Ginsburg sei eine Ikone der Frauenrechtsbewegung, erklärte Dr. Jan Philipp Wölbern, wissenschaftlicher Referent der Abteilung Zeitgeschichte bei der Begrüßung. Im Jahr 1956, nur 14 Monate nach der Geburt ihrer Tochter, begann sie ihr Studium an der Harvard Law School – als eine von neun Frauen unter rund 500 Männern. 1963, mit nur 30 Jahren, erhielt sie eine Professur an der Rutgers University in New Jersey und wurde 1993 von US-Präsident Bill Clinton an den Supreme Court berufen – als zweite Frau in der US-Geschichte.
Der im Film geschilderte Fall von Charles Moritz, erläuterte Dr. Kathrin Zehender, wissenschaftliche Referentin der Abteilung Zeitgeschichte, weiter, war dabei nur der Ausgangspunkt ihrer eigenen Karriere und ihres persönlichen Engagements für die Gleichstellung von Mann und Frau. Aufopfernd pflegte der Junggeselle Charles Moritz seine Mutter, jedoch wurde ihm nicht der dafür übliche Steuernachlass gewährt, weil als Pflegepersonen rechtlich bis dato nur Frauen vorgesehen waren. Gegen alle Prognosen gewann Ginsburg 1972 den Fall und brachte damit ein grundlegendes Umdenken in Gang. Allein in der Zeit von 1973 bis 1976 gewann sie fünf von sechs am Supreme Court verhandelten Fällen zur Geschlechterdiskriminierung.
Zum anschließenden Nachgespräch begrüßte Dr. Michael Borchard, Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Bundesverfassungsrichterin Dr. Sibylle Kessal-Wulf und Professor Jessica Gienow-Hecht, Leiterin der Abteilung Geschichte am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.
Gienow-Hecht zeigte sich beeindruckt von Bader Ginsburg. Sie sei eine inspirierende Persönlichkeit und habe vieles verändert, ohne eine Revolutionärin zu sein. Während das politische Klima in den 1970/80er Jahren aber stark von Aktivisten geprägt gewesen sei, insbesondere von der Bürgerrechtsbewegung, der Frauenbewegung und der Umweltbewegung, gebe es heute gerade unter den Studenten nur noch wenig Protestaktionen. Viele hätten dafür keine Zeit und seien in erster Linie um das persönliche Fortkommen besorgt.
Bundesverfassungsrichterin Kessal-Wulf berichtete von ihren eigenen Erfahrungen. So habe sie während ihres Studiums und in ihren ersten Jahren als Richterin nie direkte Diskriminierung erfahren, doch habe sie immer wieder gewisse „Episoden“ erlebt. Eindrücklich in Erinnerung geblieben sei ihr, dass sie einst gefragt wurde, ob sie denn als Frau weinen würde, wenn sie überstimmt würde. Als sie sich Anfang der 1990er Jahre beim Oberlandesgericht beworben hatte, sei angemerkt worden, dass sie doch einen gut verdienenden Mann habe und sie mit ihrer Bewerbung einem anderen Mann, der eine Familie zu versorgen habe, die Stelle wegnehme.
Gienow-Hecht stellte fest, dass die volle Gleichberechtigung noch nicht erreicht sei, auch wenn dies laut einer Forsa-Umfrage rund 60 Prozent der Deutschen glaubten. So sei es auch als Historikerin noch immer schwerer, an einen Lehrstuhl berufen zu werden. Zudem existierten heute noch informelle Männerrunden und Netzwerke. „Auch wenn Frauen heute gesetzlich alle Rechte haben und viele gläserne Decken nicht mehr so dicht seien, gibt es doch noch gläserne Wände, durch die Frauen nicht hindurch gehen können“, so Gienow-Hecht.
Mit Blick auf die Frage, inwieweit die rechtliche Gleichstellung weiterentwickelt sei als die Lebenswirklichkeit, erklärte Kessal-Wulf, dass zum Beispiel durch das 2007 eingeführte Elterngeld ein starker Bewusstseinswandel stattgefunden habe. Dass Männer in Elternzeit gehen, sei heute weitgehend anerkannt. Treffend fand sie den im Film zentralen Satz, dass das Gesetz niemals vollendet sei und immer von seiner jeweiligen Ära geprägt werde, gleichzeitig aber nicht vom täglichen Wetter beeinflusst werden dürfe. So sei es auch in Deutschland.