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Country reports

"Gepanzert" ins neue Jahr

by Frank Priess

Währungsinstitutionen schnüren Hilfspaket für Argentinien / Haushalt verabschiedet / Strukturprobleme bleiben

Die argentinische Regierung hat sich eine Atempause verschafft: Das Hilfspaket von Kreditzusagen, das vor allem internationale Finanzorganisationen wie der Internationale Währungsfonds und die Interamerikanische Entwicklungsbank für Argentinien geschnürt haben, ist unter Dach und Fach. In Argentinien spricht man von einer nötigen "blindaje" ("Panzerung") gegen mögliche Probleme bei der Zahlungsfähigkeit.

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Zum Volumen von rund 38 Milliarden Dollar haben zusätzlich die Privatbanken und als einziges Land Spanien (mit rund einer Milliarde Dollar) beigetragen. Der Zinssatz beträgt moderate rund acht Prozent, erheblich jedenfalls unter den rund 14 Prozent, zu denen sich Argentinien momentan auf den internationalen Finanzmärkten verschulden müsste. Konsequenz vor allem des hohen Länderrisikos. Gedeckt sind damit sowohl die Verbindlichkeiten, die das Land im Jahr 2001 zu begleichen hat, rund 15 Milliarden Dollar, als auch das zu erwartende Haushaltsdefizit.

Voraussetzung für die Hilfe waren vor allem zwei Entscheidungen:

  • ein Abkommen der argentinischen Regierung mit den Provinzen über die Begrenzung der Haushaltszuwächse in den nächsten Jahren sowie
  • die Verabschiedung des Haushaltes 2001:
Ersteres wurde am 20.11. unterzeichnet und sieht ein Einfrieren der Haushalte auf jetzigem Niveau bis 2005 vor. Auch der oppositionelle Partido Justicialista (PJ), der die überwältigende Mehrheit der Provinzgouverneure stellt, stimmte nach längeren Verhandlungen zu, erhielt allerdings als Gegenleistung einen Teil des bisher zentral verwalteten Sozialhaushaltes und der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur eigenen Verfügung.

Lediglich der Gouverneur von Santa Cruz, Nestor Kirchner, beteiligte sich nicht. Er hat inzwischen innerhalb der PJ eine eigene "corriente" gebildet, um sich für die Präsidentschaftswahlen 2003 zu positionieren. Die Zentralregierung kann allerdings einer Provinz ein Abweichen vom Abkommen genehmigen, wenn "öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Erziehung" anders nicht mehr gewährleistet werden könnten.

Auch schließt das Einfrieren die Kosten für die Bedienung des Schuldendienstes auf nationaler Ebene ausdrücklich aus. Gouverneure wie José Manuel de la Sota (Cordoba) erklärten anschließend in Interviews, ihre Unterschrift sei der Not geschuldet, die Regierungsfähigkeit Argentiniens zu erhalten und die Kreditwürdigkeit und Berechenbarkeit des Landes nach außen. Die Regierung müsse aber weitere Schritte energisch einleiten, z. B. Senkung der Kosten. Den Triumph eines glanzvollen Medientermins bei der Unterzeichnung des Abkommens verweigerten sie der Regierung ausdrücklich.

Neben den genannten Aspekten beinhaltet das Abkommen ("compromiso federal") im einzelnen:

