Historischer Rundgang: Station 6
Deutschland und Italien
So ist Cadenabbia mehr als ein reizvolles Urlaubsdomizil am Comer See, das die Erinnerung an den ersten Kanzler der Bundesrepublik lebendig hält. Es ist ein Ort des Vermächtnisses, ein Ort der Besinnung auf die internationalen Lebensbedingungen unseres Staates: Die Festigkeit der atlantischen Gemeinschaft und die politische Union Europas.
Inhaltsverzeichnis
Europäischer Integrationsprozess
Transatlantische Sicherheitspartnerschaft

Adenauer hat Italien nicht nur als Urlaubsland und aufgrund seines großen kulturellen Erbes geschätzt, sondern als auch als wichtigen europäischen Partner anerkannt und respektiert. Das galt insbesondere für die zentrale Rolle, die Italien als Mitstreiter im europäischen Integrationsprozess von Beginn an gespielt hat.
Europäischer Integrationsprozess
Der Europagedanke spielte in Adenauers Denken eine zentrale Rolle. Statt des Verharrens in Nationalismus und Abgrenzung sollten die europäischen Völker sich ihres gemeinsamen kulturellen und geistigen Erbes erinnern, und den gemeinsamen Weg der Zusammenarbeit in der Zukunft beschreiten. Ein wichtiger Schritt stellte diesbezüglich die vom französischen Außenminister Robert Schuman und Adenauer angestoßene Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1950 dar, der neben der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich auch Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg beitraten. Im Jahr 1957 wurden die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG – Vorgängerin der Europäischen Gemeinschaft/EG und der Europäischen Union/EU) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) beschlossen – nach ihrem Unterzeichnungsort spricht man auch von den „Römischen Verträgen“. Das verweist auf die zentrale Rolle, die Italien als Gründungsmitglied sowohl der EGKS als auch der EWG im europäischen Integrationsprozess einnahm.
Die dominierende politische Kraft war zu jener Zeit die Democrazia Cristiana, die Partnerpartei der CDU. Entsprechend eng gestalteten sich die europäischen und die bilateralen Beziehungen. Zwei herausragende italienische Politiker waren besonders häufig in Cadenabbia zu Gast, nämlich Amintore Fanfani (Ministerpräsident 1958/59 und 1960-1963) und Antonio Segni (Ministerpräsident 1955-1957 und 1959/60, Außenminister 1960-1962, Staatspräsident 1962-1964).

Transatlantische Sicherheitspartnerschaft
Eine Schlüsselrolle in Adenauers Konzept der Westbindung spielten zudem die Vereinigten Staaten von Amerika. Als militärische Schutzmacht der Bundesrepublik Deutschlands und Westeuropas insgesamt im Rahmen der NATO waren sie de facto auch eine europäische Macht – und die transatlantischen Beziehungen somit neben der europäischen Integration der zentrale Pfeiler, auf dem seine Außenpolitikkonzeption fußte. Zwar beschlichen Adenauer seit Ende der 1950er Jahre Zweifel an der Zuverlässigkeit des amerikanischen Sicherheitsversprechens, dennoch blieben die Kontakte zu den US-Regierungen eng, denn die späten Jahre der Ära Adenauer waren außenpolitisch aufgewühlt mit einer neuen Krise um Berlin ab 1958 und schließlich dem Bau der Mauer 1961 sowie generell einer Zuspitzung des Kalten Krieges bis hin zur menschheitsgefährdenden Kuba-Krise im Herbst 1962. So verwundert es nicht, dass ab und an auch amerikanische Repräsentanten aus Politik, Journalismus und Militär in jenen Jahren den Weg nach Cadenabbia fanden, darunter wiederholt der General und Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, zudem Lauris Norstad, Außenminister (ab 1961) Dean Rusk, der renommierte Journalist der New York Times Cyrus Sulzberger sowie der Nationale Sicherheitsberater John F. Kennedys, McGeorge Bundy.

Es gibt Stimmen, die vermuten, dass es nicht allein die gute Luft war, die Adenauer und seine Entourage zur Verlegung des Urlaubsortes nach Cadenabbia bewogen hat. Der Bürgenstock in der Schweiz, sein bislang bevorzugtes Urlaubsdomizil, soll möglicherweise von “Wanzen” bevölkert gewesen sein – und gemeint waren in diesem Fall nicht die Tierchen.