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Interviews

"Die Einigung Europas gründet sich auf Frieden und Freiheit. Und dieser Frieden ist heute bedroht."

Ein Interview mit Prof. Hans-Gert Pöttering anlässlich seines 80. Geburtstages

Hans-Gert Pöttering ist Präsident des Europäischen Parlaments a.D. und Europabeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Zeitzeugengespräch mit GESCHICHTSBEWUSST spricht er über die Grundlagen der europäischen Einigung, seine Zeit als Mitglied des Europäischen Parlaments, die EU-Osterweiterung, die Ukraine-Frage in den Verhandlungen zwischen Europäern und Russen in den 1990er Jahren sowie die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen.

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Hans-Gert Pöttering, Portraitfoto. Aufgenommen anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der KAS am 6. Mai 2018. KAS/Marie-Lisa Noltenius
Hans-Gert Pöttering, Portraitfoto. Aufgenommen anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der KAS am 6. Mai 2018.

Geschichtsbewusst : Lieber Herr Professor Pöttering, der Anlass für dieses Gespräch ist Ihr 80. Geburtstag am 15. September 2025. Sie haben Ihr gesamtes politisches Leben der europäischen Integration gewidmet. Von 1979 bis 2014 gehörten Sie dem Europäischen Parlament ohne Unterbrechung an. Sie waren von 1999 bis 2007 Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei und von Januar 2007 bis Juli 2009 amtierten Sie als zwölfter Präsident des Europäischen Parlaments seit der Einführung der Direktwahl. Ihre Autobiografie, die 2014 erschienen ist, trägt den Titel »Wir sind zu unserem Glück vereint – Mein europäischer Weg«. Heute, im Herbst des Jahres 2025, muss sich Europa inmitten einer globalen politischen Umbruchsituation behaupten und seine Interessen zwischen der Handelspolitik Donald Trumps, der Dominanz der Chinesen am Weltmarkt und der russischen Aggression wahren. Wie blicken Sie in diesen Tagen auf Europa – überwiegen bei Ihnen die Sorgen oder doch die Hoffnungen? Und wenn dies so ist, worauf gründen sich diese?

 

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Europa 2025: Hoffnung oder Segen?

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Professor Hans-Gert Pöttering:  Wenn man den Blick auf die Gegenwart richtet oder gar den Mut hat, in die Zukunft zu schauen und eine Beurteilung vorzunehmen, dann muss man immer wissen, auf welcher Säule, auf welcher Basis befinden wir uns. Denn die Beurteilung der Gegenwart und der Zukunft hängt auch davon ab, was war, was vergangen ist und was bleibt, was ist unser Fundament.

Und daraus leitet sich dann auch ab, ob man pessimistisch ist, ob man zweifelt, ob man besorgt ist oder ob man zuversichtlich ist und Hoffnung hat. Sie haben freundlicherweise erwähnt, dass ich bei der ersten Europawahl 1979 gewählt wurde. Wenn ich Ihnen schildern würde, wie damals meine innere Befindlichkeit war, als ich das erste Mal ins Europäische Parlament in Straßburg hineinging in den Plenarsaal, es war für mich – wenn es denn ein Paradies gibt – als wenn ich in eine Art Paradies hineingehe, als damals jüngstes Mitglied unserer Fraktion, obwohl ich auch schon 33 Jahre alt war.

Wie sah Deutschland, wie sah Europa aus? Deutschland war geteilt. Wir sind hier in Berlin, es gab hier die Mauer. Polen, Estland, Lettland, Litauen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn, Slowenien gehörten zum Warschauer Pakt bzw. waren wie die baltischen Staaten Bestandteil der Sowjetunion. Heute sind diese Staaten Mitglied der Europäischen Union. Und Deutschland ist seit dem 3. Oktober 1990 geeint. Damals hätte niemand diese Entwicklung vorausgesagt. 

Ich war zwar immer der Überzeugung, dass eines Tages der Kommunismus zusammenbricht, so wie der Nationalsozialismus, weil beide totalitäre Systeme gegen die Natur des Menschen sind. Aber dass es in meiner Lebenszeit geschehen würde, das habe ich damals nicht geglaubt. Letztlich hat sich die Freiheit durchgesetzt, und nach meiner ganz festen Überzeugung ist die Freiheit das stärkste Motiv im menschlichen Leben. 

Und das war möglich. Die Teilung Deutschlands, die Teilung Europas wurde überwunden. Ich erwähne das, um die Beurteilung der Gegenwart vorzunehmen und dann den Blick in die Zukunft zu richten. 

Wir haben heute eine völlig neue historische Situation. Die Amerikaner haben die europäische Einigungspolitik seit Präsident Truman nach 1945 immer unterstützt, bis hin zu Joe Biden. Der gegenwärtige Präsident beurteilt Europa nach den Maßstäben eines Unternehmers. Er spricht von Deals. Und er weiß auch im Grunde nicht, warum wir Europäer, und das muss ich jetzt einfach nochmal nachtragen, den Weg der Einigung Europas gegangen sind. 

