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Titlu unic

Dem Wandel Richtung geben

de Dr. Edmund Stoiber

Perspektiven für Deutschland schaffen

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Zukunftswerkstatt" der Konrad-Adenauer-Stiftung fand die Grundsatzrede des Bayerischen Ministerpräsidenten statt, in der unter anderem Wolfgang Bosbach, Thomas Goppel, Roland Koch, Kardinal Karl Lehmann, Francis Fukuyama und Angela Merkel ihre Gedanken vorgestellt haben.

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(Es gilt das gesprochene Wort)

Hier im Französischen Dom, umgeben von der Akademie der Wissenschaft, dem Schauspielhaus und der Musikhochschule, hier im Zentrum der deutschen Hauptstadt wird deutlich:

Die Zukunft eines Volkes liegt in der Entfaltung seiner Kreativität.

Das ist spürbar hier in dieser Kirche der französischen Hugenotten. Als Bildungselite gaben sie Preußen neue Dynamik. Ich erinnere an die preußischen Minister Stein und Hardenberg, an die Gebrüder Humboldt. Diese Staatsreformer haben klare Richtungsentscheidungen getroffen gegen die Erstarrung, Verkrustung und Lähmung im deutschen Absolutismus. Um die Kräfte des Volkes zur Entfaltung zu bringen, hat man sich in den Krisen und Niederlagen der napoleonischen Zeit aufgerafft zu vorher undenkbaren Reformen.

Man hat die Fenster geöffnet für die Zukunft. Man hat einen Staat als Ordnungsrahmen gestaltet für Gleichheit vor dem Gesetz, einen Staat, der ein allgemeines Erziehungswesen etabliert, um elementare Bildung für alle zu ermöglichen, aber auch Bildungseliten, weil sie unverzichtbar sind. Und nicht zuletzt gestaltete man einen Staat, der beginnend auf der kommunalen Ebene den Bürgern Mitsprache garantierte. Diese Reformen brachten Preußen voran und Fortschritt für jeden Einzelnen.

Die preußischen Reformen im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gossen das Licht der Vernunft in Recht und Gesetz.

Das ist das Erbe von deutschen Pionieren wie Kant, Stein, Hardenberg, den Humboldts. Und ich darf als bayerische Reminiszenz anfügen: Das ist das Erbe auch eines Montgelas, der für Bayern die Fenster zur Moderne geöffnet hat.

Im 20. Jahrhundert wurde Berlin Symbol für Freiheit und Diktatur in Deutschland, für Höhen und Tiefen deutscher Geschichte: Der Aufbruch in die Modernität der zwanziger Jahre, der Absturz in die Barbarei der Nationalsozialisten - beginnend als bewusster Kulturbruch mit der Bücherverbrennung und endend mit Vernichtungskrieg und Ermordung des europäischen Judentums. Heute können sich unsere jüdischen Mitbürger in Deutschland zu Hause fühlen. Das ist von unschätzbarem Wert für Deutschland - heute und für alle Zukunft. Das erfüllt uns mit großer Freude. Ich heiße deshalb unsere jüdischen Gäste aus Amerika hier im Französischen Dom ganz besonders herzlich willkommen.

Berlin hat die Verwüstung der Stadt im Krieg und dann die Berliner Blockade überstanden. Die Berliner erhoben ihre Stimme für Freiheit im Volksaufstand 1953. Trotz Mauer und Todesstreifen haben sie in Ost und West an die Zukunft ihrer Stadt geglaubt. 1989 lagen sie sich in den Armen. Die Berlinerinnen und Berliner haben niemals aufgegeben und sie haben, so gut es ging, Zukunft gestaltet - in West und Ost.

Diese deutsche Geschichte mahnt uns: In der Politik geht es um Werte, Orientierung und Richtung. Wer Richtung geben will, muss über den Horizont einer Legislaturperiode hinausblicken. Deshalb möchte ich auch in Wahlkampfzeiten über Probleme sprechen, die nicht in vier Jahren entstanden und nicht in vier Jahren zu lösen sind. Wer heute die richtigen Entscheidungen treffen will, muss über das Morgen und Übermorgen nachdenken. Und wer für diese Entscheidungen Rückhalt und Akzeptanz finden will, muss die Menschen mitnehmen.

