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Konstantin Rintelmann

Relatórios dos países

Paralyse in Zeiten der Krise

de Valentina von Finckenstein

Die immensen Herausforderungen für den Libanon wachsen mit seiner politischen Handlungsunfähigkeit

Der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani erschwert die bereits stagnierende Regierungsbildung, die seit Monaten aussteht. Der designierte Premierminister Hassan Diab hat dabei mit beachtlichen innen- und außenpolitischen Hürden zu kämpfen. Eine politische Führung ist jedoch dringend notwendig: nicht nur für die Implementierung von Wirtschaftsreformen, sondern auch angesichts der regionalen Spannungen. Derweil rutscht der Libanon tiefer in eine Wirtschaftskrise, deren enormes Ausmaß von den Politikern erst jetzt allmählich begriffen wird. Das Versäumnis der Zentralbank und der Politik, durch Krisenkommunikation der allgegenwärtigen Ungewissheit entgegenzuwirken, hat das Vertrauen in Währung, Banken und Finanzsystem stark geschädigt.

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Herausforderungen bei der Regierungsbildung

Während sich mit Soleimanis Tod zusätzliche Unsicherheit in der Region ausbreitet, befindet sich der Libanon bereits seit drei Monaten ohne politische Führung - kein unüblicher Zustand für den Zedernstaat - obgleich er sich mit mehreren Krisen gleichzeitig konfrontiert sieht. Nachdem Premierminister Saad Hariri angesichts landesweiter Massenproteste von seinem Amt zurücktrat, wurde Hassan Diab, ein Professor der American University Beirut, am 19. Dezember als neuer Premierminister vom Parlament designiert. Die parlamentarischen Konsultationen fanden nach zahlreichen Verschiebungen und monatelangem politischen Tauziehen statt. Obgleich es seit geraumer Zeit heißt, die Kabinettsbildung stünde vor einem Durchbruch, zögern Auseinandersetzungen bei der Vergabe von Ministerposten den Prozess immer wieder hinaus. Die Aufgabe des neuen Premiers wird es dann sein, den Libanon zwischen einem nahenden wirtschaftlichen Kollaps, der größten Protestbewegung seit dem Bürgerkrieg und eskalierenden US-Iran Spannungen zu navigieren.

Die überraschende Nominierung Diabs wurde durch die schiitische Partei Hezbollah und deren politischen Partnern gestützt. Wichtige etablierte Parteien stellten sich allerdings deutlich gegen den Kandidaten. Das sunnitische Future Movement, die christlichen Parteien Lebanese Forces und Kataeb (zum Westen tendierende Parteien mit einer Iran-kritischen Haltung), haben darüber hinaus angekündigt, sich nicht an der neuen Regierung zu beteiligen und in der Opposition zu wirken.

Die Aufteilung der Parlamentsarbeit in diese rivalisierenden Blöcke hätte wichtige Folgen. Denn bislang regierte der Libanon mit einer nationalen Einheitsregierung, in der nicht nur, wie von der Verfassung vorgesehen, alle konfessionelle Gruppen vertreten sind. Die Praxis dieser nationalen Einheit wurde im Libanon zu einem Extrem getragen, bei dem alle im Parlament vertretene Parteien an der Regierung teilhaben. Somit verwandelte sich die Regierung in eine aufgeblähte konsensabhängige Institution, die gegen tiefgreifende Reformen resistent war und ohne die Aufsichtsfunktion einer Opposition arbeitete. Der Zedernstaat kennt seit dem Ende der syrischen Besetzung - abgesehen von einem kurzen Intervall während Mikati-Regierung (2011-2013) und den drei Parlamentsmitgliedern der Kataeb seit Anfang 2018 - keine Opposition im Parlament. Gegner eines solchen Szenarios kritisieren es als eine einseitige "Konfrontationsregierung"; es könnte aber auch neue Chancen für bessere Parlamentsmechanismen bieten.

Hassan Diab wird mit fehlender Unterstützung zu kämpfen haben: von etablierten Parteien, der sunnitischen Gemeinde, und Teilen der Zivilgesellschaft. Er scheint nichtsdestotrotz entschlossen, nicht zurückzutreten. Sollte es ihm gelingen, trotz starken Gegenwindes eine Regierung zu bilden, stellt sich die Frage nach der Überlebensfähigkeit und -dauer einer solchen Regierung. Zunächst muss abgewartet werden, wie die Bevölkerung auf die neue Regierung reagiert. Demonstrationen finden nach wie vor statt, wenn auch in geringerem Umfang – aber mit gewaltsameren Ausschreitungen.

