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Islamistischen Gruppen geht es um Superlative

Nach den Terrorakten von Paris

Westliche Gesellschaften müssen sich darauf einstellen, dass Jihadisten immer spektakulärere Anschläge planen, sagt Islamwissenschafter Thomas Volk von der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Das Bekennervideo, das der IS veröffentlicht hat, ist nicht datiert. Halten Sie es dennoch für authentisch?

Thomas Volk: Es ist in der Tat wahrscheinlich, dass hinter diesen barbarischen Taten in Paris IS-Anhänger sehen. Ob es aber einen direkten zeitlichen Zusammenhang zu dem Video gibt, ist fraglich. Denn man muss schon sagen, diese Anschläge kommen dem IS gerade recht. Es gibt ja momentan wieder die Tendenz, dass Gebiete zurückerobert werden – etwa zuletzt die Jesiden-Hochburg Sinjar. Zudem ist die IS-Struktur am Schwächeln. Wichtige auch im Westen prominente Kämpfer wie der Brite Jihadi John und der deutsche Ex-Gangsta-Rapper Denis Cuspert sind offenbar tot. Das ist schlecht für den IS, weil er andauernd euphorisierende Erfolgserlebnisse braucht, um immer neue Anhänger zu rekrutieren. Da kommen wahnwitzige spektakuläre Anschläge wie jener in Paris gerade recht, weil diese bedingungslose Gewalt wieder neue Sympathisanten bringt.

Was ist also die Message von Paris?

Sie richtet sich an uns alle und lautet: Fühlt euch nirgendwo sicher. Der IS hat bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass er sich nicht auf den Irak und Syrien beschränken wird. Es handelt sich um ein transnationales Konzept. Das Ziel ist die Wiederherstellung des Kalifats, und sie verstehen sich als jene Auserwählten, die das erreichen werden. Es gibt Stimmen, die als nächstes Ziel definieren, Istanbul und Rom, als das Zentrum der Christenheit, einzunehmen. Andere Stimmen sprechen auch von Paris, um die westlichen Gesellschaften ins Herz zu treffen. Darauf müssen wir uns einstellen.

Also weitere Anschläge?

Ja. Damit müssen wir rechnen. Zudem ist der islamistische Terror immer auf der Suche nach neuen Superlativen, um Aufmerksamkeit zu erzielen und zu erhalten. Erst gab es die Einzelhinrichtungen und -enthauptungen. Als westliche Medien darüber nicht mehr berichteten, begann man mit Gruppenenthauptungen und so weiter. Als nicht mehr entsprechend über die Gräueltaten in Syrien und im Irak berichtet wurde, weitete man die Aktivitäten auf den Westen aus. Das Perfide an dieser Terrorgruppe ist, dass sie nicht in großen Zellen funktioniert, sondern über Einzeltäter, die noch dazu zumeist in den westlichen Gesellschaften sozialisiert wurden. Es geht um Superlative, und das bedeutet: Man geht mit Terroranschlägen auch in die Fläche. Diese Angriffe sollen uns westlichen, freien Gesellschaften deutlich machen: Ihr seid schon längst unser Ziel, wir terrorisieren euch, wann immer es uns gefällt.

Warum Paris, warum zu diesem Zeitpunkt?

Man muss sich das im Detail ansehen. Der Angriff auf das Stadion, wo der französische Präsident zusah, die Konzerthalle als Angriff auf westliche Musik, die vom Islamismus strikt abgelehnt wird, die Schüsse auf Restaurants und Cafés – da geht es um unseren westlichen Lebensstil, den man nicht nur verachtet, sondern vernichten will. Die Aussage ist: "Jeder kann der Nächste sein, fühlt euch nicht sicher." Leider muss man sich auch darauf einstellen, dass die Anschläge von Paris zu einer Spirale neuer Gewalt führen werden, weil Al-Kaida und IS konkurrierende Organisationen sind. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn auch Al-Kaida reagieren würde.

Sind jene Staaten, die bereits Einsätze gegen den IS im Nahen Osten fliegen, gefährdeter als andere Staaten wie etwa Österreich? Sie sagten im März bei einem Vortrag in Graz, auch Österreich sei gefährdet.

Der Terror ist unkalkulierbar, das macht auch seine Bedrohung aus. Es gibt keine sicheren Zonen gegen islamistischen Einfluss. Der Islamismus gründet sich auf den Salafismus, der unseren westlichen Lebensstil und unsere Werte nicht nur verachtet, sondern vernichten will. Diese politisch-islamistische Ideologie hält sich für die bessere Art des Miteinanders. Nur der kleinste Teil der Islamisten ist auch gewaltbereit – das sind die Jihadisten. Das ist der gefährlichste Teil. Denn die agieren eben als Einzeltäter – und das heißt, es kann überall geschehen.

Die meisten Attentäter in Paris scheinen Franzosen gewesen zu sein. Kann man sagen, die Terroristen von heute sind das Ergebnis einer gescheiterten Integration von gestern?