Das ist der deutschen Politik zumindest im Westen über Jahrzehnte gelungen. Das war das Fundament der westdeutschen Konsensgesellschaft.

Diese Konsensgesellschaft ist entstanden aus den bitteren Erfahrungen der Weimarer Republik, die auch an ihrer Unfähigkeit zum Konsens gescheitert war. Diese Konsensgesellschaft ist entstanden aus den Unrechtserfahrungen der nationalsozialistischen Zeit.

Im Westen Deutschlands wurde der gesellschaftliche Konsens hart errungen in streitigen Auseinandersetzungen um Westbindung, Wiederbewaffnung, Soziale Marktwirtschaft. Konsens erwuchs aus Diskussion, aus Wettbewerb um die besten Lösungen und auch aus leidenschaftlichem Streit.

Im Osten hatten die Menschen keine Möglichkeit zu offener Diskussion und politischem Wettbewerb. Die sowjetischen Panzer haben Menschenrechte und Demokratie niedergewalzt. Die Diktatur der SED hat die Menschen über 40 Jahre mit offener und mit subtiler Gewalt unterdrückt. Es wurde ein Scheinkonsens erzwungen.

Umso mehr gilt unser Respekt und unsere bleibende Erinnerung den Unbeugsamen, den Unbestechlichen und den Bürgerrechtlern.

Die Deutschen im Osten zahlten für den von Nazideutschland begonnenen Krieg ungleich schwerer als wir im Westen. Der Aufbau war ungleich mühseliger. Über zwei Generationen hat die SED-Diktatur die Deutschen im Osten um die Früchte ihrer Arbeit betrogen. Noch heute hat ganz Deutschland an diesem Erbe der SED zu tragen.

Im Westen gab es nach den Richtungsentscheidungen des Anfangs und mit dem steigenden Wohlstand keine unüberbrückbaren kulturellen, mentalen und materiellen Gräben. Norddeutsche und Süddeutsche, Protestanten und Katholiken, Vertriebene und Einheimische, Städter und Menschen vom Land, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, linke und rechte Demokraten, Bund und Länder - alle Sozial- und Politikpartner waren sich im Kern einig über das Modell eines demokratischen und sozialen Deutschlands.

Soziale Konflikte waren Konflikte innerhalb des nationalen Handlungsrahmens. Politik und Staat genossen Vertrauen als nationale Schutzmacht der sozialen Sicherung.

Die neuen Nachkriegserfahrungen hießen:

Sicherheit für das Alter, Sicherheit bei Krankheit, Sicherheit bei Arbeitslosigkeit. Dies waren neue fundamentale Lebenssicherheiten, auf die zu Recht heute niemand verzichten will. Ich betone: Dieser soziale und kulturelle Fortschritt muss bei allem Wandel bleiben.

Im Vergleich zu heute war das Tempo des Wandels geringer. Die Welt war überschaubarer, die Gesellschaft homogener. Jung und Alt standen sich näher - trotz der Konflikte Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre.

Der Nachfolgegeneration ging es stets besser als der Vorgängergeneration. Die Zukunft versprach besser zu sein als die Vergangenheit. Fortschritt war ein Synonym für Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. "Weiter so!" hieß jahrzehntelang: "Weiter aufwärts!"

Das Credo meiner Eltern und auch meiner Altersgeneration war wie selbstverständlich: Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir!

Heute sind wir in einer anderen Situation.

Das Vertrauen in die Zukunft ist Skepsis und Zweifeln gewichen. Heute fragen viele Eltern zu Recht: Was müssen wir tun, damit es unsere Kinder und Kindeskinder nur annähernd so gut haben werden wie wir?

Im Osten, dort gilt heute und noch auf absehbare Zeit: Wir und unsere Kinder wollen es besser haben! Das ist mehr als verständlich und mehr als legitim.

Seit 1990, seit der Wiedervereinigung vereinigt dieses Land eine Aufstiegsgesellschaft und eine Aufholgesellschaft. Die gesättigte Wohlstandsgesellschaft hat viel zu verlieren. Die Aufholgesellschaft hat viel zu gewinnen. Die Ängste und Sorgen vieler Deutscher sind vielfach sehr real - drohender Verlust des Arbeitsplatzes, sozialer Abstieg, nicht Mithaltenkönnen im raschen Wandel. Das vorherrschende Gefühl ist: Die Gegenwart sei schwieriger, die Zukunft ungewisser. Die guten Jahre lägen hinter uns.

