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"Viele Afrikaner haben die Absicht wegzugehen, aber noch nicht die Mittel"

od Sebastian Beug

Diskussion zur Migration und Entwicklungspolitik in Afrika

Prof. Stephen W. Smith, Afrikawissenschaftler an der Duke University, erklärt, warum sich ein junger Kontinent auf den Weg nach Europa macht.

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Seine Analyse stellt die Muster gegenwärtiger Entwicklungspolitik in Frage: Prof. Stephen W. Smith, Afrikawissenschaftler an der Duke University, geht davon aus, dass auf Europa eine Migration in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zukommt. Ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung Europas könnte Afro-Europäisch werden. Wohl auch aufgrund dieses Szenarios war sein Buch „Nach Europa: Das junge Afrika auf dem Weg zum alten Kontinent“ in Frankreich ein Bestseller. Unter demselben Titel präsentierte Smith seine Ideen nun in Berlin.

Drei Gründe, so Smith, förderten eine strukturelle – im Gegensatz zu einer spontanen - Migration bisher nicht gekannten Ausmaßes: Afrikas Bevölkerungsentwicklung, Afrikas Jugendhaftigkeit und das moderate Anwachsen der Mittelschicht.

Lebten 1930 150 Millionen Menschen in Afrika, sind es heute 1,3 Milliarden. N’Djamena, die Hauptstadt des Tschad, hatte 18.000 Einwohner, als Smith sie zum ersten Mal besuchte. Heute sind es 1,3 Millionen. Grund: Ein Zuzug vom Land in die Hauptstädte und von dort in Metropolen wie Lagos, Luanda oder Nairobi. Doch dort leben zwei Drittel der Menschen in Slums. „Sie leben nicht besser, als in einem Dorf im Hinterland, aber sie leben freier“, sagte Smith.

Der zweite Grund sei Afrikas Jugendhaftigkeit. Smith wählt dieses Wort bewusst; er meint nicht nur die breite Alterspyramide (46 Prozent Unter-15-Jährige in Zentralafrika), sondern auch die daraus resultierenden Probleme. „Wahlen sind in Afrika ein altersbedingtes Privileg“, sagte Smith. „Wenn sie ein Langzeitprojekt von 15 Jahren beginnen, ist fast die Hälfte der Nutzer noch nicht geboren.“

„In Afrika ist das Senioritätsprinzip wichtig. Ältere Männer haben das Sagen“, sagte der Afrikawissenschaftler. Doch in den Slums, in denen sogar 90 Prozent der Menschen unter 30 Jahre alt ist, funktioniere die traditionelle Weitergabe von Wissen und Verhalten schon rein zahlenmäßig nicht. „Als junge Afrikaner haben sie eine Peer-Experience. Sie erfinden die Welt, in der sie leben. Das ist das junge Afrika und das sind die Leute, die zu uns kommen könnten.“

Armut ist nicht der Migrationsgrund

Denn anders, als oft angenommen, brechen nicht die Ärmsten nach Europa auf. „Wenn Afrika wandern würde, weil es arm wäre, hätte es sich in den 1990er Jahren aufgemacht“, sagte Smith. Seine Analyse konzentriert sich auf strukturelle Migration. Politische Flüchtlinge oder Klima bedingte Migration hingegen beschäftigen ihn weniger. Er versucht zu kalkulieren, was durch wirtschaftliche Entwicklung und Bevölkerungswachstum plausibel erscheint.

Die afrikanische Mittelschicht umfasse bisher rund 150 Millionen Menschen – und wird sich laut Weltbank vervierfachen, so Smith. „Das ist die kritische Masse, die die Voraussetzung von 2.000 bis 3.000 Euro hat, um sich auf den Weg zu machen.“ In 1960ern sind 90 Prozent der Migranten in Afrika geblieben, heute 68 Prozent, erläutert Smith. Der Prozentsatz dürfte weiter sinken, vermutet er.

Post-Koloniale Migration, also in die ehemaligen Kolonialstaaten Frankreich oder Groß-Britannien sei weniger relevant, sagte Smith. Viele Migranten wählten auch Deutschland oder Schweden, wollten die Sprache lernen. „Der Sozialstaat hat Anziehungskräfte.“ Europa stelle sieben Prozent der Weltbevölkerung, aber die Hälfte der Sozialleistungen weltweit.

