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II. Die tatsächliche Einigung Europas nach 1945

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Parlamentarischer RatWestbindungSoziale MarktwirtschaftBilaterale BeziehungenEuropapolitikWiedervereinigung

Nachdem die europäischen Einigungsinitiativen der Zwischenkriegszeit nicht von Erfolg gekrönt waren, entstanden erst durch den moralischen und materiellen Zusammenbruch, den Europa durch die totalitären Diktaturen – insbesondere den Nationalsozialismus in Deutschland – und den Zweiten Weltkrieges erlebte, neue Impulse, die Staaten des Kontinents zusammenzuführen. Insbesondere konnten die politischen Akteure auch auf Europapläne der Widerstandbewegungen zurückgreifen.

Den europäischen Staatsmännern der frühen Nachkriegszeit ist es zu verdanken, dass diese Phase europäischer Euphorie in der Nachkriegszeit aber nicht erneut in Initiativen stecken blieb, sondern in eine langfristige, tiefgreifende Zusammenarbeit der europäischen Staaten mündete. Westeuropa beschritt nun einen in der Geschichte bisher nie da gewesenen Weg der Integration. Dieser Weg bot Antworten auf die aktuellen Fragen der Zeit: die Erhaltung des Friedens, der Wiederaufbau des zerstörten Europas, die Positionierung Europas im System der Supermächte, der Kalte Krieg sowie die Deutsche Frage. Da die christdemokratischen Parteien mit ihrem wertgebundenen Politikangebot der politischen Mitte eine herausragende Rolle in den westeuropäischen Staaten spielten, ist es nicht verwunderlich, dass unter den Gründungsvätern Europas die Christlichen Demokraten auch besonders stark vertreten waren. Dabei werden immer wieder der französische Ministerpräsident Robert Schuman, der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der italienische Ministerpräsident Alcide De Gasperi genannt, die insbesondere vor ihrem gemeinsamen persönlichen Hintergrund – alle drei waren überzeugte und praktizierende Christen und entstammten Grenzgebieten ihrer Heimatländer – durch ihre grundlegenden Weichenstellungen die Europäischen Integration bis heute geprägt haben. Hinzu kommen aber auch andere bedeutende Christliche Demokraten wie der luxemburgische Premierminister Joseph Bech; aus anderen politischen Strömungen sind insbesondere Jean Monnet und der belgische Sozialist Paul-Henri Spaak zu nennen.

  • Der Schuman-Plan 1950 und die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl

Den mutigsten und zukunftsträchtigsten Einigungsversuch seit dem Ende des Krieges leitete indes der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 ein. In einer Regierungserklärung schlug er vor, „die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohlen- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde (Haute Autorité) zu stellen”. Eigentliches Ziel der Erklärung war jedoch, „den ersten Grundstein einer europäischen Föderation (zu) bilden, die zur Bewahrung des Friedens unerlässlich ist.” Dafür war die Gemeinschaft für Kohle und Stahl nur ein Schritt: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen. Die Vereinigung der europäischen Nationen erfordert, dass der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird.” Dieser Ansatz durchzieht die europäische Integration bis heute: Nicht Staaten sollten zusammengelegt werden, sondern bestimmte Funktionen der Staaten, und hierfür sollten Kohle und Stahl als eine Schlüsselindustrie, die insbesondere auch für die Kriegsführung von hoher Bedeutung gewesen war, einen vielversprechenden Anfang bilden.

Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer begrüßte sogleich den Schuman-Plan, über den er zuvor durch einen Emissär in Kenntnis gesetzt worden war. Adenauer und die deutsche Bundesregierung wurden auch zu einer treibenden Kraft in den weiteren Verhandlungen, die am 18. April 1951 in der Unterzeichnung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) mündeten. Hauptziel des Vertrages war die Sicherung des innereuropäischen Friedens durch die „Vergemeinschaftung”, also die gegenseitige Kontrolle, der kriegswichtigen Güter Kohle und Stahl, sowie die Sicherstellung dieser entscheidenden Produktionsfaktoren für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.

Gründerstaaten der EGKS waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Der Vertrag trat am 23. Juli 1952 in Kraft; er war auf fünfzig Jahre angelegt und ging am 23. Juli 2002 in der Europäische Union auf. Die Erklärung vom 9. Mai 1950 hat damit die kühnsten Hoffnungen und Erwartungen übertroffen und ist schließlich zur Keimzelle der heutigen Europäischen geworden.

