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Country Reports

Cote d´Ivoire im freien Fall

Lomé-Friedensgespräche bis auf weiteres suspendiert

Bis auf weiteres wurden die ivorischen Friedensgespräche zwischen den Rebellen und der Regierungsdelegation unter Leitung des von der CEDEAO (Communauté économique d´ États d´Afrique de l´Ouest) eingesetzten togoischen Präsidenten Gnassingbe Eyedema am Wochenende, 10. November 2002, in Lome suspendiert. Die Hoffnung auf eine Lösung des nunmehr seit rund acht Wochen herrschenden Konflikts, der am 19. September ausbrach und mittlerweile zur Spaltung der Cote d´Ivoire in einen südlichen, von loyalen Regierungstruppen und einen nördlichen, von den Rebellen gehaltenen Landesteil führte, scheinen damit kurzfristig wieder zunichte gemacht.

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Die Rebellen nahmen die Ermordung des Bruders von Louis Dakoury-Tabley, aussenpolitischer Koordinator des politischen Arms der Rebellenbewegung „Mouvement Patriotique de Cote d´Ivoire“ (MPCI) zum Anlass, den Verhandlungstisch zu verlassen, und machten eine Wiederaufnahme der Gespräche von der Aufklärung des Verbrechens und einer offeneren Haltung der Regierung Laurent Gbagbo abhängig.

In einem offiziellen Kommunique äußerten die Rebellen ihren Willen, am Dialog als Weg zum Frieden festzuhalten, kritisierten jedoch das Vorgehen der Regierung, bei der „Machtmissbrauch, nächtliche Verhaftungen und Ermordung von der MPCI nahestehenden Personen auf der Tagesordnung“ stünden. Der Arzt Benoit Dakoury-Tabley wurde am Abend des 7. November während seiner Arbeit im Krankenhaus von der Polizei in Abidjan verhaftet und in einer Polizeistation der Hauptstadt festgehalten. Die versehrte und mit mehreren Schüssen durchsiebte Leiche Dakoury-Tableys wurde am Morgen darauf an einer Ausfallstraße der Wirtschaftsmetropole gefunden.

Hinter der offiziellen Begründung für den Rückzug der Rebellen, zunächst um den Ermordeten und „alle anonymen Opfer, die durch die Gräueltaten der Truppen von Herrn Gbagbo umgekommen sind“, zu trauern, stehen strategische Überlegungen, Gbagbo zu einem stärkeren Entgegenkommen zu zwingen. Präsident Eyadema bedauerte insbesondere, dass die Nachricht von der Ermordung Dakoury-Tableys in einem Moment bekannt wurde, als beide Seiten sich anzunähern schienen. Der Verhandlungsführer der ivorischen Regierung, Laurent Dona Fologo, wollte sich zu den Vorgängen nicht weiter äußern, beteuerte aber, dass an den Vorgaben der CEDEAO, eine friedliche und auf die Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes gerichtete Lösung herbeizuführen, festgehalten werde.

Im Gegensatz zu den jüngsten Entwicklungen begannen die Verhandlungen zwischen Rebellen und Regierung Ende des Monats Oktober erstaunlich verheißungsvoll. Beide Seiten einigten sich auf die Freilassung aller Gefangenen. Die Regierung Gbagbo stimmte einem Hauptanliegen der aufständischen Soldaten zu, indem sie versprach, umgehend ein Amnestie-Gesetz bei der Nationalversammlung einzureichen. Zudem verpflichtete sich die ivorische Delegation, Maßnahmen zur Reintegration der sich im Exil befindenden Soldaten sowie der Rebellen einzuleiten. Eine weitere Gesetzesvorlage sollte die Lebensbedingungen der Soldaten sowie deren Aufstiegschancen verbessern.

Die Gespräche schienen dann während der zweiten Verhandlungsrunde an einen toten Punkt angekommen zu sein, wo die Rebellen weiterhin an ihrer Forderung festhielten, dass Präsident Gbagbo zurücktreten müsse und innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen durchzuführen seien. Der Präsident machte im Gegenzug alle weiteren Diskussionen von einer vorherigen Entwaffnung der Rebellen abhängig.

Bis auf weiteres scheint hier – selbst bei Fortsetzung der Gespräche – keine Einigung zwischen den Konfliktparteien in Sicht. Wobei zu fragen ist, ob nicht bereits die ersten Weichenstellungen auf Seiten der Regierung Gbagbo sowie der CEDEAO zu weitreichenden Fehlern geführt haben. Allein an der Person Präsident Eyademas als Koordinator scheiden sich die Geister.

