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Vincent Kessler, Reuters.

Auslandsinformationen

Die öffentliche Meinung von Richtern

von Ferdinand Alexander Gehringer, Hartmut Rank, Mahir Muharemović, Stanislav Splavnic

Im Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und der richterlichen Pflicht zur Unabhängigkeit

In den vergangenen Jahren war die richterliche Unabhängigkeit vermehrt Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Der Euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte (­EGMR) bemühte sich unlängst um eine Grenzziehung hinsichtlich der freien Meinungsäußerung von Richterinnen und Richtern. Gegen sie wurden in Südosteuropa zahlreiche Disziplinarverfahren infolge von Meinungsäußerungen in den sozialen Medien eingeleitet. Sind die Würdenträger in diesen Fällen tatsächlich ihrer richterlichen Pflicht zur Unabhängigkeit nicht nachgekommen oder wird diese immer mehr zum instrumentalisierten Politikum?

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Der Europarat betonte einst im Spätherbst 2010, dass „die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit jeder Person das Recht auf ein faires Verfahren sichert und deshalb kein Privileg für Richter ist, sondern eine Garantie des Respekts für die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die es jeder Person erlaubt, Vertrauen in das Justizsystem zu haben“. Den Richterinnen und Richtern steht allerdings, wie sämtlichen Bürgern auch, ein Recht auf Meinungsfreiheit zu, betont die Internationale Vereinigung der Richter und so determinieren es die Vereinten Nationen in Punkt 4.6 der Bangalore Principles of Judicial Conduct. Dieses Recht ist jedoch dahingehend begrenzt, dass bei der Ausübung stets die Würde des richterlichen Amtes, die Unparteilichkeit und die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit gewahrt werden müssen. Der Richter ist demnach verpflichtet, sein Verhalten hierauf auszurichten und sich bei Gefährdung der genannten Güter in Zurückhaltung zu üben. So wird es dem Richter abverlangt, dass er Verhaltensweisen, Handlungen und Äußerungen zu unterlassen hat, wenn hierdurch seine Unparteilichkeit und Unabhängigkeit beeinträchtigt werden kann.

Die theoretischen Grundsätze bilden einen handhabbaren Leitfaden für Richterinnen und Richter sowie eine gute Orientierungshilfe, doch wurden sie in der Vergangenheit bereits mehrfach zum Gegenstand gerichtlicher Verfahren. Wo hierbei nun in der Rechtspraxis die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit der Würdenträger zu ziehen sind, sodass die richterliche Pflicht zur Unabhängigkeit hinreichend gewahrt wird, soll nachfolgend zunächst durch einen Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg genauer beleuchtet werden. Anschließend soll eine nähere Betrachtung der vorherrschenden Regelungen und der Rechtsprechung in ausgewählten Ländern Südosteuropas Aufschluss darüber geben, wie es um die Freiheit der Meinungsäußerung von Richterinnen und Richtern in der Region steht. So existieren in einigen Ländern im Südosten Europas bereits Verhaltenskodizes für Richterinnen und Richter. In den vergangenen Jahren wurden im östlichen Teil Europas vermehrt disziplinarische Verfahren infolge öffentlicher Äußerungen, vor allem über soziale Medien, eingeleitet. Ein Land sah sich sogar gezwungen, gesonderte Regelungen für das Verhalten von Richterinnen und Richtern in den sozialen Medien zu erlassen. Haben die Betroffenen in diesen Fällen tatsächlich die Grenze der Meinungsäußerungsfreiheit überschritten oder diente die richterliche Unabhängigkeit als Deckmantel für die Unterdrückung unerwünschter Meinungsäußerungen?

 

Die Grenze der Meinungsäußerungsfreiheit nach dem EGMR

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kommt in seiner Jurisdiktion, wie sie in dem Bericht über die Menschenrechte der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) dargestellt ist, zu dem Schluss, dass Richter das Recht haben, sich öffentlich zu äußern, dass aber jede Aussage inhaltlich und im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Bewertung analysiert werden muss.

Richter haben nicht nur das Recht, sondern auch eine Verpflichtung, über Reformen in der Justiz zu sprechen.

