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Sebastian Grundberger

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Peru am Scheideweg

Der Zusammenprall der Institutionen zehrt an der Gesundheit der Demokratie

Ein Präsident, der den Kongress ohne erfolgte Parlamentsabstimmung aufgrund des „faktischen Entzuges des Vertrauens“ auflöst. Ein aufgelöstes Parlament, welches daraufhin den Präsidenten absetzt. Eine Vizepräsidentin, die sich vom abgesetzten Kongress als Präsidentin vereidigen lässt, um 24 Stunden später wieder zurückzutreten. Ein Verfassungsgericht, dessen Zusammensetzung Ursprung der Krise war und das jetzt gefordert ist, diese aufzulösen. Und eine an politisches Drama gewöhnte Öffentlichkeit, die sich verhält, als wäre nichts geschehen. Dies sind die kuriosen aber auch Besorgnis erregenden Zutaten der schweren Verfassungskrise, die Peru derzeit durchlebt.

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„In Reaktion auf den faktischen Entzug desVertrauens und unter absoluter Beachtung der Verfassung der Republik Peru habe ich entschieden,den Kongress verfassungskonform aufzulösen und Neuwahlen der Kongressabgeordneten anzusetzen.“

Mit diesen, am 30. September 2019 gegen 17.45 Uhr ausgesprochenen Worten zündete Präsident Martín Vizcarra eine politische Bombe.  

Vorausgegangen war ein seit Monaten andauernder mit harten Bandagen geführter Machtkampf(1) zwischen dem Präsidenten sowie der von „Fuerza Popular“, der nationalpopulistischen Partei der Ex-Präsidentschaftskandidatin Keiko Fujimori, angeführten Parlamentsmehrheit.

Die jüngsten Ereignisse wurden am 26. September eingeläutet, als der zuständige Ausschuss des Kongresses mit den Stimmen von FP und alliierten Fraktionen entschied, den Vorschlag des Präsidenten, eine Verfassungsänderung zur Herbeiführung vorgezogener Neuwahlen auf den Weg zu bringen, ohne Abstimmung im Plenum zu archivieren. Bereits kurz zuvor hatte die Parlamentsmehrheit im Schnellverfahren einen Nominierungsprozess für zur Neuwahl anstehende Verfassungsrichter durchgesetzt, der von regierungsnahen Sektoren als intransparent, nebulös und politisch motiviert kritisiert wurde. Beide Manöver kamen einer direkten Provokation des Präsidenten gleich. Vizcarra zündete daraufhin die nächste Eskalationsstufe. Er kündigte an, dass Premierminister Salvador del Solar eine Vertrauensfrage im Parlament stellen würde. Diese werde mit einem Gesetzesvorschlag der Regierung zur Neuordnung des Auswahlprozesses der Verfassungsrichter verknüpft, welche den aktuellen Prozess einschließen würde. In einem Fernsehinterview am Abend des 29. September warnte Vizcarra den Kongress zugleich, die für den nächsten Morgen angesetzte Richterwahl durchzuführen. Er werde ein solches Handeln als einen parlamentarischen Ausspruch des Misstrauens werten, drohte der Präsident. Die peruanische Verfassung erlaubt es dem Staatschef das Parlament auflösen, wenn dieses zwei Premierministern innerhalb einer Legislaturperiode das Misstrauen ausspricht. Innerhalb der laufenden Legislaturperiode war dies 2017 bereits einmal der Fall.

Der folgende Montag, 30. September, entwickelte sich wohl zum chaotischsten, absurdesten und auch Besorgnis erregendsten Tag der jüngeren demokratischen Vergangenheit Perus. Entgegen der Aufforderung des Präsidenten wählte das Parlament zunächst in einer von Tumulten und Handgemenge unterbrochenen Sitzung mit exakt der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit von 87 Stimmen einen Verfassungsrichter neu. Erst anschließend debattierte der Kongress über die Vertrauensfrage des Premierministers und sprach ihm letztlich mit deutlicher Mehrheit das Vertrauen aus. Diese Abstimmung jedoch geschah zur exakt gleichen Zeit, als sich Präsident Vizcarra einige hundert Meter entfernt im Präsidentschaftspalast in einer Fernsehansprache an das Volk wandte. Nur Augenblicke, nach dem das Parlament Premierminister del Solar formell das Vertrauen ausgesprochen hatte, kündigte der Staatschef die Auflösung des Parlamentes aufgrund des „faktischen Entzug des Vertrauens“ an.