Das Angebot für die Einigung Europas kam 1950 aus Frankreich, von Robert Schuman, dem Außenminister. Und das war historisch etwas völlig Neues. In der ganzen Geschichte Europas war es so, wenn Frankreich und Deutschland oder Frankreich und Preußen miteinander im Krieg waren, dann haben sie nach dem Krieg wieder aufgerüstet, um den nächsten Krieg vorzubereiten. Aber Robert Schuman hat das Angebot gemacht, am 9. Mai 1950 eine europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu bilden. Also das, womit Krieg gemacht wurde, damals, Kohle und Stahl, und das unter eine europäische Behörde zu fassen. Sein Hauptwort war Frieden. Das heißt, die Einigung Europas gründet sich auf Frieden und Freiheit. Und dieser Frieden ist heute bedroht.

Wir haben Krieg in Europa, einen verbrecherischen Krieg des Diktators im Kreml gegen den Freiheitswillen der Menschen in der Ukraine. Aber wir haben Frieden in der Europäischen Union, zwischen den 27 Staaten der Europäischen Union, mit 450 Millionen Menschen. Wir gründen unsere Beziehung in der Europäischen Union auf das Gespräch, auf den Dialog, auf das Recht. Das Recht sichert den Frieden. Das Recht hat die Macht und nicht die Macht diktiert das Recht. Das heißt also, wir sind eine Friedens- und Freiheitsgemeinschaft.

Wir müssen uns heute unserer eigenen Werte bewusst sein, und wir müssen uns noch mehr als jemals zuvor stark machen. Europa, bleibe wachsam und werde stark. Wenn wir diese Herausforderung so annehmen, dann bin ich zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft unsere Freiheit, unseren Frieden, die Demokratie verteidigen können.

 

Geschichtsbewusst: Nun haben Sie bereits die jüngsten Veränderungen in den transatlantischen Beziehungen angesprochen. Sie selbst wurden 1974 in Bonn mit einer politikwissenschaftlichen Arbeit promoviert. Das Thema lautete »Adenauer Sicherheitspolitik 1955 bis 1963 – Ein Beitrag zum deutsch-amerikanischen Verhältnis«. Was meinen Sie, was können wir heute, wenn wir uns mit der Ära Adenauer beschäftigen, von ihm lernen? Gibt es da weiterhin Kontinuitäten, trotz der starken Veränderungen zuletzt? Oder haben sich Ihrer Meinung nach die Rahmenbedingungen so weit verändert, dass es nun um eine Neuausrichtung der deutschen und europäischen Sicherheitspolitik geht?

 

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Adenauers sicherheitspolitisches Erbe

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Sie haben meine Doktorarbeit und das Thema zitiert. Der Titel war aber etwas anders. Das, was Sie gesagt haben, Adenauers Sicherheitspolitik 1955 bis 1963, war dann der Titel des Buches im Droste Verlag, um den Titel der Dissertation etwas ansprechender zu machen.

Der genaue Titel war "Die verteidigungspolitische Konzeption der Bundesregierung von 1955 bis 1963 unter besonderer Berücksichtigung der Militärstrategie der USA." Und ich darf vielleicht hinzufügen, dass ich ein Parallelstudium in politischer Wissenschaft absolviert habe. Ich habe Jura studiert, auch beide Examen gemacht und ich habe immer etwas scherzhaft gesagt, das politikwissenschaftliche Studium und auch ein wenig Studium der Geschichte haben mir das Studium der Rechtswissenschaften erträglich gemacht.

Mich haben stets die deutsch-amerikanischen Beziehungen besonders interessiert, aber immer unter dem Aspekt Europas. Und es war immer meine Meinung, dass wir die europäische Säule in der NATO stark machen müssen. Ich war von 1984 bis 1994 Vorsitzender des Unterausschusses Sicherheit und Abrüstung, der damals neu gegründet wurde. Man hat uns belächelt, als dieser Unterausschuss gegründet wurde und ich Vorsitzender wurde. Es gab sogar Präsidenten des Europäischen Parlaments, die sagten, Sicherheit und Verteidigung hat mit der Europäischen Gemeinschaft, die damals noch bestand, und mit dem Europäischen Parlament überhaupt nichts zu tun. Das war nicht meine Meinung, sondern ich habe immer daran geglaubt, die Europäische Union bzw. damals die Europäische Gemeinschaft, muss stark werden in allen Bereichen, auch in der Sicherheitspolitik, auch in der Verteidigungspolitik. Wir brauchen eine starke europäische Säule in der NATO.

Es gab einen von mir hochgeschätzten Kollegen, Leo Tindemans, der ehemalige belgische Ministerpräsident und Träger des Karlspreises, wir waren gemeinsam im Unterausschuss Sicherheit und Abrüstung. Er war kein besonderer Anhänger davon, dass wir Europäer nun unseren verteidigungspolitischen Weg gingen, sondern er meinte, wir dürften uns nicht von Amerika trennen. Diese Meinung hatte ich ja auch.

Meine Position heute ist, in einer Zeit, in der es den Anschein hat, dass die Amerikaner sich zurückziehen – ich hoffe, dass es nicht geschieht, aber die Anzeichen sind da und deswegen müssen wir Europäer klug sein – dass wir eine Verteidigungsunion gründen und dass wir uns so in die Lage versetzen, unsere Werte, die Würde des Menschen, die Freiheit, die Demokratie, das Recht, den Frieden auch verteidigen zu können. Ich hoffe, es geht immer mit den USA, aber wenn die USA sich zurückziehen, dann müssen wir es auch allein können.

