Historischer Rundgang: Station 1
Einführung in den Rundgang
Besonders lockt mich dieses Haus, das vollständig isoliert ist, das auf einem Hügel liegt; es heißt ja auch: Villa La Collina [übersetzt: “Villa Hügel”]. Man ist für sich und hat doch die Schönheit der Natur, und ich bin im Laufe der Jahre mit den Behörden und mit der Bevölkerung der ganzen Gegend so vertraut geworden, daß sie mich, wie ich glaube, nicht als einen Fremden betrachten. Das tut einem dann wohl bei einem Aufenthalt, wenn man so von den sehr sympathischen und freundlichen Menschen umgeben ist, wie die Menschen dort sind.
„Bella Italia“ wurde in den 1950er Jahren zum beliebtesten Reiseland der Bundesbürger. Der Urlaub an den Stränden des „Stiefels“ war Ausdruck des neu erlangten Wohlstandes und eine süße Frucht des „Wirtschaftswunders“. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer zog es zum Urlaub fort aus dem oft verregneten Bonn in den Süden, doch anders als die meisten seiner Landsleute suchte er nicht “La Dolce Vita”, das hektische touristische Strandleben, sondern “La Vita Contemplativa”, Ruhe und Erholung im Einklang mit der Natur. Er entdeckte in den 1950er Jahren die oberitalienischen Seen in der Nähe zur Schweiz für sich, die mediterranes Klima, Wasser und das einzigartige Bergpanorama miteinander vereinen.
Den „Tipp“ für einen Aufenthalt am Comer See verdankte Adenauer einem prominenten Parteifreund, nämlich dem zweimaligen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden (1949-1955 und 1961-1964) und Bundesaußenminister der Jahre 1955 bis 1961, Heinrich von Brentano di Tremezzo. Seine Vorfahren stammten aus der Region rund um den Comer See, wie auch der Namenszusatz erkennen lässt. Einige von ihnen waren im 17. Jahrhundert als Kaufleute in die damalige Reichsstadt Frankfurt am Main ausgewandert.

Achtzehnmal verbrachte Adenauer zwischen 1957 und 1966 seine Urlaube in Cadenabbia (zunächst in der Villa Rosa und der Villa Arminio). Vierzehnmal wohnte er in der „Villa La Collina“, die ab 1959 zu seinem festen Feriendomizil wurde. Beim Aufenthalt im April/Mai 1964 waren Adenauer und seine Begleiter ausnahmsweise auf Einladung von NATO-Generalsekretär Dirk Stikker in dessen Villa “Bel Faggio” in Menaggio zu Gast.

Die „Villa La Collina” gehörte einem in Paris lebenden italienischen Aristokraten, der das Anwesen aber selbst kaum nutzte. Für das leibliche Wohl der Urlauber sorgten Köche der Speisewagengesellschaft der Bundesbahn. Nach dem Ende der Kanzlerschaft brachte Adenauer regelmäßig seine Köchin aus Rhöndorf mit an den Comer See.

Da die „Villa La Collina“ die übrige Zeit in der Regel nicht bewohnt war, wurde weiteres Mobiliar sowie zusätzliches Geschirr vor Ort vom in der Nähe gelegenen Hotel Britannia entliehen. Adenauer stand in der Regel kurz vor sieben auf und bekam einen ersten Morgenkaffee aufs Zimmer gebracht. Am Vormittag standen entweder Gespräche mit Besuchern oder Spaziergänge und Wanderungen in die Umgebung an. Standen keine dienstlichen Termine auf dem Plan, war am späten Nachmittag regelmäßig Boccia-Spielen angesagt. Nach dem Abendessen verbrachten die Bewohner in der Regel gemeinsame Zeit im Wohnzimmer der Villa, sei es mit Vorlesen, Brettspielen oder Unterhaltungen. Gegen zehn Uhr abends zog man sich auf die Zimmer zurück.
Der Aufenthalt ging zumeist über mehrere Wochen, war aber – auch wenn die Zeiten damals weniger schnelllebig waren als im heutigen Digitalzeitalter – für den Bundeskanzler gleichwohl mit der Notwendigkeit zu regelmäßigem Aktenstudium und der Zusammenkunft mit seinen Ministern und weiteren Politikern verbunden. Darüber hinaus empfing er an seinem Urlaubsort ausländische Staatsgäste und Prominente. Die „Villa La Collina“ wurde gewissermaßen zum „Ersatzkanzleramt“.

Bei der Rückfahrt von Cadenabbia mit dem Rheingold-Express kam es am 7. Mai 1965 zu einem Unfall: Der Kanzlerzug stieß bei Koblenz mit einem Sattelschlepper zusammen. Adenauer blieb körperlich nahezu unverletzt, erlitt aber einen Schock und musste sich drei Wochen lang zu Hause schonen. So verpasste er zu seinem Bedauern auch den ersten Deutschlandbesuch der britischen Königin Elizabeth II. Die „Queen“ schickte dem Altkanzler und Blumenliebhaber in einer noblen Geste Genesungswünsche – zusammen mit 50 Rosen.