Diese dumpfe Ahnung wird gestützt durch die Fakten des internationalen Vergleichs. Neue Aufsteigernationen in Europa und der Welt haben Deutschland überholt. Viele Pfeiler der Stabilität Deutschlands sind brüchig geworden. International wird Deutschland Verdrängung, Verkrustung und Unbeweglichkeit attestiert. Im Ausland ist "die deutsche Krankheit" ein geflügeltes Wort.

Selbstgewissheiten verflüchtigen sich. Deutschland muss der Wahrheit ins Auge schauen. Wir geben nicht mehr den Takt des Fortschritts vor. Wir haben vielmehr Probleme, Schritt zu halten. Und wer heute sagt: "Weiter so!", der verteilt ein politisches Beruhigungsmittel, das kurzfristig betäubt, aber langfristig vergiftet.

Der "Dritte Weg" und die "Neue Mitte" haben uns nicht weitergeholfen. Diese Worthülsen sind längst unter dem grellen Licht der Realität verblasst. Diese Worthülsen haben die Menschen nicht motiviert und angespornt.

Statt Aufbruch enttäuschte Hoffnungen.

Mit ruhiger Hand ergreift man keine Zukunftschancen!

Ich fürchte: Wir verdrängen bittere Wahrheiten. Wir finden nur noch einen Konsens für die Verdrängung von Problemen und Herausforderungen.

Ich bin sicher: Ein Konsens der Verdrängung schadet unserem Land. Ein solcher Konsens wiegt uns in falschen Sicherheiten.

Ich bin mir ebenso sicher: Ein Land, ein Volk, eine Nation brauchen Miteinander, Gemeinschaft, Zusammenhalt. Je pluraler unsere Gesellschaft, je individueller die Lebensziele, je divergierender die Interessen - desto notwendiger ist ein zukunftsfähiger, nach vorne gerichteter Konsens.

Wir brauchen einen neuen Konsens für Dynamik und Aufbruch.

Wir müssen die Fenster öffnen, die Realitäten erkennen und annehmen. Und gerade im Osten unseres Landes habe ich vielerorts den Willen und den Mut für Dynamik und Aufbruch intensiv gespürt. Dieser Geist muss wieder ganz Deutschland erfassen.

Was verdrängen wir in Deutschland nur allzu gerne? Erstens: die demografische Entwicklung.

Wenn sich nichts ändert, drohen alarmierende Entwicklungen:

Im Jahr 2010 werden bereits 40% der Bevölkerung über 50 Jahre alt sein, im Jahr 2040 sogar die Hälfte.

Die Anzahl der Personen im erwerbsfähigen Alter würde von heute 46 Mio. auf 27 Mio. im Jahr 2050 zurückgehen. Jedem Rentner würde nur noch ein einziger Erwerbstätiger gegenüber stehen. Heute ist das Verhältnis noch eins zu zwei.

Der Beitrag zur Rentenversicherung würde auf rund 25 % im Jahr 2030 steigen. Der Beitrag zur Krankenversicherung würde auf rund 23 % bis zum Jahr 2040 steigen. Allein die soziale Sicherung würde dann die Hälfte der Lohnkosten ausmachen!

Wenn wir einer solchen Entwicklung tatenlos zusehen, dann haben die Menschen immer weniger Geld in der Tasche, dann wird Arbeit in Deutschland noch teurer, dann kostet das immer mehr Arbeitsplätze.

Können wir einem Menschen, der heute, am 26. Juni 2002 geboren wird, diese Belastung im Jahre 2040 zumuten? Ich meine: Nein!

Natürlich könnten wir die sozialen Leistungen weiter ausbauen. Doch diejenigen, die das bezahlen, werden immer weniger. Und diejenigen, die Leistungen bekommen, werden immer mehr.

Wie lange hält das der Generationenvertrag noch aus? Die Alterspyramide wird zum Baum mit dünnem Stamm und ausladenden Ästen. Wenn wir diesen dünnen Stamm überlasten, wird er brechen.

Dieser bitteren Wahrheit müssen wir endlich ins Auge schauen. Hier darf es keinen Konsens der Verdrängung mehr geben. Die Sozialsysteme müssen mit der demografischen Entwicklung in Übereinstimmung gebracht werden.

