Welches Bild ist amerikanischer als das des Pioniers, der mutig mit Planwagen, Familie und Vieh die Großen Ebenen durchquert? Hunderttausende von Familien bahnten sich ihren Weg in den Westen, wie eine „marschierende Republik“. Sie verkörperten all das, was die Vereinigten Staaten zur größten Republik der Menschheitsgeschichte gemacht hat: Beharrlichkeit, Entschlossenheit und die Bereitschaft, das Bestehende herauszufordern.
Der Homestead Act von 1862, verabschiedet von einem republikanisch dominierten Kongress, von Präsident Abraham Lincoln unterzeichnet, spielte eine besondere Rolle dabei. Das Gesetz stellte Siedlern 160 Morgen Land für eine geringe Gebühr zur Verfügung. Es war der vielleicht größte Akt der Privatisierung in der amerikanischen Geschichte und, obwohl es nicht sofort augenfällig wird, eines der stärksten Zeugnisse von Lincolns Bekenntnis zur republikanischen Freiheit.
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Tatsächlich stand das Unternehmertum in der Geschichte immer auf der Seite von Ordnungen, die die gottgegebenen Menschen schützten. Sowohl patriotische Staatsmänner wie Abraham Lincoln als auch christliche Humanisten wie Wilhelm Röpke sahen einen Zusammenhang zwischen Unternehmertum und der natürlichen Freiheit des Menschen.
Christlicher Humanismus nach dem Ersten Weltkrieg
Im 20. Jahrhundert begegneten Christen in der westlichen Welt den Krisen und Schrecken ihrer Zeit mit einem neuen Humanismus. Ideologien – sei es der sowjetische Kommunismus oder der deutsche Nationalsozialismus – fußten auf der Ablehnung der universellen Menschenwürde. Den Menschen betrachteten sie lediglich als Mittel zur Erschaffung vermeintlicher Utopien. Die christlichen Humanisten glaubten, die menschliche Person müsse im Zentrum allen sozialen Denkens stehen, während die totalitären Ideologien sie sich unterordnen wolle.
Wilhelm Röpke formulierte die Haltung des christlichen Humanismus besonders eindrucksvoll, als er in seinem letzten Buch Jenseits von Angebot und Nachfrage schrieb: Er glaube „ein bestimmtes Bild vom Menschen“ zu haben, „das das durch die geistige Erbmasse der antik-christlichen Überlieferung geformt ist, weil ich ihm das Ebenbild Gottes sehe, weil mir die Überzeugung im Blute steckt, dass es eine grauenvolle Sünde ist, ihn zum Mittel zu erniedrigen (auch im Namen hochtönender Phrasen), und jede Seele etwas Unvergleichbares, Unvertauschbares und Unschätzbares ist, gegen das alles andere nichts ist, weil ich einem in diesen Überzeugungen wurzelnden Humanismus ergeben bin […].“ Für christliche Humanisten wie Röpke war es ein unverrückbarer Glaubenssatz, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen habe. Jegliches menschliche Handeln musste im Licht dieser fundamentalen Wahrheit interpretiert werden – auch das vermeintlich profane Wirtschaftsleben. Röpke war besonders qualifiziert, die Bedeutung einer Lehre wie der imago Dei (Gottesebenbildlichkeit) zu formulieren. 1899 in einem kleinen deutschen Dorf in eine Familie lutherischer Pfarrer und Ärzte geboren, war Röpke gerade alt genug, um im Ersten Weltkrieg für sein Vaterland zu kämpfen. Für seine Tapferkeit wurde er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.
Viele der bedeutendsten christlichen Humanisten des 20. Jahrhunderts – etwa C. S. Lewis oder J. R. R. Tolkien – kämpften an der Westfront und wurden Zeugen der Schrecken des Völkerkriegs. Die Gräuel des Krieges hinterließen bei ihnen eine andauernde Skepsis gegenüber kriegslüsternen Ideologien wie dem Nationalismus. Obwohl Röpke auf der anderen Seite kämpfte, erlebte er dieselbe grausame Erweckung. In seinem Essay The Economic Necessity of Freedom (1959) schrieb er: „Das Leben im Heer hatte gezeigt, was es bedeutete, als Teil eines Apparats zu existieren, dessen jede Funktion den Freiheitsverlust und unbedingten Gehorsam voraussetzte.“ Der junge Ökonom erkannte, wie der illiberale Nationalismus zum Kriegsausbruch geführt und der Militarismus Millionen entmenschlicht hatte. Fortan widmete er sich einer Wissenschaft der Freiheit, die dem Aufstieg ideologischer Tyranneien entgegenwirken sollte.
