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Rumänien hat eine neue Regierung

de Dr. Martin Sieg

Premierminister Ludovic Orban gewinnt Vertrauensvotum

Am 4. November sprach das rumänische Parlament mit 240 Stimmen der vom neuen Premierminister Ludovic Orban gebildeten Regierung das Vertrauen aus. Erforderlich wären 233 Stimmen gewesen. Orban, der auch Vorsitzender der Nationalliberalen Partei (PNL) ist, war von Staatspräsident Klaus Iohannis mit der Regierungsbildung beauftragt worden, nachdem das Parlament der bisherigen Regierung unter der Führung der früheren Ministerpräsidentin Viorica Dancila von der Sozialdemokratischen Partei (PSD) am 10. Oktober das Misstrauen ausgesprochen hatte. Die PSD hatte ihre Mehrheit zuvor durch Übertritte in die Partei Pro Romania des selbst 2017 aus der PSD ausgetretenen früheren Premierministers Victor Ponta und zuletzt durch den Rückzug des bisherigen Koalitionspartners, der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE), aus der Regierung verloren.

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Im Parlament wurde Orbans Wahl von einem breiten Parteienspektrum getragen, zu dem neben der PNL auch die Union Rettet Rumänien (USR) als zweite große Oppositionspartei, ALDE, die Partei Volksbewegung (PMP) des früheren Staatspräsidenten Traian Basescu, die Demokratische Union der Ungarn (UDMR), sowie die Fraktion der nationalen Minderheiten gehörte. PSD und PRO Romania hatten die Wahl Orbans abgelehnt, aus beiden Parteien votierten aber eine Reihe von Parlamentieren für die Regierung Orban und sicherten ihr so die erforderliche Mehrheit. Dabei verfügen PSD und PRO Romania zusammen in beiden Parlamentskammern auch weiterhin über eine Mehrheit. Präsident Iohannis hatte allerdings bereits vor dem Misstrauensvotum gegen die Regierung Dancila klar gemacht, nicht noch einmal einen Kandidaten der PSD zum Premierminister zu ernennen. Seit Anfang 2017 war Dancila bereits der dritte Regierungschef der PSD, deren Regierungszeit durch zahlreiche Konflikte, u.a. auch um die Unabhängigkeit der Justiz belastet worden war. Als Folge hatte die PSD bereits die Europawahl von Mai 2019 sehr deutlich verloren. Zudem konnten sich PSD und PRO Romania nicht auf eine Zusammenarbeit einigen. Dafür fehlte die Vertrauensbasis, zumal Ponta den Sturz der Regierung Dancila maßgeblich betrieben hatte.

Die Alternative zur jetzigen Regierungsbildung durch Ludovic Orban hätte daher nur in einem wiederholten Auftrag des Staatspräsidenten an Orban bestanden und, im Falle von dessen erneuten Scheitern, Iohannis die Möglichkeit zur Parlamentsauflösung gegeben. Neuwahlen hätten zwar aufgrund einer Verfassungsbestimmung, nach der das Parlament in den letzten sechs Monaten der Amtszeit des Präsidenten – die im Dezember ausläuft – nicht aufgelöst werden darf, frühestens im Februar stattfinden können; und deshalb wollen auch der Präsident wie die PNL aufgrund dringender Entscheidungen wie der Nominierung eines rumänischen EU-Kommissars eine schnelle Regierungsbildung. Allerdings haben die meisten Abgeordneten vor allem der PSD und z.T. auch von PRO Romania noch weitaus weniger Interesse an vorgezogenen Neuwahlen, was nicht nur die Wahl von Orban gesichert hat, sondern vermutlich auch künftige Misstrauensvoten gegen seine Regierung verhindern wird.