Dass der geschickte Taktiker und – mit Gabuns Omar Bongo – gern als Doyen der afrikanischen Staatschefs fungierende Präsident mit dieser Aufgabe wieder einmal die Chance genutzt hat, von eigenen innenpolitischen Problemen abzulenken und die Aufgabe des Friedens- und Stabilitätsfürsten zu übernehmen, stieß auf zwiespältige Reaktionen: Eingedenk der guten Verbindungen Eyademas zu Präsident Blaise Campoaré von Burkina Faso und des gestörten Verhältnisses zum Sozialisten Gbagbo freuten sich die Rebellen, aus Abidjan waren eher leise Zweifel zu vernehmen. Die Ernennung Eyademas war denn auch zunächst eine Überraschung, da zunächst davon ausgegangen wurde, dass der malische Präsident Ahmadou Toumani Touré diese Aufgabe übernehmen würde.

Die Entscheidung der CEDEAO kann in diesem Zusammenhang als nicht sehr glücklich bezeichnet werden. Eine weitere Fragen mit Blick auf die Lösung des Konflikts, der bereits regionale Dimensionen angenommen hat, wirft die nach dem Beschluss der CEDEAO aufzustellende 2000 Mann starke Puffer-Truppe auf, die die verstärkten französischen Verbände im Korridor zwischen Rebellen und Regierungstruppen ablösen soll.

Bestehend aus Soldaten aus Benin, Gambia, Ghana, Guinea Bissau, Mali, Niger, Togo und Senegal sollte diese bereits Anfang November einsatzbereit sein; nunmehr wird die Ankunft der einzelnen Truppenteile für die nächsten Tage erwartet. Unklar bleibt hier weiterhin, welches Land den Oberbefehl übernehmen wird, wobei sich die CEDEAO-Außenminister bereits darauf geeinigt hatten, das Land mit dem stärksten Truppenkontingent – vermutlich Senegal - damit zu beauftragen. Für Unruhe innerhalb der CEDEAO sorgte die erst am Wochenende ergangene Absage Nigerias, nicht an dem Einsatz teilzunehmen. Unter der Bevölkerung der Cote d´Ivoire herrschen zudem Zweifel, ob eine CEDEAO-Truppe aufgrund der Erfahrungen in Liberia und Sierra Leone wirklich mehr positive als negative Wirkungen mit sich bringen wird.

Präsident Gbagbo hingegen scheint die Zeit wegzulaufen. Hat er sich anfangs nur zögerlich auf Verhandlungen mit den Rebellen eingelassen und während eines Gipfeltreffens die CEDEAO-Staatschefs offen brüskiert, indem er sich weigerte, ein zuvor ausgehandeltes Waffenstillstandsabkommen zu unterschreiben, so hat er in den vergangenen Wochen durch seine Äußerungen wenig zur nationalen wie regionalen Beruhigung der Lage beigetragen. Nachdem er bereits kurz nach Ausbruch der Kämpfe benachbarte Länder „im Norden“ der Komplizenschaft mit den Rebellen bezichtigt und damit eine Welle der ethnischen Säuberung und Übergriffe der ihm loyalen Bevölkerung sowie seiner Gendarmerie- und Polizeieinheiten insbesondere auf Immigranten aus Burkina Faso in Gang gesetzt hatte, nannte er Ende Oktober erstmals ausdrücklich den Präsidenten Burkina Fasos mit Namen und machte ihn für die derzeitige Krise mit verantwortlich.

Demnach habe man bereits früher gewusst, dass „ein Staatsstreich gegen die Cote d´Ivoire von Burkina aus vorbereitet“ werde. Ouagadougou hüllte sich nach den ergangenen Vorwürfen in Schweigen, offensichtlich ist aber, dass es eine „Ouagadougou-Verbindung“ zwischen Rebellen und Burkina Faso gibt. Die Regierung Campaoré hatte alten Kampfgefährten General Gueis, allen voran dem berüchtigten Colonel Ibrahim Coulibaly (IB), Zuflucht gewährt. Anhänger von IB wurden auch in der von den Rebellen eroberten Stadt Bouaké gesehen, so dass eine direkte Verbindung wahrscheinlich ist. In Burkina Faso selbst, das seit der Schließung der Grenzen zur Cote d´Ivoire nach eigenen Angaben rund 20 Milliarden FCFA an Steuern und Zöllen einbüßte, scheint mittlerweile auch die Bereitschaft zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem großen Nachbarn zu wachsen.