Die These, wir seien ohne Amerika, ohne die USA nicht verteidigungsfähig, halte ich für eine gefährliche These, weil das nämlich suggeriert, gleichsam im Sinne einer Self-fulfilling prophecy, dass wir uns selbst nicht verteidigen könnten. Das müssen wir jetzt machen, atlantisch bleiben, europäischer werden. Konrad Adenauer hat genau diese Position vertreten. Und je älter ich werde, Sie haben ja meinen Geburtstag angesprochen, erkenne ich noch mehr, als ich ohnehin schon mein ganzes Leben hoffentlich erkannt habe, die Bedeutung Adenauers, dem ich leider persönlich niemals begegnet bin.

Konrad Adenauer hat die Grundlage gelegt, er war pro-atlantisch, aber er war Europäer und wollte, dass Europa stark wird. Konrad Adenauer hat ein schwarzes Datum erlebt in der europäischen Einigungspolitik, das war der 30. August 1954. Am 30. August 1954 scheiterte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in der Französischen Nationalversammlung an der nationalistischen Rechten und der kommunistischen Linken. Weder die Nationalisten wollten Europa, und die Kommunisten, die abhängig waren von der Sowjetunion, von Moskau, wollten es auch nicht. Konrad Adenauer schreibt in seinen Memoiren, es sei die schwerste Stunde seiner langen 14-jährigen Kanzlerschaft gewesen. Dann hat er aber hinzugefügt, und davon habe ich sehr gelernt, man darf nicht resignieren, sondern man muss weitergehen. In der Politik gilt überhaupt, dass man beharrlich sein muss, man muss Ziele haben und diese verfolgen. Und in der europäischen Politik gilt das noch mehr, weil so viele Staaten zusammenkommen, so viele Mentalitäten.

Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments, empfängt den stellvertretenden Ministerpräsidenten der Ukraine Hryhorij Nemyria. Aufnahme vom 8. Januar 2009. European Union 2009 - EP
Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments, empfängt den stellvertretenden Ministerpräsidenten der Ukraine Hryhorij Nemyria. Aufnahme vom 8. Januar 2009.

 

"Putin ist ein Verletzer des internationalen Rechts und er ist ein Verbrecher, weil er diese Verbrechen erlaubt oder sogar herbeiführt, veranlasst hat, die wir jetzt in der Ukraine erleben."

Geschichtsbewusst: Nun haben Sie bereits die politischen Umbrüche in den 1990er Jahren angesprochen, und Sie waren ja damals auch ganz aktiv, auch mitgestaltend, beteiligt an der Neuordnung Europas. Sie waren von 1984 bis 1994 Vorsitzender des Unterausschusses Sicherheit und Abrüstung des Europäischen Parlaments. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind Sie mehrfach nach Moskau gereist.

 

Ich habe das mit großem Interesse gelesen in Ihrer Autobiografie. Darin beschreiben Sie einen Besuch im August 1991 in Moskau. Sie hatten damals Gelegenheit, mit einem Vertreter von Valentin Falin zu sprechen. Falin war ein sowjetischer Diplomat, ein Kenner Deutschlands, er war von Juli 1990 bis August 1991 Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU. In der Zeit zuvor hatte er Mikhail Gorbatschow bei den Verhandlungen über die Deutsche Einheit beraten. Sie sprachen damals mit einem Vertreter von Falin, der Ihnen sagte, dieser hätte sich mittlerweile von Gorbatschow distanziert und bezeichnete ihn als Totengräber der Sowjetunion. 

Sie zitieren Ihren Gesprächspartner mit den Worten, wenn beispielsweise die Ukraine, die seit Jahrhunderten mit Russland eng verbunden war, aus dem sowjetischen Staatsverbund gelöst würde, wäre dies unverzeihlich, gleichsam ein Verbrechen. Im Nachhinein kam mir dies vor wie eine Art Schlüsselszene, in der bereits ein Vorausblick auf die russische Aggression gegenüber der Ukraine enthalten ist. Muss man deswegen nicht heute feststellen, dass der Westen große Versäumnisse im Hinblick auf eine realistische Einschätzung der politischen Kultur in Russland zu beklagen hat, sowie der Akzeptanz von Werten wie Freiheit und Menschenrechten dort?

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Der Westen und Russland: Realitätsferne Politik?

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Sie beschreiben eine lange Entwicklung. Und was meine Moskau-Besuche angeht, darf ich auf zwei Besuche hinweisen. Ein Besuch im Februar 1990 und dann der zweite Besuch vom 19. bis 21. August 1991. Das waren genau die drei Putsch-Tage gegen Michail Gorbatschow.

Ich bin da im August 1991 zusammen mit einem Kollegen aus den Niederlanden, Jean Penders, in Kenntnis des Putsches nach Moskau gereist und war genau an diesen drei Tagen in Moskau, aber dazu gleich. Der Besuch im Februar 1990 war ein Besuch der EVP-Abgeordneten aus dem Unterausschuss Sicherheit und Abrüstung. Und in dieser Gruppe von sechs, sieben Abgeordneten, es waren Spanier dabei, Italiener, dann der schon gerade genannte Jean Penders und eine Kollegin aus Luxemburg, Viviane Reding, die später Mitglied der Europäischen Kommission wurde.