Es ist doch paradox: Wir sind eine immer älter werdende Gesellschaft. Noch nie war die Rentenlaufzeit so lang und die Lebensarbeitszeit so kurz. Genauso paradox ist: Noch nie war die Gesellschaft so alt und der Jugendkult so ausgeprägt.

Wir verbinden höheres Alter mit weniger Leistungs- und Innovationsfähigkeit. Viele befürchten, eine älter werdende Gesellschaft sei mit geringerem technischen Fortschritt verbunden. Wichtige Träger des Fortschritts seien gerade die 20-30jährigen.

Ich teile diese Befürchtungen nicht. Menschen ab 50 sind nicht weniger leistungsfähig als jüngere - sie sind es nur auf eine andere Art. Das Wissen und die Erfahrung der Älteren sind ein Schatz, den wir wieder neu entdecken müssen.

Wir können und dürfen es uns nicht mehr leisten, ältere Menschen immer früher in Rente zu schicken. Und wir wollen es uns auch nicht leisten, Menschen mit 55 Jahren Motivation und Lebenssinn zu beschneiden. Das sage ich vor allem an die Adresse der Wirtschaft. Und warum soll ein gesunder und leistungsfähiger Mensch auch nach seinem 65. Lebensjahr nicht mehr arbeiten dürfen, wenn er möchte, wenn er es freiwillig will?

Generationengerechtigkeit ist die Grundlage des Zusammenlebens von Jung und Alt.

Das Vertrauen auf Sicherheit im Alter ist ein elementares Lebensbedürfnis, das jede zivilisierte Gesellschaft garantieren muss. Das Vertrauen auf Entfaltung von Lebenschancen ist ein elementares Recht der jüngeren Generationen.

Deutschland braucht deshalb einen neuen Konsens über die Lastenverteilung zwischen Jung und Alt. Deutschland braucht einen neuen Generationenvertrag.

Das Erbe, das wir unseren Kindern mitgeben, dürfen nicht erdrückende Sozialbeiträge, Schulden und Zinslasten sein. Wir dürfen nicht die Zukunft unserer Kinder verkonsumieren. Auf bei künftig sinkenden Steuerlasten für die Bürger darf der Staat nicht auf Pump und auf Kosten der nächsten Generationen seine Ausgaben ausweiten.

Quer durch Deutschland und über Parteigrenzen hinweg gab es doch lange einen Konsens des Schuldenmachens. Bayern hat diesen Konsens 1998 durchbrochen. Inzwischen entwickelt sich in Deutschland ein neuer Konsens, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit auch in der Finanzpolitik gelten muss. Dies ist ein positives Beispiel, wie über streitige Diskussion ein neuer Konsens wächst.

Viele sehen den Ausweg aus dem Generationendilemma in einer massiven Ausweitung der Zuwanderung. Doch wenn wir den demografischen Umbruch nur durch Einwanderung kompensieren wollten, dann müssten nach Deutschland bis zum Jahr 2050 netto 188 Millionen Menschen einwandern - eine absurde Vorstellung. Es gäbe keinen Zusammenhalt mehr, wenn in wenigen Jahrzehnten letztlich die Hälfte der Bevölkerung emotional und geistig-kulturell in Deutschland nur "zu Besuch" wäre.

Gerade bei den Themen Integration und Zuwanderung darf es keinen faulen und gefährlichen Konsens der Verdrängung und keine Diskussionsverbote geben.

Wir wollen in Deutschland keine Birminghams oder Bradfords, keine rechtsfreien Räume wie in den Vorstädten Frankreichs. Deshalb wollen wir eine stärkere Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Wir wollen kulturelle Vielfalt, aber keine multikulturelle Einwanderergesellschaft, denn diese ist alles andere als sozial. Wir wollen keine Parallelgesellschaften, die sich voneinander abschotten und nebeneinander herleben. Wir wollen die Inte gration von Ausländern. Aber wir erwarten auch, dass sie sich integrieren und in unsere Gesellschaft einbringen.

Eine Nation kann nicht wachsen, wenn sie sich über Dolmetscher verständigen muss. Die Bürger müssen sich verstehen - und das meine ich ganz wörtlich.

Weder das Formular vom Sozialamt noch der deutsche Pass machen aus Zuwanderern Deutsche. Integriert ist nur, wer hier auch kulturelle Wurzeln schlägt, wer seine deutschen Nachbarn versteht und wer auch Pflichten für seine neue Heimat übernimmt.

