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Die internationale Kräftekonstellationen

Thomas Jäger

aus: Eichholzbrief (Zeitschrift zur politischen Bildung) 4/1995

Globale soziopolitische Entwicklungen

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Als der Zusammenbruch der Sowjetunion, das Ende des Ost-West-Konflikts und die Einheit der beiden deutschen Staaten noch lange nicht absehbar waren, hatten sich die Bedingungen internationaler Politik schon drastisch verändert. Nicht erst die Umwälzungen der letzten Jahre sind dafür verantwortlich, daß sich die internationale Mächtekonstellation auf den Weg in eine neue Ordnung begeben hat. Auf den Weg begeben heißt auch, noch nicht angekommen zu sein. Und als diese Entwicklung mit zunehmender Dynamik verlief, wurde alles durch den Verfall der Ost-West-Ordnung noch komplizierter.

Auf den ersten Blick eher untergründig verlaufende Prozesse der weltweiten soziopolitischen Entwicklung entfalten nämlich seit Jahrzehnten eine weit strukturprägendere Kraft als die oberflächlich atemberaubenden Veränderungen der jüngsten Zeit. Konkret heißt dies: der Prozeß der Globalisierung beispielsweise, wiewohl in seiner symbolischen Erfassung weit weniger greifbar und deshalb zur Mediendarstellung weniger geeignet (es sei denn durch computersimulierte Datenhighways), ist unendlich bedeutsamer für die Entwicklung der internationalen Beziehungen als der Zusammenbruch der Sowjetunion. Umstürzende Statuen, fallende Lenins lassen sich eben besser bildlich darstellen als Millionen von vernetzten Computeranschlüssen und sind deshalb in unserem Bewußtsein auch präsenter. Die neuen Kräftekonstellationen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts lassen sich aber ohne einen - zumindest kursorischen - Blick auf diese längerfristig wirkenden grundlegenden Entwicklungen nicht begreifen.

Ohne solche tieferreichende Analyse ist es übrigens müßig zu spekulieren, ob China eine Rolle als Weltmacht einnehmen, Rußland die marktwirtschaftlichen Reformen meistern oder die Europäische Union an Einfluß verlieren wird. Das Ergebnis solchen Nachdenkens wäre zufällig, denn alles scheint möglich - und eben auch nicht, je nachdem, ob die eigenen Blicke in die Zukunft eher mit Skepsis oder mit Hoffnung angereichert werden. Dann aber verlängern die Betrachter lediglich ihre Vorurteile in die Zukunft, was offensichtlich zu wenig ist, sollen die vor uns liegenden Herausforderungen bewältigt werden.

Bedingungen für weltpolitische Handlungsfähigkeit

Das Verhältnis der internationalen Akteure zueinander wird von einer großen Zahl tagtäglich ablaufender Prozesse bestimmt. In jedem Konflikt - und jedes Aufeinandertreffen ist ein Konflikt, in dem es um die Verteilung von Vor- und Nachteilen geht - versuchen die unterschiedlichen Seiten ihre jeweiligen Interessen mit Finesse und durch das beeinflußbare Arrangement der übrigen Beteiligten durchzusetzen. Dabei spielen taktische Überlegungen häufig eine dominante Rolle. Für die Frage nach der Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft und die daraus resultierende Macht, die das politische System (der Staat) dann international einsetzen kann, sind aber andere Prozesse bedeutender. Sie laufen mit einer gewissen Konstanz ab und schleifen sich sozusagen in die internationale Ordnung ein. Damit werden sie zu Strukturen der internationalen Politik und begrenzen den Handlungsspielraum der Staaten und Gesellschaften.

Als Globalisierung wird die Gesamtheit der Entwicklungen bezeichnet, die zu äußerst engen Verbindungen zwischen Akteuren und Aktionen in der internationalen Politik führen. Diese zunehmende Vernetzung ist zwar unterschiedlich stark ausgeprägt, im handelspolitischen Bereich weit enger als im kulturpolitischen, zwischen den hochindustrialisierten Staaten stärker als zwischen diesen und den weniger entwickelten Staaten. Die Welt aber wird zumindest teilweise zum globalen Dorf. Kommunikation und Transport, der Austausch von Waren und Informationen ist in einem nie zuvor dagewesenen Ausmaß möglich. Flugzeuge, Interkontinentalraketen und Datenhighways lassen von der Technik bis zum Militär Entfernungen, die früher politikbestimmend waren, auf ein kaum mehr spürbares Maß sinken.