Innenpolitisch musste dieser erste Schritt der Europäischen Integration aber gegen die Opposition durchgesetzt werden. So ratifizierte der Deutsche Bundestag am 11. Januar 1952 den Vertrag gegen die Stimmen der SPD. Wie Bundeskanzler Adenauer bei der ersten Beratung des EGKS-Vertrages am 12. Juli 1951 vor dem Bundestag ausführte, war der Aufbau der Gemeinschaft angelegt, als Vorbild für etwaige weitere Integrationsverhandlungen in Europa zu dienen. Die Konstruktion sollte somit über den vergemeinschafteten Wirtschaftsbereich hinaus als Antrieb für eine Zusammenarbeit auf weiteren Gebieten wirken.

  • Der Rückschlag durch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft

So verwundert es nicht, dass parallel zur Ratifikation des EGKS-Vertrages Verhandlungen über den Pleven-Plan zur Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) geführt wurden, die am 9. Mai 1952 abgeschlossen wurden. Der EVG-Vertrag sah eine nahezu vollständige Integrierung der Verteidigungskräfte der Teilnehmerstaaten zu einer „Europa-Armee” sowie eine Beistandsverpflichtung vor – ein so weit gehender Schritt, wie er auch heute noch nicht wieder diskutiert wird.

Die Planungen gingen jedoch noch über die Verteidigungsgemeinschaft hinaus: Da eine gemeinsame Armee ohne eine gemeinsame Außenpolitik kaum möglich ist, beschlossen die Außenminister der Sechs auf Initiative des französischen und italienischen Außenministers Schuman und De Gasperi auf einer Sonderkonferenz unter Vorsitz von Bundeskanzler Adenauer am 10. September 1952 in Luxemburg, einer im Vorgriff auf die EVG gebildeten Gemeinsamen Versammlung den Auftrag zu erteilen, einen Vertragsentwurf für eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) auszuarbeiten. Die am 13. September 1952 gebildete präkonstitutionelle Ad-hoc-Versammlung setzte einen Verfassungsausschuss ein, der den CDU-Politiker Heinrich von Brentano zu seinem Vorsitzenden wählte. Die SPD lehnte indessen eine Mitarbeit an dem Projekt ab, weil für sie die deutsche Einigung in zeitlicher Reihenfolge vor der westeuropäischen Integration stehen musste.

Mit dem Beschluss der Französischen Nationalversammlung am 30. August 1954, sich noch nicht einmal mit dem EVG-Vertrag zu befassen, scheiterte aber nicht nur die Verteidigungsgemeinschaft, sondern auch die Europäische Politische Gemeinschaft. Die Folge dieses Scheiterns war die Unterzeichnung der Pariser Verträge am 23. Oktober 1954, durch die das Besatzungsregime in Deutschland beendet, der Bundesrepublik eine Teil-Souveränität eingeräumt und der NATO-Beitritt der Bundesrepublik ermöglicht wurde. Mit diesen grundsätzlichen, weitsichtig angestrebten und umgesetzten Entscheidungen Adenauers zur Westintegration der Bundesrepublik wurden die Grundlagen gelegt für alle weiteren Integrationsschritte Europas bis hin zum heutigen Verfassungsvertrag. Aber mehr noch: Durch die Festigkeit in der Integrationspolitik und dem Start und Ausbau der transatlantischen Beziehungen in der Atlantischen Allianz wurden die Fundamente gelegt, auf denen schließlich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zustimmten. Adenauers Europapolitik stand unter dem Zeichen des Kalten Krieges. „Freiheit vor Einheit” hieß seine Losung in Sachen Wiedervereinigung. Dabei lehnte er eine Neutralität der Bundesrepublik – wie Jahre später Helmut Kohl – ab. Die Aussöhnung mit Frankreich betrachtete er als eine wesentliche Voraussetzung für die Integration Europas. Adenauer hat mit seiner Politik der Westintegration die Bundesrepublik in erstaunlich kurzer Zeit aus dem materiellen und moralischen Chaos herausgeführt, sie nach außen zu einem geachteten politischen Faktor in der westlichen Welt werden lassen und mit den Grundstein für ein vereinigtes Europa gelegt.

  • Die Römischen Verträge 1957

Durch das Scheitern der Verteidigungsgemeinschaft 1954 hatte die Europäische Integration ihren ersten Rückschlag erlitten. Von dieser Krise erholten sich die Europäer aber bereits auf der Konferenz von Messina Anfang Juni 1955. Dort einigten sich die Außenminister der Mitgliedstaaten darauf, die Integration wieder in Fahrt zu bringen, indem sie auf weitere Wirtschaftsgebiete ausgedehnt werden sollte. Dies mündete in Verhandlungen über neue Verträge zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie einer Europäischen Atomgemeinschaft (EAG oder EURATOM). Am 25. März 1957, vor nunmehr fünfzig Jahren, unterzeichneten die sechs Mitgliedstaaten der Montanunion – Frankreich, Italien, Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg – die sogenannten „Römischen Verträge”, die Gründungsverträge der EWG und EAG, die am 1. Januar 1958 in Kraft traten.

