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„Die Holocaust-Vermittlung wird sich ändern, aber nicht schwieriger werden“

Trotz schwindender Zeitzeugen sieht Lammert Chancen für den Erhalt der deutschen Shoah-Erinnerung

Zum Auftakt der Fachtagung „Bestandsaufnahme der Holocaust-Vermittlung in Deutschland“ betonte Prof. Dr. Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, den unangefochten, hohen Stellenwert des Holocausts in der deutschen Erinnerungskultur. „Er ist ein zentraler Aspekt des Selbstverständnisses jeder aufgeklärten Nation und diese Notwendigkeit trifft insbesondere für Deutschland zu“, sagte der ehemalige Bundestagspräsident am Montag in Berlin.

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Als eine damit verbundene Herausforderung für die Vermittlung der historischen Ereignisse stehe nun das Aussterben der Zeitzeugen-Generation. „Die Holocaust-Vermittlung wird sich ändern, aber nicht zwangsläufig schwieriger oder aussichtslos werden“, zeigte sich Lammert optimistisch. Als ein ermutigendes Beispiel der veränderten Erinnerung führte er die jährlich stattfindende Gedenkfeier im Bundestag zu den Novemberpogromen an. Vor einigen Jahren konnte eine Zeitzeugin aus gesundheitlichen Gründen zwar nicht persönlich vor Ort sein, wurde aber von einer Schauspielerin vertreten, die die Rede der Zeitzeugin auf beeindruckende Weise vorgetragen habe. Lammert regte an, neben konventionellen Möglichkeiten wie etwa im Bereich der Musik, sich auch auf unkonventionelle Interpretationen einzulassen.

Lammert machte zudem darauf aufmerksam, dass neben dem historischen Kontext auch die gegenwärtigen Entwicklungen nicht außer Acht gelassen werden dürften. Er warnte vor einem „zugewanderten Antisemitismus“, der nicht relativiert werden dürfe.

Jeremy Issacharoff spannte ebenfalls einen Bogen zwischen der Kultur der Erinnerung und den deutsch-israelischen Beziehungen. „Wir können die Geschichte nicht ändern, aber die Geschichte verändert uns“, sagte der Botschafter des Staates Israel eindringlich. Antisemitismus sei der Feind der Gegenwart, dem man mit Demokratie und Pluralismus begegnen müsse. Zudem beobachte Issacharoff einen Imagewandel, der sich in zahlreichen Begegnungen und Besuchen zwischen Deutschen und Israelis widerspiegele. „Wut und Schuld wurden abgelöst von Hoffnung und Entschuldigung“, sagte der Botschafter. Aus dem Leid sei eine vertrauensvolle Partnerschaft entstanden. Aber er mahnte, dass „seit 1945 der Holocaust auch heute noch in vielfältigen Aspekten existiert“. In Familien, in den Berichten der „hidden children“ oder in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel lebe das Gedächtnis der Shoah weiter. „Die persönliche Erinnerung verblasst zwar, aber die kollektive Erinnerung muss aufrecht erhalten bleiben“, forderte Issacharoff. Jugendaustauschprogramme seien eine große Inspiration und eine Investition in die Zukunft.

Nicht nur Austauschprogramme können der Schlüssel für Verständigung und Gedenken sein, sondern es gibt eine Vielzahl von Initiativen, die Jugendliche bei der Auseinandersetzung mit dem unveränderbaren Teil der deutschen Identität helfen. Begleitend zur zweitätigen Fachtagung von Experten präsentierten Initiativen wie die „Stolpersteine“, der „Denktag“ der Konrad-Adenauer-Stiftung oder der WDR mit seinem „virtual reality“-Projekt zum ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz ihre modernen und würdevollen Ansätze zur Holocaust-Vermittlung.

Auch Politiker verschiedener Parteien folgten der Einladung, über die Erinnerungskultur und den Antisemitismus in Deutschland zu diskutieren. Volker Beck (Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Deutsches Holocaust-Museum) stellte fest, dass der Antisemitismus und seine Narrative „ein Sediment in unserer Kultur“ bildeten und zudem der Resonanzboden für Bagatellisierung des Holocausts durch die Rechtspopulisten zugenommen habe. Die Politik müsse sich vor diesem Hintergrund fragen, warum die Erinnerungspolitik so wenig Wurzeln geschlagen habe. Hellmut Königshaus, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, hob hervor, dass zudem der als Israelkritik verbrämte Antisemitismus zugenommen habe, und kritisierte in diesem Zusammenhang die Lehrerausbildung.

Auch die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, monierte, dass Schülerinnen und Schüler mit antisemitischen Klischees aus dem Rap oder dem Internet konfrontiert würden, bevor sie sich mit den Themen Judentum bzw. Holocaust im Unterricht beschäftigten. Die Wissenschaftsministerin des Landes Brandenburg, Dr. Martina Münch, hielt dem entgegen, dass Schule auch immer ein Spiegel der Gesellschaft sei. Wenn eine Schule nicht mit jüdischen oder muslimischen Kindern umzugehen wüsste, sei die Ursache nicht in der Lehrerausbildung zu suchen, sondern deute es auf ein gesamtgesellschaftliches Problem hin.