Neue Regierung steht vor schwierigen Herausforderungen

Gleichwohl übernimmt Orban eine schwierige Aufgabe. Da die meisten anderen Parteien – auch im Blick auf den zugleich stattfindenden Präsidentschaftswahlkampf, in dem ihre Kandidaten gegeneinander konkurrieren – einen Eintritt in eine Koalition abgelehnt haben, hat Orban seine Regierung alleine aus der PNL gebildet. Nur das Außen- und das Verteidigungsministerium, von der Zuständigkeit her Domänen des Staatspräsidenten, wurden mit dessen bisherigen außenpolitischen Berater Bogdan Aurescu und dem bisherigen Chef des Generalstabs der Streitkräfte Nicolae Ciuca durch parteiungebundene Ressortchefs besetzt. Die bisherigen Fraktionsvorsitzenden in Abgeordnetenkammer und Senat, Ralucca Turcan und Florin Citu, sind jetzt Vizeministerpräsidentin bzw. Finanzminister. Justizminister wurde Catalin Predoiu, der sich bereits in früheren Regierungen in dieser Funktion einen Namen gemacht hatte und einen Bruch mit dem Vorgehen der PSD gegen die Justiz verkörpert.

Orban wird Mehrheiten im Parlament in schwierigen und komplexen Verhandlungen immer wieder neu aushandeln müssen. Das noch nicht verabschiedete Haushaltsgesetz für 2020 wird, auch angesichts einer schwierigen finanziellen Lage, hier die unmittelbar größte Herausforderung darstellen. Zugleich wird er, auch aufgrund der begrenzten Zeit bis zur nächsten Wahl die Erwartungen der Wähler moderieren müssen. Die Unzufriedenheit breiter Wählerschichten mit der allgemeinen Situation im Lande kann sich sonst auch gegen die neue Regierung wenden.

Mit der Nominierung Orbans hat sich der Staatspräsident aber auch für eine konsequent politische Regierung entschieden. Darin liegt ein deutlicher Kontrast zu der vor nahezu vier Jahren in ähnlicher Lage gebildeten technokratischen Regierung unter Premierminister Dacian Ciolos. Die Regierung Ciolos konnte zwar national wie international ein positives Image gewinnen, trat aber selbst nicht zur Wiederwahl an; die sie unterstützenden bürgerlichen Parteien konnte so nicht profitieren, die PSD sich aber in der Opposition profilieren und bei den letzten Parlamentswahlen 2016 mit großen Abstand die Wahlen gewinnen. Iohannis und Orban sind nicht erneut bereit, der PSD auf diese Weise die politische Bühne zu überlassen. Lebhafte politische Diskurse sind von der künftigen Auseinandersetzung zwischen Regierung und PSD zu erwarten.

Orban gilt als verantwortungsvoller und erfahrener Politiker

Ludovic Orban ist ein erfahrener Politiker, der auf eine lange Karriere zurückblicken kann, u.a. als Verkehrsminister und Stellvertretender Bürgermeister von Bukarest. Er übernahm die Parteiführung im Sommer 2017 als sich die PNL nach ihrer Niederlage bei den Parlamentswahlen vom Dezember 2016 – mit nur 20 Prozent der Stimmen – in einer Krisensituation befand. Seither hat er die PNL auf einen Kurs der klaren Abgrenzung von der PSD und besonders von deren umstrittenen Vorgehen gegen die Unabhängigkeit der Justiz festgelegt. Zugleich hat er sich innerparteilich auf eine Stärkung der Strukturen und der Mobilisierungsfähigkeit der Partei  konzentriert. Das gute Abschneiden der Opposition bei der Europawahl war zwar entscheidend mit auf die Ablehnung der PSD und besonders ihres damaligen Vorsitzenden Liviu Dragnea bei vielen Wähler zurückzuführen. Dass dabei die PNL stärkste Partei wurde und die Zahl ihrer Wähler seit der Parlamentswahl um eine Million auf 2,4 Millionen steigern konnte, dürfte aber nicht zuletzt Orban zu verdanken sein. Persönlich gilt Orban als verlässlich und verantwortungsvoll. Mit Präsident Iohannis hat sich eine enge Zusammenarbeit eingespielt. Orban vertritt pro-europäische Positionen, in klarer Abgrenzung zu nationalistischen, xenophoben und euroskeptischen Stimmen in der Region. Bilateral wird er eine enge Zusammenarbeit gerade auch mit Deutschland suchen.

