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Frankreich vor den Wahlen

Ségolène Royal wird Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten und die UMP stellt ihr Programm für die Parlamentswahlen vor

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Am vergangenen Donnerstag wurde Ségolène Royal als erste Frau in der Geschichte der französischen Sozialisten zur Präsidentschaftskandidatin gewählt. Mit einer überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung von 82% wurde die ehemalige Umwelt-, Schul- und Bildungsministerin und jetzige Präsidentin der Region Poitou-Charentes mit 61% der Stimmen der Parteimitglieder der PS zur Kandidatin gekürt; die sozialistischen „Elephanten“, der ehemalige Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn und Ex-Premier Laurent Fabius hatten mit jeweils 20% bzw. 18% das Nachsehen.

Das Wahlergebnis, das nach den TV-Debatten der drei Kandidaten im sozialistischen Lager in dieser Eindeutigkeit nicht zu erwarten war – Ségolène Royal hatte dabei große argumentative Defizite und sachliche Schwächen gezeigt – kam einer Revolution gleich.

Dabei stellt sich die Frage: Wie ist das Phänomen Royal zu erklären, welche Faktoren tragen zu ihrer Populariät bei? Ist es die Tatsache, dass sie eine Frau ist, ihre jugendliche Frische, die sie ausstrahlt, ihre Medienwirksamkeit, das Neue, mit dem sie die verkrusteten Strukturen der französischen Sozialisten aufbrechen will, ihre teilweise naiven populistischen Ideen?

Ségolène Royal, die trotz ihrer Ministerposten nie eine führende Rolle in der Politik gespielt hat, und die sich – trotz aller Kritik aus den eigenen Reihen - vor einem Jahr selbst zur Kandidatin erklärt hat, ist es gelungen, die erbitterten Gegner zu schlagen.

Einerseits hat sie sich von bestimmten Kernaussagen der Sozialisten befreit – beispielsweise ihre Kritik an der 35-Stunden Woche und ihre Aussagen zum Strafvollzug (Behandlung straffälliger Jugendlicher in militärisch geführten Umerziehungslagern).

Andererseits ist ihre größte Stärke die umfassende Öffentlichkeitsarbeit ihrer Berater; ihre mediale Omnipräsenz der letzten Monate steht dem Politprofi und möglichen zukünftigen Konkurrenten aus der UMP, Parteichef Nicolas Sarkozy, in nichts nach.

Gewählt wurde sie vor allem von den jüngeren Parteimitgliedern und denjenigen, die erst wegen Ségolène Royal in die Partei eingetreten sind.

Doch trotz ihrer unermüdlichen Eigenwerbungskampagnen, die sie auch im französischen Polit-Sommerloch vor Bikinfotos nicht zurückschrecken ließ und trotz ihres aktuellen Triumphs bleibt so Manchem im verborgenen, für was sie wirklich steht.

Einerseits greift sie die traditionellen Positionen der eigenen Partei an, andererseits stellt sie sich hinter das von den Sozialisten bereits im Juli verabschiedete Programm für die Parlamentswahlen. Ihr Schlagwort der „partizipativen Demokratie“ bleibt undefiniert, sich als Vorkämpferin für Bürgerbeteiligung und Disziplin zu postulieren, genügt nicht. Ihre Strategie, fast wöchentlich mit neuen Schlagworten und Themen - die gleichermaßen populistisch und revolutionär sind (jüngstes Beispiel der Vorschlag der „Bürgerkomitees“, die künftig das Parlament kontrollieren sollen), jeglicher inhaltlicher Präzision entbehren und teilweise von den Beratern relativiert und zurückgezogen werden - die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit an sich zu ziehen, kann nur von kurzfristigem Erfolg sein.

Ihre außenpolitischen Positionen – die Domäne des französischen Staatspräsidenten - bleiben vage, um nicht zu sagen inhaltsleer (Bsp.: zum EU-Beitritt Türkei sagte Madame Royal, „man müsse das Volk dazu befragen“, ebenso inhaltliche Schwächen zur Thematik der Atomaufrüstung Irans und im Nahostkonflikt). Die Thematik Europa und die EU-Verfassung nach einem Wahlsieg gänzlich neu diskutieren zu wollen – so, als hätte es die Arbeit des Verfassungskonvents nie gegeben – lassen an politischer Seriosität zweifeln.

Aber all das ließ die Parteimitglieder in der vergangenen Woche unberührt, diese haben kein Programm gewählt, sondern sich zur Wahl der aussichtsreichsten Kandidatin für den Präsidentschaftswahlkampf entschlossen. Ob dies auch die gesamte sozialistische Wählerschaft überzeugen kann, ist eine andere Frage.