Wir hatten in diesem sehr dunklen Gebäude, also ich spreche von Februar 1990, in diesem Gebäude des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei ein Gespräch mit Falin. Falin war der Leiter der internationalen Abteilung. Er war vom Erscheinungsbild ein smarter Typ, auch als er Botschafter war in Bonn damals. Aber er war ein ganz harter Brocken.

Und es ging dann um die Einheit Deutschlands, die dann kam am 3. Oktober 1990, ich spreche jetzt aber vom Februar 1990. Falin war gegen die Einheit Deutschlands. Und er war ganz klar gegen die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO.

Dann hat Viviane Reding aus Luxemburg zu ihm gesagt, Herr Falin, wenn Sie so viel Angst haben vor Deutschland und dass es in die NATO kommt, das ist doch in Ihrem Interesse, dann ist Deutschland doch eingebunden in ein Bündnis und kann nicht gegen die Sowjetunion aktiv werden. Da hatte er eigentlich kein Argument mehr, aber er blieb dabei. Wir hatten dann aber noch ein Gespräch bei diesem Besuch im Februar 1990 im Kreml bei Vadim Zagladin. […] Er war sehr offen gegenüber der deutschen Einheit und hat gar nicht so viel von der NATO gesprochen.

Aber wir sahen schon, es gibt unterschiedliche Orientierungen. Und ich war sehr dankbar, dass meine nichtdeutschen Kolleginnen und Kollegen aus dem Unterausschuss Sicherheit und Abrüstung, sich für die Einheit Deutschlands – was ja immer bedeutete, Selbstbestimmungsrecht, Freiheit für das gesamte deutsche Volk – eingesetzt haben. Und das zeigte, welche Früchte die europäische Einigung, zumindest im Europäischen Parlament, brachte, dass meine Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern sich für uns, die Deutschen und die Einheit Deutschlands einsetzen.

Nun zu dem zweiten Besuch, am 19. August bis 21. August 1991.

Wir flogen von Frankfurt nach Moskau […] und waren dann abends am Roten Platz.

Da waren diese OMON-Truppen, schwarz gekleideten Männer, Sicherheitsleute vom Innenministerium, es war eine gespenstische Atmosphäre. Wir gingen vorbei an dem furchtbaren Gefängnis Lubjanka. Und da stand noch dieser erste, heute würde man sagen KGB-Mann Dzerzhinsky, der erste Chef des Geheimdienstes und der Sicherheitskräfte, nachdem die Kommunisten 1917 in Moskau die Macht übernommen hatten. Der stand auf seinem Sockel und wurde dann ein paar Tage später, als der Putsch in sich zusammenbrach, von seinem Sockel runtergenommen. Ein russischer Dichter hat einmal gesagt, man weiß nie, wer auf die Sockel draufkommt, wenn man einen wegnimmt, vielleicht ist der Nachfolger noch schlimmer als der Vorgänger.

Dann hatten wir unsere Gespräche während dieser drei Putsch-Tage.

Die Leute waren natürlich sehr vorsichtig. Derjenige, den sie zitiert haben, der von der Ukraine gesagt hat, dass wenn man die Ukraine trennte von Russland, das wäre gleichsam der GAU, der hat sich klar gegen Gorbatschow bekannt. Aber die anderen waren zurückhaltend, sie wollten eigentlich am liebsten gar nicht über den Putsch sprechen. Und dann waren wir, der eben genannte Jean Penders und ich, in dem sogenannten Weißen Haus.

Ich glaube, das war der letzte Tag, der dritte Tag, da war die große Debatte im Parlament. Boris Jelzin, der Präsident Russlands, der ja kein Freund von Gorbatschow war, ihm aber in dieser Situation half, hielt eine Rede.

Wir hatten zum gleichen Zeitpunkt, als wir da in diesem sogenannten Weißen Haus (Anm. d. Red.: Regierungsgebäude in Moskau, Sitz des Obersten Sowjets der Russischen Föderativen Sowjetrepublik (1981 bis 1993), danach der Russischen Föderation) waren, eigentlich eine Verabredung mit dem deutschen Botschafter Blech. Nun war es aber ja interessanter, dort im Weißen Haus zu sein. Und dann machte das ZDF mit mir ein Interview zu der Frage, wie ich den Putsch beurteilte.

Der Putsch lief ja noch. Ich habe dann gesagt, wenn der Putsch erfolgreich ist, dann werden die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Russland nicht mit Inhalt gefüllt werden können. Wir werden Russland, d.h. natürlich damals die Sowjetunion, nicht als einen Partner, als einen Freund sehen können. […] Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich während dieser Putschtage doch unsere Fahne der Freiheit hochgehalten habe.

Aber jetzt zur Ukraine. Natürlich gibt es eine besondere Beziehung zwischen Russland und der Ukraine. Aber nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, Anfang der 1990er Jahre, haben sich neue Staaten gebildet, Estland, Lettland, Litauen, die ja sich nie selbst als zugehörig zur Sowjetunion empfunden haben, obwohl sie Bestandteil der Sowjetunion waren. Aber dort hat man immer gedacht, richtigerweise, wir sind Staaten, wir sind Nationen, unabhängig. Und sie wurden unabhängig.  Kasachstan wurde unabhängig. Tadschikistan, Kirgisistan, Turkmenistan, Usbekistan unter anderem und so auch die Ukraine. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn man auf die Gegenwart schaut.

