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U.S. Air Force, ZUMA Press, picture alliance.

Auslandsinformationen

Editorial

Der deutsche Kartograf August Petermann war im 19. Jahrhundert einer der Großen seines Fachs, geehrt nicht zuletzt mit der höchsten Auszeichnung der Londoner Royal Geographical Society. August Petermann war sich sicher: Dank des Golfstroms gibt es einen eisfreien Zugang zum Nordpol. Und so stand auch der von ihm initiierte erste deutsche Kartografentag 1865 unter dem Motto: „Die Veranstaltung einer Deutschen Nordfahrt“. Erst mehrere gescheiterte Expeditionen und Dutzende Tote später war Petermanns Theorie vom Tisch.

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Gut 150 Jahre danach ist die Perspektive eines eisfreien Nordpols durch den Klimawandel aus dem Reich der Fantasie in den Bereich des Möglichen gerückt – mit weitreichenden Implikationen für die gesamte Arktisregion, die nun als möglicher Konfliktherd Eingang in die sicherheitspolitische Debatte gefunden hat. Der „Kampf um den Nordpol“ ist in aller Munde, so Michael Däumer in dieser Ausgabe der Auslandsinformationen.

Doch was bedeutet das genau? Droht ein womöglich mit Waffen ausgetragener Wettlauf der Großmächte um bisher unzugängliche Ressourcen, die nun demjenigen zur Ausbeutung offenstehen, der am schnellsten seine Flagge platziert? Wird es Konflikte um neue Seewege geben, die durch kürzere Distanzen den bisherigen internationalen Handelsrouten den Rang ablaufen?

Dass das Spannungspotenzial im hohen Norden zugenommen hat, steht außer Zweifel. Dennoch lohnt es sich, die Fakten und Wirkungszusammenhänge sowie die Interessen der beteiligten Akteure genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn schnell zeigt sich: Die Realität in der Arktis weist deutlich mehr Graustufen auf als so manches medial verbreitete Extremszenario.

Die Vorstellung etwa, die Region beherberge gigantische Mengen an Rohstoffen, die unweigerlich zu widerstreitenden Ansprüchen führen, relativiert Arild Moe in seinem Beitrag gleich in zweifacher Hinsicht: Erstens dürfte der Umfang der Ressourcen, die sich zu wirtschaftlich lohnenden Bedingungen fördern lassen, deutlich geringer sein als vielfach erwartet. Zweitens liegt ein Großteil der Vorkommen, deren Nutzung machbar erscheint, in Gebieten, die schon heute klar einem bestimmten Staat zugeteilt sind.

Das bedeutet nicht, dass es um diese Ressourcen keine Konflikte geben kann. Zusätzlich zu den Arktisanrainern drängt, wie David Merkle beschreibt, auch der selbsternannte „Fast-Arktisstaat“ China in die Region, investiert in Infrastruktur und Rohstoffprojekte und gerät dabei teils in Konkurrenz zu westlichen Firmen und den Interessen der einheimischen Bevölkerung. Der Fortbestand solcher beherrschbaren Interessenkonflikte scheint auf absehbare Zeit aber ein plausibleres Szenario zu sein als ein großangelegter zwischenstaatlicher Kampf um Hoheitsansprüche.

Auch hinsichtlich der Seewege zwischen Atlantik und Pazifik, die wegen der rückläufigen Eisbedeckung künftig entstehen oder längere Zeit im Jahr nutzbar sein dürften, ist ein nüchterner Blick anzuraten. Die Transpolare Route über die Nordpolregion: heute und in näherer Zukunft aus Sicherheitsgründen „keine realistische Option“, so Moe. Die Nordwestpassage durch den kanadischen Archipel: bislang von der dortigen Regierung nicht als Handelsroute ausgebaut. Die Nordostpassage entlang der russischen Nordküste: zwar in Betrieb, aufgrund immer restriktiverer Auflagen und weiterbestehender logistischer Tücken aber nicht in dem Umfang wie in der Vergangenheit vermutet und nicht zuletzt in Moskau erhofft.

Eine verstärkte Nutzung aller oder einzelner arktischer Seewege in der Zukunft ist indes nicht auszuschließen und birgt dadurch Konfliktpotenzial, dass der rechtliche Status insbesondere der Nordwest- und Nordostpassage strittig ist, wobei eine durchaus ungewohnte Lagerbildung zu verzeichnen ist: Während Kanada und Russland die Auffassung vertreten, dass die jeweils an ihrer Landmasse entlanglaufenden Routen durch nationale Binnengewässer führen, betrachten die USA, die EU und auch China die Passagen als internationale Seestraßen.

Ganz allgemein gilt es, die Arktis als Region zu verstehen, auf die einerseits externe Faktoren einwirken, die aber auch ihrerseits nach außen wirkt. Beispiel Klimawandel: Antje Boetius erläutert, dass der globale Trend der Klimaerwärmung in der nördlichen Polarregion besonders deutlich abzulesen ist – mit Temperaturen, die drei- bis viermal schneller steigen als im weltweiten Mittel. Hierdurch entstehende Veränderungen der arktischen Windströme wiederum können Extremwetterlagen auch in viel südlicheren Breiten verursachen.

Beispiel Sicherheitspolitik: Einerseits wirkt sich die arktische Eisschmelze, wie Thomas Kunze und Leonardo Salvador darstellen, auf die Bedrohungswahrnehmung eines Staates wie Russland aus, der de facto eine neue physische Nordgrenze bekommt. Andererseits ist die vielbeklagte Remilitarisierung der nördlichen Polarregion auch die Folge einer Entwicklung, die mit der Arktis zunächst einmal wenig zu tun hat: Die Konfrontation zwischen den westlichen Staaten und Russland sowie zunehmend auch China wird auch in die strategisch wichtige Arktisregion hineingetragen. Vor diesem Hintergrund beleuchten Norbert Eschborn sowie Gabriele Baumann und Julian Tucker die Arktispolitiken Kanadas und der USA beziehungsweise der Nordischen Länder. Knut Abraham wiederum analysiert die deutsche Politik im hohen Norden und plädiert für eine deutliche Stärkung der sicherheitspolitischen Komponente.

Ob die Arktis heute der „wichtigste geostrategische Ort auf der Welt“ ist, wie es der kanadische Geschäftsmann Frank Giustra vor wenigen Jahren während der Arctic Circle Assembly behauptete, sei dahingestellt. Fest steht, dass die Bedeutung der Region zugenommen hat und eine differenzierte Beschäftigung mit ihr notwendig ist. Hierzu soll dieses Heft einen Beitrag leisten.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

 

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