So ging es in dem Fall „Baka gegen Ungarn“ um den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes von Ungarn, András Baka. Dieser kritisierte im Jahr 2011 vor der Presse die unter Federführung der ungarischen Fidesz-Partei geplante Verfassungsreform. Die Reform sah unter anderem vor, das Pensionsalter für Richter des Obersten Gerichtshofes von 70 auf 62 Lebensjahre zu senken, und beinhaltete außerdem eine Amnestie für verurteilte rechtsgerichtete Demonstranten. Baka wandte sich an die Presse und verurteilte die Reformbestrebungen. Vor allem prangerte er an, dass dadurch Grundprinzipien der Unabhängigkeit der Justiz – durch die Herabsetzung des Pensionsalters allen voran die Unabsetzbarkeit von Richtern – verletzt würden. Das ungarische Parlament verabschiedete das verfassungsändernde Gesetz ungeachtet weitreichender öffentlicher Widerstände. Auch Baka war unmittelbar von dem Gesetz betroffen. Als er 2009 zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofes gewählt wurde, sollte sich seine Amtszeit ursprünglich auf sechs Jahre belaufen. In dem verfassungsändernden Gesetz wurde allerdings bestimmt, dass die Amtszeit des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes am 1. Januar 2012 endet. Damit war seine Amtszeit drei Jahre und sechs Monate früher als bei der Wahl von Baka vorgesehen beendet.

Der EGMR stellte in dem Verfahren 2016 fest, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den öffentlichen Äußerungen von Baka und der Beendigung seines Mandates gibt. Zudem gaben die Richter des Gerichtshofes zu Protokoll, dass ein öffentlich ausgetragener Diskurs über Reformen in der Justiz und Rechtspflege eine elementare Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft hat und einem besonderen Schutz unterliegt. Den Vertreterinnen und Vertretern der Justiz wird als Garanten der Rechtsstaatlichkeit eine besondere Rolle zuteil. Der Gerichtshof führte aus, dass der Richter nicht nur das Recht, sondern auch eine Verpflichtung hat, über Reformen in der Justiz zu sprechen.

Der Richterin Olga Borisovna Kudeshkina wider-fuhr ein ähnliches Schicksal, das im Fall „Kudeshkina gegen Russland“ vor dem EGMR aufgegriffen wurde. Kudeshkina wurde aus ihrem Amt abberufen, nachdem sie das Verhalten von Beamten öffentlich kritisiert hatte. Sie kritisierte unter anderem auch Politiker dafür, dass es an russischen Gerichten nicht unüblich sei, Druck auf die Richterschaft im Rahmen ihres Entscheidungsfindungsprozesses auszuüben. Der EGMR kam zu dem Schluss, dass eine solche Kritik von der Meinungsfreiheit der Richterin gedeckt ist, da es sich um ein Thema von besonderem öffentlichen Interesse handelt. Grundsätzlich unterliegen alle Beamte – und damit auch die Richterin – aufgrund ihrer besonderen Stellung zum Staat einer Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht. Der politischen Loyalitätspflicht kann aber kein genereller Vorrang vor der Meinungsäußerungsfreiheit eingeräumt werden, sofern die Äußerungen zu Fragen von öffentlichem Interesse erfolgten.

Das Gericht in Straßburg stellt die Meinungsäußerungsfreiheit in seiner Rechtsprechung keinesfalls absolut, verdeutlicht aber zusehends, dass in bestimmten Fällen auch ein besonderes öffentliches Interesse an einer Einschätzung durch Teile der Judikative gegeben ist.

 

Die Meinungsäußerungsfreiheit in Südosteuropa und der Einfluss sozialer Medien

Mit dem rasanten Bedeutungsgewinn und der zunehmenden Präsenz neuer Medien, besonders der sozialen Medien Facebook, Twitter und Co., wird das Spannungsfeld zur selbst auferlegten richterlichen Zurückhaltung besonders deutlich. So prägten kürzlich einige Judikate, die sich mit diesem Spannungsverhältnis auseinandersetzen mussten, in Südosteuropa die Jurisdiktion oder wurden Teil regulativer Prozesse. In Rumänien wurden spezielle Regelungen für Richterinnen und Richter in Bezug auf die Nutzung sozialer Medien sowie das Verhalten dieser Amtsträger in denselben erlassen. In anderen südosteuropäischen Ländern gelten hingegen die allgemeinen Grundsätze der Meinungsäußerungsfreiheit und deren Einschränkungen.