Die Ukraine hat 1994 die Atomwaffen, die sie besaß, an Russland abgegeben. Und man hat in einem Memorandum in Budapest 1994 vereinbart, wenn die Ukraine die Nuklearwaffen an Russland abgibt, dann garantiert Russland (damals war Jelzin Präsident) die Unabhängigkeit der Ukraine. Und es hat dann auch Volksabstimmungen gegeben in der Ukraine, später, über die Unabhängigkeit.

Selbst in den Gebieten, die Russland heute militärisch besetzt hat, auch auf der Krim, gab es eine Mehrheit für den Verbleib in der Ukraine und nicht als Bestandteil Russlands. Und in einem solchen Sinne ist Putin ein Verletzer des internationalen Rechts und er ist ein Verbrecher, weil er diese Verbrechen erlaubt oder sogar herbeiführt, veranlasst hat, die wir jetzt in der Ukraine erleben. Es ist unsere Aufgabe, der Ukraine zu helfen, damit es möglichst schnell zu einem Waffenstillstand kommt und dann eine Vereinbarung, die international auch garantiert werden muss, für die Unabhängigkeit und Freiheit der Ukraine.

Treffen mit einer lettischen Delegation in Brüssel am 1. April 1999. Solveiga Silkalna, Hans Gert Pöttering, Romualdas Kalonaitas (v.l.). Communautés Européennes 1999
Treffen mit einer lettischen Delegation in Brüssel am 1. April 1999. Solveiga Silkalna, Hans Gert Pöttering, Romualdas Kalonaitas (v.l.).

Geschichtsbewusst: Ich möchte gerne noch weiter in den 1990er Jahren verweilen. Ihnen kam damals eine wichtige Rolle zu, denn Sie leiteten bei den Verhandlungen über den Beitritt der Länder Mittel- und Osteuropas in die EU von 1996 bis 1999 die Arbeitsgruppe Erweiterung der Europäischen Union der EVP-Fraktion.

Meine Frage lautet, woran erinnern Sie sich besonders im Rückblick an diese Zeit. Welche Themen dominierten Ihrer Erinnerung nach die Gespräche und welche Hoffnungen oder auch Befürchtungen gab es hinsichtlich der EU-Osterweiterung?

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Die 1990er: Verhandlungen zur EU-Osterweiterung

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Ich war von 1994 bis 1999, also in dieser Wahlperiode, stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Der Fraktionsvorsitzende war Wilfried Martens, der langjährige Ministerpräsident von Belgien. […] Ich habe eine Arbeitsgruppe geleitet, nicht nur für die Fraktion, sondern für die EVP, es ging um die Frage, was wir mit dem Vertrag von Amsterdam erreichen wollten. […] Und dann von 1996 bis 1999 war ich verantwortlich für die Erweiterung der Europäischen Union.

Ich erinnere mich besonders an Folgendes. In der ersten Liste für die Erweiterung der Europäischen Union waren Länder, die Mitglied werden sollten. Estland, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Slowenien. Nicht dabei waren Lettland und Litauen, weil Lettland und Litauen damals wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht so weit waren wie die gerade genannten anderen Länder oder jedenfalls die Kommission glaubte, sie seien noch nicht so weit. Ich hatte einen Kollegen aus Stockholm, Staffan Burenstam Linder, der in unserer Arbeitsgruppe Mitglied war. Wir hatten das gleiche Empfinden, nämlich, dass es ungerecht war, Lettland und Litauen nicht auf die Liste zu nehmen. Ich hatte dann den Auftrag ein Papier zu schreiben, das dann in diese Arbeitsgruppe rein sollte. Und wir hatten eine Studientagung in Stockholm. […] Wilfried Martens war dabei, ich glaube auch damals noch Leo Tindemans. Und dann ging das Papier in die Fraktion.

Die Fraktion hat das akzeptiert, aber es war nicht die Position der Regierung. In Bonn war Helmut Kohl Kanzler. Wir brauchten ja auch die Unterstützung der Bundesregierung für unseren Vorschlag mit Lettland und Litauen.

Ich habe dann Helmut Kohl einen Brief geschrieben, habe ein bisschen übertrieben und geschrieben, Herr Bundeskanzler, keiner weiß so gut wie Sie, was die Einheit der Fraktion bedeutet. Die Einheit der Fraktion ist gefährdet, wenn wir Lettland und Litauen nicht mit auf die Liste nehmen. Das war natürlich übertrieben, aber als Argument passte das ganz gut, weil Helmut Kohl ja für diese inneren Machtfragen von Fraktionen sehr offen war. Und dann hat er das auch akzeptiert. Wir haben es geschafft, dass die Kommission unsere Position übernahm und danach auch die Regierungen. So gab es einen Beschluss auf einem Gipfel.