Damit einher gehen zunehmende gegenseitige Abhängigkeiten, die als Interdependenzen bezeichnet werden. Auch sie existieren eher zwischen entwickelten Staaten und eher im ökonomischen Bereich. Hier haben Aktionen einer Regierung Auswirkungen weit über ihren eigenen Verantwortungsbereich hinaus. Merkantilistische Rezepte, etwa die Abschottung bestimmter Produktionsbereiche (Protektionismus), greifen unter diesen Bedingungen nicht mehr. Standortkonkurrenz existiert weltweit. Diese Verhältnisse heben im besten Fall einseitige Abhängigkeiten weitgehend auf. Eine Folge ist: wer einseitig handelt und nur an seine eigenen Interessen denkt, schadet sich selbst, weil er Kooperationsstrukturen zerbricht. Beispielsweise drohte die Volksrepublik China, in die FCKW-Produktion einzusteigen, sollte sie keine finanziellen Transfers erhalten.

Das Verhältnis zwischen den führenden Staaten(gruppen) ist gleicher, wenn auch nicht gleich geworden. Jedenfalls besteht ein derart großer Abstand an machtpolitischem Plus, wie ihn die USA nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre weltweite Führungsrolle nutzen konnten, für keinen Staat. Und es hat nicht den Anschein, als ob irgendein Land jemals wieder eine solch überragende Position einnehmen wird. Damit sind die Machtverhältnisse zwischen den Weltführungsmächten - USA, Japan, China, Rußland, EU - komplizierter geworden. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die Machtmittel der einzelnen Staaten sehr voneinander unterscheiden, und nur die USA derzeit wirtschaftlich und militärisch, Japan und die EU nur wirtschaftlich, Rußland und China nur militärisch so handlungsfähig sind, daß sie zur Steuerung der Weltordnung beitragen könnten.

Je vernetzter die Welt, je offener die Gesellschaften, je rascher Fortschritt und Wandel, desto weniger Gestaltungskraft kommt dabei militärischen Mitteln zu. Überhaupt wird es immer schwieriger, Machtmittel über Politikbereiche hinweg einzusetzen, also etwa durch militärischen Druck Währungspolitik zu beeinflussen. Die neue Ordnung der Welt wird zwar nicht ohne militärische Mittel zu gestalten sein, aber auch nicht durch sie allein. Die Sowjetunion zerbrach, weil sie militärisch stark, ökonomisch und sozial-organisatorisch jedoch völlig unterentwickelt war. Für die Gestaltung der neuen Weltordnung ist weiche Macht gefragt: wirtschaftliche und technologische Kompetenz, soziale Stabilität, die Bereitschaft zu Kompromissen und die Fähigkeit, internationale Problemlösungen angesichts sehr unterschiedlicher Interessen zu organisieren.

Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß die politische Welt nicht mehr allein aus Staaten besteht. Zwar sind die Staaten immer noch wichtige Akteure in der internationalen Politik, aber nur noch die mächtigsten sind in der Lage, Ordnungspolitik zu betreiben. Die "Tagesschau"-Bilder täuschen: schon lange sind Staatsbesuche nicht mehr der Kern internationaler Politik. Informelle Zirkel, internationale Organisationen, multinationale Konzerne sind viel, viel wichtiger als bilaterale Regierungsverhandlungen.

Wenn Staaten in Zukunft internationale Ordnungspolitik durchsetzen wollen, muß es sich um offene Gesellschaften handeln, die transnationalen Akteuren Handlungsspielraum bieten. Unter transnationalen Akteuren versteht man gesellschaftliche Akteure, z. B. Unternehmen oder Parteien, andere Vereinigungen oder Verbände, die über nationale Grenzen hinweg kooperieren. Die transnationale Dimension internationaler Politik wird immer wichtiger. Beispielsweise sind die europäischen Staaten nicht in der Lage, irgendwelche Währungsrelationen festzulegen, die nicht von kapitalstarken Unternehmen ständig durcheinandergewirbelt werden könnten.