„N’ayons pas peur des idées neuves“ (Habt keine Angst vor neuen Ideen) . „Je veux non seulement incarner ce changement profond, mais le construire avec tous“ (Ich will den Wandel nicht nur verkörpern, sondern ihn auch gestalten) – mit diesen Sätzen leitete Ségolène Royal ihre erste Rede als frisch gekürte Präsidentschaftskandidatin ein und macht damit der von Nicolas Sarkozy geforderten „rupture“ Konkurrenz.

Ihr Triumph ist bislang nur ein Etappensieg, sie ist nunmehr gezwungen, ihre „neuen Ideen“ außerhalb von Plattitüden zu konkretisieren, sich ein Profil zu verschaffen und ein Programm zu verkörpern. Dabei muß sie die schwierige Gratwanderung zwischen den Positionen der „soziologischen Linken“, dem eher volksverbundenen Wählerkreis, der hinsichtlich einiger Themen zunehmend konservativ wird (Sicherheit, Einwanderung, Erziehung, Justizwesen) und der „ideologischen Linken“ ausbalancieren. Um im zweiten Wahlgang letztlich gewählt zu werden, braucht Royal auch die Stimmen der Grünen, der Kommunisten und der Trotzkisten. Ihre größte Herausforderung wird zunächst sein, die Partei zu einen.

Was Royal noch vor sich hat, ihr Profil zu schärfen, ihre politisch diffusen Ideen in Einklang zu bringen und die „großen thematischen Debatten“ anzustoßen, ist Nicolas Sarkozy, dem Präsidenten der UMP und potentiellen Präsidentschaftskandidaten der französischen Konservativen bereits gelungen.

Am selben Tag, an dem die PS ihre Präsidentschaftskandidatin kürte, hat die UMP auf dem sog. „Conseil National“ der Partei, der Versammlung der ca. 2400 Führungskader der Partei, das Wahlprogramm für die Parlamentswahlen 2007 der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das Projekt der UMP für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr ist die Synthese der Ergebnisse von insgesamt 18 thematischen Parteikongressen (zu den Bereichen pol. Institutionen, Justiz, Immigration, Europa, Bildung, Wirtschaft, Kultur, Umwelt, Gesundheit, um nur einige zu nennen), auf dem insgesamt 130 Parlamentarier auftraten, 750 Experten beteiligt waren und rund 22.000 Teilnehmer registriert wurden. Hinzu kam die Analyse der Wählererwartungen durch Beratungsunternehmen und die Einführung der Mitgliederkonsultation per Internet. Das Projekt steht für klar definierte Ziele, ist inhaltsreich formuliert, thematisch stringent auf der Basis einer demokratischen und transparenten Methode aufgebaut. Die professionelle Leitung der Projektkommission oblag dem ehemaligen Bildungsminister Francois Fillon, einem der engsten politischen Berater von Nicolas Sarkozy.

Ziel sei es, auf der Basis dieses Wahlprogramm „eine intensive Grundsatzdebatte zu ermöglichen, das Wechselwahlverhalten zu bremsen und einen zweiten 21. April 2002 zu verhindern , den Veränderungen der französischen Gesellschaft Rechnung zu tragen und klare Regierungslinien zu definieren.“ Das Projekt baut auf Werten auf - „Verdienste, Gerechtigkeit, Verantwortung, Respekt und Vertrauen“ - und konzentriert sich auf folgende Themenbereiche:

Frankreich der Herausforderung der Globalisierung zu stellen (Bsp.:„ausgewählte Immigration“, Festsetzung einer jährlichen Einwanderungsobergrenze); Europa wieder zu entdecken, um es voranzubringen (Bsp.: Jugend neu an Europa heranführen, Thema Erweiterung: „strategische Partnerschaft für die Türkei“); Schaffung eines funktionsfähigen Staatsapparates (Begrenzung der Amtszeit des Staatspräsidenten auf zwei Mandate, Reduzierung der Anzahl der Ministerien auf 15 (statt derzeit 31), Schaffung zweier neuer Ministerien, um den neuen Herausforderungen begegnen zu können – Ministerium für Immigration und Integration sowie Umwelt und Energie - sowie Erhöhung der Kontroll- und Kompetenzfunktion des Parlaments; Aufruf zu einer ökologischen Revolution; Chancengleichheit (Justizreform); Arbeitsmarktreform (Schaffung eines neuen, flexibleren Modells des unbefristeten Arbeitsvertrages, Fusion der Arbeitsvermittlungseinrichtung ANPE und der Arbeitslosengeldzahlstelle UNEDIC, Förderung klein- und mittelständischer Unternehmen); Erziehung und Ausbildung als zentrale Aufgabe, Schulreform, Abschaffung der „carte scolaire“, der Schulbezirke, Reduzierung der Klassenstärke in schwierigen Einzugsgebieten ; Reform des französischen Hochschulsystems, um nur einige wichtige Aspekte herauszugreifen.

