Am 16. November 2025 stimmten die Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer über einen möglichen verfassungsgebenden Prozess und drei rechtlich bindende Verfassungsänderungen ab. Alle Fragen wurden mit deutlichen Mehrheiten von zwischen 53 und 62 Prozent abgelehnt, was viele Beobachter angesichts der vorherigen Umfragen überraschte. Im Zentrum der Volksbefragung stand die Frage, ob ein verfassungsgebender Prozess zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung eingeleitet werden sollte. Dafür hätten binnen 90 Tagen 80 Delegierte gewählt werden müssen, die innerhalb von sechs bis acht Monaten einen neuen Verfassungstext erarbeiten sollten. Über diesen wäre Anfang 2027 abgestimmt worden. Seither fordern weite Teile des politischen Spektrums die Ersetzung oder grundlegende Überarbeitung der geltenden Verfassung von 2008, die während der autoritären Regierung von Rafael Correa (2007-2017) entstanden ist und die nach Meinung vieler Experten demokratische Defizite aufweist. Auch vor diesem Hintergrund ist es eine absolute Überraschung, dass dieser Vorschlag so klar verworfen wurde. Laut dem politischen Analysten Juan Manuel Fuertes bedeutet das Resultat eine „erniedrigende Niederlage für die aktuelle Regierung“, vor allem im Kontrast zu Staatspräsident Noboas deutlichem Wahlsieg bei der Präsidentschaftsstichwahl im April 2025.
US-Militärbasen, Parteienfinanzierung, Verkleinerung des Parlaments
Auch die drei weiteren Fragen des Referendums scheiterten deutlich: So lehnte es die Bevölkerung ab, die Verfassung so zu ändern, dass ausländische Militärstützpunkte – wie früher die US-Basis in Manta (1999–2009) – wieder erlaubt wären. Beobachter führen den klaren Widerstand unter anderem auf die aktuelle Präsenz des US-Militärs vor der venezolanischen Küste zurück, die viele Ecuadorianer verunsichert. Trotz weit verbreiteter Politikverdrossenheit votierte die Bevölkerung auch dagegen, die Pflicht des Staates zur Finanzierung politischer Organisationen abzuschaffen. Ecuador zählt über 230 registrierte politische Organisationen, von denen viele als Wahlmaschinen gelten und immer wieder in Korruptionsfälle verwickelt waren. Auch die vorgeschlagene deutliche Verkleinerung des Parlaments wurde abgelehnt. Bei den beiden letzten Fragen kam das negative Ergebnis besonders unerwartet, widerspricht die Ablehnung doch eigentlich der allgemeinen Unzufriedenheit mit der politischen Klasse. Dass der Vorschlag trotzdem scheiterte, ist ein Hinweis auf die Skepsis gegenüber abrupten politischen Veränderungen und ein klares Zeichen dafür, dass es vielen Menschen mehr darum ging, gegen Noboa zu stimmen, als sich mit der zur Befragung gestellten Materie auseinanderzusetzen. Weder kurzfristige stimmenfangende Regierungsmaßnahmen der Vorwoche noch wirtschaftspolitische Ankündigungen haben Unterstützung für das von der Regierung initiiere Referendum erzeugt.
Die zentrale Frage lautet nun, warum die Regierung unter Präsident Daniel Noboa eine so deutliche Niederlage erlitten hat – und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
Eine der Ursachen liegt sicherlich darin, dass viele Bürger hatten den verfassungsgebenden Prozess als riskanten Schritt ins Ungewisse wahrgenommen haben - möglicherweise beeinflusst durch das im Gedächtnis präsente gescheiterte Verfassungsprojekt in Chile. Hinzu kommen Wahlmüdigkeit und Frustration angesichts fehlender Lösungen für Kernprobleme wie Arbeitslosigkeit, Sicherheit, Gesundheitsversorgung oder Bildung.
Noboa wird zudem vielfach als unnahbar und wenig dialogbereit eingeschätzt. Sein Krisenmanagement – etwa im Konflikt mit indigenen Gruppen in Imbabura oder im Streit um Minenabbau und Wassersicherheit in der Region Azuay – hat ihm Ansehen gekostet. Das Referendumsergebnis sei damit auch ein Ventil für die wachsende Unzufriedenheit mit seinem Regierungsstil, also ein klares Votum gegen den Präsidenten anstatt einer sachgerechten Auseinandersetzung mit den zur Abstimmung gestellten Fragen. Ruth Hidalgo, Direktorin der zivilgesellschaftlichen Organisation Corporación Participación Ciudadana bringt es auf den Punkt: „Der Ausgang der Volksbefragung und des Referendums sind ein Ausdruck der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Handeln und Stil der Regierung.“
Wie reagiert Noboa?
Entscheidend wird sein, wie Noboa auf diese Niederlage reagiert. Eine selbstkritische Evaluierung könnte den Weg für einen transparenteren Regierungsstil, der stärker auf Dialog und Verhandlung setzt sowie für personelle Veränderungen in der Regierungsmannschaft ebnen.
Zwei strategische Neuausrichtungen wären dabei von besonderer Bedeutung. Zum einen könnte der Präsident versuchen, seine politische Organisation ADN unabhängiger von seiner Person in Richtung einer Programmpartei zu entwickeln – mit klarer Identität, Struktur und innerparteilicher Demokratie. Weiterhin könnte ein offenerer, kooperativerer Umgang mit politischen Akteuren und der Bevölkerung verlorenes politisches Kapital zurückgewinnen.
Im Parlament selbst verändert das Abstimmungsergebnis die Machtverhältnisse nicht. Die dem ehemaligen Staatspräsidenten Correa nahestehenden Kräfte werden aus dem Ergebnis auch keinen konkreten Nutzen ziehen können. Ein kurzfristiger Regierungszusammenbruch ist nicht zu erwarten.
Der Präsident steht somit vor einem Scheideweg: Wenn er den von vielen als improvisiert und wenig transparent wahrgenommenen Regierungsstil weiterführt, könnte dies mittelfristig fatal für sein Regierungsprojekt werden. Gleichzeitig eröffnet die Situation aber auch Chancen: Setzt Noboa nach diesem „Schuss vor den Bug“ auf Dialog, zeigt Lernbereitschaft und nimmt personelle Erneuerungen vor, könnte er politisch sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen. Erste Schritte hat Noboa dabei bereits unternommen. Am 19. November 2025 tauschte Noboa sechs seiner insgesamt 17 Minister aus.
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