Die PSD könnte vom Wechsel in die Opposition ihrerseits durchaus profitieren. Durch ihren Rückzug aus der Regierungsverantwortung werden sich bürgerliche Wähler schwerer mobilisieren lassen; in der Opposition kann sie sich erneut profilieren und die Unzufriedenheit vieler Wähler für sich nutzen. Zugleich aber dürfte die PSD in eine Führungskrise geraten. Dancila als jetzige Vorsitzende verdankt ihr Amt weniger einer starken Hausmacht, sondern der Tatsache, dass der frühere Vorsitzende Dragnea sie als loyale Weggefährtin zur Premierministerin gemacht wurden. Lediglich ihr Amt als Ministerpräsidentin begründete ihren Zugriff auf den Parteivorsitz nach dem Abgang Dragneas, der eine Gefängnisstrafe antreten musste. Durch den Verlust des Amtes der Premierministerin stellt sich damit die Frage, ob Dancila sich an der Spitze der PSD halten kann. Dabei trug mangelnde Geschlossenheit der Partei nicht nur zum Verlust der Regierungsmehrheit bei, sondern auch zum Erfolg des Misstrauensvotums gegen Dancila wie auch zur Bestätigung der Regierung Orban bei. Als Parteivorsitzende wurde Dancila auch Kandidatin ihrer Partei für die Präsidentschaftswahl, deren ersten Wahlgang am 10. November stattfindet. Aufgrund schwieriger Umfragewerte erklärte Dancila dabei bereits ein Erreichen der zweiten, am 24. November stattfindenden Wahlrunde, als Erfolg. Ob ihr das gelingt, dürfte mit darüber entscheiden, wie sich die PSD künftig aufstellt.

Iohannis gilt weiterhin bei den kommenden Präsidentschaftswahlen als Favorit

Für Präsident Iohannis ist die Bestätigung der Regierung Orban, im ersten Anlauf und eine Woche vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl, ein politischer Erfolg. Er ist Präsidentschaftskandidat der PNL und war früher ihr Vorsitzender. Nach allen Umfragen dürfte Iohannis Einzug in die zweite Runde der Wahl gesichert sein. Neben Dancila hat Dan Barna, der Vorsitzende der USR, Chancen, in die Stichwahl einzuziehen. Möglich ist aber auch eine Stichwahl zwischen Iohannis und dem Kandidaten von PRO Romania, Micrea Diaconu, der ebenfalls potentielle PSD-Wählers anspricht. Gelingt Dancila der Einzug in die zweite Runde, könnte das ihre Position noch einmal konsolidieren. Würde Diaconu in die Stichwohl kommen, wäre nicht nur die Position Dancilas, sondern auch der PSD erschüttert. PSD und PRO Romania müssten sich dann entweder verständigen oder ständen sich jeweils als Hauptgegner gegenüber. Gelänge Barna der Einzug, dürften sich umgekehrt die Konkurrenz zwischen PNL und USR verschärfen. In jedem Fall wäre Iohannis auch in der Stichwahl der deutliche Favorit. Wer neben ihm einzieht, dürfte daher aber über künftige Frontlinien der rumänischen Politik wesentlich mitbestimmten. Mit der Bildung der Regierung Orban haben der Staatspräsident und der neue Premierminister ihren politischen Führung- und Gestaltungsanspruch für eine zweite Amtszeit von Iohannis erhoben. Entscheiden wird darüber letztlich die Parlamentswahl im kommenden Jahr.

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