Bereits heute haben wir in Großstädten Ausländeranteile von 20 bis 40%. Auch ohne größere Zuwanderung wird sich das Gesicht unserer Städte in den nächsten 20 Jahren weiter verändern.%%

Wenn wir also heute über das Deutschland der nächsten zehn bis zwanzig Jahre nachdenken, dann geht es nicht nur um die soziale Sicherheit, sondern auch um die kulturelle Stabilität und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland.%%

Wir brauchen einen neuen Konsens über den Wert und die Bewahrung unserer gewachsenen abendländischen Kultur. Wir brauchen einen neuen Konsens, dass es ohne Kulturnation keine Sozialnation geben kann.

Was verdrängen wir in Deutschland nur allzu gerne? Zweitens: Leistung und Elite.

Lange, zu lange haben wir verdrängt, dass eine Wissensgesellschaft mehr noch als eine Industriegesellschaft Eliten überall in der Gesellschaft braucht. Wir hatten diese Eliten bis in die Weimarer Zeit hinein. Viele Nobelpreisträger kamen aus Deutschland: Gerhart Hauptmann und Albert Einstein, Thomas Mann und Werner Heisenberg. Elite zu sein war erstrebenswert. Dafür sehr viel zu leisten war selbstverständlich.

Elite gedeiht nur in einem Klima der Freiheit. Deshalb haben die Nationalsozialisten und später die DDR Eliten bekämpft und aus dem Land vertrieben. Im Westen hat die Ideologie der 68er Elite zum Schimpfwort gemacht.

Egalisierung und Nivellierung wurden zum gesellschaftspolitischen Leitbild. Wettbewerb wurde diffamiert, Gleichmacherei propagiert, Mittelmäßigkeit produziert.

Nicht zuletzt deshalb verlassen kreative und dynamische Kräfte, Nobelpreisträger und Erfinder Deutschland. Die jungen Eliten finden anderswo bessere Bedingungen und mehr gesellschaftliche Anerkennung.

Nicht zuletzt wegen der Leistungsfeindlichkeit haben wir bei den internationalen Studien TIMS und PISA nicht einmal mehr mittelmäßig abgeschnitten. Trotz der regionalen Differenzierung in Deutschland muss das Fazit lauten: Diese Diagnose ist erschütternd. Das muss uns aufrütteln.

Die Ergebnisse von PISA betreffen nicht nur Schule, Schüler oder Lehrer. Sie betreffen die ganze Nation. Sie halten der gesamten Gesellschaft einen Spiegel vor. Gerade beim Thema Bildung darf es keinen selbstgerechten Konsens der Verdrängung geben.

Es gab eine Zeit, da kamen die pädagogischen Vorbilder aus Deutschland. Es gab eine Zeit, da waren deutsche Schulen und Hochschulen Vorbilder für die Welt. Das ist inzwischen Geschichte. Das kann, das muss wieder Realität werden.

Bildung und Leistung müssen wieder einen gesellschaftlichen Rang haben und auch Rang verleihen. Dazu zähle ich nicht nur die Professoren und Doktoren, sondern auch die Facharbeiter, Gesellen und Meister.

Nur wenn Bildung Rang hat und Rang verleiht, nur dann entsteht Hunger nach Bildung.

Dieser Hunger nach Bildung ist für den Erfolg wichtiger als die materiellen Ressourcen. In Finnland, dem Spitzenreiter bei PISA, herrscht eine regelrechte Bildungseuphorie. Nur so wachsen ganz natürlich Anstrengung und Leistung für Bildung.

Bildung ist keine Selbstverständlichkeit. Bildung fliegt einem nicht zu. Bildung kann nicht mit einem Nürnberger Trichter eingeflößt werden - und auch nicht allein über Computermonitore. Bildung ist ein Angebot und eine Chance. Die Bildungsangebote müssen wir verbessern. Die Chancen müssen für alle gleich sein.

Bildung ist Lohn von Anstrengung. Wir müssen als Erwachsene, vor allem als Eltern, Anstrengung und Leistung vorleben. Wir sagen ja zu einer behüteten Kindheit. Aber wir sagen nein zum Trugbild einer Schulzeit ohne Anstrengung.

