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"Das Bundesverfassungsgericht - Erheben Sie sich!"

Erster Berliner Jahresrückblick zur Rechtsprechung des Bundesverfassunsgerichtes 2012

Alles blickt nach Karlsruhe, wenn die Richter des Bundesverfassungsgerichts entscheiden. Eine Bewertung der Entscheidungen lässt sich aber besser aus der Distanz vornehmen: Zum ersten Berliner Jahresrückblick kamen führende Rechtswissenschaftler und Rechtspolitiker, Fachleute aus Justiz, Verwaltung und Anwaltschaft in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen, um sich über die wichtigsten Urteile aus dem Jahr 2012 auszutauschen.

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Welche Bedeutung der Diskussion zugemessen wird, ließ sich daran ablesen, dass auch der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Ferdinand Kirchof sowie die Verfassungsrichter Professor Gabriele Britz, Professor Michael Eichberger und Professor Peter Huber zu der „Premiere“ nach Berlin gereist waren. „Dieser Jahresrückblick ist gedacht als Ausdruck des Respekts vor dem Verfassungsgericht und seiner Rechtsprechung. Denn Respekt erweist man dem Gericht gerade auch durch kritisch-sachliche Analyse und Auseinandersetzung mit seinen Entscheidungen“, sagte Michael Borchard, Hauptabteilungsleiter Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das Bundesverfassungsgericht werde durch zwei Faktoren kontrolliert: die politische und die wissenschaftliche Öffentlichkeit, ergänzte der Staatsrechtler Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität zu Berlin. Um eine Gesamteinschätzung vornehmen zu können, sei aber noch etwas anderes wichtig, sagte er: „Wie wird das Gericht in der Öffentlichkeit wahrgenommen?“ Letztlich sei auch Kritik als Liebeserklärung an das Gericht zu verstehen. „Eine Institution, der man derart viel Aufmerksamkeit schenkt, ist nicht nur alles andere als irrelevant. Wer sie sachlich-fachlich kritisiert, stärkt sie letztlich“,sagte Waldhoff.

 

 

Aus verschiedenen Blickwinkeln haben die Tagungsteilnehmer das Rechtssprechungsjahr 2012 Revue passieren lassen. Die europäische Finanz- und Staatsschuldenkrise, der Datenschutz, das Wahlrecht und die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften wurden lebhaft aus rechtswissenschaftlicher, wirtschaftswissenschaftlicher sowie rechts- und gesellschaftspolitischer Perspektive diskutiert.

 

 

"Wie geht es weiter mit der parlamentarischen Verantwortung?"

 

 

Beim Thema europäische Finanz- und Staatsschuldenkrise ging es vor allem um die Entscheidungen zum sogenannten Neuner-Gremium sowie zum ESM und Fiskalpakt. Der Fokus auf das Parlament, den das Bundesverfassungsgericht bei Entscheidungen zur Bewältigung der Krise einfordere, sei in einer parlamentarischen Demokratie dem Grunde nach geboten, sagte Hanno Kube, Professor an der Johannes-Guttenberg-Universität Mainz. „Aber es muss doch gefragt werden, ob hier nicht die Gefahr einer Überforderung des Parlaments entsteht", zumal wenn man sich die überstaatliche Einbindung politischer Entscheidungsstrukturen anschaue. Es stelle sich die Frage, wie es mit der parlamentarischen Verantwortung und Beteiligung weitergehe, sagte der Staatsrechtler und ehemalige Bundesminister Professor Rupert Scholz aus dem Publikum. „Da habe ich schon meine Sorgen, denn ich glaube letztlich, es entwickelt sich eine Überexekutivierung sowohl supranationaler, als auch nationaler Art. Dem ist gar nicht auszuweichen.“ Ähnlich äußerte sich der Bundestagsabgeordnete Professor Patrick Sensburg: „Was mir schlaflose Nächte bereitet, ist: Wie gehen wir damit in Zukunft um, mit einer immer dynamischer werdenden Europäischen Union, die exekutive Entscheidungsprozesse einfordert?“ Sehr vorsichtig müsse man sein im Hinblick auf weitere Haftungsrisiken, die übernommen werden, sagte Professor Lars Feld, Leiter des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg und einer der fünf Wirtschaftsweisen. Im Grunde solle auf europäischer Ebene ein Restrukturierungsregime entstehen, ein Abwicklungsregime für Banken. „Dafür muss es auch Liquiditätsmechanismen geben“, sagte Feld. „Die können aus deutscher Sicht nur begrenzt sein, die dürfen nicht unbegrenzte Haftungsansprüche begründen.“

 

 

"Das Bundesverfassungsgericht agiert zunehmend in einem fremdbestimmten Umfeld"

 

 