„Ich glaube nicht, dass sie kommen, um uns die Sozialhilfe wegzunehmen“, schloss Smith. „Aber, wenn ich meine Lebenschancen oder die meiner Kinder erhöhen möchte, würde ich nach Europa kommen. Wir müssen versuchen, uns in die Menschen hinein zu versetzen.“

In der Diskussion stellt sich Smith der Kritik

In der Diskussion vertiefte Smith seine Gedanken – auch gegen Kritik. Mit Smith diskutierten Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) und Kopf hinter dem EU-Türkei-Deal, Günter Nooke, Afrikabeauftragter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Michaela Wiegel, Moderatorin und Paris-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Gerald Knaus vermutet, die Migration werde möglicherweise als Invasion größer geredet, als die aktuellen Zahlen andeuteten. In den letzten 30 Jahren habe sich Afrikas Bevölkerung bereits verdoppelt – und dennoch seien 2010 7.000 Menschen, 2012 17.000 Menschen über das Mittelmeer gekommen. Aktuell rund 300 am Tag. „Europa kann mit 300 Menschen am Tag nicht umgehen?“, fragte Knaus.

Es sei in der Tat lächerlich, wenn Europa das nicht schaffe, so Smith. Er forderte erneut, die tagespolitische Diskussion zu verlassen, um die Dimension der Migration, die noch kommen könnte, zu beurteilen. „Ich habe eine Welt beschrieben, in der viele Menschen die Absicht haben, Wegzugehen, aber noch nicht die Mittel dazu haben“, sagte Smith.

Doch Knaus stört an dieser These, dass sie Populisten Vorschub leistet. „Ich habe mit den Populisten nichts am Hut“, versicherte Smith.

Die Ideen Smiths hält Günter Nooke für „eine sachliche Anfrage an Politik.“ Es könnten nicht alle Migranten ihre Zukunft in Europa suchen. „Das ist eine Position, die alle teilen“, sagte Nooke.

Zirkularmigration: Für ein paar Jahre nach Europa

Was also ist dann die Lösung? Eine rein sicherheitspolitische Antwort greife zu kurz, findet Smith. Wir lebten in Nachbarschaft zueinander und sollten diese Nachbarschaft gemeinsam entwickeln. Europa mit Polizeistaaten umringen, die mit einer Rente ähnlich der von Satellitenstaaten im Kalten Krieg entlohnt werden, könne nicht die Lösung sein. Smith bezog das auch auf den EU-Türkeideal, den Knaus mit entwickelt hatte.

Knaus verteidigte das Abkommen. So erhielten nicht Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung, sondern drei Millionen Flüchtlinge im Land Unterstützung von der EU – Monat für Monat, um sich in der Türkei eine Existenz aufzubauen. Zudem werden Schulen und medizinische Versorgung finanziert. „Das Geld wird größtenteils über die UN ausgegeben“ sagte Knaus.

Anders – aber ebenfalls wichtig – wären Vereinbarungen mit Ländern aus Subsahara-Afrika aus denen vorwiegend Arbeitsmigranten kämen. Er empfiehlt für Senegal, Elfenbeinküste, Guinea oder Nigeria legale Migrationswege zu öffnen, beispielsweise für Studierende und Auszubildende. Als Bedingung für überschaubare Kontingente legaler Migration sollten die Länder illegale Migration verhindern und ihre Staatsangehörigen, die kein Aufenthaltsrecht in Europa erhielten, zurücknehmen.

Smith stimmte zu und schlägt für diese Staaten ein Modell der Zirkularmigration vor. Die Idee: Für jeden Afrikaner, der zurückgeht, darf ein anderer kommen und ein paar Jahre in Europa leben. Ausbildung, aber auch Erfahrung und Wertevermittlung, kommen dann dem Heimatland zu Gute – wie auch dem Zielland.

Nooke brachte andere unkonventionelle Ansätze der Entwicklungshilfe in die Diskussion ein, etwa Sustainable Development Zones, Frei- und Retortenstädte wie Haram City bei Kairo, gefördert vom ägyptischen Investor Samih Sawiris. „Das klingt sehr liberalistisch und als ob es nicht zur gegenwärtigen Entwicklungspolitik passt. Aber diese Debatte sollte stattfinden.“

Am Ende, schloss Nooke, ginge es darum, dass Menschen in Afrika ihr Leben gestalten könnten. „Überall auf der Welt, wollen die Menschen gut und sicher leben – und das es ihren Kindern bessergeht.“

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