Denn Kinder brauchen zum Glück auch die Freude, Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Wer diesen Erfolg nicht erreicht, darf jedoch nicht zum Versager abgestempelt werden, sondern braucht Förderung.

Lange, zu lange wurde in Deutschland verdrängt, dass auch Erziehung Grundlage ist für Leistung und Erfolg. Erziehung braucht Zuwendung und ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit. Erziehung bedeutet Vermittlung eines Wertekanons.

Erziehung heißt aber auch Anleitung zu Disziplin und Selbstdisziplin. Das sind keine Sekundärtugenden. Ohne Disziplin keine Rücksichtnahme, ohne Disziplin keine Solidarität.

Dass wir das verdrängt haben, spüren wir Tag für Tag. Insbesondere in den Brennpunkten mancher Großstädte macht sich eine Unkultur der Rücksichtslosigkeit breit.

Wer von "Teamfähigkeit" spricht, muss auf Disziplin und Selbstdisziplin achten.

Erst dadurch werden gemeinsames Lernen, gemeinsames Arbeiten und gemeinsamer Erfolg möglich. Daraus wächst bleibende Freude. Das ist etwas anderes als der Reiz einer billigen Spaßkultur.

Unter Elite verstehe ich nicht nur technische und naturwissenschaftliche Spitzenleistungen, sondern nicht weniger die Eliten im geisteswissenschaftlichen und sozialen Bereich. Eliten sind auch der Garant dafür, dass in der Gesellschaft Verantwortung übernommen, Pflichtbewusstsein vorgelebt und Leistung erbracht wird.

Erfreulich ist: Ein Umdenken und Umschwenken gegenüber Eliten deutet sich an. Hier entsteht bereits ein neuer Konsens für Dynamik und Aufbruch, für Qualität und Leistung. Dieses Umdenken wollen und müssen wir fördern. Wir müssen alle geistigen Ressourcen unseres Volkes zur Entfaltung bringen.

Ohne Elite, ohne die Erfinder, ohne die kreativen und innovativen Köpfe, ohne die Pioniere, die sich in Neuland vortasten, wird eine schrumpfende und alternde Bevölkerung ihren Wohlstand nicht sichern können.

Ich wünsche mir, dass ein Kind, das heute geboren wird, nach seiner Erziehung und Ausbildung überall auf der Welt wegen seines Wissens anerkannt, wegen seines Könnens gesucht und wegen seiner menschlichen Haltung geschätzt wird.

Ich wünsche mir, dass ein Kind, das heute geboren wird, in seinem ganzen Leben als selbstbewusster und mündiger Mensch alle Chancen nutzen kann. Wir müssen ihm je nach seiner Begabung alle Bildungs- und Ausbildungswege öffnen.

Wir müssen ihm eine Erziehung mitgeben, die Maßstäbe vorlebt und Werte vermittelt. Wir müssen ihm Heimat und eine stabile Identität bieten, aus der Weltoffenheit und Neugier erwächst.

Bildung ist der Schlüssel zum individuellen und sozialen, zum wirtschaftlichen und kulturellen Erfolg. Wir brauchen ein neues Ethos für Bildung und Leistung. Wir brauchen einen neuen Konsens für Dynamik und Aufbruch.

Was verdrängen wir in Deutschland nur allzu gerne? Drittens: Wettbewerb.

Lange, zu lange haben wir verdrängt, dass der Wettbewerb um die besten Lösungen die Triebfeder von Fortschritt, von wirtschaftlichem und - ich betone - auch von sozialem Wohlstand ist. Fairer Wettbewerb war und ist der Motor erfolgreicher, dynamischer Gesellschaften.

Fairer, regelkonformer Wettbewerb hat eine ethische und moralische Qualität, die nicht diffamiert werden darf. Wettbewerb setzt bei den Menschen Kräfte frei. Schon Kinder messen ihre Kräfte, sie laufen um die Wette, eifern den Erwachsenen nach und lernen so von ihnen. Wettbewerb ist den Menschen angeboren. Fairer, regelkonformer Wettbewerb ist menschlich und human.

Wettbewerb erzeugt nicht nur individuellen Erfolg, sondern auch gesellschaftlichen Wohlstand. Dieser Wohlstand ist Voraussetzung für die Erfüllung sozialer Aufgaben. Deshalb ist es so fatal für Deutschland, wenn Sozialpolitik und Wettbewerbspolitik gegeneinander ausgespielt werden.