Jean-Claude Juncker, der spätere Kommissionspräsident, war Ministerpräsident in Luxemburg. Ihn haben wir, weil er die Präsidentschaft in der EU bekam, auch eingebunden. Er ist von Luxemburg nach Brüssel zu unserer Arbeitsgruppe gekommen und wir haben mit ihm gesprochen. Er hat dann eine Formel gefunden, damit man auch Lettland und Litauen einband. Und ich habe dann immer später etwas scherzhaft gesagt, wenn ich zwei Orden verdient habe (die ich auch bekommen habe), dann diejenigen von Lettland und von Litauen.

Das war das Bohren dicker Bretter: Man muss am Ball bleiben, sich sehr darum kümmern, beharrlich sein, viele überzeugen. Und wenn man gute Argumente hat, dann müssen am Ende diejenigen auch nachgeben, die nicht so gute Argumente haben. Und deswegen empfehle ich allen jungen Kolleginnen und Kollegen: Habt Ziele und bleibt beharrlich.

 

"In der Politik gilt überhaupt, dass man beharrlich sein muss, man muss Ziele haben und diese verfolgen. Und in der europäischen Politik gilt das noch mehr, weil so viele Staaten zusammenkommen, so viele Mentalitäten."

 

Geschichtsbewusst: Der Beitrittsprozess dauerte ein paar Jahre an, aber es gab dann schließlich ein klares Ergebnis. Am 1. Mai 2004 waren es zunächst Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, die der Europäischen Union beitraten.

Am 1. Januar 2007 kamen  Bulgarien und Rumänien dazu. Wenn Sie sich erinnern, wie hat sich die Arbeit im Europäischen Parlament durch die Erweiterung verändert?

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Arbeiten im EU-Parlament nach der Erweiterung

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Zunächst einmal muss ich sagen, dass, bevor es den Beitritt gab, gab es ein Jahr vorher schon einen Gaststatus von Abgeordneten für die Länder, die später beitraten. Es waren Beobachter, so haben wir sie genannt.

Ich war damals Fraktionsvorsitzender der EVP-ED-Fraktion. EVP, Europäische Volkspartei, Christdemokraten. ED steht für Europäische Demokraten, im Wesentlichen die britischen Konservativen. […]

Was hat sich geändert? Wir haben voneinander gelernt. Denn es war eine Mentalitätsfrage.

Die Kolleginnen und Kollegen aus den eben genannten Ländern, besonders Polen, Ungarn, aber auch die anderen, waren natürlich Anhänger der Freiheit. Sie waren glücklich, dass sie nun in der Europäischen Union waren. Aber sie hatten natürlich nicht die Erfahrung, die wir mit der europäischen Einigung hatten.

Und so war es ein gegenseitiger Lernprozess. Wir hatten ja keine vertiefte Kenntnis oder Erfahrung, was sie alle durchgemacht hatten. Vielleicht war das bei denjenigen auf unserer Seite der Fall, die sich mit dem Kommunismus befasst hatten.

Aber viele waren über die internen Verhältnisse, ob das in Polen, in Ungarn oder in den baltischen Staaten war, gar nicht vertraut. Das heißt, die Veränderungen, die sich 2004, 2005 durch die Mitgliedschaft ergaben, waren besonders Veränderungen der Mentalität. Es war ein Lernprozess.

Das ist das ganz Entscheidende in der Politik im Allgemeinen, aber in der europäischen Politik noch mehr, dass man versteht, was psychologisch, gedanklich, in den Köpfen der anderen vorgeht. Nur dann können sie auch Kompromisse schließen. Und in meiner Zeit, in den 35 Jahren als Abgeordneter des Europäischen Parlaments, war es eine unglaublich erfüllende, wenn auch unglaublich schwierige Aufgabe, Fraktionsvorsitzender zu sein. […]

Sie haben so viele unterschiedliche Interessen. Sie haben große Delegationen, die Deutschen, die Briten, die Franzosen, Italiener. Es sind viele Abgeordnete in der Fraktion der EVP. Und dann die kleinen Nationalitäten, die Esten, die Letten, die Litauer, die Malteser, die Luxemburger. Mein Prinzip als Fraktionsvorsitzender war immer, dass man die großen Delegationen in der Fraktion nicht gegen sich hat, aber die kleinen für sich. Das heißt, dass die Vertreter der kleinen Länder wissen, unser Fraktionsvorsitzender, der auch noch aus dem größten Mitgliedsland, nämlich aus Deutschland, kommt, der respektiert unsere Interessen, der setzt sich für uns ein. Und das habe ich immer auch versucht und auch da von Helmut Kohl gelernt. Der gerade die kleinen Länder immer sehr ernst genommen hat.

Und wenn es um Entscheidungen ging, hat er sich ans Telefon gesetzt und hat die Repräsentanten der kleinen Länder angerufen. Jean-Claude Juncker hat mal gesagt, es gibt keine kleinen und großen Länder und im Übrigen ist Luxemburg ein Großherzogtum. Also man muss alle ernst nehmen und mitnehmen.

04.12.2007: Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (links) unterhält sich vor einem Treffen mit Mitgliedern der Konferenz des Präsidenten des Europäischen Parlaments mit Hans Gert Pöttering, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments (rechts). EPA/Olivier Hoslet
04.12.2007: Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (links) unterhält sich vor einem Treffen mit Mitgliedern der Konferenz des Präsidenten des Europäischen Parlaments mit Hans Gert Pöttering, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments (rechts).