Röpkes humanistische Wirtschaftslehre
Für Röpke bedeutete das, die Gesellschaft als Ökonom daran zu erinnern, dass ein angemessener Respekt vor der menschlichen Person eine entschlossene Verteidigung der freien Marktwirtschaft erforderte. Planwirtschaften, so Röpke, erdrückten den Menschen unter dem Gewicht der Zentralisierung. In Jenseits von Angebot und Nachfrage erklärte er, dass die freie Marktwirtschaft „die einzige Wirtschaftsordnung ist, die mit der Freiheit des Menschen, mit der sie sichernden Struktur des Staates und der Gesellschaft und mit der Herrschaft des Rechts harmoniert.“ Damit seien „die letzten Bedingungen“ benannt, „ohne die ein Mensch unseres religiösen Glaubens, unserer philosophischen Überzeugungen und unserer Überlieferungen nicht mit Sinn und Würde leben könnte.“ Röpke betonte, dass die dominierenden Ideologien des 20. Jahrhunderts – der Kommunismus, der Faschismus und der Nationalsozialismus – ihre Anziehungskraft beim Volk mit dem Versprechen verbanden, dass ihre jeweilige Form des Sozialismus die Wirtschaft effizienter verwalten könne als der historische Kapitalismus.
Während sich Röpke schon Anfang der 1930er Jahre diesem Versprechen auf Effizienz entgegenstemmte und so zu einem Vertreter des Widerstands wurde, traten andere deutsche Intellektuelle wie Martin Heidegger und Carl Schmitt stolz der NSDAP bei und verteidigten Adolf Hitlers Totalitarismus mit Nachdruck. Am 8. Februar 1933, nur zwei Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, fasste Röpke seine Auflehnung gegen den nationalsozialistischen Zeitgeist in einer öffentlichen Rede in Frankfurt zusammen, in der er die sozialistische Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus verurteilte. Kurz darauf erschienen Gestapo-Agenten an Röpkes Haus, um ihn zum Schweigen zu bringen. Röpke und seine Familie flohen zunächst in die Türkei und dann in die Schweiz – als erster von über 400.000 Intellektuellen, die dem Zugriff der Gestapo entgingen.
Nach dem alliierten Sieg im Zweiten Weltkrieg lag Deutschland am Boden. Etwa ein Drittel von Röpkes Heimat war hinter dem Eisernen Vorhang dem kommunistischen Totalitarismus unterworfen, die großen Städte lagen in Trümmern, und die Schuld am Holocaust erschütterte das moralische Fundament des Landes. Sozialisten und andere linke Gruppen in der westdeutschen Politik gaben der sogenannten „historischen Marktwirtschaft“ die Schuld an der Krise. Sie argumentierten, dass die auf Profit ausgerichtete Marktwirtschaft sozial und moralisch zersetzend gewirkt und damit den Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigte habe.
Röpke und andere Ökonomen im deutschsprachigen Raum konnten dieser moralischen Kritik am Kapitalismus durchaus etwas abgewinnen, denn, wie Röpke in Jenseits von Angebot und Nachfrage schreibt: „Die Marktwirtschaft ist nicht alles. Sie muss in einen höheren Gesamtzusammenhang eingebettet sein, der nicht auf Angebot und Nachfrage, freien Preisen und Wettbewerb beruhen kann.“ Ökonomen wie Röpke, die sich dem liberalen Denken und einer christlich-humanistischen Anthropologie verpflichtet fühlten, wussten, dass weder ein ungezügelter Kapitalismus noch der sogenannte demokratische Sozialismus das deutsche Volk materiell oder moralisch wiederaufrichten konnte. 1959 schrieb Röpke: „Ich stand auf der Seite der Sozialisten in ihrer Ablehnung des Kapitalismus und auf der Seite der Kapitalisten in ihrer Ablehnung des Sozialismus. […] Der dritte Weg, den ich eingeschlagen habe, […] ist mit gutem Recht ‚wirtschaftlicher Humanismus‘ genannt worden.“ Ausgestattet mit diesem innovativen Ansatz einer Wirtschaft, die auf einer traditionellen Anthropologie beruht, begannen Röpkes Anhänger in Westdeutschland, konkrete politische Maßnahmen zum Wiederaufbau Europas zu entwickeln.
