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Karl-Michael Constien

Auslandsinformationen

Editorial

Auslandsinformationen 3/2020

Vor 75 Jahren wurde in San Francisco die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet. Damit wurde der Grundstein für eine neue internationale Ordnung gelegt, die auf dem Ideal institutionalisierter Zusammenarbeit beruht. Kooperation statt Konfrontation – das war die Lehre, die man aus den Katastrophen zweier Weltkriege zog. Wie aber steht es um die internationale Zusammenarbeit heute? Was ist dran an all den Abgesängen, an all den Stimmen, die das Ende der multilateralen Weltordnung heraufbeschwören? Und warum lohnt es sich, trotz aller Schwierigkeiten (und auch Schwächen) weiter für eben dieses Politikmodell einzutreten?

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Ob Sicherheit, Handel, Gesundheit, Migration oder Klimawandel – all diese Herausforderungen sind ihrem Wesen nach global und lassen sich nicht durch nationale Alleingänge lösen. Vielmehr braucht es dafür internationale Zusammenschlüsse, es braucht Foren des Dialogs und Orte zur Setzung und Durchsetzung gemeinsamer Regeln, wie Peter Fischer-Bollin verdeutlicht. Dabei durchläuft die globale Ordnung derzeit einen tiefgreifenden Wandel, der den regelbasierten Multilateralismus unter Druck setzt. Es lassen sich vor allem drei Trends beobachten, so Laura Philipps und Daniela Braun: eine wachsende Konkurrenz der Großmächte, eine zunehmende Deglobalisierung sowie neue, informelle Formen der internationalen Zusammenarbeit.

In diesem Umfeld bleiben altbewährte Foren des multinationalen Austausches wichtig. Das 75-jährige Bestehen der Vereinten Nationen ist jedoch ein Anlass, um auch über strukturelle Defizite und über mögliche Reformansätze nachzudenken. Es ist nicht zuletzt die zunehmende Konfrontation zwischen USA und China, die zu einer „Paralyse der VN-Diplomatie“ führt, wie Andrea Ostheimer schreibt. Auch die Bilanz einer anderen multinationalen Allianz ist durchwachsen. Gegenwärtig muss die NATO eine Reihe von elementaren Herausforderungen meistern. Dazu zählt, dass grundlegende Prinzipien des Bündnisses zunehmend infrage gestellt werden, wie Philipp Dienstbier verdeutlicht. Die Europäer müssen sich daher stärker einbringen und dabei die eigenen Verteidigungsausgaben anheben.

Neben westlich und europäisch geprägten Formen des Multilateralismus existieren regionale Zusammenschlüsse. Wie viel Wert dem Prinzip multilateraler Kooperation beigemessen wird, ist jedoch sehr unterschiedlich. Im Nahen Osten und Nordafrika hat sich der Multilateralismus bislang nicht als prägendes Ordnungsmodell durchsetzen können, analysieren Michael Bauer und Edmund Ratka. Dabei ist das Potenzial insbesondere für subregionale Kooperationen in bestimmten Themenfeldern – wie in Wirtschafts- und Energiefragen – durchaus vorhanden. In Lateinamerika hingegen hat multilaterale Zusammenarbeit eine lange Tradition. Wie sehr man auf sie setzt, divergiert jedoch von Land zu Land. Aufgrund innenpolitischer Konjunkturen und Partikularinteressen sind die lateinamerikanischen Bündnisse häufig brüchig und von nicht allzu langer Dauer, argumentieren Winfried Weck und Teresa Marten. In Asien wiederum finden wir mit ASEAN einen erfolgreichen Zusammenschluss auf regionaler Ebene. Die zunehmende Einflussnahme Chinas wird jedoch zu einer Bedrohung für den Verbund, wie Daniel Schmücking und Christian Echle herausarbeiten.

Es zeigt sich: Autoritäre Regime haben längst gelernt, wie sie multilaterale Organisationen für die Durchsetzung eigener Interessen nutzen können. Die Plattformen sind dadurch zu Arenen der Systemkonkurrenz geworden, wie Olaf Wientzek und Sebastian Enskat beschreiben. Um der Zersetzung multilateraler Foren etwas entgegenzusetzen, müssen der Westen und gerade die EU attraktive Angebote der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit machen. Unterschiedliche politische Ordnungsvorstellungen und Ambitionen treffen aktuell auch vermehrt im Internet aufeinander. Angesichts wachsender Einschränkungen des digitalen Raums durch autoritäre Staaten müssen globale Anstrengungen unterstützt werden, die den offenen Ursprungscharakter des Netzes wahren und gleichzeitig der Einschränkung von Grundrechten entgegenwirken, schreibt Christina Bellmann.

Die Herausforderungen, vor denen die multilaterale Ordnung steht, sind zweifelsohne groß. Für Abgesänge gibt es jedoch keinen Grund. Gerade vor dem Hintergrund autoritärer Bestrebungen sollte es darum gehen, die regelbasierte Ordnung selbstbewusst zu verteidigen: Weltfrieden und internationale Sicherheit wahren, Gleichberechtigung der Völker fördern, Menschenrechte schützen und internationale Zusammenarbeit fördern. Die Gedanken, die vor 75 Jahren zur Gründung der VN führten, sind längst nicht überholt.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Euro­päische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

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