Die Proteste sind eine bemerkenswerte Politisierung in einer allgemeinen Atmosphäre der Frustration und Abwendung von der Politik. Menschen, die die Hoffnung auf politischen Wandel im Libanon aufgegeben haben, diskutieren jetzt gemeinsam mit großem Enthusiasmus in Zelten auf dem Märtyrerplatz über die Zukunft des Libanons. Ob es sich hierbei um eine Revolution handelt, wird viel diskutiert: denn eine Revolution impliziert einen abrupten, nachhaltigen Wandel. Ob und was sich nachhaltig ändern wird, ist noch nicht absehbar. Einige Beobachter sprechen von einer „sozialen Revolution": Die Mentalität der Libanesen, gerade der jungen, habe sich verändert. Eine neue Generation wendet sich vom Klientelismus ab und fordert vom Staat grundlegende Dienstleistungen.

Eine der Hauptforderungen der Demonstranten besteht daher in der Bildung einer neuen, politisch unbelasteten Regierung: „Alle heißt alle“ lautet der allgegenwärtige Ruf, der sich bei den Demonstrationen vernehmen lässt. Verlangt wird die Ernennung einer neuen technokratischen Regierung, d.h. Minister, die sich durch Qualifikation statt Konfession auszeichnen, und keine Mitglieder der etablierten Parteien sind. Hassan Diab, ein ehemaliger Bildungsminister, erfüllt diese Kriterien für viele Demonstranten nicht. Auch jetzt ist abzusehen, dass das neue Kabinett zu einem großen Teil aus Ministern bestehen wird, die auch ohne offizielle Parteizugehörigkeit politisch und wirtschaftlich mit den traditionellen Parteien verbunden sind. Die Forderungen einer genuin politisch unabhängigen Regierung sind in der jetzigen politischen Landschaft unrealistisch. Obwohl die Proteste erste Ermüdungserscheinungen zeigen, sollte die Reaktion der Bevölkerung auf einen solchen Kompromiss nicht erneut unterschätzt werden.

Außenpolitische Anschlussfähigkeit einer neuen Regierung

Doch nicht nur innenpolitisch, auch außenpolitisch wird die neue Regierung mit Hürden zu kämpfen haben: Der Tod Soleimanis hat auch auf die Kabinettsbildung seine Wirkungskraft entfaltet. Die Beziehung zu den USA rückt umso mehr in das Scheinwerferlicht, denn zu der maximum pressure campaign gehört ebenfalls ein schärferer Ton gegenüber der Hezbollah. Die Trump-Administration erhöhte in den vergangenen Monaten graduell die Sanktionen auf die Politiker der Gottespartei, aber auch auf die ihnen nahestehenden Organisationen und Banken.

Der Besuch des US-Außenministers Mike Pompeo im Libanon im Sommer 2019 machte noch einmal deutlich: Hezbollah ist den USA ein Dorn im Auge. Mit einer Regierung unter Hezbollah, an der die pro-westlichen Parteien nicht teilhaben, wird die USA kaum kooperieren - Im Gegenteil stellt sich die Frage, ob die Vereinigten Staaten eine solche Regierung überhaupt akzeptieren oder sie vielmehr mit gezielten Sanktionen destabilisieren würde.

Nach Soleimanis Tötung ist den schiitischen Parteien dieses Szenario umso klarer vor Augen geführt worden. Um Stabilität zu bewahren, und sich selbst vor internationaler Isolation zu schützen, forderten der schiitische Parlamentssprecher Nabih Berri und die Hezbollah, auch die sich verweigernden Parteien in das Kabinett miteinzubinden und notfalls weitere Ministerposten zu schaffen. Ein solches Arrangement verkleinert die Angriffsfläche der Hezbollah, bietet ihr Schutz hinter einem Parteigleichgewicht und garantiert den Fortbestand ihres politischen Einflusses. Dass sich Parteien wie die Lebanese Forces, oder Future Movement ohne Parteiführer Hariri, zum Einstieg in ein sinkendes Regierungsboot überreden lassen, , ist allerdings unwahrscheinlich. Doch auch die Bildung einer vermeintlichen rein-technokratischen Regierung könnte der Hezbollah eine ähnliche Deckung bieten und ihre politische Rolle nach außen unbedeutender erscheinen lassen, als sie ist.