Vier Paradoxa internationaler Ordnungspolitik

Aus diesen Entwicklungen resultieren vier Paradoxa, die die Zukunft internationaler Politik bestimmen werden:

  • Einerseits haben die Ressourcen der Staaten in den letzten Jahrzehnten immens zugenommen, und das in vielerlei Hinsicht: militärisch, wirtschaftlich, finanziell, aber auch was die Vielzahl internationaler Kontakte betrifft. Noch nie waren die Handlungspotenzen so groß. Und gleichzeitig waren die Chancen, autonom handeln zu können, noch nie so gering. Allein können Staaten nichts mehr bewegen, sei es im umwelt-, sicherheits- oder wäh-rungspolitischen Bereich.
  • Internationale Probleme können nur noch gemeinsam gelöst werden. Das klingt so leicht und ist so schwer. Erstens ergeben sich aus den Kooperationen, wenn sie auf den Weg gebracht sind, sogleich Kooperationskonflikte: keiner möchte, daß der andere mehr Vorteile oder weniger Nachteile erhält als man selbst. Gleichzeitig stehen die Regierungen unter dem Druck innenpolitischer Erwartungen, müssen also nicht allein die internationalen Konflikte, sondern auch die unterschiedlichen partikularen Interessen in ihren jeweiligen Ländern berücksichtigen.
  • Diese Komplexität an Interessen wird zusätzlich komplizierter, weil die unterschiedlichen internationalen Akteure in unterschiedlichen sozialen Zeiten leben. Die OECD-Welt der hochentwickelten Industriestaaten unterscheidet sich wesentlich von den unterschiedlichen Staaten(gruppen) des Südens. Kulturell bestehen zwischen Europa sowie den USA und dem ostasiatischen Raum große Differenzen. Es existieren unterschiedliche Menschenbilder, die Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv wird gänzlich anders bewertet. Es bestehen unterschiedliche Vorstellungen von den Rechten und Pflichten der Menschen. Die Kommunikation zwischen internationalen Akteuren wird also nicht nur dadurch erschwert, daß fundamental unterschiedliche Interessen verhandelt werden, sondern daß auch noch unterschiedliche sozioökonomische und kulturelle Sprachen gesprochen werden.
  • Zuletzt besteht das Paradoxon, daß militärische Mittel zwar an Gestaltungskraft verloren haben, aber immer noch ein erhebliches Maß an Chaos- und Zerstörungsmacht darstellen. Deshalb muß versucht werden, den internationalen Gewaltpegel abzusenken ,ohne daß er durch crazy states hochgepuscht werden kann. Ein einzelner Staat kann eine Region in den Krieg ziehen. Aber nicht nur Staaten, auch transnationale Akteure (Terrorgruppen, kriminelle Vereinigungen, organisiertes Verbrechen) können Chaos-Macht in die Gesellschaften tragen. Je entwickelter und offener Gesellschaften sind, desto anfälliger sind sie gegen Gewaltakte.

Ende des Ost-West-Konflikts

Mit dem Ost-West-Konflikt ging eine politische Ordnung unter, die sich unter den oben aufgezeigten Bedingungen schon überlebt hatte. Sie war auf der einen Seite von unwägbaren Risiken bestimmt, vor allem der Gefahr der gegenseitigen nuklearen Vernichtung, andererseits aber relativ einfach zu verstehen (viel zu einfach für die komplizierter werdende Welt). Es gab zwei Seiten, auch wenn sich die Bündnisse in den 80er Jahren ein wenig aufgelöst hatten, und beide Seiten blockierten sich gegenseitig. Regionale Konflikte, vom Nahen Osten über das südliche Afrika nach Mittelamerika waren in die Weltmächterivalität eingespannt. Außer den international völlig uninteressanten Gebieten gab es keine weltmachtfreien Räume.