Im Folgenden soll durch eine Betrachtung ausgewählter Länder Südosteuropas und das Aufzeigen von Beispielfällen die jeweils gegenwärtig vorherrschende Grenze der Meinungsäußerungsfreiheit verdeutlicht werden. In manch einem Fall dürfte die Schwelle zum Missbrauch des Konzepts der richterlichen Unabhängigkeit zur Begrenzung der Äußerungen bereits überschritten worden sein.

 

Bosnien und Herzegowina

In Bosnien und Herzegowina (BuH) ist es Richterinnen und Richtern grundsätzlich gestattet, ihre eigene Meinung und Überzeugung öffentlich zu äußern und zu vertreten. Die Meinungsfreiheit ist auch in BuH ein wichtiger Bestandteil der richterlichen Tätigkeit.

Die Freiheit der Meinungsäußerung richterlicher Würdenträger unterliegt bestimmten Einschränkungen.

Doch auch dort wird Richterinnen und Richtern dieses Recht ebenso wenig unbegrenzt gewährt. Vielmehr unterliegt die Freiheit der Meinungsäußerung richterlicher Würdenträger bestimmten Einschränkungen in Bezug auf ihre richteramtliche Position. So steht es ihnen frei, ihre Meinung zu sämtlichen Fragen zu äußern, ohne dabei ihre Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit zu gefährden. Sie dürfen jedoch gleichzeitig keine Aussagen vornehmen, die nach der Einschätzung eines objektiven Betrachters Zweifel an ebenjener richterlichen Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aufkommen lassen könnten.

So ist diese Grenze auch formell in der Gestalt eines Disziplinarvergehens im Gesetz zum Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte von BuH unter Artikel 56 Punkt 23 definiert. Dieses spezifiziert, welches Verhalten und welches Handeln den Tatbestand eines Disziplinarvergehens erfüllen. Gemäß dem Wortlaut des Artikels ist „jedes andere Verhalten, das einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Amtspflicht darstellt oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit der Justiz infrage stellt“, tatbestandlich umfasst. Ein Überschreiten dieser Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit – ganz gleich, ob in sozialen Netzwerken oder nicht – führt automatisch zu einer Beeinträchtigung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit, sodass auch die Richterschaft in BuH nicht vor Fehlverhalten in sozialen Medien gefeit ist. In dieser Konstellation fällt die Abwägung zwischen dem Recht auf die freie Meinungsäußerung und der Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit zulasten der Meinungsfreiheit aus.

Die generelle Frage der Zulässigkeit von Auftritten und Meinungsäußerungen von Richterinnen und Richtern in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien ist Gegenstand einiger Disziplinarverfahren in BuH. Maßgebend für den Umfang der öffentlichen Auftritte von Richterinnen und Richtern ist der Ethische Kodex von Richtern und Staatsanwälten (EK). So schreibt Artikel 2.4a des EK vor, dass „ein Richter seine Ansichten und Meinungen öffentlich äußern kann, um bestehende gesetzliche Regelungen und das Rechtssystem zu optimieren und um gesellschaftliche Diskurse zu kommentieren, wobei die Grundsätze der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Justiz stets zu berücksichtigen sind“.

