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S. Raabe

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Orientierung in Fragen der Sicherheitspolitik

Potsdamer Forum „Politik & Sicherheit“ zur Nationalen Sicherheitsstrategie

Diskussion über die neue Nationale Sicherheitsstrategie am 8. Juni 2023 an der Universität Potsdam

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Ist Deutschland in seiner Sicherheitspolitik strategisch gut aufgestellt?

Der Eroberungskrieg Russlands gegen die Ukraine hat erhebliche sicherheitspolitische Fehleinschätzungen und Defizite wie in einem Brennglas deutlich gemacht. Die eminente Gefahr, die von Russlands imperialistischen Streben ausgeht, wurde seit dem eigentlichen Kriegsbeginn Ende Februar 2014 mit der verdeckten Besetzung und Annexion der Krim durch Russland und der Intervention der von Russland gesteuerten bewaffneten Milizen in der Ost-Ukraine, dem Donbas, kolossal unterschätzt. Der acht Jahre später am 24. Februar 2022 begonnene groß angelegte Angriff der russischen Armee auf die Ukraine offenbarte dann nicht nur fundamentale militärische Sicherheitslücken, sondern auch die hohe energiepolitische Abhängigkeit nicht nur Deutschlands vom Aggressor Russland. Bundeskanzler Olaf Scholz hat daher in der Konsequenz von einer „Zeitenwende“ gesprochen, den dieser Krieg mit seinen Folgen markiert.

 Neues strategisches „Dachdokument“

Vor diesem Hintergrund soll eine Nationale Sicherheitsstrategie, die von der Bundesregierung in einem breiten Beratungsprozess über ein Jahr hinweg unter Federführung des Auswärtigen Amts erarbeitet wurde, sowohl in Deutschland wie auch gegenüber den internationalen Partnern, aber auch möglichen Aggressoren, mehr Orientierung bieten. Dieses neue Unterfangen, noch dazu mit dem Anspruch eines umfassenden Ansatzes, wurde im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP Ende November 2021 vereinbart und steht nun vor der dem Abschluss. Als „Dachdokument“ soll es verschiedene Ressortbereiche und bereits vorhandene Strategien verbinden. Dazu gehören: das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik“, das 2016 vom Bundesverteidigungsministerium erarbeitet wurde; das „Weißbuch Multilateralismus“, das 2021 vom Außenministerium konzipiert wurde; die Leitlinien des Auswärtigen Amts „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ von 2017; die 2021 vom Bundesinnenministerium erstellte Cybersicherheitsstrategie; der „Strategische Kompass“ als außen- und sicherheitspolitisches Grundlagendokument der EU von März 2022 und schließlich das „Strategische Konzept“ der NATO, das beim Gipfel in Madrid im Juni 2022 beschlossen wurde. Ebenso wären Strategien zur Regelung der Migration und zur Aufnahme von Flüchtlingen sowie die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen von 2015 mit zu bedenken.

Gründe genug, im Potsdamer Forum „Politik & Sicherheit“, das einmal im Jahr in Kooperation mit dem militärhistorischen Lehrstuhl von Prof. Sönke Neitzel an der Universität Potsdam zu Gast ist, über die neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ Deutschlands zu diskutieren. Das Forum wird seit 2014 vier- bis sechsmal jährlich unter Federführung der Konrad-Adenauer-Stiftung Brandenburg gemeinsam mit der Gesellschaft für Sicherheitspolitik Potsdam, dem Reservistenverband Brandenburg und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft durchgeführt. Diesmal kamen am 8. Juni 2023 in einem erneut vollbesetzten Hörsaal im Neuen Palais in Potsdam gut 180 Teilnehmer: Studenten und sicherheitspolitische Experten, Soldaten und interessierte Bürger zusammen, um zunächst dem von Prof. Neitzel moderierten Gespräch zu folgen. Auf dem Podium waren vertreten aus dem Bundestag, Knut Abraham MdB, Diplomat und Außenpolitiker, aus dem Auswärtigen Amt, Michael Scharfschwerdt, Leiter des Planungsstabs, und aus dem Verteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, Abteilungsleiter Führung Streitkräfte.

Zunächst führte Michael Scharfschwerdt in den breiten Beratungsprozess ein und benannte die drei Hauptbereiche der Sicherheitsstrategie: Verteidigungs- und Widerstandsfähigkeit sowie Sicherung der Lebensgrundlagen. Über letzteres wurde zwar nicht weiter gesprochen. Gleichwohl ist die Klimapolitik, die bei der Sicherung der Lebensgrundlagen eine wesentliche Rolle spielt, ein gutes Beispiel für eine notwendige strategische Debatte. Denn inwieweit es strategisch zielführend ist, sich mit sehr viel Aufwand bei der Sicherung der klimatischen Lebensgrundlagen vor allem auf den deutschen Sektor von 1,8 Prozent der CO2-Emissionen weltweit 2021 zu konzentrieren, dabei aus der klimafreundlichen Kernkraft auszusteigen und Kohlekraftwerke verstärkt weiter laufen zu lassen, anstatt durch internationale Kooperationen nach Möglichkeit die Hauptsektoren in China (30,9 %), in den USA (13,5 %), in der EU unter Einschluss Deutschlands (9,5 %) und in Indien (7,3 %) von zusammen 61,2 Prozent zu reduzieren, darüber lässt sich streiten. Dabei schließt das eine: die notwendige Reduzierung im eigenen Land, das andere: die Reduzierung weltweit, selbstverständlich keineswegs aus, sondern muss gemeinsam in Angriff genommen werden.