  • dass die Nation den Provinzen für 2001 und 2002 eine "coparticipación" von 1,364 Milliarden Pesos (=Dollar) monatlich garantiert; für 2003 bis 2005 belaufen sich diese Leistungen dann auf einen Durchschnittswert, der nach dem Steueraufkommen der drei vorausgehenden Jahre berechnet wird. Das Minimum wurde auf 1,4 Milliarden monatlich in 2003, 1,44 Milliarden in 2004 und 1,48 Milliarden in 2005 festgelegt.
  • Die Provinzen verpflichten sich ihrerseits zur Erstellung eines einheitlichen Registers der Begünstigten von Sozialleistungen, um Missbrauch zu verhindern. Die Aufsicht darüber erhält der Bund.
  • Im laufenden Jahr erhalten die Provinzen zusätzlich 225 Millionen Dollar aus dem Sozialhaushalt für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und solche der sozialen Entwicklung. In den kommenden Jahren sollen es 30 Prozent des für diese Maßnahmen vorgesehene Summe des nationalen Haushaltes, verwaltet durch Arbeitsministerium (Ministerin: Patricia Bullrich) und Ministerium für soziale Entwicklung (Ministerin: Graciela Fernández Meijide) sein.
  • Der Bund zahlt den Provinzen in zwei Quoten Schulden zurück, die aus dem "Fondo Nacional de Vivienda", einem Fond für Wohnungsbauprogramme, resultieren. Provinzen, die darauf verzichten, erhalten "Entschädigungen" in Form von Mitteln für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Sozialhilfe in gleicher Höhe.
  • Vereinbart wurden ferner Maßnahmen zur Steuerangleichung und Vereinheitlichung der Steuerregister, um Steuersünder besser erfassen zu können. Im kommenden Jahr soll überdies ein neues Gesetz zur "coparticipación" der Provinzen verabschiedet werden.
Auch die zweite Bedingung des Währungsfonds konnte die Regierung mittlerweile erfüllen und brachte den Haushalt 2001 unter Dach und Fach. Allerdings fügten Senat und Abgeordnetenkammer in das Haushaltspaket eine Rücknahme der Gehaltskürzungen für einen Teil der öffentlich Bediensteten ein, von der unklar ist, ob sie Bestand hat oder vom Präsidenten durch ein mögliches Veto verhindert wird.

In jedem Falle geht der Haushalt von einem Defizit von rund sieben Milliarden Dollar aus, bei einer angenommenen Wachstumsrate von 2,5 Prozent. Wichtigster Einzelposten im Etat sind die Zinsen für die Auslandsschuld in Höhe von 11,14 Milliarden Dollar, was 21,5 Prozent des Haushaltes entspricht (in Deutschland verschlingt die Bedienung der Bundessschuld 17.1 Prozent des Haushaltes) .

5,29 Milliarden sind den Municipios und den Provinzen zugesagt (10,2 Prozent), mit über 40 Prozent bilden die Sozialausgaben den wichtigsten Ausgabenblock. Insgesamt beläuft sich der Haushalt auf 51,895 Milliarden Dollar, wobei mit einem Defizit von rund sieben Milliarden Dollar zu rechnen ist. Viel zu hoch, finden die Kritiker, und versehen zudem mit dem Risiko, dass sich angepeilte Wachstumsraten nicht realisierten und das Steueraufkommen hinter den Erwartungen zurückbleibe. Auch würden nötige Strukturreformen wieder einmal vertagt.

Das Abgeordnetenhaus votierte bei seiner Gesamtzustimmung zum Haushalt am 30. November nämlich auch gegen bestimmte Einzelprojekte, etwa den wichtigen Artikel 58, der eine Modernisierung des Staates, eine Verkleinerung seines Apparats mit Straffung nachgeordneter Behörden, Tertiarisierungen, weiteren Privatisierungen und Personalabbau vorgesehen hätte.

Interessant hierbei, daß Teile der Regierungs-Allianz mit der Opposition stimmten, während die Abgeordneten der Cavallo-Partei "Acción por la República" für den Artikel votierten. Die Modernisierung hätte auch das staatliche Sozialversicherungssystem, die Steuerbehörden und die Justiz eingeschlossen und insgesamt rund 300.000 öffentlich Bedienstete betroffen. Marcos Makon, der stellvertretende Kabinettschef erklärte nach der Abstimmung, für die Regierung sei hier das Kongressvotum nicht maßgeblich. Es bleibe bei den Reformplänen.

