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Carlos Jasso, Reuters (Bildmontage)

Auslandsinformationen

Editorial

Machtverschiebungen sind ein grundlegendes Phänomen in der internationalen Politik. „So wie Bauern und Meteorologen versuchen, Stürme vorherzusagen“, schrieb der US-amerikanische Politikwissenschaftler Joseph S. Nye im Jahr 1990 unter dem Eindruck der endgültigen Auflösung der bipolaren Weltordnung, „versuchen Staatenlenker und Analysten, die Dynamik hinter den großen Machtverschiebungen zwischen den Nationen zu verstehen.“

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Auch heute befindet sich die Welt wieder in einer Umbruchphase. Die Coronapandemie hat geopolitische Entwicklungen akzentuiert und beschleunigt, die bereits seit Längerem zu beobachten sind und mit einem fundamentalen Wandel der internationalen Ordnung einhergehen. Der Aufstieg der Volksrepublik China zur Großmacht ist vielleicht der sichtbarste, aber nicht der einzige Ausdruck dieser Veränderungen. Mehr als einem unvermittelt auftretenden Sturm gleichen diese Entwicklungen den langsamen tektonischen Verschiebungen der Erdkruste – und diese Verschiebungen erzeugen Spannungen.

Was aber bedeutet das für Deutschland? Und welche außenpolitischen Weichenstellungen muss die Europäische Union vornehmen, um den Entwicklungen nicht ausgeliefert zu sein, sondern diese aktiv zu gestalten? Klar ist: Europa muss international mehr Verantwortung übernehmen – und Deutschland muss dafür einen stärkeren Beitrag leisten als bislang. Mehr Engagement und Eigenständigkeit bedeuten allerdings nicht, dass die Allianz mit den USA an Bedeutung verlieren würde. Nur in einem engen Bündnis mit den Vereinigten Staaten werden Deutschland und Europa ihre Interessen erfolgreich vertreten können. Die Chancen, die sich aus der Wahl Joe Bidens zum Präsidenten der USA ergeben, müssen daher entschlossen ergriffen werden, fordert Peter Beyer, Bundestagsabgeordneter und Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung.

Viel wird derzeit über das außenpolitische Selbstverständnis der EU diskutiert. Diese Diskussionen sind wichtig. Nur wer ein klares Bild von seinen Ambitionen und Zielen hat, wird sich in der sich wandelnden Weltordnung behaupten können. Die EU muss dabei den Anspruch haben, die globale Ordnung maßgeblich mitzugestalten, meinen Hardy Ostry und Ludger Bruckwilder. Der Einsatz für ein internationales System, das auf multilateraler Kooperation und verbindlichen Regeln beruht, ist auch deshalb notwendig, weil diese Prinzipien von verschiedenen Seiten unter Druck geraten, wie Christoph Heusgen, Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen, in einem Interview in dieser Ausgabe der Auslandsinformationen verdeutlicht.

Eine Region, in der sich geopolitische Rivalitäten und Machtverschiebungen in besonders augenfälliger Weise manifestieren, ist der Indopazifik. China baut dort seinen Einfluss aus – und fordert so die USA und die regelbasierte Ordnung in der Region heraus. Vor diesem Hintergrund analysieren Isabel Weininger und Lewe Paul die deutsche und europäische Indopazifikpolitik und zeigen konkrete Schritte auf, mit denen die sicherheitspolitische Kooperation mit wichtigen Partnerstaaten intensiviert werden kann. Beatrice Gorawantschy und Barbara Völkl wiederum werfen einen detaillierten Blick auf die Stellung Australiens in der Region. Dabei erläutern sie, wie sich das Land strategisch klug als „kreative Regionalmacht“ positioniert.

Während die Welt noch mit den unmittelbaren Folgen der Coronapandemie ringt, wird deren Bedeutung für eine mögliche Machtverschiebung auf dem Gebiet der politischen Ordnungsmodelle immer klarer. Anna Lena Sabroso-Wasserfall und Tom Bayes zeigen in ihrem Beitrag, wie China in Afrika versucht, seine Lesart der Krise zu verbreiten. Dabei stellt sich das Land als großzügiger Unterstützer afrikanischer Staaten und entschlossener Krisenmanager dar, dessen Erfolge in der Pandemiebekämpfung die Überlegenheit des eigenen politischen Systems gegenüber liberalen Demokratien illustrierten. Und wenn die Kommunistische Partei Chinas unter lateinamerikanischen Parteien um „Freunde“ wirbt, so machen Sebastian Grundberger und Juan Pablo Cardenal in ihrem Beitrag deutlich, dann verkauft sie auch hier ihr autoritäres Entwicklungsmodell immer offensiver als vermeintlich überlegene Alternative zur Demokratie.

Ein machtpolitischer Schlüsselakteur im Nahen Osten ist die Türkei. Verfolgt Präsident Erdoğan eine revisionistische, „neo-osmanische“ Außenpolitik, wie manche Beobachter meinen? Walter Glos und Nils Lange widersprechen dieser Auffassung und dämpfen gleichzeitig die Erwartungen derjenigen, die in einer Türkei nach Erdoğan einen deutlich unkomplizierteren Partner für den Westen sehen.

Im Ringen um Einfluss spielen klassische Machtressourcen wie militärische Stärke und Wirtschaftskraft eine zentrale Rolle. Daneben jedoch gewinnen Fähigkeiten im digitalen Raum an Bedeutung. Hackerangriffe, Cyberspionage, gezielte Einflussnahme durch Fake News – der digitale Machtkampf wird mit unterschiedlichen Mitteln ausgetragen. Durch den vergleichsweise niedrigschwelligen Zugang können dabei Staaten international an Einfluss gewinnen, die bislang nicht als globale Akteure galten, schreiben Christina Stolte und Jason Chumtong.

Zeiten globaler Machtverschiebungen sind Zeiten erhöhter Spannung. Sie erzeugen Risse in der internationalen Ordnung und bergen Konfliktpotenzial. In diesem Umfeld müssen sich auch Deutschland und Europa neu behaupten. Denn eins ist klar: Unsere Stellung in der Welt ist längst nicht mehr garantiert, vielmehr müssen wir sie aktiv verteidigen. Das gilt für unsere Werte genauso wie für unsere wirtschaftlichen und politischen Interessen. Dabei müssen wir immer wieder unterstreichen, wofür wir stehen und einstehen: für eine multilaterale und liberale Weltordnung.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Euro­päische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

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