Die USA verloren im Ost-West-Konflikt zwar zunehmend an Vorherrschaft, waren aber bis zum Schluß die stärkste Macht, weil sie militärische und ökonomische Handlungsfähigkeiten gleichzeitig ausgebaut hatten. Im Gegesatz dazu war die Sowjetunion eine nur militärisch, die EG eine nur ökonomisch ernst zu nehmende Kraft.

Unter Gorbatschow versuchte die neue sowjetische Führung, die ökonomische Lücke zu schließen. Beabsichtigt wurde, bis zum Ende des Jahrhunderts technologisch und wirtschaftlich zum Westen aufzuschließen. Nur so, das sah die sowjetische Führung richtig, konnte der gefährdete Weltmachtstatus gehalten werden. Doch für den Koloß auf tönernen Füßen kam die halbherzige Öffnung zu einer offenen Gesellschaft zu spät. Gorbatschow, eine der tragischen Figuren des späten 20. Jahrhunderts, wollte die Macht des Staates neu begründen und zerstörte sie letztlich. Die Sowjetunion brach auseinander, der Ost-West-Konflikt war zu Ende.

Die Folgen dieses Zusammenbruchs blieben nicht auf den russischen Raum begrenzt, noch nicht einmal auf die Beziehungen anderer Staaten zu Rußland. Sie reichten weit darüber hinaus. Regionale Konflikte, im südlichen Afrika beispielsweise, veränderten ihre Struktur und lösten sich mit einem Schlag auf. Andere, auf dem Balkan etwa, brachen nun erst recht auf. Weltweit waren die Wirkungen spürbar, als sich die Dominanz der beiden Supermächte löste.

Besonders nachhaltig waren die Wirkungen in Europa. Im ersten Überschwang hielt man die Zeit für eine demokratische, rechtsstaatliche und marktwirtschaftliche Regionalordnung gekommen. Vom Ende der Geschichte war die Rede. Es existierte scheinbar nur noch ein legitimes politisches System - die parlamentarische Demokratie. Aber langsam, als sich in die Beziehungen zwischen west- und osteuropäischen Staaten erste Skepsis mischte, als die hohen Erwartungen verflogen waren, wurde bewußt, daß keinesfalls nur der Osten, sondern der Westen selbst von der Transformation ergriffen wurde.

Es änderten sich die machtpolitischen Verhältnisse in der EU, weil sich mit der Einheit Deutschlands und dem Ende der sowjetischen Bedrohung die Grundlagen der Integration zumindest verschoben hatten. Hinzu tritt eine schleichende Distanzierung zwischen den USA und der EU, die aus dem Wegfall der besonderen Bedingungen des Ost-West-Konflikts resultiert, und auf das Binnenverhältnis zwischen den europäischen Staaten einwirkt. In beiden Regionen werden nationale Interessen zunehmend enger definiert und die Außenpolitik an eigenen kurzfristigen Gewinnen (vor allem im wirtschaftlichen Bereich) orientiert. Die Regierung der Vereinigten Staaten sieht die europäischen Querelen, ja sogar die Kriege in Europa, als lediglich europäische Angelegenheit an. Die Regierungen der Europäischen Union suchen, der sowjetischen Bedrohung ledig, immer seltener die politische Führung der USA.

Reagierte die französische Europapolitik sogleich mit einer verstärkten Integrationspolitik, dem Maastricht-Projekt, das die deutschen Stärken einbinden sollte, ohne die französischen Stärken zu binden, so nahm die deutsche Europapolitik dies bereitwillig auf. Es sollte unter allen Umständen verhindert werden, daß die übrigen Partner für die Zukunft ein deutsches Europa voraussahen. Großbritannien nutzte diese Phase der Neuorientierung dazu, die eigenen Vorstellungen von einer erweiterten Freihandelszone erneut ins Spiel zu bringen. Gegenmachtbildung und Integration laufen seitdem in Europa gleichzeitig nebeneinander her. Welche zukünftige Gestalt der westliche Halbkontinent annehmen wird, ob sich die EU als weltpolitischer Akteur wird aufbauen können, wie die Integration der osteuropäischen Staaten gelingt, all das sind derzeit noch unbeantwortete Fragen.