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sah eine Zollunion mit freiem Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr vor und war die konsequente Fortsetzung des Wegs einer wirtschaftlichen Integration. Mit der Europäischen Atomgemeinschaft wurde eine Zukunftstechnologie vergemeinschaftet, die einerseits durch ihre friedliche Nutzung im Energiebereich von großer Bedeutung war, andererseits aber auch als ein kriegswichtiges Gut der gegenseitigen Kontrolle unterworfen wurde. Dabei blieb Euratom aber immer im Schatten der EWG; es ist daher bezeichnend, dass der EURATOM-Vertrag im Gegensatz zum EGKS und EWG-Vertrag im Laufe der Zeit keinen substantiellen Veränderungen unterlag. Im Unterschied zum 2002 ausgelaufenen EGKS-Vertrag ist die Dauer des EURATOM-Vertrages unbeschränkt; die Europäische Atomgemeinschaft wird nach Inkrafttreten der Europäischen Verfassung als hierzu angefügtes Protokoll fortgeführt. Alle drei Gemeinschaften – EGKS, EWG und EAG – bildeten zusammen die Europäischen Gemeinschaften, deren Institutionen im Jahr 1967 zusammengefasst wurden.

Die Römischen Verträge wurden im Juli 1957 mit großer Mehrheit vom Bundestag angenommen. Mit der Zustimmung der SPD zur Ratifizierung ging die lange Periode europapolitischer Gegensätzlichkeit zwischen Regierungsparteien und Opposition in der Bundesrepublik zu Ende. Durch die Anerkennung und neuerliche Unterstützung des europapolitischen Integrationskurses Adenauers war seitdem eine grundsätzliche gemeinsame Basis für die deutsche Europapolitik gegeben.

  • Die Integrationsflaute der 1960er und 1970er Jahre

Nach Abschluss der Römischen Verträge kam es zunächst für längere Zeit zu keinen vertraglichen Änderungen mehr. Dennoch entwickelte sich die Integration mit Fortschritten und Rückschlägen weiter: Die „Politik des Leeren Stuhls”, mit der Frankreich Mitte der 1960er Jahre die Entscheidungen der EG blockierte, konnte zwar mit dem „Luxemburger Kompromiss” scheinbar überwunden werden, jedoch nur zum Preis, dass für die Entscheidungen der Gemeinschaft auch weiterhin Einstimmigkeit erforderlich war. Der Übergang zu Mehrheitsentscheidungen war damit für lange Zeit ausgehebelt. Daneben scheiterte der 1971 vorgelegte, nach dem luxemburgischen Premierminister benannte Werner-Plan, der die Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion vorsah.

Erfolgreicher war dagegen die Erweiterung der EG: Nachdem Frankreich noch 1963 und 1967 zweimal den Beitritt Großbritanniens verhindert hatte, kam es 1973 zu einer ersten Erweiterung der Gemeinschaft durch die Aufnahme Großbritanniens, Irlands und Dänemarks. Die Süderweiterung der EG erfolgte später in den 1980er Jahren mit Griechenland (1981) sowie Portugal und Spanien (1986).

Inhaltliche Fortschritte waren die Koordinierung der europäischen Außenpolitik in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) im Jahr 1970, die Einführung des Europäischen Währungssystems (EWS) 1979 sowie die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments im selben Jahr. Alles in allem war die Vertiefung der Integration aber in der Phase des Ausgleichs zwischen Ost und West in den 1970er Jahren weit zurückgeblieben. Die Union hielt indessen ihren europapolitischen Anspruch auch als Oppositionspartei aufrecht. Zur europapolitischen Philosophie der CDU gehörte, die Sicherung der Bundesrepublik Deutschland in einem freien und geeinten Deutschland als die entscheidende Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu betreiben. In diesem Sinne hat auch das CDU-Grundsatzprogramm von 1978 den Vorrang der europäischen Einigung ausgelegt: „Nur zusammengeschlossen kann das freie Europa (...) dazu beitragen, die Spaltung Europas und damit auch Deutschlands zu überwinden.”

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Dr. Melanie Piepenschneider

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Leiterin Politische Bildung

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