Wie strategiefähig ist Deutschland?

General Rohrschneider hob die Notwendigkeit des strategischen Dialogs und die Bindungskraft, die von einem solchen Dokument ausgehen werde, hervor. Der Brandenburger Abgeordnete Knut Abraham, mit Erfahrungen aus der Arbeit im Kanzleramt, erwartete dagegen wenig von der neuen Strategie: sie werde viel zu umfangreich und weich formuliert sein, weil eine Regierung sich naturgemäß nicht allzu konkret festlegen lassen wolle. Dennoch sei das grundsätzliche strategische Nachdenken immer wieder wichtig, da man im Politikalltag primär operativ getrieben sei. Daran schloss sich auf dem Podium eine längere Reflexion über die Frage an, wie strategiefähig wir in Deutschland überhaupt seien und wo konkret Strategien entworfen würden. Auch dabei wurde die Spannung zwischen dem stets drängenden Alltagsgeschäft im Politikbetrieb und der Notwendigkeit, sich zum strategischen Nachdenken und Entscheiden Zeit zu nehmen, deutlich.

Jede Strategie setzt jedoch zunächst einmal die klare Bestimmung von Interessen und Zielen voraus, die durch die Strategie erreicht bzw. gesichert werden sollen. Welche primären Ziele verfolgt also die deutsche Sicherheitspolitik? Für Knut Abraham steht die Gewährleistung der Sicherheit in der Mitte Europas durch die EU und transatlantische Partnerschaft in der NATO im Vordergrund. Er räumte jedoch ein, dass es sehr schwierig sei, davon ausgehend die vorrangigen sicherheitspolitischen Ziele kurz und knapp etwa in einem Zwölf-Punkte-Plan zu benennen. Michael Scharfschwerdt bezog sich auf seine Ministerin Annalena Baerbock, die die Ziele aus den Grundwerten Deutschlands ableite und verband damit den Anspruch, dass Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen müsse und der Krieg Russlands gegen die Ukraine keinen Erfolg haben dürfe. Welche Rolle dabei für die Grünen eine feministisch oder queer apostrophierte Außenpolitik spielt und inwieweit pazifistische Grundwerte und politische Realitäten wie bei den Waffenlieferungen an die Ukraine in Einklang zu bringen sind, wurde nicht behandelt. General Rohrschneider ging weniger idealistisch, sondern nüchtern defizitorientiert an die Definition der Ziele heran, indem er danach fragte, wo Deutschland am verwundbarsten sei. Diesbezüglich nannte er zum einen die multikomplexen internationalen Abhängigkeiten, in denen Deutschland sich befinde und aus denen sich ein hohes Interesse an funktionierenden multilateralen Institutionen ergebe, und zum anderen eine funktionierende Abschreckung, um Kriege, wie den Russlands in der Ukraine, zu verhindern. In Bezug auf die Sicherheitsstrategie wies er auch auf die Rolle der öffentlichen Debatte hin, die dabei zu berücksichtigen sei. Andererseits sei jedoch nicht jedes strategische Ziel dafür geeignet, öffentlich benannt und diskutiert zu werden.

Parlamentsarmee und Nationaler Sicherheitsrat

In der Diskussion, an der sich in der zweiten Hälfte auch eine Reihe von Personen aus dem Publikum mit Fachfragen beteiligte, wurden weitere Aspekte gestreift. Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats, wie er vor einem Jahr an gleicher Stelle von dem langjährigen außenpolitischen Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christoph Heusgen, angeregt worden war, sahen die Experten auf dem Podium skeptisch, unter anderem wegen des Ressortprinzips in der Regierung und Mehrparteienkoalitionen. Im Parlamentsvorbehalt beim Einsatz deutscher Soldaten im Ausland wurde kein grundlegendes Hindernis für die Sicherheitspolitik Deutschlands gesehen, vielmehr eine wichtige demokratische Grundlage. So wurde mit dem Forum zumindest das vom Moderator Prof. Sönke Neitzel anfangs formulierte Ziel erreicht, bei dem sehr umfang- und facettenreichen Thema zumindest auf einem höheren Informations- und Reflexionsniveau, aber dennoch etwas ratlos nach Hause zu gehen und sich demnächst vom Ergebnis, das die Bundesregierung vorstellen wird, überraschen zu lassen. 

 

PS. Rechts auf dieser Seite finden Sie den Beitrag von Dr. Karl-Heinz Kamp:

The Zeitenwende at work: Germany's National Security Strategy vom 8.6.2023 aus der Zeitschrift: Survival. Global Politics and Strategy, vol. 65, no. 3, June-July 2023, pp. 73-80. (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors). Dr. Kamp war nach Tätigkeit für die Konrad-Adenauer-Stiftung u.a. Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und als Sonderbeauftragter im Bundesministerium der Verteidigung bei der Beratung der Nationalen Sicherheitsstrategie beteiligt.

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Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Brandenburg

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