Auch die transatlantischen Beziehungen, weltpolitisch vielle icht die wichtigsten, haben sich durch das Ende des Ost-West-Konflikts nachhaltig geändert. Nicht nur, daß mit der sowjetischen Herausforderung die (sicherheits)politische Klammer zwischen Europa und den USA gelockert wurde, mehr noch haben sich die internen Interessenbildungsprozesse geändert. Die Administration Clinton etwa bewertet jede außenpolitische Strategie danach, was sie der amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit und der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes bringt. Das verwundert angesichts der angeschlagenen ökonomischen Lage nicht, trägt aber nicht zu einem abgestimmten Aufbau der neuen Weltordnung bei. Dabei blieben die europäisch-amerikanischen Wirtschaftskonflikte bisher eher unbedeutend. Jedenfalls bestand nie die Gefahr, daß sie zu einer umfassenden politischen Krise eskalierten. Das ist in den japanisch-amerikanischen Beziehungen anders. Nicht wenige Beobachter erwarten hier eine Politisierung der Wirtschaftsbeziehungen, was konkret heißt, daß wirtschaftliche in politische Konkurrenz umschlägt. Der kommende Krieg mit Japan lautete auch ein Bestseller auf dem amerikanischen Buchmarkt, geschrieben von zwei (ansonsten gar nicht so extremen) Politikwissenschaftlern. Jedenfalls ist zu beobachten, daß die westlichen Demokratien (als solche versteht sich auch Japan) erhebliche Probleme in ihrer politischen Abstimmung haben.

Demokratisierung ohne Durchsetzungskraft?

Dabei wird allgemein Demokratisierung als ein Mittel zur Verfriedlichung der internationalen Politik ausgegeben, als Strategie gegen Krieg und für eine gewaltlose Streitbeilegung zwischen unterschiedlichen Akteuren. Richtig ist, daß Demokratien äußerst selten Krieg gegeneinander führen, weshalb sie zu Recht als friedlichste Regierungsform gelten. Deshalb haben die westlichen Staaten ein Interesse daran, daß möglichst viele Staaten demokratisch regiert werden. Dieses Interesse besteht noch aus einem anderen Grund. Zur Durchsetzung der eigenen Interessen im internationalen Umfeld ist es förderlich, wenn diese Umwelt weitgehend der eigenen Struktur entspricht. Politik zwischen Demokratien ist einfacher, weil man politisch die gleiche Sprache spricht, auch wenn man nicht dasselbe sagt.

Skepsis aber ist angebracht, ob die zukünftige internationale Kräftekonstellation auf der Basis weltweiter Demokratisierung aufbauen wird. Dabei sind zumindest zwei Formen von Demokratisierung zu unterscheiden: erstens die Demokratisierung von Staaten, zweitens die Demokratisierung internationaler Organisationen. Sicher wäre die Welt friedlicher, wenn alle Staaten demokratisch regiert würden. Bestimmte Formen der Chaos-Macht wären weniger ausgeprägt, eine verhandelte Streitbeilegung häufiger zu erreichen. Ende der 80er Jahre sahen viele eine Art Dominoeffekt der Demokratisierung: wie ein Schneeball breitete sich die Demokratie über die Welt aus, mit jeder Umdrehung an Gewicht und Größe zunehmend. Aber der Schneeball schmilzt. Außerhalb der demokratischen Kernländer des Westens nehmen autoritäre Regime an Zahl zu, viele der neuentstandenen Staaten sind nicht demokratisch regiert, schwankende Demokratien sehen sich verstärktem Druck nationalistischer oder anderer Kräfte gegenüber.