Wettbewerb schafft Dynamik und Wachstum. Dynamik und Wachstum sichern die Grundlagen unseres Sozialstaates. Wettbewerb hat in einer Sozialen Marktwirtschaft eine soziale Dimension. Wer sozialen Wohlstand will, der muss Wettbewerb fördern. Deutschland braucht mehr Wettbewerb.

Wo braucht Deutschland mehr Wettbewerb?

Dafür gibt es Beispiele.

Lange, zu lange haben wir den föderalen Wettbewerb in Deutschland verdrängt. Der Wettbewerb der Länder böte die Möglichkeit, verschiedene politische Konzepte zu erproben, zu vergleichen und am Erfolg für die Bürger zu messen. Das bringt letztlich Vorteile für alle - für die Länder und für ganz Deutschland.

Standortqualität wird in Europa schon längst in und durch den Wettbewerb der Regionen bestimmt. Im Wettbewerb stehen nicht nur Branchen und Technologiefelder, sondern auch Wirtschaftsräume wie Berlin, London, Mailand oder München. Wer in diesem Wettbewerb erfolgreich sein will, muss politisch in der Lage sein, schnelle und maßgeschneiderte Entscheidungen in den Regionen vor Ort treffen zu können.

Unser Programm heißt Solidarität und Wettbewerb. Das hat nichts mit Verdrängungswettbewerb zu tun. Föderalismus heißt auch Solidarität mit den Schwächeren, aber mit dem Ziel, sie dauerhaft zu stärken. Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Und ich will eine starke Kette. Deutschland braucht eigenständige und kreative, innovationsfreudige und wettbewerbsfähige Länder.

Wettbewerbsverdrängung ist auch eine geistige Wurzel für unseren blühenden Bürokratismus. Lange Zeit glaubten wir Deutsche mit immer ausgefeilteren, immer detailreicheren Vorschriften mehr Gerechtigkeit, Sicherheit und Stabilität zu schaffen. Das hat vielfach seine Berechtigung. Die deutsche Verwaltung leistet Hervorragendes.

Doch viele Bürger empfinden zu Recht: Wir sind über das Ziel hinausgeschossen. Aus dem Rechtsstaat wurde ein Irrgarten der Instanzen.

Der Irrglaube, jeden denkbaren Einzelfall per Gesetz regeln zu müssen, ist deutsche Staatsreligion.

Überreglementierung behindert Eigenverantwortlichkeit, lähmt die Kreativität, schadet der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands, hemmt Unternehmergeist und gefährdet Arbeitsplätze. Wir müssen das deutsche Dickicht an Bürokratie lichten. Wir brauchen einen "Bürokratie-TÜV" gegen die Gesetzesflut. Meine Vorstellung ist, ein Drittel der gesamten Vorschriften zu streichen.

Mehr Wettbewerb brauchen wir gerade auch im föderalen Bildungssystem. Wir brauchen ein Bildungswesen, das den individuellen Begabungen und Fähigkeiten der Kinder gerecht wird. Ich meine, ein gegliedertes Schulsystem kommt diesem Anspruch am nächsten.

Wir brauchen auch mehr Wettbewerb zwischen und innerhalb der Hochschulen, damit alle noch besser werden. Die Kraft von Vielfalt und Wettbewerb muss entfesselt werden. Gefesselt sind wir aber nach wie vor durch das Hochschulrahmengesetz und die Zuständigkeiten des Bundes im Bereich des Hochschulpersonals. Die Hochschulen brauchen Freiräume für Profilierung im internationalen Wettbewerb. Qualität vor Quote, Klasse statt Masse - das muss der Maßstab sein.

Wir pflegen schon viel zu lange einen Konsens der Verdrängung. Wir wiegen uns in falscher Sicherheit.

Wenn ich das beklage, so bin ich mir durchaus bewusst: Dazu haben alle Interessengruppen und Parteien beigetragen - meine Partei eingeschlossen. Entscheidend ist jetzt nicht der Schuldanteil an Irrtümern der Vergangenheit, sondern die Bereitschaft zum Aufbruch in die Zukunft.

Deutschland steht unter gewaltigem Handlungsdruck - von innen und von außen.