Das Parlament ignorierte die Ankündigung seiner Auflösung. Unter Führung des Parlamentspräsidenten Pedro Olachea, einem ehemaligen Weggefährten von Ex-Präsident Pedro Pablo Kuczynski, brachte es einen Entschließungsantrag auf den Weg, mit dem es unter Zustimmung von 86 von 130 Abgeordneten den Präsidenten für „temporär unfähig“ erklärte, das höchste Staatsamt auszuüben. Vizcarra, so die öffentlich geäußerte Meinung vieler Abgeordneter, habe einen „Staatsstreich“ begangen. Unmittelbar anschließend „vereidigte“ Olachea Vizepräsidentin Mercedes Aráoz als neue Staatspräsidentin. Der Tag endete spät in der Nacht mit der Erklärung der peruanischen Streitkräfte und der Polizei, Präsident Vizcarra weiter als ihren Präsidenten zu akzeptieren, der Ausrufung von Neuwahlen des peruanischen Parlamentes für den 26. Januar sowie der Vereidigung des bisherigen Justizministers Vicente Zeballos als neuem Premierminister. Nur weniger als 24 Stunden nach ihrer „Vereidigung“ als Präsidentin trat Mercedes Aráoz von diesem Schritt zurück. Gleichzeitig forderte sie Präsident Vizcarra auf, ebenfalls zurückzutreten und den Weg für allgemeine Neuwahlen freizumachen.

Unterdessen blieben Polizei und Armee fest an der Seite des Präsidenten. Seit dem 1. Oktober wird nur noch den Kongressabgeordneten der Zutritt zum Parlament gestattet, die dem sogenannten „Permanenten Ausschuss“ angehören. Dieser ist für allgemeine Verfahrensfragen zuständig und funktioniert in Abwesenheit eines funktionsfähigen Kongresses als eine Art Rumpfparlament mit eingeschränkten Kompetenzen.  

Anschein vollkommener Normalität

Wie so oft in den politischen Turbulenzen der letzten Jahre, blieb es im Land trotz aller politischen Dramatik ruhig. Gemessen an der Gravitas der Ereignisse gingen vergleichsweise wenig Menschen auf die Straße. Wenn sie es taten, dann fast ausschließlich friedlich und um die Auflösung des unbeliebten Parlamentes zufeiern. Die Parlamentsmehrheit steht bei vielen Peruanern nicht hoch im Kurs, aufgrund vielfachen konfrontativen und destruktiven Handelns sowie der Weigerung, die strafrechtliche Immunität einiger unter dringendem Korruptionsverdacht stehender staatlicher Funktionsträger aufzulösen. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Parlamentsauflösung dem Präsidenten einen enormen Popularitätsschub verleihen wird.

Die Regierung tut unterdessen bisher äußerst erfolgreich alles, um nach innen den Eindruck vollkommener Normalität zu vermitteln. So ernannte und vereidigte Präsident Vizcarra am 3. Oktober ein neues, in der Zusammensetzung recht technokratisches Kabinett ohne große Überraschungen oder gar ideologische Provokationen. Die nationale Wahlbehörde bereitet die Neuwahl des Parlamentes vor und der Staatsapparat funktioniert auf allen Ebenen problemlos weiter. Vizcarra verzichtete auf jegliches Triumphgehabe und hielt sich seit der Auflösung des Parlamentes mit öffentlichen Äußerungen zurück. Auf den Straßen ist nicht mehr Polizei zu sehen als vor der Parlamentsauflösung. Sämtliche bürgerlichen Freiheiten und Grundrechte bleiben weiterhin vollumfänglich garantiert und die Menschen gehen gewohnt ihrem Tagewerk nach. Mit jedem Tag der vergeht, setzt sich diese Normalität ein Stückchen mehr im öffentlichen Bewusstsein fest.

Verfassungsrechtlicher Klärungsbedarf

Seit 1992 hat kein peruanischer Präsident mehr das Parlament aufgelöst. Damals geschah dies als Präsident Alberto Fujimori sich durch einen „Selbstputsch“ der unliebsamen Legislativkontrolle entledigte. Dies geschah ohne jegliche verfassungsrechtliche Legitimation, unter Anwendung von Gewalt und unter Einsetzung eines autoritären Regimes. Es erscheint deshalb unverantwortlich, eine direkte Parallele zur heuten Situation zu ziehen. Noch weniger gerechtfertigt ist es, einem „Staatsstreich“ oder gar der Etablierung einer „kommunistischen Diktatur“ nach dem Vorbild Venezuelas das Wort zu reden, wie dies von interessierten aber vom gesellschaftlichen Mainstream isolierten Kreisen betrieben wird.

Nichts desto trotz gibt es gewichtige Gründe, die verfassungsrechtliche Sauberkeit des Handelns Vizcarras zumindest in Frage zu stellen.

Die Auflösung eines Verfassungsorgans ist bei aller Unbeliebtheit desselben ein sehr schwerwiegender Vorgang, der nicht einfach ein „weiter so“ erlaubt. Die Frage, ob die peruanische Verfassung so etwas wie einen „faktischen Entzug des Vertrauens“ ohne Parlamentsabstimmung zulässt, entzweit Verfassungsrechtler.

Viele verlangen deshalb eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes. Diese Forderung erhob auch Luis Almagro, Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in einem Kommuniqué. Die „Permanente Kommission“ des Kongresses tat bereits den ersten Schritt in diese Richtung, als sie beschloss, das Verfassungsgericht formell anzurufen. Eine schnelle und möglichst eindeutige Klärung des Sachverhaltes ist im obersten Interesse der peruanischen Demokratie.