Weitere Einschränkungen ergeben sich zudem aus Artikel 2.2.3e des EK, der es Richtern verbietet, öffentlich an „kontroversen politischen Diskussionen teilzunehmen“. Eine Ausnahme hiervon sollen „Angelegenheiten, die in direktem Zusammenhang mit der Arbeitsweise der Gerichte, der Unabhängigkeit der Justiz oder grundlegenden Aspekten der Verwaltung der Justiz“ stehen, darstellen. Der Kodex enthält auch ein „richterliches Kommentierungsverbot“. So heißt es in der Verschwiegenheitsregelung: „Ein Richter hat sich weder öffentlich noch privat zu einem Verfahren zu äußern, das er selbst verhandelt und über das er entscheidet, oder zu einem Verfahren, das er möglicherweise noch verhandeln könnte. Auch hat er sich nicht zu einem Verfahren eines anderen Richters in der Art zu äußern, dass hierdurch Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder der Eindruck unangemessener Einflussnahme entstehen könnten.“

Anlass für die disziplinarrechtlichen Verfahren gegen Richterinnen und Richter waren unmittelbare Kundgaben der persönlichen Meinung oder indirekte Meinungsäußerungen in sozialen Medien. In sämtlichen dieser Verfahren wurde den Betroffenen eine Verletzung der Grundsätze der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ihrer justiziellen Funktion zur Last gelegt. In einem Fall beispielsweise hat die Vorsitzende Richterin eines noch nicht abgeschlossenen Zivilverfahrens auf Facebook ein Selfie hochgeladen, versehen mit einem Kommentar, in dem sie ihre situative Zufriedenheit und ihr Wohlbefinden äußerte, während Sie in einem Restaurant saß. Es handelte sich aber hierbei nicht um ein beliebiges Restaurant, sondern um das Restaurant einer Verfahrenspartei, der Klägerpartei des Zivilverfahrens. Zum Abschluss des Verfahrens gab die Vorsitzende Richterin der Klage statt und entschied zu Gunsten ebenjenes Klägers, des Restaurantbetreibers. Gegen die Richterin wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, in dessen Folge sie eine Abmahnung erhielt, die veröffentlicht wurde.

Ein anderes derzeit noch laufendes Verfahren richtet sich zwar nicht gegen eine Richterin oder einen Richter, sondern gegen einen Staatsanwalt. In BuH haben Staatsanwälte jedoch den gleichen Status, wie er Richtern eingeräumt wird. In einem Post auf Facebook diskreditierte ein Nutzer die bosnische Justiz und äußerte sich negativ über die Zustände im Justizwesen. Der Staatsanwalt bewertete diese Äußerung des Nutzers mit einem Like. Der Verfahrensgegenstand verdeutlicht allerdings abermals in gleichem Maße, welchen Einschränkungen die Meinungsäußerungsfreiheit bestimmter Justizpersonen unterliegt. Das Verfahren gegen den Staatsanwalt wurde trotz der Ausnahmeregelung aus Artikel 2.2.3e der EK und der „Äußerung“ (soweit ein Like als solche überhaupt gewertet werden kann) zu „grundlegenden Aspekten der Verwaltung der Justiz“ eingeleitet. Angesichts der nunmehr vorherrschenden medialen Aufmerksamkeit für dieses Verfahren bleibt abzuwarten, ob das Disziplinarverfahren mit einer Sanktionierung des Staatsanwaltes seinen Abschluss findet oder eingestellt werden wird.

 

Moldau

Auch in der Republik Moldau (Moldau) ist es den richterlichen Würdenträgern dem Grunde nach gestattet, ihre Meinung zu äußern. Hier sind explizite Verhaltensregelungen für und spezielle Anforderungen an zulässiges Verhalten der Richterinnen und Richter in sozialen Medien, anders als in BuH, nicht erlassen oder aufgestellt worden. Für die Bewertung von Aussagen in sozialen Medien beziehungsweise deren Einordnung in einen Kontext gelten vielmehr allgemeine ethische Grundsätze sowie die Rechtsprechung des moldauischen Verfassungsgerichts (MVerfG).

Richtern in Moldau ist es gestattet, in anhängigen Verfahren gegen sie gerichtete verleumderische Aussagen öffentlich zu bestreiten.