Führend bei der Gestaltung und Umsetzung dieses dritten Weges, der als Soziale Marktwirtschaft bekannt wurde, war Ludwig Erhard. Wie Röpke wurde er früh zum Gegner der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer planwirtschaftlichen Ansätze. Röpkes Werke waren für ihn eine Bestärkung seiner eigenen liberalen Überzeugungen. Zentral für Erhards ordoliberale Vision des wirtschaftlichen Wiederaufbaus war die Abschaffung von Preis- und Mietkontrollen, die Wachstum und Unternehmertum ungerechtfertigt hemmten. Er setzte sich für die Ausweitung der freien Marktwirtschaft in Westdeutschland ein, ohne jedoch staatliche Sozialsysteme wie die Rentenversicherung abschaffen zu wollen – und Röpke unterstützte und ermutigte ihn von seinem Lehrstuhl in der Schweiz aus bei jedem Schritt. Erhards Konzept trug wesentlich zum bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder bei.
Wirtschaft und die gute Gesellschaft
Für Röpke war dieser Sieg jedoch mehr als nur eine Reform des Wirtschaftssystems, er war eine moralische Notwendigkeit. Während John Maynard Keynes erklärte: „Langfristig sind wir alle tot“ und dazu riet, die Wirtschaftspolitik an kurzfristigen Anreizen auszurichten, sah Röpke in einem solchen Ansatz keine Tugend. Vielmehr war er überzeugt, dass sich Wirtschaftspolitik an den „bürgerlichen Tugenden“ orientieren sollte – Tugenden wie Sparsamkeit und Vorsorge für die Zukunft.
Nach Platon und Aristoteles ist es das Ziel der guten Gesellschaft, die Bürger auf den Pfad der Tugend zu führen. Röpke knüpfte daran mit der These an, dass die Menschen nichts die Tugenden von Verantwortung und Dienst am Nächsten so gut lehren könne wie die Marktwirtschaft. Soziale Systeme seien stets auf das Hier und Jetzt festgelegt, die bürgerliche Gesellschaft hingegen sei von einem gesunden Respekt vor dem kulturellen Erbe und dem Wunsch geprägt, dieses Erbe an zukünftige Generationen weiterzugeben. Röpke richtete seine Vorstellungen vom bürgerlichen Wirtschaftsleben und den damit verbundenen Tugenden auf die menschliche Person aus, konkret auf den Begriff des Unternehmertums. In Jenseits von Angebot und Nachfrage vergleicht Röpke den Unternehmer mit einem Schiffskapitän, der „durch die Meere des Marktes mit seinen der menschliche Natur entsprechenden Unberechenbarkeiten“ navigiere, angetrieben von Wettbewerb und Gewinnstreben. In Anlehnung an österreichische Ökonomen wie Israel Kirzner postuliert Röpke, der Unternehmer müsse den Menschen dienen, auch im Streben nach Gewinn. Eine humanistische Gesellschaft ist für ihn eine auf das Gemeinwohl zielende Zivilisation der Liebe.
Abraham Lincolns Ökonomie der Gleichheit
Die „Befreiung“, die sich Röpke und Erhard für die Bundesrepublik Deutschland wünschten, ist nicht gerade das, woran man zuerst denkt, wenn man diesen Begriff im Blick auf Abraham Lincoln erwähnt. Schließlich sind diese deutschen Wirtschaftshumanisten damit verbunden, staatliche Eingriffe in den privaten Sektor friedlich zurückzudrängen, während Lincoln berühmt dafür ist, dass er die Autorität des Staates in einem der blutigsten Kriege der amerikanischen Geschichte aufrechterhalten hat. Es mag daher paradox erscheinen, Wilhelm Röpke und Abraham Lincoln miteinander zu verknüpfen. Doch Röpkes wirtschaftlicher Humanismus und Lincolns Vorstellungen von einer republikanischen Gesellschaft verbindet eine ähnliche Sicht auf die menschliche Person.