Für den Bereich des Datenschutzes stellte Christoph Schönberger, Professor an der Universität Konstanz, fest, dass die bisher prägende Stellung des Bundesverfassungsgerichtes grundlegend gefährdet sei. Schon in früheren Entscheidungen habe das Bundesverfassungsgericht den Datenschutz nicht mehr autonom vom Grundgesetz her gestalten können. „Es agiert zunehmend in einem fremdbestimmten Umfeld.“ Diese Tendenz setze sich in neueren Entscheidungen, beispielsweise zum Telekommunikationsgesetz fort. Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, bezweifelte, ob das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Urteil zum Telekommunikationsgesetz aufgegeben habe, eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung zu treffen: „ Ich interpretiere das anders. Das Gericht hat nur den Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen der Gesetzgeber handeln kann. Es gibt keine Verpflichtung des Gesetzgebers, diesen Rahmen auch auszufüllen.“ Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes betonte: „Es ist nicht Ziel der Strafverfolgungsbehörden möglichst umfangreiche Datenmengen zu sammeln und zu speichern – im Gegenteil. Das BKA ist daran interessiert, das Datenvolumen, mit dem gearbeitet wird, zu reduzieren. Verfügbar müssen nur diejenigen Daten sein, die für die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben im einzelnen Fall unbedingt erforderlich sind.“

 

 

Festlegung des Wahlsystems im Grundgesetz?

 

 

Die jüngere Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zum Wahlrecht wurde vor allem durch die Entscheidungen zur Fünf-Prozent-Klausel bei der Wahl des Europäischen Parlaments, zum Wahlrecht für Auslandsdeutsche und durch das kontroverse Urteil zur Sitzzuteilung im Bundestag geprägt. Als Grundlinie zeige sich „eine deutliche Intensivierung der verfassungsrechtlichen Kontrolle des Wahlrechtsgesetzgebers,“ sagte Bernd Grzeszick, Professor an der Universität Heidelberg. Durch die konsequente Vermeidung des negativen Stimmgewichts, die das Verfassungsgericht fordere, werde die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers massiv beschnitten, sagte er. „Viele der verfassungsrechtlich als zulässig vorgesehenen Kombinationen aus Mehrheits- und Verhältniswahl werden ausgeschlossen.“ Dabei hätten sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes gerade nicht auf das Verhältniswahlrecht festgelegt, sondern das Sitzberechnungsverfahren im Grundgesetz bewusst offen gelassen, sagte Professor Günter Krings, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Es sei zu überlegen, das Wahlsystem zumindest in Grundzügen, im Grundgesetz festzuschreiben.

 

 

Aushöhlung des Instituts der Ehe oder konsequenter Schritt der Gleichstellung?

 

 

Im abschließenden Themenkomplex zur Gleichstellung homosexueller Partnerschaften richtete sich das Hauptaugenmerk auf die laufenden Verfahren zum Streit über den Ausschluss gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften vom Ehegattensplitting und zum Verbot der sukzessiven Adoption durch den eingetragenen Lebenspartner. Klaus Gärditz, Staatsrechtler an der Universität Bonn, kritisierte, das Bundesverfassungsgericht habe den besonderen Schutz der Ehe im Grundgesetz in Relation zur Lebenspartnerschaft praktisch aufgehoben; die Privilegierung der Ehe werde dadurch zur Leerformel. Dann aber „verlieren eheliche Privilegierungen, die zu einem erheblichen Teil auch einen ökonomischen sowie sozialen Anker für familiäre Solidarität bieten, schleichend an Überzeugungskraft“. Thomas Steins, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Lesben und Schwule in der Union, fragte, ob es überhaupt einer Differenzierung bedürfe. Gleiche Pflichten wie bei der Ehe bestünden bereits für die eingetragene Lebenspartnerschaft. „Da ist es nur konsequent, gleichgeschlechtlichen Paaren die gleichen Rechte zuzusprechen.“

 

Kein Rückblick ohne Ausblick

 

 

In seinem Ausblick auf wichtige Verfahren im laufenden Jahr hob der Staats- und Europarechtler Frank Schorkopf von der Universität Göttingen, neben einigen der großen Themen von 2012, die das Gericht weiter beschäftigen würden, auch das Rundfunk- und Medienrecht, das Online-Glücksspiel sowie Organstreitverfahren zwischen Regierung und Opposition und einen neuen Kopftuchstreit hervor. Priorität werde zweifellos das neue Parteiverbotsverfahren erhalten – wenn tatsächlich ein Antrag auf Verbot der NPD gestellt werde. Eines sei sicher: „Wir werden wieder überrascht und gebannt sein, von Urteilen und Beschlüssen zu Verfassungsbeschwerden, von denen wir noch nichts ahnen.“

 

 

 

 

 

 

 

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