Während der Debatten war die Präsenz von Abweichlern vom Regierungskurs in den Reihen der "Allianz" unübersehbar. Es gärt dabei sowohl beim größeren Partner Unión Cívica Radical (UCR) als auch beim Linksbündnis FREPASO, der Organisation des Ex-Vizepräsidenten Carlos Alvarez. Dieser hatte nach dem Austritt der Sozialistischen Partei mittlerweile auch den Ausstieg der Christdemokraten und ihres einzigen Parlamentsabgeordneten zu verkraften, die sich gleichzeitig dem neugebildeten "Polo Social" des Geistlichen Luis Farinello (63) anschloss.

Parteiführer Alvarez steht zudem vor Motivationsproblemen seiner Truppe: Ganz offenkundig misst die Bevölkerung den von ihm in den Vordergrund gerückten ethischen Fragen weniger Bedeutung zu als der alles dominierenden Wirtschaftsthematik. Fast die Hälfte der Bürger kritisiert nach wie vor seinen Rücktritt. Immerhin liegt er mit einem positiven Image bei 33 Prozent von ihnen deutlich besser als alle anderen "Allianzler", einschließlich des Präsidenten.

Derzeit versucht Alvarez den Spagat: Ohne in die Regierung zurückzukehren - auch hierüber allerdings gibt es Spekulationen - versorgt er den Präsidenten mit Vorschlägen, wie der Zusammenhalt der Allianz gestärkt und das Profil der Regierung geschärft werden könnte.

Für Aufsehen sorgt dabei insbesondere seine Initiative zur Eingliederung des ehemaligen Wirtschaftsministers Domingo Cavallo ins Kabinett, für die Schaffung eines starken "Produktionsministeriums" und eine weitgehende politische Reform. Nur sorgen solche Debatten, die immer auch eine starke Personalkomponente haben, gerade jetzt für neue Unruhe:

Welche Legitimität hat ein Wirtschaftsminister José Luis Machinea, über dessen Ablösung ständig diskutiert wird? Geht er nach Bekanntgabe des Hilfspakets mit dem Währungsfonds? Gibt man ihm Zeit bis in den Frühling? Bis wann müssen im Wahljahr 2001 Entscheidungen fallen, die für das Wahlergebnis noch relevant sein können? Wäre ein Cavallo in der Allianz überhaupt durchsetzbar? Welche Kompetenzen sollte das Wirtschaftsministerium an ein Produktionsministerium oder ein wiederbelebtes Infrastrukturministerium abgeben? Wer wäre von den nötigen Rochaden noch betroffen? Und wo ist die Handschrift des Präsidenten bei all diesen Überlegungen?

Diese Unsicherheiten sind es vor allem, die das Land seit geraumer Zeit mit sich selbst beschäftigen und auch sichtbare Erfolge wie den des Hilfspakets sofort wieder relativieren. Die Folge ist zunehmender Pessimismus und eine immer geringere Zustimmung zur Regierung und ihrer Politik. Nur acht Prozent der Bevölkerung im Großraum Buenos Aires (er kann als durchaus repräsentativ für das Land gelten), so eine Studie von Carlos Fara, die die Konrad-Adenauer-Stiftung Ende November nach einem knappen Jahr de la Rúa-Regierung vorstellte, haben einen positiven Eindruck von der Regierung und gar nur fünf Prozent von ihrer Wirtschaftspolitik.

Von den Argentiniern wird inzwischen die Menem-Regierungszeit deutlich positiver gesehen als die de la Rúas. Eine Mehrheit der Bevölkerung erwartet einen Zusammenbruch der Allianz und setzt vier Oppositionspolitiker auf die besten Plätze öffentlicher Zustimmung: den Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Carlos Ruckauf, den Amtsinhaber in Córdoba, José Manuel de la Sota, seinen Kollegen in Santa Fé, Carlos Reutemann, und sogar den gescheiterten Präsidentschaftskandidaten der PJ, Eduardo Duhalde.