Mit Saad Hariri tritt ein Premierminister ab, der mit dem Westen und dem Golf, insbesondere Saudi-Arabien, bestens vernetzt war. Diese Länder waren und bleiben die wichtigsten potentiellen Geldgeber für den Libanon. Angesichts der schwerwiegendsten Sorge Libanons - der Wirtschaftskrise - sind die persönlichen Beziehungen zu diesen Regierungen nicht zu unterschätzen. Es ist bezeichnend, dass der bereits abgetretene Hariri, also ein nicht mehr amtierender Premier, am 11. Dezember in Paris zu einem internationalen Treffen zur finanziellen Unterstützung Libanons reiste, um mit den traditionellen Geldgebern über zukünftige Finanzhilfen zu diskutieren. Hariri bleibt nach Ansicht vieler lokaler Beobachter nach wie vor ein Konsenskandidat, der nach einer längeren Odyssee gescheiterter Regierungsbildungen wieder relevant werden könnte. Eine Regierung hingegen, in der man die Hezbollah für zu gewichtig hält, wird mit erheblichen Schwierigkeiten bei der internationalen Finanzierung zu rechnen haben.

Wirtschaft steuert weiter auf einen Kollaps zu

Das Versäumnis der politischen Klasse, in den letzten Jahrzehnten Reformen durchzuführen, und die dreimonatigen Proteste haben die Wirtschaft des Landes an den Rand des Zusammenbruchs gedrängt. Während die Weihnachtszeit Konsum und Geldumlauf noch einmal ankurbelte, und die Krise für einen kurzen Moment verlangsamte, wird der Absturz der auf Verschleiß fahrenden Wirtschaft im neuen Jahr umso deutlicher.

Die Erwartung eines finanziellen Kollapses steigt durch die täglich verschärften Bankenrestriktionen und eine rapide Abwertung der Landeswährung, die zeitweise nahezu um 60% devaluiert wurde. US-Dollar-Reserven, um essentielle, importabhängige Ware zu bezahlen, werden knapper: Dazu gehören Medikamente, Benzin und Weizen. Die Vereinigung der gastronomischen Eigentümer geht davon aus, dass in den letzten drei Monaten 2019 bis zu 500 Restaurants, Cafés und andere gastronomische Einrichtungen schließen mussten. Angestellte erhalten ihre Gehälter nicht mehr, in kleinen Supermärkten leeren sich die Regale nach und nach. Die vielzitierte, miserable Elektrizitätsversorgung schafft es, sich im neuen Jahr weiter zu unterbieten: Die Dauer der täglichen Stromausfälle hat sich in der Hauptstadt von drei auf sechs Stunden verdoppelt, auf dem Land gibt es teilweise nur wenige Stunden Strom. Für starke Betroffenheit sorgten die Suizide dreier mittelloser Libanesen, die mit der wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit in Verbindung stehen und an die Selbstverbrennungen in Tunesien Anfang 2011 erinnern.

Der Internationale Währungsfonds prognostizierte im Oktober, dass das BIP-Wachstum des Libanon im Jahr 2019 von der bisherigen Prognose von 1,3 Prozent auf 0,2 Prozent sinken würde, während der BDL für das Jahr ein Nullwachstum erwartet. Andere Ökonomen warnten davor, dass die Regierungslähmung und die anhaltenden Proteste das BIP-Wachstum auf weniger als null Prozent senken könnte. Wenn die Erwartungen an ein BIP-Wachstum von -1 oder -2 Prozent Realität würden, wäre dies eine der schlechtesten Wirtschaftsleistungen des Landes seit Ende des Bürgerkriegs.

Was allerdings in dieser desolaten Wirtschaftssituation verblüfft, ist das jegliche Krisenkommunikation versäumt wird - sowohl von der Zentralbank als auch von der Politik. Anstatt die Währungs- und Finanzkrise mit offiziellen Stellungnahmen zu stabilisieren, vernimmt man von den zuständigen Institutionen erstaunlich wenig. Das hat das öffentliche Vertrauen in das Banken- und Finanzsystem in vielerlei Hinsicht stark geschädigt. Es werden willkürliche, steigende Kapitalkontrollen von den Banken gesetzt; teilweise können Kunden inzwischen nicht mehr als 100 USD pro Woche am Schalter abheben. Da es allerdings keine klaren und transparenten Richtlinien gibt, bevorzugen die Banken einige - insbesondere wohlhabendere - Einleger gegenüber anderen. Solche Praktiken schüren tiefes Misstrauen und haben eine einfache, voraussehbare Folge: Die Kunden versuchen ihre Ersparnisse von den Banken restlos abzuheben, oder z.B. in Immobilien zu investieren. Seit September wurden den Geschäftsbanken mindestens 4 Milliarden USD an Einlagen abgezogen, obwohl von Experten befürchtet wird, dass die Zahl weitaus höher liegt. Der Chef der Zentralbank, Riad Salame, hat sich bis dato nur in einer Pressekonferenz und einer offiziellen Direktive an die Öffentlichkeit gewendet.