„Dass alle Menschen gleich geschaffen sind“, nannte Lincoln in Gettysburg den Kern der amerikanischen Republik. Aus seiner Sicht hatten die Gründerväter alles – die Regierungsform wie auch die Lebensweise der Bürger – um diese zentrale, selbstevidente Wahrheit der Unabhängigkeitserklärung herum gestaltet. Mit Blick auf die vielen Einwanderer, die seit der Gründung in die Vereinigten Staaten gekommen waren, sagte Lincoln 1858 in Chicago: „Wenn sie die alte Unabhängigkeitserklärung durchlesen, entdecken sie, dass jene Männer sagten: ,Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind‘, und dann fühlen sie, dass dieses moralische Prinzip, das einst gelehrt wurde, ihre Beziehung zu diesen Männern bezeugt – dass es der Ursprung aller moralischen Prinzipien in ihnen ist, und dass sie ein Recht haben, es für sich zu beanspruchen, als wären sie Blut vom Blut und Fleisch vom Fleisch derer, die diese Erklärung verfassten – und sie sind es auch.“
Für Lincoln war die wichtigste Wahrheit des politischen Lebens das moralische Prinzip, dass alle Menschen gleich geschaffen und daher von ihrem Schöpfer mit bestimmten natürlichen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet seien. In derselben Rede erklärte er, dass sein politischer Gegner im Senatswahlkampf, Stephen A. Douglas, unrecht habe, wenn er forderte, dass die einzelnen Bundesstaaten selbst darüber entscheiden sollten, ob sie die Sklaverei zulassen. Diese sogenannte Volkssouveränität sei ein trügerisches Argument, meinte Lincoln, denn wenn behauptet werden könne, dass der aus Afrika versklavte Mensch nicht dieselbe Würde habe wie der republikanische Bürger eines Staates wie Illinois – worauf gründet dann die amerikanische Freiheit? Lincoln fragte seine Zuhörer: „Wenn ein Mann sagt, die Erklärung meine den Neger nicht – warum sollte dann nicht ein anderer sagen, sie meine irgendeinen anderen Menschen nicht? Wenn diese Erklärung nicht wahr ist, dann lasst uns das Gesetzbuch, in dem sie steht, herausholen und sie herausreißen.“
Im Epilog seines Buches International Economic Disintegration äußerte Röpke 1942 etwas ganz Ähnliches wie Lincoln 1858 in Chicago, nämlich: „Der Gegensatz zur Tyrannei ist nicht die Demokratie – ein Wort, das nur sagt, wo die Macht liegt – sondern das liberale Prinzip, das, damals wie heute, jeder Regierung – wie immer sie verfasst sein mag – jene Grenzen auferlegt, die durch Toleranz und Achtung vor den unveräußerlichen Rechten des Einzelnen geboten sind.“ Doch während Röpke seine humanistische Politik auf die christliche Lehre gründete, dass alle Menschen im Ebenbild Gottes geschaffen sind, stützte Lincoln seine Anti-Sklaverei-Haltung auf die amerikanische Gründungsidee, dass alle Menschen gleich geschaffen sind.
