Unter dem Titel „Herausforderungen auf dem Weg zur inneren Einheit“ diskutierten die Teilnehmer über die komplexen Entwicklungen seit 1990 und die bis heute spürbaren Unterschiede zwischen Ost und West. Im Zentrum der Veranstaltung standen Beiträge von Simon Strauß (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Claudia Crawford (Bundesministerin a.D.) und Prof. Dr. Manfred Görtemaker (Historiker). In der moderierten Gesprächsrunde stellte die Leiterin des Politischen Bildungsforums Brandenburg, Dr. Kathrin Zehender, Fragen zu historischen Versäumnissen, gesellschaftlichen Identitäten und politischen Erwartungen. Ziel sei es, so Zehender, neue Perspektiven für das Verständnis und die Gestaltung der inneren Einheit Deutschlands zu gewinnen.
Nähebedürfnis und der Wunsch nach innerer Einheit
Der Publizist Simon Strauß eröffnete die Veranstaltung mit einer pointierten Analyse der Wiedervereinigung. Er stellte die Frage, wie „westdeutsch“ die Wiedervereinigung tatsächlich war und ob sie für die Menschen im Osten nicht mehr Umsturz als Wende bedeutete. Strauß betonte, dass die ostdeutsche Gesellschaft durch Nähe, Nachbarschaftshilfe und eine klassenlose Struktur geprägt war, Qualitäten, die heute oft übersehen werden. Eine Studie belege, dass Ostdeutsche ein höheres Nähebedürfnis als Westdeutsche haben. Diese Sehnsucht nach Nähe sei Ausdruck eines tiefen Wunsches nach innerer Einheit.
Prof. Görtemaker erläuterte, dass die Wiedervereinigung historisch einzigartig war und es kein Vorbild für den Prozess gab. Die Volkskammer der DDR habe den Beitritt zur Bundesrepublik selbst beschlossen, eine freie Entscheidung nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Dennoch sei der Eindruck einer Übernahme weit verbreitet. Die wirtschaftliche Struktur der DDR sei dem freien Markt nicht gewachsen gewesen, was die Notwendigkeit der Treuhandgesellschaft erkläre. Görtemaker plädierte für mehr Gelassenheit und erinnerte daran, dass 35 Jahre eine kurze Zeitspanne seien, um das Erlebte zu bewältigen.
„Zeitenwende“ in der Erinnerungspolitik
Claudia Crawford berichtete von ihrer persönlichen Erfahrung als Mitglied der ersten freigewählten DDR-Volkskammer 1990. Sie betonte, dass viele Ostdeutsche sich in etwas „Fremdes“ geworfen fühlten und die Erwartungen an den Staat oft falsch verstanden wurden. Die mangelnde Repräsentanz Ostdeutscher in öffentlichen Ämtern sei bis heute ein Problem. Crawford forderte mehr Verantwortung und Engagement von Ostdeutschen in der Politik.
Einig waren sich die Diskutanten, dass die Erinnerungspolitik sich in einer „Zeitenwende“ befinde und es wichtig sei, positive Erzählungen über die deutsche Einheit zu fördern. Auch der Begriff des „Oststolzes“, der sich zunehmend als identitätsstiftendes Element herausbildet, sei ein Teil dessen. Ostdeutsche, so Strauß, beginnen, auf ihren Kampfgeist, ihr Durchhaltevermögen in den 1990er und 2000er Jahren und auf das Erreichte stolz zu sein. Diese Haltung sei nicht rückwärtsgewandt, sondern Ausdruck einer kritischen und selbstbewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Demokratieverständnis in Ost und West
Ein weiteres zentrales Thema der Diskussion war das unterschiedliche Demokratieverständnis in Ost und West. Die ostdeutsche Gesellschaft habe Erfahrungen mit Mangelwirtschaft, Solidarität und Nähe gemacht, die heute als wertvolle Ressourcen gelten können, insbesondere in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt und demokratische Teilhabe neu gedacht werden müssen, betonte Strauß. Das Vertrauen in „Macher vor Ort“, die Bereitschaft zur kommunalen Beteiligung und die Sehnsucht nach Nähe seien Qualitäten, die auch für die gesamtdeutsche Demokratie von Bedeutung sind. Görtemaker ergänzte, dass mit der Wiedervereinigung auch die alte Bundesrepublik zu Ende gegangen sei. Seit 1990 sei aus der „Bonner Republik“ und der untergegangenen DDR ein neues Land entstanden.
Die Diskussion zeigte, dass die innere Einheit noch nicht vollständig erreicht ist. Für 62 Prozent der Bevölkerung in Ost und West überwiegt nach wie vor das Trennende. Zum Abschluss der Veranstaltung wurde die Frage gestellt, ob die Wiedervereinigung vor diesem Hintergrund eine Erfolgsgeschichte sei. Die Antwort lautete: Ja, aber sie ist kein abgeschlossener Prozess. Es braucht Geduld, Zuversicht und den Willen, die Erfahrungen und Perspektiven beider Teile Deutschlands ernst zu nehmen. Die innere Einheit ist eine Generationenaufgabe, doch sie kann gelingen, wenn Politik zuhört und die Gesellschaft gemeinsam Verantwortung übernimmt.
Beim anschließenden Empfang hatten die Teilnehmer Gelegenheit, die Diskussionen im persönlichen Gespräch fortzusetzen. Man war sich einig, dass Nähe, Präsenz und Dialog entscheidend sind, um das Vertrauen in die Demokratie zu stärken.
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