Bei diesen Leuten handelt es sich um religiöse Analphabeten. Sie verstehen ihre Religion nicht in ihrem Kontext, in ihrer geschichtlichen Gestehung. Sie picken sich Phrasen aus dem Koran und anderen religiösen Schriften, die gerade gut in ihr Weltbild passen. Das bedeutet aber nicht, dass es sich dabei automatisch um bildungsferne Schichten handelt. Auch gebildete Leute können sich aus unterschiedlichen Gründen dieser Ideologie hingeben. Daher ist die Ausbildung von Religionslehrern und Imamen auch so wichtig: Es muss klar sein, dass man diese Texte interpretieren und in das heutige gesellschaftliche Umfeld einbetten muss. Auch ein frühzeitiger hochwertiger Islamunterricht an den Schulen ist immens wichtig, damit die jungen Leute gewappnet sind gegen Rattenfänger.

Was können die islamischen Glaubensgemeinschaften tun?

Das Internet ist enorm wichtig. Wenn Sie sich heute über den Islam im Internet informieren wollen, landen Sie bald auf islamistischen Websites. Das darf nicht sein. Die muslimischen Gemeinschaften, die Bildungseinrichtungen, die Religionswissenschaft – alle sind hier gefordert, sich viel stärker online einzubringen, um ein realistisches Islambild zu vermitteln, nicht ein islamistisches. Es gibt eine wunderbare Plattform in den USA, "Average Mohamed", die leisten wunderbare Arbeit gegen Extremismus. Das könnte ein Vorbild sein. Immens wichtig sind auch muslimische Seelsorger in den Haftanstalten. Gerade in einer Haftsituation, wenn Menschen vulnerabel und auf der Suche nach einem neuen Leben sind, sind sie auch anfällig für extremistische Ideologien. Es wäre nicht verwunderlich, wenn unter den Pariser Attentätern auch welche mit Haftvergangenheit wären.

Es gibt wachsenden Widerstand in den westlichen Bevölkerungen gegen die vielen Flüchtlinge aus Syrien, die derzeit nach Europa streben. Ein Angstargument lautet, man schleuse auf diese Art womöglich auch neue IS-Schläfer ein. Einer der Attentäter scheint tatsächlich als Flüchtling registriert worden zu sein. Bestätigt das die Angst?

Zunächst einmal ist die Flucht von elf Millionen Syrern eine humanitäre Katastrophe. Da gilt es auf allen Ebenen zu helfen und vor allem zu versuchen, den Krieg zu beenden. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass unter den vielen Tausenden auch der eine oder andere islamistisches Gedankengut im Kopf trägt. Aber primär muss man die Furcht nehmen, dass man sich eine Flut neuer Attentäter nach Europa holt. Denn die meisten Attentäter sind Staatsbürger unserer Gesellschaften, und das ist noch viel schlimmer und bedrohlicher. Sie sind Teil dieser freien, demokratischen Gesellschaften und folgen dennoch dieser Ideologie. Darüber müssen wir uns Gedanken machen.

Frankreichs Präsident François Hollande hat mit sehr entschlossenen, martialischen Worten auf die Attentate reagiert und gnadenlose Verfolgung angekündigt – im In- und im Ausland. Was kann Frankreich noch mehr tun, als Bombenangriffe zu fliegen? Bodentruppen?

Die wichtigste Message Hollandes war genau die richtige: Wir dürfen uns nicht beeindrucken lassen. Das wollen sie nämlich. Das Gegenteil muss die Reaktion sein. Wir dürfen nicht aufhören, uns zu versammeln, Konzerte, Fußballmatches zu veranstalten, auszugehen, unseren westlichen Lebensstil zu leben. Wenn wir unsere freiheitliche Ideologie aufgäben, wäre das das Schlimmste. Der Islamismus ist ein Produkt der Moderne, und wir merken in der globalen Welt, dass er immer mehr Zulauf findet. Darauf müssen wir reagieren. Und wir müssen auch klar sagen, dass der Islamismus keine Antworten für die Gegenwart und die Zukunft hat. Er lebt nur von der Glorifizierung des frühen Islam.

Dennoch: Soll der Westen stärker als bisher im Irak, in Syrien intervenieren?

Westliche Intervention hat bis jetzt immer zu einem neuen Vormarsch von islamistischen Gruppen geführt. Das haben wir in Pakistan, im Irak gesehen. Wenn jetzt der Westen in die vom IS kontrollierten Gebiete einmarschiert, die immerhin so groß sind wie Großbritannien, wäre das der größte Propagandaerfolg für den IS und hätte einen noch größeren Multiplikatoreneffekt. Wir müssen vor allem deutlich machen, dass wir uns nicht beeindrucken lassen.

Tatsächlich lassen wir uns beeindrucken. Noch nach jedem Terroranschlag wurden in Europa, zumindest vorübergehend, die Bürgerrechte stark eingeschränkt.

Es ist schon wahr, es ist manchmal zum Verzweifeln. Das ist alles nicht leicht. Wir müssen einerseits auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit bleiben. Andererseits müssen wir bestimmte Gruppen noch gründlicher überwachen, weil wir einfach ein Bild davon haben müssen, was sie vorhaben. Etwa die Gruppe der legalistischen Islamisten wie die Muslimbruderschaft oder die Mili-Görös-Bewegung müssen wir beobachten. Die sind apolitisch und nicht gewaltbereit. Gleichwohl stehen sie mit ihrer Ideologie in Konflikt zu unseren demokratischen, liberalen Gesellschaften. In Deutschland beobachten wir diese Gruppen. Österreich tut das nicht. Das halte ich für fahrlässig. (Petra Stuiber, 15.11.2015. Das Interview erschien zunächst bei derStandard.at)

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Berlin Deutschland