Wir haben gesehen, dass Röpkes Befürwortung der freien Marktwirtschaft auf dem Glauben an die Gottesebenbildlichkeit des Menschen beruhte. Welche Grundlagen hatte dem gegenüber Lincolns Vorstellung von politischer Ökonomie und welche Rolle spielte dabei seine Idee der Gleichheit? Zunächst war Lincoln stets darauf bedacht klarzustellen, dass er mit Gleichheit keineswegs meinte, die Gesellschaft wirtschaftlich so zu nivellieren, dass alle dieselben Ergebnisse erzielen – oder erleiden – sollten. In einer Wahlkampfrede in New Haven, Connecticut, sagte er im Jahr 1860: „Ich glaube nicht an ein Gesetz, das es einem Mann verbietet, reich zu werden; es würde mehr schaden als nützen. Also: Während wir keinen Krieg gegen das Kapital führen, wollen wir doch dem Einfachsten unter den Menschen die gleiche Chance geben, reich zu werden wie jedem anderen.“ Wenn alle Menschen gleich geschaffen seien, so Lincoln, dann verdiene niemand besondere Privilegien auf Kosten anderer. Und er fügte hinzu: „Wenn ein Mensch arm beginnt, wie es die meisten im Wettlauf des Lebens tun, so ist die freie Gesellschaft so beschaffen, dass er seine Lage verbessern kann; er weiß, dass es keine festgelegte Arbeitsbedingung für sein Leben gibt. […] Ich will jedem Menschen die Möglichkeit geben – und ich glaube, ein schwarzer Mann hat ebenso Anspruch darauf –, seine Lage zu verbessern; dass er in diesem und im nächsten Jahr nach vorne schauen und hoffen kann, ein Tagelöhner zu sein, danach für sich selbst zu arbeiten und schließlich Männer einzustellen, die für ihn arbeiten!“
Das ist Lincolns amerikanischer Traum – verwurzelt im Ideal von Selbstverbesserung und freier Arbeit. In einer früheren Rede in Cincinnati stellte Lincoln dieses System der freien Arbeit dem System der Sklavenarbeit gegenüber, das von radikalen Südstaatlern verteidigt wurde, die behaupteten, dass der Schwarze dem Weißen von Natur aus unterlegen sei, und dass seine dienende Stellung daher gottgewollt sei. Lincoln wies diese Vorstellung mit einer Analogie zurück, die die ganze Absurdität dieser Vorstellung vor Augen führte: „Ich bin der Meinung, dass, wenn es etwas gibt, das sich durch die uns umgebende Natur ohne Bezugnahme auf Offenbarung als Gottes Wille beweisen lässt, es die Aussage ist, dass jeder, was er mit seinen Händen und im Schweiße seines Angesichts verdient, in Frieden genießen soll. […] Ich bin der Meinung, wenn der Allmächtige jemals eine Gruppe von Menschen geschaffen hätte, die nur essen und nicht arbeiten sollten, hätte er sie nur mit Mündern und ohne Hände geschaffen. Und wenn er jemals eine andere Gruppe geschaffen hätte, die nur arbeiten und nicht essen sollte, hätte er sie ohne Münder und mit Händen geschaffen. Da er sich jedoch nicht entschieden hat, den Menschen auf diese Weise zu erschaffen, ist – wenn es überhaupt nötig ist – der Beweis erbracht, dass diese Hände und Münder im Laufe des Lebens kooperieren und nicht gestört werden sollen. Dass sie ihre Lage verbessern soll, ist, wie ich zu veranschaulichen versucht habe, ein inhärentes Recht, das der Menschheit direkt vom Schöpfer gegeben wurde.“
Lincoln wurde zum großen Gegenspieler der Sklaverei, weil er sie als Verletzung zweier fundamentaler moralischer Prinzipien betrachtete: Erstens, dass alle Menschen gleich geschaffen und mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; und zweitens, dass eines dieser Rechte – das, was die Gründerväter „das Streben nach Glück“ nannten – das Recht auf Selbstverbesserung ist – oder, wie wir heute sagen würden: das Recht auf die Verwirklichung des Unternehmergeistes.
Gleichheit, Würde und eine Welt in der Krise
Das Unrecht der Sklaverei führte zu einer Krise und schließlich zum Krieg. In Gettysburg definierte Lincoln den Amerikanischen Bürgerkrieg mit einer berühmt gewordenen Formulierung als Bewährungsprobe für das amerikanische Prinzip, dass alle Menschen gleich geschaffen sind – „eine Prüfung, ob diese Nation oder irgendeine Nation, die so konzipiert und so engagiert ist, lange bestehen kann.“ Die amerikanische Republik sei außergewöhnlich, so Lincoln, und zwar nicht in dem Sinne, dass die von ihren Bürgern begangenen Verbrechen durch eine gewisse chauvinistische Überlegenheit entschuldigt werden könnten. Lincolns Verständnis des amerikanischen Exzeptionalismus ist vielmehr die Bürde, zeigen zu müssen, dass menschliche Freiheit als solide Grundlage für eine tugendhafte Gesellschaft dienen kann.