Ironie und auch Problem an dieser Situation ist, dass die endgültige Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Regierungshandelns mit dem Verfassungsgericht genau von dem Gremium getroffen werden muss, dessen Zusammensetzung Stein des Anstoßes für die Verfassungskrise war. Allein schon die Frage, ob der unter chaotischen Umständen gewählte neue Verfassungsrichter an dem Urteil mitwirken darf oder nicht, sorgt für Kontroversen im Land. Während in der derzeitigen Zusammensetzung des Gerichtes der „progressive“ Flügel dem Vernehmen nach leicht im Vorteil ist, könnte sich diese Situation mit einem neuen Richter ändern. Es bleibt weiter abzuwarten, ob eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung von der „unterlegenen“ Seite einfach so akzeptiert würde.

Aussicht auf Neuwahlen

Sollte Präsident Vizcarra in seinem Vorgehen nicht durch das Verfassungsgericht gestoppt werden, finden nach derzeitigem Stand am 26. Januar 2020 Neuwahlen des Parlamentes statt.

Die dann gewählten Abgeordneten blieben jedoch nur für den Rest der bis Juli 2021 dauernden Legislaturperiode im Amt. Es würde somit ein Parlament gewählt, welches sich faktisch nur für rund 16 Monate in Funktion befände, bevor dann 2021 mit der nächsten Präsidentschaftswahl wieder ein neuer Kongress für die Legislaturperiode 2021-2026 bestimmt wird.

Wie die Zusammensetzung eines solchen neu gewählten Übergangsparlamentes aussehen würde, ist völlig ungewiss. Da den zu bestimmenden Abgeordneten eine Wiederwahl 2021 verwehrt ist, ist es unklar, welche Kandidaten an einer Kandidatur Interesse haben. Im Vergleich zum faktisch aufgelösten, von Fuerza Popular geprägten letzten Kongress, dürften sich die politischen Gewichte jedenfalls in Richtung der politischen Mitte oder gar nach links verschieben.

Vizcarra, der aufgrund seiner Biografie nur schwer in ein Rechts-Links-Schema einzuordnen ist, wurde während der letzten Monate immer deutlicher von der politischen Linken unterstützt. Diese fordert seit Jahren vehement eine neue Verfassung, um das in der Magna Charta von 1993 festgelegte marktwirtschaftliche Wirtschaftsmodell zu ändern und wird versuchen, die jetzige Krise für ihre Zwecke zu nutzen.

Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung

Zweifelsohne haben die jüngsten Ereignisse denpolitischen Graben im Land und die Polarisierung vertieft. Während eine Seite die Möglichkeit wittert, endlich ein revolutionäres Moment für eine grundlegende wirtschaftlich-gesellschaftliche Umwälzung herbeizuführen, sieht sich die andere Seite als Opfer einer marxistischen Verschwörung gegen Freiheit und Demokratie. So absurd beide Lesarten sind, so gefährlich ist diese Spaltung trotzdem für das gesellschaftliche Miteinander im Land. Dazwischen steht eine große Bevölkerungsmehrheit, die der traditionellen Politik zunehmend überdrüssig ist.

Vor diesem Hintergrund wiegt der von der derzeitigen Krise maßgeblich weiter beschleunigte Ansehens- und Legitimitätsverlust der Institutionen der peruanischen Demokratie besonders schwer. Die unkritische Freude großer Teile der Bevölkerung über die Auflösung eines Verfassungsorgans aufgrund der Unbeliebtheit seiner Mitglieder und die Leichtigkeit, mit der sich diese Organe in eine verfassungsrechtliche Notsituation begeben haben, lassen erahnen, wie schwer die Aufgabe wird, diese demokratischen Institutionen gegen mögliche populistische Versuchungen zu verteidigen. Die Tatsache, dass durch andauernde Aussagen von ehemaligen Odebrecht-Funktionären in diesen Tagen immer mehr Mitglieder der traditionellen Polit-Elite in den Dunstkreis der Korruption gerückt werden, macht diese Situation nicht einfacher.

Die peruanische Demokratie steht in den nächsten Wochen und Monaten somit am Scheideweg. In dieser Situation sind alle politischen Akteure deshalb gefordert, ihren Beitrag zu leisten, den institutionellen Dauerkampf zu beenden und die Kapazität zum demokratischen Dialog und zum Finden von politischen Lösungen im Interesse des Landes wiederzugewinnen.

(1)

Mehr Hintergrundinformation zur Genesis und zu den verschiedenen Ausprägungen dieses Konfliktes findet sich im am 12. September 2019 veröffentlichten Länderbericht der KAS Peru: „Machtkampf ohne Volk“.

Abzurufen unter https://www.kas.de/web/peru/laenderberichte/detail/-/content/machtkampf-ohne-volk

 

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Direktor Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie /Länderprogramm Uruguay

sebastian.grundberger@kas.de +598 2902 0943

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