Historischer Kontext: Jahrzehnte der Repression
Die kommunistische Herrschaft in Albanien zwischen 1944 und 1991 war eine der repressivsten in Europa. Unter Enver Hoxha entstand ein totalitäres System mit allumfassender Kontrolle, das jede Form von Abweichung mit harter Repression beantwortete. Nach offiziellen Angaben wurden über 34.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert, fast 6.000 davon hingerichtet. Mehr als 59.000 Menschen wurden außerdem in entlegene Regionen verbannt und deportiert.[1] Viele Häftlinge litten unter Folter, Zwangsarbeit, unmenschlichen Haftbedingungen und psychischer Gewalt. Diese systematische Verfolgung wirkte sich nicht nur unmittelbar auf die Betroffenen selbst aus, sondern auch auf deren Familien, deren soziale, wirtschaftliche und psychologische Lage sich drastisch verschlechterte.
Die Repression traf alle gesellschaftlichen Gruppen: Geistliche, Intellektuelle, ehemalige Großgrundbesitzer ebenso wie einfache Bürger, die allein verdächtigt wurden, staatsfeindlich zu denken oder Kontakte ins Ausland zu unterhalten. Der Aufbau eines historischen Bewusstseins für dieses Kapitel der albanischen Geschichte bleibt bis heute eine Herausforderung.
Gesetzliche Grundlagen: Ein Flickenteppich mit Lücken
Bereits Anfang der 1990er Jahre wurden erste rechtliche Grundlagen zur Anerkennung und Entschädigung politisch Verfolgter geschaffen. Das Gesetz Nr. 7514 von 1991 sowie das nachfolgende Gesetz Nr. 7748 von 1993 legten hierfür den Grundstein. Letzteres definierte den rechtlichen Status der Betroffenen und versprach finanzielle Entschädigungen sowie soziale Erleichterungen. Die Umsetzung verlief jedoch schleppend – nicht zuletzt aufgrund politischer Instabilität und der prekären wirtschaftlichen Lage des Landes.
Ein bedeutender Fortschritt war das Gesetz Nr. 9831 von 2007, das eine systematische finanzielle Entschädigung auf Basis der Haftdauer vorsah. Doch auch hier wurden die vorgesehenen Auszahlungsfristen in der Praxis nicht eingehalten. Mehrere Gesetzesänderungen in den Jahren 2009, 2014 und 2017 führten zu wiederholten Anpassungen von Fristen, Anspruchsgruppen und Verfahrensregeln, was bei vielen Antragstellenden zu Unklarheiten und Verunsicherung führte.
Nach wie vor problematisch ist die Unterscheidung zwischen primären (noch lebenden) und sekundären Anspruchsberechtigten (den Angehörigen Verstorbener), die ungleich behandelt werden – obwohl beide Gruppen gleichermaßen Opfer der Repression sind.
Administrative Verfahren und institutionelle Schwächen
Die Entschädigungsverfahren sind von hohen administrativen Hürden geprägt. Anträge müssen umfassend dokumentiert werden, was für viele Betroffene mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Insbesondere bei Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren oder Deportationen fehlen häufig offizielle Nachweise. Die Zusammenarbeit zwischen Ministerien, Archiven und dem Amt für die Aufarbeitung der Geheimdienstunterlagen gestaltet sich in der Praxis zäh und ineffizient.
Zudem fehlt ein zentrales elektronisches Register, das Transparenz und Nachvollziehbarkeit ermöglichen würde. Die Zuständigkeiten sind zersplittert: Das Justizministerium bearbeitet die Anträge, das Finanzministerium organisiert die Auszahlungen, das Parlament soll die Mittelverwendung kontrollieren. Diese institutionelle Fragmentierung führt zu Verlangsamung und mangelhafter Koordination.
