideos politischer Akteurinnen und Akteure sowie Influencerinnen und Influencer auf TikTok und Instagram (Juni bis Dezember 2024).
- Repräsentative Online-Befragung mit Selektionsexperiment: 1.748 junge Menschen wurden zu ihrer Wahrnehmung und ihren Erwartungen an politische Inhalte befragt. Im Selektionsexperiment wurde analysiert, welche Videoeigenschaften dazu führen, dass Inhalte nach den ersten fünf Sekunden weitergeschaut werden.
- Fokusgruppen: Vier Gruppendiskussionen beleuchten die Hintergründe von Erwartungen und Bewertungen junger Menschen gegenüber politischer Kommunikation auf Social Media .
Reichweite ≠ Zustimmung
Die Ergebnisse zeigen deutlich: Was auf Social Media gut performt, überzeugt junge Menschen nicht automatisch. Videos mit Angriffen auf politische Gegnerinnen und Gegner erzielen im Schnitt rund 40 Prozent mehr Aufrufe, haben aber keinen signifikanten Effekt auf die Auswahlentscheidung. Auch positive Selbstdarstellung ist weit verbreitet (ca. 70 Prozent aller Beiträge), reduziert jedoch die Wahrscheinlichkeit des Weiterschauens, um etwa 24 Prozent. In den Fokusgruppen und der Befragung werden sowohl Eigenlob als auch verbale Angriffe kritisch bewertet und überwiegend abgelehnt. Stattdessen wünschen sich junge Nutzerinnen und Nutzer Inhalte, die ehrlich, klar und informativ sind.
Direkte Ansprache und Jugendbezug wirken
Nur etwa ein Viertel aller analysierten Videos spricht junge Menschen explizit an oder bezieht sich auf ihre Lebenswelt. Wo dies gelingt, erzielen Inhalte im Durchschnitt jedoch mehr Reichweite und werden von jungen Menschen gewünscht. Besonders Jugendorganisationen nutzen diese Strategie, Parteien und Politikerinnen und Politiker dagegen deutlich seltener.
Der Inhalt zählt
Die Themenwahl prägt sowohl Reichweite als auch Auswahlentscheidungen. Videos, die sich mit Migration befassen, werden im Schnitt rund elf Prozent häufiger angesehen und haben auch im Selektionsexperiment eine höhere Wahrscheinlichkeit, ausgewählt zu werden. Inhalte zu Sozialpolitik, Umwelt und Bildung erzielen geringere Reichweiten. Beiträge ohne politischen Bezug erzielen im Schnitt rund neun Prozent höhere Reichweiten, gelten jedoch als wenig relevant und werden im Experiment seltener ausgewählt.
Formate: lieber authentisch als aufgesetzt
Auch die Form der Inhalte spielt eine Rolle. Videos im Selfie-Modus performen überdurchschnittlich gut, während Tanzvideos die Wahrscheinlichkeit des Weiterschauens um rund 45 Prozent senken. Infografiken führen im Durchschnitt zu geringerer Reichweite und zeigen keinen positiven Effekt auf die Auswahlwahrscheinlichkeit, obwohl sich in der Befragung viele junge Menschen mehr Zahlen und Fakten wünschen. In den Fokusgruppen wurde deutlich, dass es dabei nicht allein auf das Format ankommt, sondern auf seine Passung zur Person und zur Botschaft. Formate, die als authentisch und stimmig wahrgenommen werden, können Interesse wecken, während Inhalte, die als künstlich, unpassend oder zu stark inszeniert gelten, schnell Ablehnung hervorrufen.
Handlungsaufforderungen: unterschiedliche Effekte auf die Reichweite
In rund zwei von fünf Beiträgen finden sich Handlungsaufforderungen. Am häufigsten sind Aufrufe zu Onlineaktionen wie Teilen oder Kommentieren, diese haben jedoch einen negativen Effekt auf die Reichweite. Offline-Appelle wie Wahlaufrufe oder Einladungen zu Demonstrationen wirken dagegen reichweitenverstärkend. Besonders Akteurinnen und Akteure aus dem Mitte-Links-Spektrum setzen solche Strategien häufiger ein als konservative Parteien, einen Einfluss auf die Auswahlentscheidung haben beide Arten der Handlungsaufforderung nicht.
Was junge Menschen erwarten
Die Erwartungen der jungen Generation sind eindeutig: 81 Prozent wünschen sich ehrliche Inhalte, 68 Prozent eine einfache und verständliche Sprache, und 62 Prozent legen Wert darauf, dass Politikerinnen und Politiker sich menschlich zeigen. Aufwändige Effekte oder Filter spielen für die meisten keine Rolle und werden sogar mehrheitlich abgelehnt. Authentizität, Verständlichkeit und Relevanz stehen im Zentrum dessen, was junge Menschen sich von politischer Kommunikation wünschen.
Fazit:
Erfolgreiche politische Kommunikation auf TikTok und Instagram bedeutet mehr als Reichweite. Sichtbarkeit ist zwar Voraussetzung, politische Akteurinnen und Akteure sollten jedoch sorgfältig abwägen, welchen Preis sie für hohe Aufrufzahlen zahlen wollen. Inhalte, die nur auf Aufmerksamkeit setzen oder polarisieren, könnten kurzfristig erfolgreich sein, langfristig aber Vertrauen und Glaubwürdigkeit untergraben. Entscheidend ist nicht nur, wie viele Menschen erreicht werden, sondern wie Inhalte wahrgenommen werden. Unsere Ergebnisse zeigen, wer junge Menschen wirklich erreichen will, muss sie ernst nehmen, direkt ansprechen und ihnen Inhalte bieten, die verständlich, glaubwürdig und relevant sind.
Zur Autorin:
Hannah Fecher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Ihre Forschung konzentriert sich auf den Einsatz und
die Wirkungen neuer Technologien sowie Social-Media-Plattformen in der
politischen Wahlkampfkommunikation. Dabei analysiert sie, wie digitale
Innovationen Strategien, Inhalte und Wahrnehmungen moderner Wahlkampagnen prägen und welche Folgen dies für die politische Meinungsbildung hat.
About this series
Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.