Die Auslegung der nationalen Regelungen unterliegt in Fallkonstellationen in Bezug auf die richterliche Meinungsfreiheit der Rechtsprechung des EGMR. Darüber hinaus sieht der vom obersten Magistraturrat beschlossene Ethikkodex für Richter (Kodex) mehrere praxisrelevante Einschränkungen der richterlichen Meinungsfreiheit vor. Dem Richter ist es demgemäß verboten, geheime oder ihm beruflich anvertraute Informationen (erst recht nicht über die sozialen Medien) mitzuteilen oder zu kommentieren. Die Verschwiegenheitsklausel ähnelt hierbei der Regelung in BuH. Allerdings ist es den Richterinnen und Richtern in Moldau gestattet, in anhängigen Verfahren gegen sie gerichtete verleumderische Aussagen öffentlich zu bestreiten. Demnach ist eine öffentliche Äußerung des Richters zu ihn betreffenden Aussagen nur soweit zulässig, wie sie die Rechte der von der richterlichen Äußerung betroffenen Person nicht verletzt. Für als (rechts-)politisch sensibel einzustufende Aussageinhalte sieht der Kodex im Rahmen der richterlichen Meinungsfreiheit keine Einschränkungen vor. In diesem Zusammenhang wird nicht zwischen den Arten des Mediums – klassisches und soziales Medium – differenziert.

Das Gesetz über den Status des Richters sieht weitreichendere Anforderungen und Einschränkungen vor. Demnach sind Richter verpflichtet, Handlungen zu unterlassen, die die Justiz und die Würde eines Richters diskreditieren oder Zweifel an seiner Unbefangenheit aufkommen lassen könnten. So kann auch die Ausübung einer politischen Tätigkeit einen hinreichenden Anlass dafür darstellen, ein Disziplinarverfahren gegen den sich engagierenden Richter bzw. gegen die Richterin einzuleiten. Die Einschränkungsmöglichkeiten der Meinungsäußerungsfreiheit sind allerdings restriktiv auszulegen und anzuwenden, sofern die Vorschriften in Kollision mit der richterlichen Meinungsäußerungsfreiheit geraten. Den Richterinnen und Richtern soll grundsätzlich die Möglichkeit der Teilnahme am politischen Diskurs zugesprochen werden.

Negativbeurteilungen einiger Richter führten dazu, dass diesen die Dienstausübung untersagt wurde.

Diese Handhabe spiegelt sich auch in der Rechtswirklichkeit wider. In letzter Zeit wurden Richterinnen und Richter für Äußerungen in der Öffentlichkeit nahezu ausschließlich nicht disziplinarrechtlich belangt oder sanktioniert. Systemkritische Äußerungen wurden nicht unmittelbar genutzt, um Richterinnen und Richter aus ihren Ämtern zu entheben und sie auf diesem Wege aus ihrer systemrelevanten Position zu entfernen. Vielmehr wurden im Laufe der Zeit subtilere Sanktionsmechanismen erkennbar. Beispielsweise verschlechterten sich in einigen Fällen die Arbeitsbedingungen von als zu verfassungskritisch wahrgenommenen Richterinnen und Richtern. In Moldau wurde so versucht, die Akteure zur Räson zu bringen. Teilweise wurde der Versuch unternommen, durch schlechte dienstliche Beurteilungen die Kompetenz des Richters oder die Qualität seiner richterlichen Tätigkeit infrage zu stellen. In der Folge führten die Negativbeurteilungen einiger Richterinnen und Richter dazu, dass diesen die Dienstausübung untersagt wurde.

Für am Verfassungsgericht tätige Richterinnen und Richter wird bei der Bewertung und Einordnung von deren Äußerungen ein anderer Maßstab angelegt – unabhängig davon, ob es sich bei deren Äußerungen um ergänzende Erläuterungen der Entscheidungsgründe des Urteilsspruches handelt oder nicht. Die am höchsten Gericht beschäftigten Würdenträger sehen sich einer anderen medialen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Gleichwohl wird die erhöhte Präsenz in der Öffentlichkeit auch von diesen erwartet.

So hatte sich 2015 der ehemalige Vorsitzende des MVerfG im Rahmen eines Interviews zu mehreren verfassungsrechtlichen Themen geäußert, darunter auch zu den Bedingungen für die Auflösung des moldauischen Parlaments, zu einer möglichen verfassungsrechtlichen Reform sowie zu der seinerzeit in Moldau bestehenden Regierungsform. Einige Abgeordnete des moldauischen Parlaments haben diese Aussagen zum Anlass genommen, die richterliche Unabhängigkeit des damaligen Verfassungsrichters durch das MVerfG im Rahmen einer Beschwerde prüfen zu lassen.