Auch die Demokratisierung internationaler Organistionen wird in absehbarer Zeit keine gestaltende Kraft für die internationale Politik entfalten. Die UN wird von vielen Beobachtern als Weltregierung herbeigesehnt, weil anders die vielen Kriege und Konflikte, die menschenverachtende Politik korrupter Regime und die dadurch ausgelösten Wellen an Migration und Verelendung nicht in den Griff zu bekommen wären. Aber demokratisch legitimiert sind die Vereinten Nationen nicht. Nur in der relativ wirkungslosen Generalversammlung hat jeder Staat eine Stimme. Im Sicherheitsrat, dem exklusiven Zirkel, in dem die politische Richtung vorgegeben wird, achtet jeder auf seine eigenen Privilegien. Selbst in der Generalversammlung aber sind nur die Staaten vertreten, nicht die inzwischen viel wichtigeren transnationalen Akteure. Dort kann man zwar mit dem Vertreter Mozambiques, nicht aber einem Verantwortlichen von Shell oder Nestlé sprechen. Für viele Probleme sind letztere, die transnationalen Unternehmen, aber von ungleich höherer Bedeutung.

Kampf der Zivilisationen?

Der Ost-West-Konflikt hatte die politische Orientierung so leicht gemacht, weil es nur einen internationalen Strukturkonflikt gab. An diese einfache Matrix gewöhnt, fragten viele Analytiker zu Beginn der 90er Jahre, welches denn der neue Strukturkonflikt sein werde: Der Nord-Süd-Konflikt? Der ökologische Konflikt? Die Auseinandersetzungen mit dem Islam?

Auf der Suche nach Antworten auf diese Frage stieß der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington auf die Antwort: der Kampf der Zivilisationen. Seine These ist, daß es weder ideologische noch ökonomische Quellen sein werden, die den nächsten weltpolitisch dominanten Strukturkonflikt speisen, sondern kulturelle. Aus dem Zusammentreffen der unterschiedlichen Kulturen werde sich der Kampf um die internationale Ordnung entwickeln. Verstärkte Kontakte zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Kulturen würden diese Auseinandersetzung ebenso fördern wie die Politisierung religiöser und kultureller Zugehörigkeiten. Nicht Staaten, Kulturen würden sich als Identifikationskern für die Menschen herausstellen. Die weltpolitisch führende Zivilisation des Westens gerät seiner Ansicht nach immer stärker unter Druck, weil erstens andere Kulturen sich im Prozeß der Distanzierung politi-sieren und zweitens die Ressentiments gegenüber seiner politischen Vorherrschaft zunehmen. Die Ausbildung von Großregionen, vor allem als Räume erleichterten wirtschaftlichen Handelns, unterstütze die Ausbildung kultureller Identitäten.

Eine Zunahme kultureller Konflikte ist gerade für die westlichen Gesellschaften gar nicht zu leugnen, wobei sie nicht nur zwischen unterschiedlichen, sondern auch innerhalb derselben Kultur bestehen. Möglicherweise werden sie auch in Zukunft heftiger ausgetragen werden, weil andere Identitäten fehlen. Einen Kampf der Kulturen als vorherrschendes Merkmal der internationalen Politik wird es hingegen wohl nicht geben. Einerseits wird sich wohl auf Dauer kein ebenso strukturstarker Konflikt wie der zwischen Demokratie und Sozialismus ausbilden, die internationalen Beziehungen also von mehreren, teils unverbundenen Konflikten geprägt werden. Die Komplexität steigt. Andererseits werden auch innerhalb der sogenannten Zivilisationen die Kämpfe um Vorherrschaft und Macht bleiben, also nicht vor allem zwischen, sondern innerhalb der Zivilisationen ausgetragen.

Regionalisierung

Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die Regionalisierung eines der vorherrschenden Kennzeichen der internationalen Politik im Übergang aus dem Ost-West-Konflikt in eine neue Ordnung darstellt. An ihrem Ende werden nicht weltweit integrierte Räume stehen; die EU bleibt wohl die Ausnahme. Aber es werden Großregionen ausgebildet, die in sich eine klare politische Figur aufweisen: Vorherrschaft, Allianzen, Gegnerschaften werden hier eindeutig und berechenbar geklärt sein.