Sarkozy hat Royal mehrerlei voraus, er hat ein klares Profil, seine Partei ein ambitioniertes Programm und er ist ihr bei weitem inhaltlich überlegen – nicht nur auf dem Terrain der Außen- und Europapolitik. Aber Royal hat den entscheidenden Vorteil, dass sie in den eigenen Reihen bereits zur Kandidatin gekürt wurde.

Dies steht Sarkozy am 14. Januar noch bevor, an dem Tag, an dem die UMP eine Mitgliederabstimmung zur „Unterstützung“ des Kandidaten durchführt. Wird es Sarkozy bis dahin gelingen, die innerparteilichen Kontrahenten – den eher chancenlosen Premier de Villepin (der allerdings gerade gestern in einem Interview in France 5 konstatierte, „dass man noch nicht am Ende der politischen Debatte angelangt sei, was den möglichen Kandidaten aus seiner politischen Familie betrifft“) und die ambitionierte Verteidigungsministerin Alliot-Marie – gänzlich auszuschalten? Welche Absichten hegt Staatspräsident Chirac, wenn er sich in verschiedenen Reden und Interviews seine Entscheidung für das erste Trimester 2007 vorbehält und seine Gattin erst in der letzten Woche das Gerücht einer weiteren Kandidatur kolpotierte – will Chirac tatsächlich noch einmal kandidieren oder gar aus den eigenen Reihen jemanden nominieren?

Während es Sarkozy auf der Sommeruniversität der UMP in Marseille im September noch gelungen ist, die Einheit der Partei zumindest nach außen zu demonstrieren, ließen sich die innerparteilichen Differenzen auf dem Partei-Führungskongress in der vergangenen Woche nach einem heftigen Wortwechsel zwischen Sarkozy und Michele Aliot-Marie nicht mehr kaschieren; letztere hatte den Parteipräsidenten auf dem „Conseil National“ öffentlich bezgl. seines Konzepts der „dicrimination positive“ und seiner Vorgehensweise gegenüber jugendlichen Straftätern scharf kritisiert und darauf hingewiesen, „dass der Staatspräsident nicht ein Präsident des rechten oder linken Lagers sei, kein Präsident einer Partei, sondern ein Präsident des ganzen Volkes sein solle“.

Die ursprüngliche Intention, mit der Veröffentlichung des Parteiprogramms einen Kontrapunkt zur Wahl der sozialistischen Präsidentschaftskandidatin zu setzen, ist genau ins Gegenteil umgeschlagen. Der fulminante Wahlsieg von Ségolène Royal zog die Medienaufmerksamkeit gänzlich auf sich, während der Kongress der UMP mit Schlagzeilen über die Auseinandersetzungen zwischen Chiracisten und Sarkozysten begleitet wurde; die Inhalte des Parteiprogramms kamen dabei zu kurz.

Die Gespaltenheit der sozialistischen Partei ist offenkundig, aber ihre Mitglieder haben geeint eine Kandidatin gewählt. Die Differenzen der Rechtskonservativen brodelten bislang unterschwellig, sind aber durch den jüngsten Parteikongress ebenfalls offenkundig geworden. Sollte es Sarkozy gelingen, im Januar ohne größere Schwierigkeiten tatsächlich zum Kandidaten der UMP gekürt zu werden, hat er den schwierigen Weg noch vor sich, die unterschiedlichen Strömungen der konservativen Wählerschaft zu einen.

Royal ist nicht nur Kandidatin für die Sozialisten, sie ist auch eine ernst zu nehmende Kontrahentin und - wie der ehemalige Premier Eduard Balladur auch kürzlich feststellen mußte - „nicht zu unterschätzen“. Wenn sie bisweilen politisch diffus und profillos scheint, so ist es ihr bereits gelungen, Sarkozy die Monopolstellung in der Thematik innere Sicherheit streitig zu machen. Darüber hinaus fordert sie den Bruch mit der Tradition nicht nur, sondern verkörpert ihn geradezu. Gerade ihre Ähnlichkeit mit Sarkozy – auch hinsichtlich ihrer Medienwirksamkeit und ihre Ausstrahlung - macht sie für ihn zu einer gefährlichen Gegnerin.

Einer jüngsten Umfrage zufolge, die von einem Duell Royal – Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen ausgeht, könnte Sarkozy im ersten Wahlgang 34% der Stimmen erhalten, Royal 30 %. Bei einer Stichwahl im zweiten Wahlgang lägen beide gleichauf bei 50-50. Doch eines ist sicher, die Geschichte hat uns gelehrt, dass Umfragen täuschen können und dass vor allem auch die Mitgliederbefragungen von UMP und PS für das Wahlverhalten des gesamten Spektrums der Wählerschaft in beiden großen Lagern nicht repräsentativ sind.

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