Die Beschwerdeführer vertraten die Auffassung, dass öffentliche Äußerungen von Verfassungsrichtern zu verfassungsrechtlichen Reformbestrebungen aufgrund ihrer politischen Wirkung nicht von deren Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt seien. Das MVerfG folgte dieser Argumentation nicht und führte in seiner Begründung an, dass sich aus der Rechtsprechung des EGMR ableiten lässt, dass allein die Tatsache, dass eine verfassungsrechtlich relevante Äußerung auch politische Implikationen haben könnte, die freie Meinungsäußerung nicht verhindern beziehungsweise diese nicht ausschließen darf. Es sei nunmehr gar die Pflicht der Verfassungsrichter, nicht nur die Urteile des MVerfG der Öffentlichkeit zu erklären, sondern auch Bewertungen zum Verfassungs- und Rechtsschutzsystem abzugeben. Eine Entlassung aus dem richterlichen Amt infolge derartiger Aussagen wäre mithin unzulässig und würde die richterliche Unabhängigkeit erheblich gefährden. Der im Gegensatz zu den in BuH angelegten Maßstäben liberale Ansatz für die Äußerungsmöglichkeit trägt in diesem Fall eindeutig die Handschrift der Richterinnen und Richter aus Straßburg. Ob diese Gangart des MVerfG den Bestrebungen Moldaus zum Beitritt in die Europäische Union geschuldet ist oder nicht, wird sich wohl nicht vollständig beantworten lassen. Jedenfalls werden in Moldau ostentative Versuche, das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit als Instrument für die Begrenzung der richterlichen Meinungsäußerung zu nutzen, nicht angestellt.

 

Rumänien

Anders verhält es sich in Rumänien, wo es die richterliche Unabhängigkeit gebietet, kritische oder diffamierende Äußerungen über Organe der Legislative und Exekutive zu unterlassen, wie aus den Neuregelungen des unter der Regierung der Sozialdemokratin Viorica Dăncilă (2018 bis 2019) verabschiedeten Gesetzes hervorgeht. Ebenso wenig dürfen die Richterinnen und Richter in Rumänien die Entscheidungsgründe zu ihren Urteilen in den Medien näher erläutern. Die derzeitige Gesetzeslage sieht detaillierte Regelungen in Bezug auf die Freiheit und Grenzziehung der richterlichen Meinungsäußerung vor. So ist es den Richterinnen und Richtern nach dem rumänischen Gesetz über den richterlichen Status untersagt, eine Mitgliedschaft einer politischen Partei innezuhaben. Zudem dürfen sie sich ausdrücklich nicht an politischen Aktivitäten beteiligen.

Diese Beschränkungen bieten wenig Raum für eine Ausübung des Rechts auf Meinungsäußerung und dürften angesichts der erheblichen Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit in absehbarer Zeit (auch aufgrund des zunehmenden internationalen Drucks) abgeschafft werden. Weitere, bereits 2012 beschlossene Beschränkungen verstärken ebenfalls den Eindruck, dass von einer Meinungsäußerungsfreiheit für Richterinnen und Richter in Rumänien kaum mehr gesprochen werden kann. Die Durchführung öffentlicher (vor allem politisch motivierter) Aktivitäten in jeglicher Hinsicht ist untersagt. Es sind alle Äußerungen zu unterlassen, die dem beruflichen Ethos zuwiderlaufen oder das Ansehen der Justiz gefährden können. Des Amtes unwürdige Aussagen gegenüber anderen Justizmitarbeitern oder Vertretern anderer Institutionen während der Ausübung dienstlicher Pflichten werden ebenfalls nicht toleriert. Der weite Wortlaut der Regelung und nicht eindeutig abgrenzbare Verhaltensvorgaben führen zu einer großen Einschränkungsmöglichkeit und bieten ausreichend Spielraum für willkürliche Sanktionierungen von richterlichem Äußerungsverhalten.