Finanzielle Aspekte: Chronischer Mittelmangel und Verzögerungen
Bis Ende 2023 wurden laut offiziellen Angaben rund 13.500 Anträge genehmigt. Von den zugesprochenen rund 52 Milliarden Lek (etwa 520 Millionen Euro) wurde bislang weniger als die Hälfte tatsächlich ausgezahlt. Die Überweisungen erfolgen in Raten – was, kombiniert mit der Inflation und dem fortgeschrittenen Alter vieler Anspruchsberechtigter, zu realen Verlusten führt.
Ein weiteres strukturelles Problem betrifft die Haushaltsplanung: Die jährlich veranschlagten Mittel werden häufig nicht vollständig ausgeschöpft oder erst mit Verzögerung freigegeben. So wurden im Jahr 2023 zwar rund 1,1 Milliarden Lek ausgezahlt – ein Betrag, der in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Bedarf steht. Für das Jahr 2025 ist ein Etat von 1,4 Milliarden Lek geplant – ein Anstieg um etwa 27 Prozent –, doch auch damit ist eine vollständige Entschädigung aller anerkannten Fälle auf Jahre hinaus nicht zu erwarten.
Soziale Folgen und Generationenperspektiven
Für viele Betroffene bedeutet die jahrzehntelange Verzögerung eine doppelte Ungerechtigkeit: Sie wurden nicht nur zu Unrecht verfolgt, sondern erfahren bis heute gesellschaftliche Ausgrenzung. Die soziale Integration ehemaliger politisch Verfolgter und ihrer Familien ist bislang nur unvollständig gelungen. Viele leben von niedrigen Renten und haben nur eingeschränkten Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung oder Wohnraum.
Hinzu kommt, dass dieser Teil der albanischen Geschichte an jüngere Generationen kaum vermittelt wird. Die unzureichende Auseinandersetzung in Bildungsplänen und im öffentlichen Diskurs führt zu einer Banalisierung der Vergangenheit. Die Stimmen der Opfer finden im politischen Alltag zu wenig Gehör.
Engagement der Bürgergesellschaft und internationale Unterstützung
Zahlreiche Opferverbände und bürgergesellschaftliche Organisationen setzen sich für eine umfassende Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur und für die Rechte der Betroffenen ein. Auch internationale Akteure begleiten diesen Prozess durch Studien, Konferenzen und Bildungsinitiativen.
Damit Albanien seiner historischen Verantwortung gerecht wird und die Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaats weiter festigt, sind greifbare Fortschritte in mehreren Bereichen notwendig. So bräuchte es etwa die Einführung eines zentralen elektronischen Registers, das alle anerkannten Entschädigungsfälle erfasst. Ebenso ist ein verbindlicher, realistischer Zeitrahmen für die vollständige Auszahlung der zugesprochenen Entschädigungen erforderlich – zu viele Betroffene warten seit Jahren vergeblich. Gleichzeitig muss die Geschichte der kommunistischen Diktatur einen festen Platz in der schulischen Bildung und im öffentlichen Diskurs erhalten.
Fazit
Die Entschädigung der Opfer des kommunistischen Regimes in Albanien ist weit mehr als eine bloße Verwaltungsaufgabe. Sie ist ein moralischer Imperativ, ein Ausdruck demokratischer Reifung und ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Versöhnung. Der bisherige Umgang mit dieser Aufgabe offenbart nach wie vor strukturelle Schwächen und politische Versäumnisse. Die albanische Gesellschaft steht vor der Herausforderung, historische Gerechtigkeit nicht nur einzufordern, sondern sie durch tragfähige Institutionen auch wirksam umzusetzen. Nur so kann das Vertrauen der Opfer zurückgewonnen werden.
[1] Vgl. Zahlen laut Instituti i Studimeve për Krimet dhe Pasojat e Komunizmit.
Teme
Obezbedio
Auslandsbüro AlbanienO našoj ediciji
Fondacija Konrad Adenauer zastupljena je u preko 80 država, na svih pet kontinenata. Direktori predstavništava izveštavaju sa lica mesta o aktuelnim događajima i dugoročnim tendencijama. "Izveštaji iz Srbije" nude korisnicima internet-stranice Fondacije Konrad Adenauer ekskluzivne analize, pozadinske informacije i procene.