Geschichtsbewusst: Ich möchte in meiner Abschlussfrage nochmal auf die kulturellen Grundlagen der europäischen Integration eingehen. Denn heute umfasst das Europäische Parlament Abgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten. Bei der Einführung der Direktwahl 1979 waren es weit weniger, nämlich neun Länder.

Wenn wir jetzt zurückblicken auf die Anfänge der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg, wir haben schon darüber gesprochen, damals gab es große weltanschauliche Übereinstimmungen zwischen denjenigen Personen, die wir heute als Väter Europas bezeichnen, also Konrad Adenauer aus Deutschland, Alcide de Gasperi aus Italien, Jean Monnet, Robert Schuman aus Frankreich.

Eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen diesen Personen war sicherlich der christliche Glaube. Was hält Ihrer Ansicht nach heute, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 35 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, die EU im Kern zusammen? Und was müssen die europäischen Politiker und Politikerinnen tun, um das europäische Band weiter zu festigen und mit Blick auf die Zukunft auf ein gutes Fundament zu stellen?

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Welche Werte tragen Europa?

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Sie haben mit Recht drei bedeutende Namen der europäischen Einigung und Väter der europäischen Einigung genannt. Es waren Christdemokraten: Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer. Helmut Kohl besuchte mich mal in meinem Büro in Brüssel. Da war er nicht mehr Kanzler, dann wäre er wahrscheinlich nicht gekommen. Aber es war so Anfang des Jahrhunderts, Anfang dieses Jahrtausends. Und bei mir an der Wand hingen drei Portraits: Robert Schuman, Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi. Genau die Personen, die Sie gerade genannt haben. Und dann zeigte Kohl auf Robert Schuman und sagte: „Das war ein Priester“.

Robert Schuman war wirklich ein heiligmäßiger Mensch. […]

Diese drei Personen waren auf der Seite der Christdemokraten entscheidend. Und es hätte wohl auch die europäische Einigungspolitik so nicht gegeben, wenn es diese drei Persönlichkeiten nicht gegeben hätte. Und vielleicht noch ein kleines Detail.

Ich bin erst vor einigen Wochen durch einen Studenten darauf aufmerksam geworden. Ich habe noch einen Lehrauftrag an der Universität Osnabrück. Da hatte ein Student einen Brief, den Robert Schuman an Konrad Adenauer geschickt hat, zwei Tage bevor Robert Schuman seinen Vorschlag gemacht hat für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.

Der Vorschlag kam am 9. Mai 1950. Und zwei Tage vorher schrieb Robert Schuman einen Brief an Konrad Adenauer. […] Auf französisch war der Brief und bezeichnet als strictement confidentielle et personnelle, also "Strikt vertraulich und persönlich". Und dann schrieb Robert Schuman an Adenauer handschriftlich auf Deutsch hinzu "Mit herzlichsten Grüßen, Ihr Robert Schuman".

Das bringt etwas zum Ausdruck, was wir heute in der Politik oftmals vermissen. Eine Freundschaft und Vertrauen. Helmut Kohl hat mir mal gesagt, das Wichtigste ist das Vertrauen. Und es ist wirklich wahr, das Vertrauen zwischen politischen Persönlichkeiten ist von unschätzbarem Wert. Und wenn Sie gestatten, ich dann zu der konkreten Beantwortung Ihrer Frage komme. Für mich ist das schönste Beispiel von Vertrauen ein Satz von Präsident George Bush, dem Älteren.

Als Helmut Kohl seinen Vorschlag machte, wie man prozedural zur Einheit Deutschlands kommen wollte, mit den zehn Punkten vom November 1989. Diese zehn Punkte hat Helmut Kohl aufgeschrieben.

Seine Frau, Hannelore, hat es noch getippt auf einer Maschine. Kohl hat nicht mal seinen Außenminister Hans-Dietrich Genscher darüber informiert. Dann wäre es vielleicht an die Öffentlichkeit gelangt.

Als Kohl diese zehn Punkte vortrug vor dem Bundestag, hat er zeitgleich diese zehn Punkte dem amerikanischen Präsidenten George Bush geschickt. Und dann wurde, und das ist historisch belegt, ich bin der Sache nachgegangen, ein Botschafter hat mir das bestätigt, was ich Ihnen jetzt sage. Dann hat jemand im Weißen Haus George Bush gefragt, "Mr. President, were you informed"?

"Herr Präsident, waren Sie informiert?" Und dann hat George Bush gesagt, "No, but I trust Helmut." "Nein, aber ich vertraue Helmut".

Die beiden konnten nicht mal miteinander sprechen, denn Kohl sprach ja kein Englisch. Und Bush sprach kein Deutsch. Aber mit Dolmetschern haben sie sich unterhalten und sie hatten Vertrauen zueinander.

Es war eine Chemie da. Und das ist unglaublich wichtig in der Politik. Aber jetzt zurück zur europäischen Politik.

Was wir brauchen, auch heute, ist Vertrauen unter den politisch Gestaltenden. Angela Merkel, die 16 Jahre Kanzlerin war, hat das auch zu vielen Persönlichkeiten gehabt. In Frankreich gab es mehrere Präsidenten, mit denen sie es zu tun hatte.