Für den Libanon, der sein unnachhaltiges Wirtschaften durch ausländische Investitionen und Überweisungen der Diaspora aufrechterhielt, ist internationale Kreditwürdigkeit essentiell. Doch die Rating-Agenturen stuften die Zahlungsfähigkeit des Zedernstaats und die seiner Geschäftsbanken Ende 2019 noch einmal ab: Moody’s von Caa1 auf Caa2, Fitch von CC auf CCC. Der Libanon hat zwar einen Eurobond in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar im Dezember zum Ende der Laufzeit zurückgezahlt, der die Fremdwährungsreserven noch weiter belastete. Doch um überhaupt in der Lage zu sein, die fällige Anleihe zu zahlen, emittierte der Libanon am 27. November zwei neue Anleihen in der Höhe von 1,5 Milliarden Dollar mit einer Laufzeit von jeweils 10 und 16 Jahren. Im März erwartet den Libanon eine weitere fällige Rückzahlung.

Die Versuche, wie üblich finanzielle Unterstützung durch die Verbündeten im Golf zu erhalten, sind bisher erfolglos geblieben. Hariris Erklärung im Oktober, die VAE habe finanzielle Unterstützung zugesagt, hat sich bislang nicht materialisiert. Auch die Geldgeberkonferenz am 11. Dezember in Paris, die aufgrund der Notlage einberufen wurde, blieb folgenlos. Das internationale Signal ist deutlich: Es wird kein Rettungspaket kommen, bevor eine Regierung gebildet wird, die sich reformwillig zeigt.

Die strukturellen Hintergründe für die Finanzkrise wurden in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Um die Staatsfinanzen über Wasser zu halten, lieh sich die Zentralbank von den lokalen Banken zu exorbitanten Zinssätzen Geld, um im Gegenzug Staatsschulden aufzukaufen. Die hohen Zinsen führten zu einer Vernachlässigung des Privatsektors - da Banken, statt inländischen Kredite an den Privatsektor zu vergeben, sich lieber für die lukrativen Zinsgewinne der Zentralbank entschieden. Von den insgesamt 170 Milliarden Dollar an Einlagen hat die Zentralbank 110 Milliarden Dollar von libanesischen Banken aufgenommen.

Parallel dazu erhöhte die Zentralbank die US-Dollar-Zinsen, um Einlagen der libanesischen Diaspora und ausländischer Investoren anzuziehen und so den doppelten Defizit - das Leistungsbilanzdefizit und Haushaltsdefizit - zu finanzieren. Die steigenden Zinsen erhöhten aber auch die Gesamtkosten der staatlichen Kreditaufnahme. Steigende Staatsdefizite, die zunehmend von der Zentralbank finanziert wurden, ließen wenig Raum für Investitionen in den öffentlichen Sektor. Diese Zinspolitik versucht Riad Salame nun umzukehren: in seinem einzigen öffentlichen Dekret seit Beginn der Massenproteste verordnete er die Senkung der Zinssätze für Fremdwährungseinlagen auf maximal 5 Prozent und für das libanesische Pfund auf 8,5 Prozent.

Ausblick

Der designierte Premierminister Hassan Diab steht bei der Regierungsbildung vor großen Herausforderungen. Die Tötung Soleimanis hat den politischen Konsens weiter erschwert. Um ihre Angriffsfläche zu verkleinern, werden Hezbollah und Amal wahrscheinlich darauf achten, ihren politischen Anteil an der neuen Regierung herunterzuspielen.

Die Regierungsbildung ist für die Implementierung von Reformen und als Signal an Investoren unabdinglich. Hassan Diab scheint vor einem Durchbruch bei der Kabinettsbildung zu stehen, kämpft aber mit regelmäßigen Rückschlägen. Sollte es ihm gelingen, bestehen zudem Zweifel, ob eine solche Regierung lange überleben würde. Eine Schuldenumstrukturierung und tiefgreifende Reformen sind unumgänglich. Das populistische Argument, man könne veruntreute Gelder der korrupten politischen Klasse wiedergewinnen und dadurch Defizite finanzieren, greift hier zu kurz. Die notwendigen Reformen werden die Bevölkerung hart treffen. Die zukünftige Regierung, die sie implementiert, wird ein hohes Maß an politischer Legitimität benötigen.

Valentina von Finckenstein ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Auslandsbüro Libanon.

 

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