Die zu erwartende internationale Kräftekonstellation wird davon abhängen, welche Staaten sich in ihrer jeweiligen Großregion auf eine Weise durchsetzen können, die einerseits die übrigen regionalen Mächte zur Kooperation verpflichtet, andererseits ausreichend transnationale Akteure anzieht, daß daraus ökonomisch weltweite Handlungsfähigkeit resultiert. Für die USA ist die Lage relativ einfach: auf dem amerikanischen Kontinent sind sie ohne wirklichen Herausforderer, ja selbst eine Koalition aller übrigen Staaten könnte sie nicht in Verlegenheit bringen. Und solange die USA wirtschaftlich offen bleiben, sind sie für multinationale Konzerne hochinteressant und als Standort unverzichtbar. Die USA werden deshalb Weltmacht bleiben.

Ganz anders im Fall von Iran oder Irak. Beide Staaten, selbst wenn sie sich in ihrer Region als Vormacht durchsetzen sollten, wären weltpolitisch nur von nachrangiger Bedeutung, weil sie einerseits ständig von anderen Staaten machtpolitisch herausgefordert würden und sich einer überlegenen Koalition gegenüber sähen, andererseits transnationale Akteure nicht so an sich binden können, daß sie aus ihnen Macht ableiten.

Zukünftige Weltmächte

Damit sind zumindest einige Bedingungen benannt, die das zukünftige internationale Kräfteverhältnis bestimmen werden. Die jeweiligen regionalen Großmächte werden in einer Welt, die politisch stärker als zuvor auseinanderfällt (auch wenn die Herausforderungen sie stärker als zuvor vereinen müßten), eine dominante Rolle spielen. International von Bedeutung aber werden sie nur sein, wenn sie Übereinstimmung mit ihren regionalen Partnern herstellen können, in Kooperation mit den wichtigen transnationalen Akteuren stehen und über ausreichend Ressourcen an weicher Macht verfügen. Die zentrale Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Verletzlichkeiten - seien sie militärischer oder ökologischer, sozialer oder ökonomischer Art - einer gemeinsamen Steuerung zu unterstellen. Das kann nur gelingen, wenn parallele Interessen ausgebildet werden und die Abstimmung zwischen den Akteuren sowohl die sachlichen Herausforderungen als auch die unterschiedlichen Gewichte reflektiert. Mächtigere Staaten werden mehr Einfluß haben, aber allein werden sie nichts bewegen können. Deshalb wird es notwendig sein, daß sich international handlungsfähige Mächte ausbilden.

Für die Vereinigten Staaten wird dies zutreffen. Sie bleiben militärisch stark, werden die wirtschaftlichen Krisen überwinden und sind auf dem eigenen Kontinent ohne Herausforderer. Im Gegenteil: durch das Projekt einer Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) haben sie ihre regionale Stellung noch gestärkt. Für alle übrigen Staaten, die in diesem Zusammenhang genannt werden, aber sind Fragezeichen angebracht.

Die EU erfüllt die beiden ersten Bedingungen, ihr mangelt es aber an einsetzbaren Machtressourcen, weil sie als zusammengesetzter Akteur immer nur dann handlungsfähig ist, wenn alle Mitglieder mitziehen. Sowenig die einzelnen europäischen Staaten in der Lage sind, weltpolitische Bedeutung zu erlangen, so sehr können sie weltpolitische Verantwortung der EU durch nationalistische Politik verhindern. Der EU mangelt es also keineswegs nur an militärischer, sondern auch an ziviler weltpolitischer Handlungsfähigkeit. Ob sie diese aufbauen wird, ist offen. Die Strategien der einzelnen europäischen Staaten gehen derzeit zu weit auseinander, als daß eine sichere Prognose über die Gestalt der westeuropäischen Region in 20 Jahren möglich wäre. Aber sicher ist: ohne weitere Integration versinken die europäischen Staaten mehr und mehr in weltpolitischer Bedeutungslosigkeit. Sie werden ohne weltpolitische Handlungsbereitschaft ihre weltwirtschaftlichen Möglichkeiten nicht mehr wie bisher ausschöpfen können.