Helmut Kohl hatte im Wesentlichen nur François Mitterrand als Gegenüber. Deswegen ist das symbolisch etwas stärker. Oder Konrad Adenauer und Charles de Gaulle.

Dieses Vertrauen, das Politikerinnen und Politiker verbinden sollte, ist unglaublich wichtig. Denn Geschichte und Politik besteht nicht nur aus der Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern auch aus politischen Entscheidungen. Und deswegen bin ich froh darüber, dass unser gegenwärtiger Bundeskanzler Friedrich Merz ein Vertrauensverhältnis entwickelt zu Emmanuel Macron, der leider nur noch bis 2027 im Amt ist.

Ich hoffe, dass die Zeit ausreicht, um das deutsch-französische Verhältnis noch weiter zu festigen. Die Zukunft der Europäischen Union beruht nicht allein auf einem guten deutsch-französischen Verhältnis. Aber ohne eine Übereinstimmung zwischen Paris und Berlin gibt es wenig Fortschritt.

Wir sollten aber alle Länder einbinden. Frankreich und Deutschland dürfen die anderen nicht dominieren. Und wir sollten uns insbesondere auch um Polen kümmern.

Das war mir immer ein besonderes Herzensanliegen. Donald Tusk ist jetzt der Ministerpräsident, ein guter Freund, der schon bei mir zu Hause war, in Bad Iburg. Und Polen ist natürlich in einer schwierigen politischen Situation mit der Partei Recht und Gerechtigkeit, die nicht so europäisch ausgerichtet ist.

Aber wir müssen uns um alle kümmern. Und meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass wir auch weitere Erweiterungen haben um die Balkanländer, um die Ukraine, aber das alles wird dauern. Man muss auch darüber nachdenken, ob man Formen der Zusammenarbeit schaffen kann zwischen der Europäischen Union und diesen Ländern, die nicht immer gleich zur Mitgliedschaft führen.

Ob es auch Zwischenstufen geben kann, darüber müssen die Fachleute nachdenken. Aber ich wünsche mir, dass man stärker wird, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, dass man dort zu Mehrheitsentscheidungen kommt. Mehrheitsentscheidungen gibt es in der Gesetzgebung.

Viele glauben immer, überall gilt nur das Einstimmigkeitsprinzip. Das ist nicht der Fall. Es gilt noch in der Außen- und Sicherheitspolitik, dass man dort zu Mehrheitsentscheidungen kommt, damit wir als Europäische Union wirklich handlungsfähig sind.

Und abschließend, ich bin eigentlich zuversichtlich. Ich bin zuversichtlich, weil wir in der Europäischen Union unser Handeln, und das ist Ihre Kernfrage ja gewesen, an Werten orientieren. Die wichtigste Unterschrift, die ich in meinem politischen Leben leisten konnte, war diejenige unter der Charta der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union am 12. Dezember 2007. Es war der Tag vor der Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon am 13. Dezember 2007.

Das war in Lissabon. Die Staats- und Regierungschefs haben den Vertrag unterschrieben. Für Deutschland Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Einen Tag vorher wurde diese Charta der Grundrechte im Europäischen Parlament in Straßburg unterschrieben, von dem Präsidenten der Kommission, José Manuel Barroso, von dem Präsidenten des Europäischen Rates, José Sócrates, er war Ministerpräsident Portugals, und in dieser Eigenschaft auch der amtierende Präsident des Europäischen Rates, und von mir, dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes. Und diese Charta der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ist Bestandteil des Vertrages von Lissabon.

Der erste Satz, der erste Artikel dieser Charta der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, lautet "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Und das entspricht genau dem Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Und das ist der eigentliche Kern unserer Werte.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und daraus ergeben sich die Prinzipien der Freiheit, der Demokratie, des Rechts und des Friedens. Wenn wir diese Prinzipien verteidigen, nicht nur mit Worten und rhetorisch, sondern uns auch die Mittel geben, diplomatisch, wirtschaftlich, industriell, aber auch militärisch, diese Werte zu verteidigen, dann bin ich zuversichtlich, dass die Europäische Union eine gute Zukunft hat.

Wir sind 450 Millionen Menschen in der Europäischen Union. In den USA leben 340 Millionen, in Russland 140 Millionen. Das heißt, es gibt mehr Menschen in der EU als in den USA und in Russland.

Wenn wir den politischen Willen haben, dass wir unsere Werte verteidigen, dann bin ich zuversichtlich, dass die Europäische Union eine gute Zukunft hat. Nicht nur im 21. Jahrhundert, sondern hoffentlich auch weit darüber hinaus.

 

Geschichtsbewusst: Herr Professor Pöttering, ich danke ganz herzlich für dieses Gespräch.

 

Ich danke Ihnen sehr herzlich. Es hat mir viel Freude gemacht.

 

 

Das Gespräch führte Dr. Christine Bach. Es wurde am 4. September 2025 in Berlin aufgezeichnet und für die Veröffentlichung in Textform leicht gekürzt. Das Video erscheint in voller Länge im November 2025 auf GESCHICHTSBEWUSST.

 

 

Neuerscheinung: 

Hans-Gert Pöttering (Hrsg.): Europa, bleibe wachsam und werde stark! Plädoyer für Freiheit und Einheit unseres Kontinents. Verlag Herder, 1. Auflage 2025.

 

 

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