Speziell für die Nutzungsmöglichkeit sozialer Medien und Netzwerke durch Richterinnen und Richter und deren Nutzungsverhalten sieht das rumänische Gesetz genaueste Regelungen vor. In einem Katalog an Regelungen wird in zwei Teilen zwischen den Gerichten und Spruchkörpern sowie den Richtern unterschieden. Im ersten Teil wird die allgemeine Kommunikationsstrategie der rumänischen Gerichte beschrieben. Im zweiten Teil des Kataloges wird die Reichweite der Ausübung der Meinungsfreiheit der Richter konkretisiert und umgrenzt. Demgemäß dürfen sich die Richterinnen und Richter in keiner Weise negativ über die berufliche und moralische Redlichkeit und Integrität ihrer Kolleginnen und Kollegen äußern. Ideen oder Ausrichtungen, die auf eine Verbindung zu einer Partei oder zu parteilichen Strukturen schließen lassen könnten, dürfen in sozialen Medien nicht geäußert werden. Auch ist es den Richterinnen und Richtern untersagt, Kampagnen, Seiten und Beiträge von Aktivisten oder Gruppierungen zu unterstützen, zu bewerben oder Bewertungen in jeglicher Form vorzunehmen, wenn dies das Ansehen der Justiz beeinträchtigen könnte. Auch in diesem Gesetz finden sich bei all den konkreten Handlungsvorgaben und -auflagen ebenfalls weite und unbestimmte Formulierungen, die willkürfreie Bewertungen von Äußerungen kaum sicherstellen können.

Die Lösungsansätze der rumänischen Justizinspektion entsprechen nur selten internationalen Standards.

Es wird versucht, die erwähnten Begrenzungen der Meinungsäußerungsfreiheit zum Teil dadurch auszugleichen, dass es Richterinnen und Richtern erlaubt sein soll, die allgemein anerkannten Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern und zu schützen. Wie weit ihnen dies tatsächlich zugesprochen wird, wird nicht deutlich. Gestattet und akzeptiert wird ein solch förderndes Verhalten nur dann, wenn die richterliche Meinung auf eine gebührend wissenschaftliche, dem akademischen Grad entsprechend begründete Weise zum Ausdruck gebracht wird. Im gleichen Atemzug wird den Richterinnen und Richtern dann allerdings nahegelegt, diese Kritik vor allem im Rahmen eines institutionellen Dialogs zu äußern. Eine gesellschaftspolitische Polarisierung der Ansichten soll hierbei zu jeder Zeit vermieden werden.

Es ist die Aufgabe der rumänischen Justizinspektion, die Beschränkungen mit den gesetzlich gewährten Freiheiten in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. Die Lösungsansätze der Inspektion entsprechen allerdings nur selten internationalen Standards. Deutlich wird dies auch daran, dass derzeit mehrere gegen systemkritische Richter eingeleitete Verfahren vor dem EuGH anhängig sind.

Im vergangenen Jahr erst hatte der EGMR im Falle „Kövesi gegen Rumänien“ bestätigt, dass die Entlassung der Leiterin der Antikorruptionsbehörde der Staatsanwaltschaft (DNA) aufgrund ihrer gegen die systemische Korruption gerichteten und öffentlich getätigten Aussagen erfolgte. Der EGMR stufte diesen Vorgang als Verstoß gegen die Freiheit der Meinungsäußerung (Artikel 10 Europäische Menschenrechtskonvention) ein. Kürzlich leitete die rumänische Justizinspektion Disziplinarverfahren gegen acht Richterinnen und Richter wegen teils kritischer Diskussionsbeiträge über den Stand der rumänischen Justiz innerhalb einer nicht öffentlichen Facebook-Gruppe ein. Sie begründete dies damit, dass dadurch die Integrität der Justiz beeinträchtigt würde. Drei der Richterinnen und Richter droht nun eine Suspendierung. In welchem Maße das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit in Rumänien zur Disziplinierung der Richter zum Einsatz kommt, dürfte deutlich geworden sein. Unterschwellige Sanktionierungen, wie sie in Moldau durchaus gängige Praxis sind, bleiben in Rumänien die Ausnahme.