Deshalb führt der Konsens der Verdrängung:

  • zur Abwanderung der Eliten
  • zum Fehlen von Leistungsträgern,
  • zu Bürokratisierung und übertriebener Absicherungsmentalität,
  • zur Schwächung unserer Innovationskraft,
  • zum Verlust von Wettbewerbsfähigkeit,
  • zur Belastung des Generationenverhältnisses,
  • zur Überforderung der sozialen Sicherungssysteme,
  • letztlich führt dieser Konsens der Verdrängung zum Abstieg Deutschlands.
Was ist heute der innere Antrieb dieser Gesellschaft? Was bringt dem Einzelnen und der Gesellschaft Schubkraft für die Zukunft?

Woraus entsteht neue politische Energie und geistige Motivation für Deutschland? Das sind die entscheidenden Fragen.

Meine Antwort lautet erstens:

Wir müssen weg vom kleinsten gemeinsamen Nenner, weg vom Konsens um jeden Preis, weg von den geistigen Blockaden, weg von der Verdrängung, hin zur Akzeptanz der Wirklichkeit und der Probleme Deutschlands.

Die politische Kultur in Deutschland darf durchaus streitiger werden, um einen neuen Konsens zu erarbeiten. Es ist fatal, wenn wichtigen politischen Auseinandersetzungen das Odium des Negativen angeheftet wird, weil eine politische Partei befürchtet, durch eine offene Diskussion zu verlieren. Hierzu lautet das Standardmotto: Konfliktreiche, strittige Themen müssten doch aus dem Wahlkampf herausgehalten werden.

Dieses Motto ist ein Musterbeispiel für den Konsens der Verdrängung.

Wir müssen Streit um die wirklich besten Lösungen aushalten und austragen. Davon müssen wir die Menschen überzeugen.

Meine Antwort lautet zweitens:

Wir müssen weg von dem Konsens, Zukunftschancen in der Gegenwart zu verzehren. Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag.

Meine Antwort lautet drittens:

Wir müssen weg von der Selbstblockade Deutschlands. Wir dürfen uns mehr zutrauen. Nur wer sich selbst im eigenen Haus etwas zutraut, dem wird auch von der Welt etwas zugetraut. Selbstvertrauen ist eine Stärke im Wettbewerb. Wir wollen ein starkes Deutschland, das seinen Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt leisten kann.

Deutschland braucht mehr Akzeptanz für das Notwendige.

Deutschland braucht einen neuen Konsens für Dynamik und Aufbruch.

Um die Türen in die Zukunft zu öffnen, braucht unser Land mehrere Schlüssel.

Ein Schlüssel heißt Leistung.

Wir wollen etwas leisten , weil wir auch künftig in Wohlstand und sozialer Sicherheit leben wollen.

Ein Schlüssel heißt Freiheit.

Wir wollen Kreativität und Initiativgeist bei Arbeitnehmern und Unternehmern nicht mit Bürokratismus, Steuer- und Abgabenlast ersticken.

Ein Schlüssel heißt Erziehung und Bildung.

Wir wollen die Menschen befähigen, durch solide Ausbildung und lebenslanges Lernen technologischen Fortschritt zu bewirken und zu nutzen.

Ein Schlüssel heißt fairer Wettbewerb.

Wir wollen eine Gesellschaft, in der jeder das Recht, aber auch die Pflicht hat, seine Fähigkeiten zu entwickeln und zum Wohle aller beizutragen. Wer das Beste aus seinem Leben macht, nutzt auch dem Gemeinwohl am meisten.

Eine Gesellschaft des Aufbruchs und der Dynamik verlangt von den Menschen Veränderungsfreude und Risikobereitschaft.

Das sind Eigenschaften, die durchaus konträr zum Urbedürfnis nach Sicherheit und Vertrautheit stehen können. Deshalb brauchen der Einzelne und unser Volk Grundkonstanten, auf die sich jeder verlassen kann.

In allem Wandel wollen wir die Identität unserer Nation erhalten, die Humanität unserer Gesellschaft bewahren, die Unverwechselbarkeit unserer Kultur pflegen.

Deutschland hat Potenzial.

Deutschland hat fähige Menschen.

Vertrauen wir auf unsere Kräfte!

Nutzen wir unsere Stärken!

Wir können dem Wandel Richtung geben.

Wir wollen den enschen in ganz Deutschland Perspektiven eröffnen.

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