Die Frage, wie Schüler in einer diversen Gesellschaft über den Holocaust lernen können, wurde auch von Lehrern, Gedenkstättenpädagogen und Geschichtsdidaktikern diskutiert. Prof. Dr. Alfons Kenkmann von der Universität Leipzig wies auf Probleme der Darstellung des Judentums und des Nationalsozialismus in deutschen Schulbüchern hin. Der Berliner Lehrer Mehmet Can erläuterte das Spannungsverhältnis, das sich bei der Behandlung des Holocausts bei Schülern mit Migrationshintergrund ergebe: Einerseits könne die Herkunft nicht ausgeblendet werden, andererseits dürfe sie nicht zu „Ethnisierung“ und „Sonderpädagogik“ führen.

Wie Can beklagte auch Thomas Spahn von der Stabsstelle Digitalisierung der Behörde für Schule und Berufsbildung der Freien und Hansestadt Hamburg, dass Lehrer bei der Mediennutzung den Schülern immer einen Schritt hinterher seien. Er zeigte jedoch gelungene Beispiele für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht auf. Dr. Elke Gryglewski, stellvertretende Direktorin und Leiterin der Bildungsabteilung des Hauses der Wannseekonferenz, erläuterte, in Gedenkstätten seien für viele Jugendliche die alten historischen Quellen die unbekannten „neuen Medien“.

Peter Hartl von der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte wies auf die Problematik für traditionelle Medien hin, auf die geänderte Mediennutzung junger Leute reagieren zu müssen, und zeigte neue Ansätze in dieser Hinsicht auf. Auch Prof. Dr. Wulf Kansteiner von der Aarhus University ging davon aus, dass in Zukunft interaktive Medien wie Videospiele eine wichtige Rolle bei der Vermittlung historischer Inhalte übernehmen würden. Schon jetzt zeige sich, dass die Medien durch Emotionalisierung und Visualisierung immer professioneller bei der Immersion – also dem Hineinziehen – der Zuschauer in die Geschichte würden, während die historische Forschung vielmehr auf eine Objektivierung der Darstellung abziele.

Kontrovers wurde die Rolle der Zeitzeugen bei der Holocaust-Vermittlung diskutiert. Dr. Ralph Erbar betrachtete Zeitzeugen als hochkomplexe „beseelte Quellen“, deren Erinnerungskonstrukte dekonstruiert werden müssten, um als historische Quelle von Nutzen zu sein. Dem wurde die emotionale, empathiefördernde Funktion der Zeitzeugen entgegengehalten.

Dr. Eva Umlauf, die als Zweijährige – dem Tode nahe – aus dem Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde, veranschaulichte eindrücklich, warum eine Bewertung der Zeitzeugen aus rein wissenschaftlicher Sicht nicht ausreicht. Ihrer Erfahrung nach helfen die Zeitzeugengespräche nicht nur den jungen Menschen, ein menschlicheres Verständnis für die Opfer des Nationalsozialismus zu entwickeln, sondern sie seien auch wichtig für die Vergangenheitsbewältigung der Zeitzeugen selbst.

Die Diskussion unter Wissenschaftlern und Gedenkstättenmitarbeitern ergab, dass in Bezug auf den Holocaust noch keine Historisierung in Sicht ist. Prof. Dr. Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien des Instituts für Zeitgeschichte, konstatierte zwar, dass sich inzwischen zwei Drittel der Forschung mit der Nachgeschichte des Holocausts befassten, es jedoch noch immer weitgehend unerforschte Felder des Holocausts gebe und es an systematischen Vergleichen der regionalgeschichtlichen Forschung fehle.

Dr. Harald Schmid von der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten hob zudem hervor, dass die Vergegenwärtigung der Vergangenheit ein Konstrukt sei, das zwischen Wissenschaft, Politik, Medien und Kultur verhandelt werde. Dem fügte Prof. Dr. Stephan Lehnstaedt vom Touro College Berlin hinzu, dass die Forschung den sich im Lauf der Zeit ändernden Vermittlungsbedürfnissen Rechnung tragen müsse. Sie sollte dabei nie ohne Rezipierbarkeit gedacht werden, dürfe sich aber auch nicht als reine Bedarfsforschung betrachten.

Wie sich neuere Ansätze der Forschung auch auf die Vermittlung des Holocausts auswirken, zeigten die Beiträge von Deborah Hartmann und Dr. Daniel Uziel der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem. Dort habe man inzwischen eine stärker multiperspektivische Darstellung – beispielsweise durch die Gegenüberstellung von offiziellen und privaten Fotografien aus Täter- und Opferperspektive – gewählt. Ziel sei die Aufdeckung individueller Handlungsspielräume durch die Betrachtung der Entscheidungen von Personen in vergleichbaren Situationen.

Dr. Michael Borchard, Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik, stellte in seinem Schlusswort fest, dass es in Hinblick auf den Holocaust weiterhin Forschungs- und Vermittlungsbedarf gebe und eine Sensibilisierung für das Thema unverändert nötig sei. Dabei müssten die Bemühungen fortgesetzt werden, den nationalen Diskurs zu überwinden. In diesem Sinne werde die Konrad-Adenauer-Stiftung die Thematik auch künftig im Blick behalten.

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