Wilhelm Röpke sah im Kalten Krieg einen ähnlich entscheidenden Moment in der Geschichte der Menschheit. „Jeder muss inzwischen erkennen“, schrieb er in Jenseits von Angebot und Nachfrage, „dass der Weltkampf gegen den Kommunismus nicht mit Radiotruhen, Kühlschränken, und Breitwandfilmen gewonnen werden kann. Es ist kein Turnier um die bessere Güterversorgung […]. In Wahrheit handelt es sich um den alles bis in die letzten Tiefen aufrührenden Konflikt zweier ethischer Systeme im weitesten Sinne dieses Wortes, um ein Ringen, in dem es um die geistig-moralischen Möglichkeiten menschlicher Existenz schlechthin geht […].
Sowohl Lincoln als auch Röpke waren überzeugt davon, dass nichts Geringeres als die Zukunft der menschlichen Freiheit auf dem Spiel stehe, und dass, um es mit einem von Lincolns berühmtesten Sätzen zu sagen, wir der Geschichte nicht entkommen können: „Wir […] werden uns erinnern – trotz uns selbst. Keine persönliche Bedeutung, keine Bedeutungslosigkeit kann den einen oder anderen von uns verschonen. Die feurige Prüfung, durch die wir gehen, wird uns ehrenvoll oder unehrenhaft ins Gedächtnis der kommenden Generationen brennen.“
Gleichwohl muss man einräumen, dass weder Röpke noch Lincoln ihren eigenen Prinzipien vollkommen gerecht wurden. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges verteidigte Röpke die Apartheid in Südafrika, und in den 1850er Jahren bediente sich Lincoln gelegentlich rassistischer Rhetorik. Doch sollten diese bedauerlichen Äußerungen nicht unser Vertrauen in die von ihnen artikulierten Prinzipien menschlicher Würde untergraben. Vielmehr sollte uns der schmerzhafte Widerspruch zwischen ihren Worten und Taten daran erinnern, wie universell diese Prinzipien sind – und wie viel Arbeit zu ihrer Verwirklichung noch zu leisten ist.
Die Gemeinwohlfragen
Lincoln – und in geringerem Maße auch Röpke – bieten Vorbilder dafür, wie ein Staatsmann sein Volk durch eine solche „feurige Prüfung“ führen kann. Doch was bleibt dem gewöhnlichen Bürger zu tun? Wie können freie Arbeiter die Freiheit gegen Tyrannei – sei es die Sklavenmacht oder der Sozialismus – verteidigen? Beide, Lincoln wie Röpke, hätten diese Fragen vermutlich mit einem Hinweis auf den Unternehmer beantwortet. Ein zeitgenössischer Denker in der Tradition freier Arbeit, John McNerney, schrieb in seinem Buch Wealth of Persons: Economics with a Human Face, dass „um das Verständnis der Motivation des Unternehmers zurückzugewinnen, man Sokrates sinngemäß paraphrasieren könne: ‚Die Kunst des Unternehmers denkt nicht darüber nach, was für die Kunst des Unternehmertums gut ist, sondern was gut ist für den Körper-Wirtschaft‘ – das heißt, für das Gemeinwohl aller Personen, die am wirtschaftlichen Drama teilnehmen.“
Republikanismus, die res publica – von Cicero über Abraham Lincoln bis Wilhelm Röpke und darüber hinaus –, ist jene Regierungsform, die das Gemeinwohl über das private Wohl eines Einzelnen oder einer Gruppe stellt. Lincoln und Röpke entwarfen in ihren Modellen freier Arbeit und sozialer Marktwirtschaft eine Vision, in der der Unternehmer zur idealtypischen republikanischen Figur wird – zum obersten Diener des Gemeinwohls.
Indem sie den Profitanreiz in den Kontext einer tugendhaften Gesellschaft einbettet, ermöglicht die freie Marktwirtschaft, dass selbst die kommerziellsten und auf den ersten Blick eigennützigsten Handlungen dem Gemeinwohl dienen können. Richtig verstanden bedeutet freie Marktwirtschaft, dass die Republik die menschliche Person schützt – und die menschliche Person die Republik stärkt.
Michael Lucchese ist Gründer von Pipe Creek Consulting, Redakteur bei Law & Liberty und Gastautor bei Providence.
Dies ist die leicht gekürzte deutsche Übersetzung eines Essays, der zuerst auf Englisch in Heft 34, 3 (2024) der vom Acton Institute for the Study of Religion and Liberty herausgegebenen Zeitschrift Religion & Liberty erschienen ist.
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