Die pazifische Region - hier geht es vor allem um Japan und China - ist hochgerüstet und voller Konflikte. Es bestehen nicht zuletzt territoriale Auseinandersetzungen - um die Spratley-Inseln beispielsweise. Es steht keineswegs fest, daß die Bemühungen um eine regionale Abstimmung, die in den letzten Jahren intensiviert wurden, erfolgreich sein werden. Auch läßt sich nicht sagen, ob Japan nicht über kurz oder lang von China als regionale Vormacht abgelöst wird. In einen solchen Konflikt könnten die westlichen Partner Japans hineingezogen werden, weshalb sie ihre Sicherheitsinteressen in der pazifischen Region nur undeutlich formulieren.

Der Pazifik aber ist die wirtschaftliche Wachstumsregion der Welt. Auch andere Probleme - Bevölkerungswachstum, Umweltverschmutzung, nukleare Proliferation - sind eng mit dieser Region verbunden. Deshalb könnten bei militärischen Konflikten die von dort ausgehenden Schockwellen die gesamten internationalen Beziehungen durcheinanderbringen. Fraglich ist, ob die USA oder die EU über Einfluß verfügen, dies im Ernstfall zu verhindern.

In Afrika wird sich kein international wichtiger Akteur entwickeln, weder Nigeria noch Südafrika. Alle anderen Staaten sind jetzt schon der Vergessenheit anheimgegeben. Aber gerade daraus könnten erhebliche Probleme erwachsen. Deshalb ist eine präventive Krisen- und Entwicklungspolitik notwendig. Es stimmt die schlichte Einsicht: werden die Probleme nicht dort gelöst, wandern die Menschen nach Norden.

Der arabische Raum wird sich nicht einigen, aber die kollektiven Distanzierungen zur westlichen Welt werden zunehmen. Das äußert sich in unterschiedlichen Identitäten, religiösen wie kulturellen, kann aber jederzeit, wie der zweite Golfkrieg gezeigt hat, politisiert werden.

Trilaterale Führung: USA, Japan, EU

Insgesamt wird die neue Mächtekonstellation komplizierter sein, als dies in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Das heißt nicht, wehmütig zurückzublicken. Im Gegenteil. Gerade in Europa bedeutet der Transformationsprozeß die Ablösung von Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Doch resultiert aus der Ablösung der alten Ordnung nicht einfach der Aufbau der neuen. Über die Schwierigkeiten, auch die Anstrengungen zum Aufbau einer neuen Weltordnung hatte man sich getäuscht. Vielleicht wurde deshalb bisher zuwenig Phantasie darauf verwandt, über neue Konstellationen nachzudenken. Die trilateralen Staaten USA, Japan und EU brauchen dringend eine Abteilung "Forschung und Entwicklung", eine Abteilung "Marketing" und eine Abteilung "Controlling", die international Impulse für die Neugestaltung geben. Nur wenn es gelingt, zwischen den USA, Japan und der EU eine zukunftsweisende Abstimmung zu erreichen, wird weltpolitische Steuerung möglich sein. Das Aufstreben anderer Staaten kann die Kooperation zwischen diesen erschweren und Konflikte in die Beziehungen tragen. Deshalb sollten sie sich stärker aufeinander konzentrieren.

Die USA aber vernachlässigen die EU gegenüber Rußland; die EU hat noch immer keine Japan-Politik, die der Bedeutung des Landes entspricht; Japan ist noch immer nicht bereit, sich wirtschaftlich wie die anderen zu öffnen. Rußland und China werden hingegen ihre weltpolitische Bedeutung nur erhöhen können, wenn sie Konflikte zwischen den drei Führungsmächten schüren. Das wissen auch die anderen aufstrebenden Regionalmächte: der Irak, Iran, Indien, Brasilien.

Die Konsequenz daraus sollte heißen: Vorrang der Beziehungen der trilateralen Mächte untereinander. Über diese Kooperation müßten sie weltpolitische Strukturen aufbauen, die den aufstrebenden Staaten soviel Vorteile gewähren, daß sie an einer grundlegenden Änderung dieser Ordnung kein Interesse haben können. Revolutionäre Mächte kann sich eine vernetzte und hochgerüstete Welt nicht leisten. Nur dann wird eine eher gewaltlose Entwicklung der internationalen Politik zu erwarten sein.

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