Wer von Seiten der Regierung Gbgabo auf der Suche nach Lösungen derzeit nach Paris schielt, dürfte wohl enttäuscht werden. Dass der Sozialist Gbagbo ohnehin nicht Wunschkandidat der mittlerweile nicht mehr aus einer Cohabitation bestehenden Regierung in Paris ist, liegt auf der Hand. Dass er umgekehrt händeringend um Hilfe rief, als der Aufstand losbrach und schnell dabei war, Nachbarländer als Verantwortlich zu benennen, ist aufgrund des 1962 geschlossenen bilateralen Verteidigungspaktes zwischen Frankreich und der Cote d´Ivoire nur allzu verständlich. Doch Paris hörte nicht ganz so, wie gewünscht, garantierte „logistische Hilfe“ und entsandte einige hundert Soldaten, um ihre eigenen Landsleute zu schützen und zu evakuieren.

Die Gründe für die französische Zurückhaltung sind vielfältig: Zum einen kann Paris heute nicht mehr allzu offensichtlich die Rolle des `Polizisten´ in den ehemaligen Kolonien übernehmen. Den tatsächlichen Verteidigungsfall festzustellen, dafür reichten und reichen die Indizien derzeit nicht aus. Andererseits ist kaum zu anzunehmen, dass Präsident Chirac die anti-französischen Demonstrationen, die Ende Oktober in Abidjan von regierungsnahen Gruppen und Anhängern Gbagbos vor dem 43. Marine-Infanterie-Bataillon durchgeführt wurden, mit großer Freude erfüllt haben. Derartige Bilder und Plakate wie „Nieder mit Frankreich“ und „Chirac ist ein Sklavenhändler“ dürften im Elysée kaum motivierend gewirkt haben.

Gleichwohl ist die derzeitige Haltung Frankreichs selbstredend: Seit Kampfausbruch hält sich der wohl bedeutendste Oppositionspolitiker des Landes und Führer der RDR (Rassemblement Démocratique Républicain), Alassana Dramane Outtara, in der Residenz des französischen Botschafters in Abidjan auf. Mehrmalige, an die Adresse Frankreichs ergangene Aufrufe Gbagbos, Ouattara außer Landes zu bringen, da er der eigentliche „Zankapfel“ zwischen Abidjan und Paris darstelle, blieben ungehört. Die Machtlosigkeit Gbagbos offenbarte sich am deutlichsten, als er Ende Oktober bereits ankündigte, er werde das Verbleiben Outtaras in der französischen Botschaft nicht weiter dulden und umgehend entsprechende Maßnahmen ergreifen. ADO, wie er zumeist genannt wird, ist bis heute dort - unter dem persönlichen Schutz Frankreichs, und dies scheint mehr als nur eine beiläufige Schutzmaßnahme zu sein, sondern Strategie. In der Region wird bereits darüber spekuliert, ob die Franzosen die Chance nutzen werden, Ouattara `im Falle des Falles´ zu installieren.

Dies scheint eine umso überzeugender Perspektive, als die Rebellen als solche keine wirklich ernst zu nehmende Alternative darstellen. Eigene regierungspolitische Ambitionen haben sie – abgesehen von der Forderung nach Neuwahlen - stets zurückgewiesen. Ihre Rebellion rührt wohl aus einer durch mehrere Faktoren genährten Unzufriedenheit. Gbagbo war die Armee, insbesondere die noch unter General Guei rekrutierten Soldaten stets suspekt, und zur Absicherung seiner Macht baute er eher auf die starken Gendarmerie und Polizeieinheiten.

Hinzu kam die zum Teil angedrohte, bereits begonnene Zwangsdemissionierung vieler noch unter General Guei rekrutierter Truppenteile. Die Gruppe der Rebellen stellt derzeit eine eigenartige Mischung aus verprellten Soldaten und ehemaligen Anhängern von General Guei und – eben auch – von Alassana Dramane Ouattara dar, die den Norden des Landes ohne größere Widerstände einzunehmen vermochten und denen sich alsbald auch neue Anhänger hinzugesellten. Auf der anderen Seite ist Ouattara, der jede Verbindung zu den Rebellen abstreitet, nach wie vor mit seiner RDR in der am 5. August gegründeten Einheitsregierung Gbagbos vertreten. Dass ADO mit seiner RDR mehrheitsfähig sein könnte, haben nicht nur die letzten Kommunalwahlen gezeigt, sondern dies befürchten sowohl die Partei Gbagbos (Front Populaire Ivoirien, FPI) als auch die Getreuen um Bedié und die einstige Regierungspartei Parti Démocratique de Cote d´Ivoire (PDCI).