Das Image von de la Rúas Kabinett kann demgegenüber nur als verheerend bezeichnet werden: den höchsten Zustimmungswert erreicht noch Innenminister Storani mit 21 Prozent, Sozialministerin Fernández Meijide kommt auf magere 14 Prozent. Interessant immerhin, dass die Bürger trotz aller Politikverdrossenheit für Abenteuer nicht zu gewinnen sind. Zu den etablierten Kräften sehen sie kaum eine Alternative, es überwiegt ein gewisser Strukturkonservatismus und Realismus.

Für die Regierung möglicherweise noch gefährlicher als das Negativ-Votum der Gesamtbevölkerung ist die überaus kritische Einschätzung der Unternehmer. Allerdings haben sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Nach einer Exklusivumfrage der Zeitung "El Cronista" und Tiefeninterviews der Zeitschrift "Noticias" erwarten für das kommende Jahr 73,33 Prozent von ihnen eine gewisse Verbesserung, 16,30 Prozent das gleiche Panorama wie 2000, 5,93 Prozent eine deutliche Verbesserung und nur 4,44 Prozent eine Verschlechterung.

Sollte dies darin liegen, dass es nach über zwei Jahren Rezession ihrer Meinung nach schlimmer kaum noch werden kann? Eine deutliche Unternehmermehrheit erwartet überdies, dass die eins-zu-eins Konvertibilität zum Dollar nicht angetastet wird, 94 Prozent beabsichtigen 2001 die Verpflichtung zusätzlichen Personals. Ohne Strukturveränderungen aber halten sie eine Verlängerung der Rezessionsphase für möglich: hohe Steuern, die politische Unsicherheit, fehlende Reformen im öffentlichen Sektor, ein damit verbundener Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit und hohe Zinsen werden als Gründe genannt.

"Die hohen Produktionskosten, Vertriebskosten, Steuern und Zinsen sind die vier apokalyptischen Reiter, die argentinische Produkte um 50 Prozent verteuern", fasst der Chef der "Fundación Capital", Martin Redrado, das Panorama zusammen. (Noticias 25.11.2000) Konsequent haben denn auch die Rating-Agenturen Standard & Poors und Moody's ihre Bewertungen für Argentiniens Zukunftsaussichten von "stabil" auf "negativ" zurückgeführt, die "Panzerung" allein sei nicht ausreichend.

Verhärtet bleiben die Fronten auch zwischen Regierung und Gewerkschaften. Diese zeigten Einigkeit und eine gewisse Stärke mit einem 36-stündigen Generalstreik am 24. November. Aus ihrer Sicht ein Erfolg - fast totale Paralyse der Aktivitäten - aus Sicht der Regierung "Lohn der Angst und Einschüchterung".

Hauptgrund für den "Erfolg" war nämlich der fast totale Ausfall des öffentlichen Nahverkehrs, erreicht unter anderem durch massive Drohungen gegen Taxi- und Busfahrer und die Unternehmerschaft des Sektors. In Umfragen erklärten sich deutliche Mehrheiten der Bevölkerung als nicht streikwillig, die zentralen Kundgebungen der Arbeitnehmerorganisationen waren schwach besucht.

Auch bleibt das Image der Gewerkschaften, denen bei ihren Aktivitäten auch eigensüchtige Motive der demokratisch kaum legitimierten Führung unterstellt werden, nach wie vor mindestens ebenso schlecht wie das der Politiker. Eine Arbeitslosenquote im Oktober von 14,7 Prozent (das entspricht 2.076.695 Personen) und von ebenfalls 14,7 Prozent bei den sogenannten Unterbeschäftigten (Vergleich Oktober 1999: 13,8 Prozent/1.920.763 Personen bei den Arbeitslosen bzw. 14,3 Prozent bei den Unterbeschäftigten) lässt gleichwohl die reale Dimension des Problems und die Basis des Unmuts erkennen, auf denen auch die Suche nach radikaleren Alternativen durchaus gedeihen könnten.

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Olaf Jacob

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olaf.jacob@kas.de

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