 

Fazit

Ein Blick auf die unterschiedlichen Entwicklungen und Rechtsprechungen in Mittel- und Südosteuropa zeigt, dass das Schutzniveau der richterlichen Meinungsäußerungsfreiheit (ungeachtet deren Schutzwürdigkeit) derzeit noch erheblich unterschiedlich weit ausgeprägt ist. Der EGMR trägt vermehrt der Rolle des Richters Rechnung und gesteht – dessen Berufsethos entsprechend – im Gesamtkontext weitreichendere Äußerungsbefugnisse zu. Anhand der Situation in ausgewählten Ländern Südosteuropas wird allerdings deutlich, welchen Angriffen sich die richterliche Meinungsäußerungsfreiheit immer noch und trotz hinreichender Grenzziehungen, beispielsweise durch die Bangalore Principles of Judicial Conduct, ausgesetzt sieht. So wird in manchen Ländern im südöstlichen Europa diese Freiheit der Richterinnen und Richter durch gesetzliche Berufskodizes determiniert und bis hin zu ausdrücklich geregelten Kommentierungsverboten begrenzt. Die richterliche Unabhängigkeit wird teilweise als Instrumentarium zur Unterdrückung bestimmter Meinungen eingesetzt. Vereinzelt nutzen dies Regierungen, um die Grenze des kritischen öffentlichen Denkens enger zu ziehen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechungen angesichts der zunehmenden Bedeutung und der verstärkten Nutzung sozialer Medien auch durch Angehörige der Justiz entwickeln. Ob die rasante Verbreitung und die großen Reichweiten des gesprochenen Wortes in den Medien eine gesonderte Berücksichtigung finden werden oder ob eine zunehmende Disziplinierung der Richterinnen und Richter im Hinblick auf ihre Möglichkeit der Meinungsäußerung zu beobachten sein wird, das werden die nächsten Jahre zeigen. Den Betroffenen per se das Wort im öffentlichen Diskurs zu entziehen, wird nicht möglich sein. Dies ist auch angesichts des hohen Gutes der Freiheit der Meinungsäußerung, welches zweifelsfrei in einem Spannungsfeld mit der richterlichen Pflicht als Staatsdiener und dessen inkorporierter Unparteilichkeit und Unabhängigkeit steht, nicht wünschenswert. So lassen sich in der modernen digitalisierten Welt ausreichend Wege und Mittel finden, um dem eigenen gesprochenen Gedanken Ausdruck zu verleihen. Kontrollen und Bewertungen der Aussagen werden hierbei immer nur aus der Retrospektive möglich sein. In jedem Fall bedarf es bei jeder Beurteilung einer individuellen Betrachtung des Einzelfalles und einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem besonders schutzwürdigen Gut der Meinungsfreiheit und der hinreichenden Sicherung der richterlichen Unparteilichkeit und Funktionalität der Justiz. Eine besonders spürbare Härte und Entschlossenheit sind in einigen Ländern allerdings in den Fällen auszumachen, in denen die Äußerungen eine Kritik der systemischen Zustände darstellen. Ob eine Begrenzung in Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes für Menschenrechte durch Kodifizierung eines beruflichen Ethos erfolgen wird oder die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ausreichend sind, um hinreichende Rechtssicherheit und hinreichenden rechtlichen Schutz für Richterinnen und Richter zu schaffen, bleibt abzuwarten.

 


 

Ferdinand A. Gehringer ist Koordinator für die internationalen Rechtsstaatsprogramme der Konrad-Adenauer-Stiftung.


 

Hartmut Rank, LL.M., MBA war Leiter des Rechtsstaatsprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bukarest, Rumänien. Mittlerweile ist er Leiter des Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika mit Sitz in Bogotá, Kolumbien.


 

Dr. Mahir Muharemović ist Projektkoordinator des Rechtsstaatsprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.


 

Stanislav Splavnic ist Projektkoordinator des Rechtsstaatsprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.


 

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