Präsident Gbagbo spielt – in erstaunlicher Kontinuität zu allen seinen Vorgängern seit 1993 – gleichwohl weiterhin die Nationalitäten-Karte. In seinen in martialischem Ton gehaltenen Reden kommt er immer wieder auf die Frage der Nationalität, der nationalen Einheit und damit letztlich der Identität zu sprechen, wobei für die Ivorer und die Ausländer in der Cote d´Ivoire damit immer die Ivoirité-Frage mitklingt, also die Frage, wer echter Ivorer und kein Ausländer ist. Anstatt jeden möglichen Versuch einer Einigung zu unternehmen, gießt der Präsident weiter Öl ins Feuer. In diesem Kampf, so Gbagbo, werde sich entscheiden „wer wer ist.“ Gleichwohl: Gbagbo ist für diesen seit annähernd zehn Jahren währenden Streit nicht allein verantwortlich, aber er hätte Entwicklungen einleiten können, ihn zu vermeiden.

Das ethnisch-regionale Auseinanderbrechen der einstigen Insel der Stabilität in Westafrika setzte bereits mit dem Tod des „Vaters der Nation“ Houphouet-Boigny (1960-1993) ein. Bei aller Zweifelhaftigkeit seiner Politik hat er es vermocht, durch die intensive Anwerbung von Ausländern aus Burkina Faso, Mali, Ghana und Togo den einstigen Wohlstand des Landes zu sichern. Um die innere Stabilität des Landes abzusichern, besiegelte er eine strategische Allianz zwischen dem mehrheitlich christlich bestimmten Süden und dem mehrheitlich muslimischen Norden, sprach Ausländern sogar das Wahlrecht zu und etablierte zur Sicherstellung des Status quo ein ausgeklügeltes System der Machtverteilung zwischen den Baoulé im Süden und den Dioula im Norden. Posten und öffentliche Ämter wurden nach einem subtilen System, das sich am regional-ethnischen Gleichgewicht orientierte, vergeben. Nationalität orientierte sich am nationalen Bekenntnis und an der Nützlichkeit, nicht an der Geburtsurkunde.

Houphouet-Boignys Nachfolger, Henri Konan Bedié, brach – um der Machterhaltung im neuen Mehrparteiensystem willen – mit diesem Erbe und nutzte die latent vorhandenen ethnischen Spannungen, um den Hauptwidersacher Alassane Dramane Ouattarra aus dem Norden als Konkurrent auszuschließen und seiner Ethnie, den Baoulé die Macht zu sichern. Ivoirisierung bedeutete von nun an eine stärkere Stellung der Baoulé. General Robert Guei, der Weihnachten 1999 mit einem Putsch die Macht übernahm, war angetreten die „Entbaoulisierung“ des Landes einzuleiten, hat aber im Gegensatz dazu die ethnischen Auseinandersetzungen nur noch verschärft.

Auch der langjährige Oppositionelle und Sozialistenchef Laurent Gbagbo wusste die Identitätsfrage zu nutzen und setzte die Politik seiner Vorgänger fort, mit dem einen Unterschied, dass er nun seiner Ethnie, den Bété, den Vorzug gab und die gesamte Gendarmerie und Polizei des Landes durch Rekrutierung des Nachwuchses unter den Bété tribalisierte. Die Tatsache, dass der Aufstand im September von zumeist ehemaligen Soldaten, die unter Guei und auch bereits früher rekrutiert wurden, ausging, darf von daher nicht verwundern.

Eine wirkliche Lösung für den Konflikt zu finden, wird von Tag zu Tag schwerer. Die Fronten verhärten sich weiter. Mögliche Szenarien zu erstellen, erscheint fast unmöglich. Sollte sich Präsident Gbagbo jedoch weiterhin in die Isolation treiben, wird der Aufbau einer echten politischen Alternative um so dringender – und für diesen Fall scheint man dem ehemaligen IWF-Direktor Alassana Dramane Outtara noch mehr Beachtung schenken zu müssen. Vermag er – mit internationaler Hilfe – , was andere nicht schafften: Versöhnen statt spalten, um somit auch einen größeren Krieg mit den Nachba rn zu vermeiden?

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Elke Erlecke

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Regionalbeauftragte Ost Kommunalpolitik

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